TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/13 W226 2221533-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.07.2021
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Entscheidungsdatum

13.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W226 2221533-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA: Russische Föderation, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2019, Zl.: 1100702410-161683599, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.06.2021 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Erstes Dublinverfahren:

1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Osseten an und bekennt sich zum christlich-orthodoxen Glauben.

Die BF reiste gemeinsam mit ihrer Mutter XXXX , ihrer volljährigen Schwester XXXX und ihrer minderjährigen Nichte XXXX in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 31.12.2015 – ebenso wie ihre mitgereisten Angehörigen – erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz.

Eine Einsicht in die Visa-Datenbank hat ergeben, dass der BF und ihren Angehörigen seitens der tschechischen Vertretungsbehörde in Moskau/Russland jeweils Schengenvisa erteilt worden sind.

1.2. Im Zuge des durchgeführten Konsulationsverfahrens stimmte die tschechische Dublinbehörde der Übernahme der BF und ihrer weiteren Angehörigen ausdrücklich zu und wurde – nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens - mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 08.04.2016 der erste Antrag der BF auf internationalen Schutz – ebenso wie die Anträge ihrer Angehörigen – ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Mangels Erhebung eines Rechtsmittels erwuchs dieser Bescheid vom 08.04.2016 in Rechtskraft.

Da die BF (ebenso wie ihre mitgereisten Angehörigen) in der Folge unbekannten Aufenthaltes war, hat sich die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert.

2. Zweites Dublinverfahren:

2.1. Am 15.12.2016 stellte die BF - ebenso wie ihre Angehörigen – einen weiteren, zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Im Zuge der am selben Tage durchgeführten Erstbefragung gab die BF im Wesentlichen an, dass sie gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrer Nichte Ende April 2016 Österreich freiwillig verlassen habe und illegal über die Ukraine nach Russland gelangt sei. Dort habe sie sich bis 12.12.2016 aufgehalten und sei mit den genannten Familienmitgliedern über die Ukraine und weitere, ihr nicht bekannte Länder nach Österreich gebracht worden, wofür ihrer Mutter einen Betrag in der Höhe von € 4.000 bezahlt habe. Sie würden nicht nach Tschechien wollen, da sie das erste Mal, als sie dort gewesen seien, die Nachricht bekommen hätten, dass die Bedroher über ihren Aufenthalt in Tschechien Bescheid wissen würden. Sie und ihre Mutter hätten eine dieser Personen in Tschechien gesehen. Sie habe das bei ihrem ersten Asylantrag bei der Polizei nicht angegeben, beim Asylamt habe sie es aber gesagt. Diese Leute würden sie auch in Tschechien finden und dann töten.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen gab die BF an, sie sei in der Russischen Föderation ( XXXX ) geboren, ihre Muttersprache sei Russisch, sie spreche auch Georgisch. Zu ihrem Gesundheitszustand gab sie an, Probleme mit der Haut zu haben.

Als die BF befragt wurde, ob sie Ergänzungen/Korrekturen machen wolle, führte diese aus, dass die Fluchtgründe seit ihrem 1. Asylantrag in Österreich aufrecht seien. Sie hätten Angst vor diesen Leuten, diese würden immer mehr Geld von ihnen wollen und hätten sie immer wieder mit dem Umbringen bedroht. Ihre Nichte sei im September 2016 von diesen Leuten gestoßen und dabei verletzt worden. Ihre Schwester könne dazu ein Foto und Bestätigungen beim Asylamt vorlegen.

