TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/20 94/02/0105

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Veröffentlicht am 20.12.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §39 Abs2;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §68 Abs2;
AVG §68 Abs3;
AVG §68 Abs4 Z2;
AVG §68 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Bernard, Dr. Riedinger und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde der S Gastgewerbe und Automaten-Video Vertriebsgesellschaft m.b.H. in L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 15. Februar 1994, Zl. Pol-50.395/3-1994 Zö/Hof/Fu, betreffend Nichtigerklärung einer Bewilligung zum Betrieb von Geschicklichkeitsspielapparaten, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Landeshauptstadt Linz vom 7. Dezember 1993 wurde der Beschwerdeführerin die Bewilligung zum erwerbsmäßigen Betrieb von insgesamt

21 Geschicklichkeitsspielapparaten bis 30. Dezember 1995 erteilt. Als Rechtsgrundlage wurden die §§ 2 und 13 Abs. 1 Z. 1 des O.ö. Veranstaltungsgesetzes 1992, LGBl. Nr. 75, angeführt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Februar 1994 hat die belangte Behörde diesen Bescheid mit sofortiger Wirkung gemäß § 68 Abs. 4 lit. b (richtig: Z. 2) AVG für nichtig erklärt. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung damit, daß bei einer polizeilichen Kontrolle im Spiellokal der Beschwerdeführerin von einem Amtssachverständigen ein Gutachten erstattet worden sei, wonach es sich bei den gegenständlichen Spielapparaten keinesfalls um Geschicklichkeitsapparate gemäß § 2 Abs. 3 des O.ö. Spielapparategesetzes handle. Diesem Gutachten zufolge handle es sich bei den bewilligten Apparaten nicht - wie die Bewilligungsbehörde fälschlicherweise angenommen habe - um Geschicklichkeitsapparate, sondern um eindeutige Glücks- und Geldspielapparate, bei denen die Entscheidung über Gewinn und Verlust vorwiegend vom Zufall abhänge. Der Betrieb dieser Glücks- und Geldspielapparate sei nach § 168 StGB, § 52 Glücksspielgesetz und § 13 des O.ö. Spielapparategesetzes strafbar. Da der gegenständliche Bescheid somit aufgrund des festgestellten Sachverhaltes an einem mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leide, der einen gesetzwidrigen Erfolg herbeiführen würde, sei er in Ausübung des Aufsichtsrechtes für nichtig zu erklären.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben zur verfahrensgegenständlichen Bewilligung des erwerbsmäßigen Betriebes von Geschicklichkeitsspielapparaten obliegt nach § 2 Abs. 1 iVm § 13 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 4 des

O.ö. Veranstaltungsgesetzes 1992, LGBl. Nr. 75, der Landeshauptstadt Linz im eigenen Wirkungsbereich.

Nach § 75 Abs. 1 des Statutes für die Landeshauptstadt Linz, LGBl. Nr. 7/1992, können rechtskräftige Bescheide in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches von der Landesregierung in Ausübung des Aufsichtsrechtes nur aus den Gründen des § 68 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG aufgehoben werden.

Gemäß § 68 Abs. 4 Z. 2 AVG kann die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes Bescheide als nichtig erklären, wenn der Bescheid einen strafgesetzwidrigen Erfolg herbeiführen würde.

Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit bringt die Beschwerdeführerin vor, die belangte Behörde habe bezüglich einer Abänderung oder Aufhebung von rechtskräftigen Bescheiden mit möglichster Schonung erworbener Rechte vorzugehen, um das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdende Mißstände zu beseitigen oder schwere volkswirtschaftliche Schädigungen hintanzuhalten. Dieses Vorbringen ist im Hinblick darauf unbeachtlich, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid ausdrücklich auf die Bestimmung des § 68 Abs. 4 lit. b (richtig: Z. 2) AVG gestützt hat, sodaß es sich erübrigt, auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin, die die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach Abs. 3 leg. cit. bestreitet, näher einzugehen.

