Entscheidungsdatum
01.10.2020Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
G310 2225949-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, StA. Ungarn, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX.05.2019 festgenommen und wurde in weiterer Folge die Untersuchungshaft über ihn verhängt.
Mit Schreiben des Bundeamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 24.05.2019 wurde der BF aufgefordert, zur beabsichtigten Prüfung zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Stellung zu nehmen. Eine entsprechende Stellungnahme langte am 11.06.2019 beim BFA ein, wobei sich seine Angaben darin erschöpften, der deutschen Sprache nicht mächtig zu sein, deswegen einen Dolmetscher sowie die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Beiziehung eines Rechtsanwaltes zu benötigen, weswegen er vom BFA mit Schreiben vom 12.06.2019 erneut zur Stellungnahme aufgefordert wurde. Dieser Aufforderung kam der BF mit Schreiben vom 25.06.2019 nach, wiederholte seine Ausführungen und beantwortete die ihm gestellten Fragen nicht.
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX.09.2019, XXXX, erfolgte eine Verurteilung wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB – ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe – zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt.
Die bedingte Entlassung aus der Strafhaft unter Anordnung der Bewährungshilfe erfolgte am XXXX.09.2019.
Mit dem oben angeführten Bescheid des BFA wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2. FPG ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF begründet. Ein Privat- oder Familienleben im Bundesgebiet habe nicht festgestellt werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben bzw. das Aufenthaltsverbot auf eine angemessene Dauer herabzusetzen. Allenfalls wird die Gewährung eines zeitlich angemessenen Durchsetzungsaufschubs beantragt. Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass der BF sein Fehlverhalten bereue. Sein Sohn, für welchen er Alimente zahlt, lebe in Österreich. Weiters gehe er seit XXXX.11.2019 wieder einer Arbeit nach, welche ihm sehr wichtig sei, damit er seine Schulden abbezahlen könne. Die getroffene Gefährdungsprognose sei nicht zutreffend und bedeute ein Aufenthaltsverbot eine unverhältnismäßige Einschränkung des Privat- und Familienlebens. Die persönliche Einvernahme des Sohnes und der Kindesmutter, vor allem zum Thema der weiteren Kontaktgestaltung mit ihnen, wurde als Beweis für seine Vaterrolle angeboten. Beigelegt wurden ein Lebenslauf des BF, eine bis zum XXXX.05.2020 gültige Prüfungsbescheinigung als Schweißer der WIFI-Zertifizierungsstelle sowie ein Empfehlungsschreiben des Leiters des vom BF besuchten Aktivierungs- und Vermittlungsunterstützungskurses.
Die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt.
Feststellungen:
Der BF wurde am XXXX in Budapest geboren. Er ist ungarischer Staatsbürger und besitzt einen bis XXXX.06.2025 gültigen ungarischen Identitätsausweis. Er ist ledig und für einen Sohn unterhaltspflichtig. Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Seine Lehrausbildung zum Schweißer absolvierte der BF in Ungarn, wo er diesen Beruf auch ausübte. Er spricht Ungarisch und Deutsch auf unbekanntem Sprachniveau.
Am XXXX.07.2013 wurde dem BF eine Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) ausgestellt. Seit XXXX.03.2013 weist er durchgehende Wohnsitzmeldungen im Bundesgebiet auf. Von XXXX.2019 bis XXXX.2019 war er in der Justizanstalt XXXX inhaftiert.
Seit XXXX.04.2020 geht er in XXXX einer Beschäftigung als Arbeiter nach. Davor war er vom 04.12.2019 bis 03.07.2020, von 15.11.2019 bis 21.11.2019, von 15.04.2019 bis 10.05.2019, von 27.08.2018 bis 06.09.2018, von 29.01.2018 bis 13.06.2018, von 24.04.2017 bis 10.10.2017, von 03.04.2017 bis 19.04.2019, von 18.08.2016 bis 15.11.2016, von 11.01.2016 bis 14.03.2016, von 21.07.2015 bis 18.12.2015 und von 26.03.2013 bis 17.04.2015 in diversen Unternehmen als Arbeiter beschäftigt. Dazwischen erfolgten Bezüge von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe.
Der BF wurde in Österreich einmal strafgerichtlich verurteilt. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass er die Mutter seines Sohnes sowie eine weitere weibliche Person im Februar 2018 mehrfach durch die Äußerung, er werde sie umbringen, gefährlich mit zumindest der Zufügung einer Körperverletzung bedroht hat, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen. Auch am XXXX.02.2019 hat diese Personen durch die sinngemäße Äußerung, er werde sie töten, gefährlich mit zumindest der Zufügung einer Körperverletzung bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen. Zuletzt hat er sie am XXXX.02.2019 durch die sinngemäße Äußerung, er werde deren Wohnung zerstören und vielleicht alles verbrennen, zumindest mit der Beschädigung ihres Eigentums gefährlich bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen. Als mildernd wurden das Geständnis sowie die Unbescholtenheit gewertet, als erschwerend die Begehung mehrerer Vergehen gleicher Art bzw. die Tatwiederholung.