2.2. In der am 10.02.2017 erfolgten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab die BF an, sie seien ausgereist, da sie nach Tschechien ausgewiesen werden sollten und die Personen, die sie umbringen wollen, dies wissen würden. Sie seien ca. 7 Monate in Russland gewesen und hätten Russland am 12.12. wieder verlassen. Befragt, warum sie erneut von Russland ausgereist seien, gab die BF an, sie seien verfolgt worden und hätten nicht einmal eine Wohnung mieten können. Die Personen hätten sie immer physisch verletzen wollen. Auf die Frage, ob es mehrere Vorfälle gegeben habe oder ob sie wegen eines Vorfalles erneut ausgereist sei, gab die BF an, dass jeder von ihnen mehrmals geschlagen worden sei. Zudem hätte sie operiert werden müssen, weil sich ihr Auge entzündet habe. Sie seien dauerhaft attackiert worden. Die Frage, ob sie sich 7 Monate unter solchen Zuständen in Russland aufgehalten hätten, bejahte die BF und gab sie zusätzlich an, dass sie sonst keine Chance gehabt hätten. Betreffend Beweise für einen Aufenthalt in Russland verwies die BF auf die von der Mutter vorgelegten Reisetickets

2.3. In der Folge brachte die Mutter der BF in ihrem Verfahren diverse medizinische Unterlagen in Vorlage, aus denen sich zusammengefasst nach Durchführung einer Mammographie ergab, dass diese einen Tumor an der Brustdrüse hat. Zudem wurde mit einer Stellungnahme vom 20.03.2017 diverse Schreiben in russischer Sprache sowie Bestätigungen der Hausärztin vorgelegt.

2.4. Am 24.04.2017 fand neuerlich eine niederschriftliche Einvernahme statt, bei der die BF angab, an keinen Krankheiten zu leiden und nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen. Zudem wurde die BF erneut zu ihrer Ausreise nach Russland bzw. der erneuten Einreise nach Österreich befragt, wobei die BF angab, dass sie illegal gereist seien und sie nicht wisse, über welche Länder sie gereist seien. Zu Tschechien gab die BF an, dass ihnen dort Gefahr drohen würde, weil sie gefunden worden seien. Deshalb seien sie nach Österreich gereist. Ein Mann, der sie in Russland verfolgt und bedroht habe, habe sie in Tschechien gesehen. Er habe es noch nicht geschafft, ihnen etwas anzutun, aber sie wisse, dass er dies tun wolle. Sie hätten sich vor ihm verstecken können.

Zum Gesundheitszustand der Mutter gab sie an, dass sie und ihre Schwester sich um die Mutter kümmern würden.

2.5. In der Folge wurde betreffend den Gesundheitszustand der Mutter ein Konvolut an medizinischen Unterlagen vorgelegt. Demnach wurde diese am 23.03.2017 wegen ihrer Brustkrebserkrankung operiert und ihr am 16.05.2017 ein Portkathetersystem zur Durchführung einer Chemotherapie implantiert.

2.6. Mit Bescheid vom 24.05.2017 wurde der zweiten Antrag der BF auf internationalen Schutz – ebenso wie die Anträge ihrer Angehörigen – ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Das BFA führte begründend aus, dass das Vorbringen der BF, sie hätte das Gebiet der Mitgliedstaaten für mindesten drei Monate verlassen, nicht glaubhaft sei.

2.7. Gegen diesen Bescheid erhob die BF (ebenso wie ihre Angehörigen) fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, worin im Wesentlichen neuerlich vorgebracht wurde, dass die BF und ihre Angehörigen von Ende April 2016 bis Dezember 2016 in Russland aufhältig gewesen seien. Zudem habe das BFA den Gesundheitszustand der Mutter nicht berücksichtigt und wurden dazu diverse medizinische Unterlagen in Vorlage gebracht, wobei unter anderem attestiert wurde, dass die Mutter auf die Hilfe ihrer Töchter angewiesen sei.

2.8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes (in der Folge BVwG) vom 03.07.2017 wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt und wurden in der Folge diverse weitere medizinische Unterlagen betreffend den Gesundheitszustand der Mutter übermittelt.

2.9. Mit Beschluss des BVwG vom 28.03.2018 wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben, wobei die Angehörigen der BF gleichlautende Entscheidungen erhielten. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es das BFA unterlassen habe, Tschechien das relevante Vorbringen mitzuteilen bzw. die vorgelegten Unterlagen anzuführen, um eine Beurteilung durch Tschechien (betreffend die Zuständigkeit) zu ermöglichen. Zudem seien die vorgelegten Schreiben in russischer Sprache nicht übersetzt worden, sodass eine Überprüfung, ob diese das Vorbringen der BF betreffend die behauptete Wohnsitznahme in Russland stützten oder nicht, nicht möglich sei. Auch liege keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes der Mutter vor. Abschließend wurde der Behörde im Detail aufgetragen, diverse Ermittlungen zum aktuellen Gesundheitszustand bzw. der Behandlung der Mutter vorzunehmen.