Da der Verwaltungsgerichtshof entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin, daß nur Verstöße gegen gerichtliches Strafrecht zur Aufhebung eines rechtskräftigen Bescheides berechtigen, davon ausgeht, daß von der Bestimmung des § 68 Abs. 4 Z. 2 AVG auch die Herbeiführung eines verwaltungstrafrechtlichen Erfolges umfaßt ist, liegen die in diesem Zusammenhang behaupteten Rechtsverletzungen nicht vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde einen Bescheid aufgehoben, bei dem sowohl die formelle als auch die materielle Rechtskraft eingetreten waren. § 68 Abs. 4 Z. 2 AVG regelt eine Ausnahme von der materiellen Rechtskraft unter der Voraussetzung, daß durch den in Frage stehenden Bescheid ein strafgesetzwidriger Erfolg herbeigeführt würde. Diesen Sachverhalt sah die belangte Behörde im vorliegenden Fall allein auf Grund des im Akt erliegenden Gutachtens des Amtssachverständigen als gegeben an.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt die Grundsätze behandelt, die beachtet werden müssen, um zu einer Abänderung oder Behebung eines Bescheides nach den Bestimmungen des § 68 Abs. 2 bis 4 AVG zu gelangen. Hiebei wurde vor allem betont, daß das Vorhandensein der Voraussetzungen für die Abänderung oder Behebung eines Bescheides nach den zitierten Bestimmungen, da es sich um Ausnahmen von der grundsätzlich bestehenden materiellen Rechtskraft handelt, immer streng geprüft werden muß. Die Handhabung des Abänderungs- und Behebungsrechtes in den Fällen der Abs. 2 bis 4 des § 68 AVG hat in der Weise zu erfolgen, daß ein entsprechender Bescheid erlassen wird, für den in jeder Beziehung die allgemeinen Vorschriften über Bescheide gelten. Der Erlassung des Bescheides muß daher ein Ermittlungsverfahren unter Wahrung des Parteiengehörs vorangehen. In der Begründung ist zum Ausdruck zu bringen, inwiefern die Abänderung bzw. Behebung des früheren Bescheides unter dem Gesichtspunkt der herangezogenen Bestimmung des § 68 AVG gerechtfertigt erscheint (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Juni 1981, Zl. 01/2192/79, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Die belangte Behörde wäre daher vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides verpflichtet gewesen, ein (vollständiges) Ermittlungsverfahren durchzuführen und der Beschwerdeführerin vor allem zu dem Sachverständigengutachten, auf das allein der angefochtene Bescheid gegründet wurde, Parteiengehör zu gewähren (§ 45 Abs. 3 AVG). Die belangte Behörde vertritt in ihrer Gegenschrift die Ansicht, daß die Beschwerdeführerin auf Grund des behördlichen Lokalaugenscheines vom 3. Februar 1994 ausreichend von der Sach- und Rechtslage Kenntnis erlangt habe. Dabei übersieht sie jedoch, daß das entscheidungswesentliche (schriftliche) Gutachten erst am 8. Februar 1994 erstattet und der Beschwerdeführerin nicht zur Äußerung zur Kenntnis gebracht wurde. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerde auch erkennen lassen, welche Einwendungen sie im Verwaltungsverfahren gegen das Sachverständigengutachten erhoben hätte, und hat auch ein diesbezügliches Gutachten vorgelegt. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid unter Abstandnahme von der Durchführung der beantragten Verhandlung (§ 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren betrifft Umsatzsteuer, die aufgrund der Pauschalierung des Aufwandersatzes nicht zuerkannt werden kann.

Im Hinblick auf diese Entscheidung erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Grundsätzliches zur Rechtmäßigkeit und zur RechtsverletzungsmöglichkeitZulässigkeit und Voraussetzungen der Handhabung des AVG §68 Bindung an diese Voraussetzungen Umfang der Befugnisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994020105.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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