Von XXXX.10.2019 bis XXXX.11.2019 besuchte der BF einen Aktivierungs- und Vermittlungsunterstützungskurs in XXXX. Er überzeugte durch seine offene und freundliche Art sowie durch seine guten Umgangsformen. Der Umgang mit Feedback und Kritik ist lobenswert, aggressives Verhalten war keines zu erkennen.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und dem Gerichtsakt. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.
Die Identität des BF wird durch seinen im Akt in Kopie aufliegenden ungarischen Personalausweis belegt. Die Ausstellung der Anmeldebescheinigung ist im Fremdenregister dokumentiert. Kenntnisse der ungarischen Sprache sind aufgrund seiner Herkunft plausibel. Aufgrund seiner Berufstätigkeit im Bundesgebiet sind ihm auch gewisse Kenntnisse der deutschen Sprache zuzusprechen.
Die Angaben zu seinen familiären und persönlichen Verhältnissen und seiner beruflichen Ausbildung sind auf seine Angaben und den vom BF vorgelegten Unterlagen in der Beschwerde zurückzuführen.
Der Aufenthalt des BF in Österreich ergibt sich aus seinen Wohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister. Seine Beschäftigungsverhältnisse im Inland und die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe sind im Versicherungsdatenauszug dokumentiert. Angesichts seines Alters und der derzeitigen Beschäftigung ist davon auszugehen ist, dass er gesund und arbeitsfähig ist, zumal auch in der Beschwerde keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt wurden.
Die Feststellung zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf dem Urteil des Landesgerichts XXXX. Es gibt keine Indizien für weitere strafrechtliche Verurteilungen des BF oder andere Verstöße gegen die öffentliche Ordnung.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Der BF ist als Staatsangehöriger von Ungarn EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.
Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.
Art 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs. 4 Z 18 FPG) lautet:
"Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen."
Bei Unionsbürgern, die nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG und Art 16 Freizügigkeitsrichtlinie erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots der in Art 28 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG angesiedelt ist - heranzuziehen (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057). Ein Aufenthaltsverbot gegen Personen, denen das Recht auf Daueraufenthalt zukommt, setzt demnach auch voraus, dass ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.
Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309). Auch ein festgestelltes Fehlverhalten seines Fremden, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat, kann zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden (VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0237).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:
Aufgrund des rechtmäßigen seit 2013 bis zur Verurteilung 2019 vorliegenden, somit über fünfjährigen, aber unter zehnjährigen Aufenthalts des BF in Österreich ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") iVm § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") anzuwenden.
Der BF wurde zwar wegen einem Aggressionsdelikt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt, war aber nunmehr zum ersten Mal in Haft, wobei dem Erstvollzug im Allgemeinen eine erhöhte spezialpräventive Wirkung zukommt. Da er sich aktiv um seine gesellschaftliche und berufliche Resozialisierung bemüht und auch aktuell einer Beschäftigung nachgeht, erreicht die Delinquenz des BF unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte nicht den in § 67 Abs. 1 zweiter Satz iVm § 66 Abs. 1 letzter Satz FPG festgelegten Schweregrad.
Der BF ist seit der Verurteilung nicht wieder straffällig geworden und zeigte sich im Strafverfahren geständig. Ebenso ist nicht außer Acht zu lassen, dass der BF stets bemüht war, eine Arbeitsstelle zu finden. Er hat seinen Aufenthalt in Österreich dazu genutzt, sich beruflich zu integrieren.
Im Sinne einer vernetzten Betrachtung der begangenen Straftaten und in Zusammenschau mit der Persönlichkeit des BF sind die Voraussetzungen des Gefährdungsmaßstabs gemäß § 67 Abs. 1 zweiter Satz iVm § 66 Abs. 1 letzter Satz FPG somit nicht erfüllt.
Eine Prüfung, ob der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF verhältnismäßig wäre, muss daher mehr nicht vorgenommen werden. Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF im Ergebnis nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde aufzuheben.
Sollte der BF in Zukunft wieder wegen entsprechend schwerwiegender Taten strafgerichtlich verurteilt werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.
Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Da ein geklärter Sachverhalt vorliegt und der BF auch in der Beschwerde kein ergänzendes klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattete, kann die beantragte Beschwerdeverhandlung unterbleiben, zumal iSd § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchteil B):
Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH Ra 11.05.2017, 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung EU-Bürger Integration mangelnder Anknüpfungspunkt Unionsrecht Voraussetzungen Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2225949.1.01Im RIS seit
11.10.2021Zuletzt aktualisiert am
11.10.2021