2.10. Im fortgesetzten Verfahren wurde die BF am 24.04.2018 erneut einvernommen.

Betreffend die Ausreise gab sie erneut an, über die Länder zwischen Österreich und der Ukraine nichts zu wissen. Sie habe sehr schlechte Kenntnisse in Geografie. Zur Reise von Russland nach Österreich gab sie an, sie seien von XXXX mit dem Zug nach XXXX gefahren. Von XXXX seien sie mit einem Minibus-ähnlich großen Auto in die Ukraine gefahren. Dasselbe Auto habe sie von dort nach Österreich gebracht. Die Reise habe 4.000 € gekostet. Sie hätten beide Fahrten finanziert, das Geld sei aber in Russland gewesen. An die genauen Details der Reise könne sie sich nicht mehr erinnern. Nach Tschechien wolle sie nicht, da sie sehr besorgt um die Gesundheit ihrer Mutter sei. Zudem hätten sie in Tschechien den Mann gesehen, der sie in Russland verfolgt habe. Dieser Mann könne sie auch dort verfolgen. Auf weiterer Befragung gab sie an, sie seien nach Russland gereist, weil ihre Verfolger gedacht hätten, dass sie in Tschechien seien. Nach Vorhalt, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu reisen, gab die BF an, dass dies eventuell besser gewesen wäre, aber es sei passiert und im Nachhinein sei man immer schlauer. Die Frage, ob sie während des gesamten Aufenthalts in Russland verfolgt und bedroht worden sei, bejahte die BF und gab sie zudem an, dass man sie die ganzen sieben Monate lang verfolgt habe. Befragt, warum sie 7 Monate lang abgewartet habe, führte die BF aus: „Es ist einfach so passiert.“

2.11. Mit Bescheid des BFA vom 19.06.2018 wurde der zweite Antrag der BF auf internationalen Schutz erneut ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung der Anträge zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Das BFA führte wiederum aus, dass das Vorbringen der BF, sie hätte das Gebiet der Mitgliedstaaten für mindesten drei Monate verlassen, nicht glaubhaft sei. Die BF hätten keine Angaben zur ihrem Reiseweg machen können. Mit den vorgelegten Zugtickets würde nicht bewiesen werden, dass diese in Russland gekauft worden wären. Es sei außerdem nicht auszuschließen, dass die vorgelegten Schreiben aus Russland geschickt worden wären, ohne dass sich die BF tatsächlich dort aufgehalten hätte. Der Gesundheitszustand der BF – auch jener der Mutter – würde eine Überstellung bzw. einen Aufenthalt in Tschechien nicht unzumutbar machen.

2.12. Gegen diesen Bescheid erhob die BF – sowie ihre Angehörigen, die gleichlautende Entscheidungen erhalten hatten - fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen das Vorbringen betreffend eine Ausreise nach Russland wiederholt, auf die Erkrankung der Mutter hingewiesen und wurden medizinische Unterlagen betreffend die Mutter in Vorlage gebracht.

2.13. Mit Beschluss des BVwG vom 02.08.2018 wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

2.14. Mit weiterem Beschluss des BVwG vom 10.08.2018, GZ.: W235 2162026-2/3E, wurde der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

In der Begründung wurde darauf hingewiesen, dass eine Überprüfung der (nicht übersetzten) russischen Schreiben bzw. der behaupteten Ausreise nach Russland nicht möglich sei und dem Akteninhalt auch nicht zu entnehmen sei, dass das BFA die tschechischen Behörden über das relevante Vorbringen (zum Reiseweg) der BF informiert habe oder die vorgelegten Unterlagen übermittelt habe. Dem BFA wurde insbesondere aufgetragen, den tschechischen Behörden sämtliche Informationen zu übermitteln.

2.15. Ebenso wurde mit Beschlüssen des BVwG vom 10.08.2018, GZ.: W241 2162027-2/3E, W192 2162511-2/3E und W192 2162505-2/3E die bekämpften Bescheide der Angehörigen behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

Im Beschluss der Mutter wurde zusätzlich darauf hingewiesen, dass keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes vorliege und dem BFA aufgetragen ergänzende Ermittlungen dazu durchzuführen.

3. Gegenständliches Asylverfahren:

3.1. Nachdem das Verfahren nunmehr zugelassen wurde, führte das BFA am 26.03.2019 eine Einvernahme der BF durch.

Die BF gab an, dass es ihr gesundheitlich gut gehe, sie keine Medikamente einnehme und nicht in ärztlicher Behandlung stehe.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen in Russland gab sie an, sie habe zuletzt in XXXX in der Straße namens XXXX gelebt. Dokumente aus Russland habe sie nicht, diese hätten sie weggeschmissen. Sie gehöre der Volksgruppe der Osseten an und bekenne sich zum orthodoxen Glauben. Sie spreche Russisch, Ossetisch, Georgisch, ein bisschen Englisch und lerne Deutsch. Sie habe die Grundschule abgeschlossen und drei Jahre lang an der Uni Wirtschaft studiert, aber nicht abgeschlossen. Es sei ein Fernlehrgang gewesen, deshalb könne sie sich nicht an die Namen der Professoren erinnern. Auch sonst habe sie schon alles aus dem Studium vergessen. Sie habe nur einmal im Sommer auf einer Geflügelfarm gearbeitet. Ihr Vater sei bereits verstorben, er habe als Taxifahrer gearbeitet. Der Vater sei in der Garage im Auto gewesen und sei an den giftigen Gasen, welche er eingeatmet habe, gestorben. Sie wisse nicht, ob es Absicht gewesen sei.

Auch ihr Bruder sei bereits verstorben, die genaue Todesursache sei nie festgestellt worden. Er habe sehr hohes Fieber gehabt, man habe keine Diagnose erstellen können. Als er gestorben sei, habe der Arzt vermutet, dass er vergiftet worden sei. Sie vermuten, dass ihn ein Freund vergiftet habe. Der Bruder hätte vor seinem Tod nach XXXX fahren sollen. Dies habe er der Mutter erzählt. Vorher habe er einen ehemaligen Studienkollegen getroffen, mit diesem Kaffee getrunken und habe dieser ihn vergiftet. Er sei dann von XXXX nach XXXX gefahren, ins Spital gekommen und habe gemeint, dass ihn der Freund vergiftet habe. Man habe den Mann nicht mehr gefunden und würden sie keine weiteren Informationen darüber haben. Wie der Mann heiße, wisse sie nicht. Die Mutter habe den Bruder gefragt, aber er habe es ihr nicht gesagt.

Zu weiteren Verwandten in Russland befragt, führte die BF aus, sie habe Onkel, Tanten und eine Großmutter väterlicherseits. Zu diesen hätten sie aber keinen Kontakt. Mütterlicherseits habe sie nur noch eine Cousine, zu welcher sie Kontakt habe.

Auf die Frage, ob sie oder ihre Angehörigen Probleme mit Behörden, Gerichten oder der Polizei gehabt hätten, gab die BF ihren Bruder an. Dieser habe an einer Hochschule des Innenministeriums eine Ausbildung gemacht und sei Untersergeant gewesen. Sie wisse aus den Erzählungen der Mutter, dass der Bruder strafrechtlich belangt worden sei, weil er seine Dienstvollmachten überschritten habe. Er sei 4 Jahre lang im Gefängnis gewesen. Was ihr Bruder danach beruflich gemacht habe, wisse sie nicht, er habe nicht darüber gesprochen.

Zu den Gründen für die Ausreise aus Russland befragt, gab sie an, es sei immer der gleiche Grund gewesen. Nach Tschechien hätten sie nicht gewollt, weil die Verfolger aus Russland (Leute mit denen der Bruder gearbeitet habe) sie dort gefunden hätten. Ihr Bruder habe der Mutter im Krankenhaus erzählt, dass er mit Kadyrow-Leuten zusammengearbeitet habe. Sie glaube, man habe sie in Tschechien wegen dem tschechischen Visum gefunden. Sie hätten in Tschechien einen der Verfolger – einen Mann namens XXXX – gesehen. XXXX habe mit ihrem Bruder zusammengearbeitet und sei zu ihnen gekommen. Ihr Bruder hätte einem Mann namens „ XXXX “ Geld und einen Stick übergeben sollen. Der Freund des Bruders habe ihn vergiftet und sein Auto mit einem Aktenkoffer, in welchem das Geld und der Stick gewesen sei, weggebracht. Man habe gedacht, dass sie wissen würde, wo sich das Auto mit dem Aktenkoffer befinden würde. Der Mann sei in Russland 2 oder 3 Mal bei ihnen gewesen. In Tschechien hätten sie ihn nur gesehen, sie seien dort gesucht worden. In Russland seien sie sehr oft bei der Polizei gewesen, aber man habe ihnen nicht geholfen. In Tschechien hätten sie kein Vertrauen mehr zur Polizei gehabt.

Konkret zu ihren Fluchtgründen befragt, führte die BF aus, Ende November 2012 habe ihr Bruder die Mutter angerufen und ihr gesagt, dass er an einem Treffen mit einem ehemaligen Studienkollegen in einem Hotel in XXXX teilnehmen werde und er danach nach Hause komme. Der Bruder habe dem Studienkollegen gesagt, dass er schon Kaffee bestellen solle, er würde sich noch duschen gehen. Danach hätten sie gemeinsam den Kaffee getrunken und gesprochen. Der Bruder habe sich danach schlecht gefühlt und sei sich waschen gegangen. Als er zurückgekommen sei, seien der Freund, das Auto samt Schlüssel und das Handy weg gewesen. Der Bruder habe versucht den Freund zu finden, ihm sei es aber schlecht gegangen und er sei dann mit dem Taxi nach XXXX gefahren. Sie hätten gedacht, dass der Bruder sich verkühlt habe, da er hohes Fieber gehabt habe. Am nächsten Tag sei es dem Bruder so schlecht gegangen, dass die Mutter die Rettung verständigt habe und sei der Bruder ins Spital gebracht worden, wo er ca. 10 Tage aufhältig gewesen sei. Dem Bruder sei es immer schlechter gegangen, er habe hohes Fieber gehabt, ihm seien die Haare ausgegangen und seine Zunge sei angeschwollen gewesen. Die Ärzte hätten keine Diagnose erstellen können. Dann habe er der Mutter erzählt, dass er mit Kadyrow-Leuten zusammengearbeitet habe. Er habe aber nicht erzählt, was er gemacht habe, sondern habe er nur vom Treffen mit dem Kollegen erzählt. Er habe der Mutter auch erzählt, dass er nachher ein Treffen mit XXXX haben sollte. Dem Bruder sei es immer schlechter gegangen, er habe nicht mehr sprechen können und sei er dann verstorben. Zwei Wochen nach dem Tod des Bruders seien drei Männer zu ihnen gekommen, hätten ihnen gesagt, dass sie mit dem Bruder zusammengearbeitet hätten und nach ihm gefragt. Sie hätten ihnen dann gesagt, dass der Bruder seit zwei Wochen tot sei, was die Männer nicht glauben hätten können. Die Männer hätten nach dem Aktenkoffer mit Geld und dem USB-Stick gefragt. Sie hätten dann gesagt, dass sie nichts darüber wissen würden, die Leute hätten ihnen aber nicht glauben wollen.

Weiters berichtete die BF davon, im Jahr 2015 zusammengeschlagen worden zu sein. Sie seien immer wieder von den Leuten aufgesucht worden. Diese hätten den Aktenkoffer mit dem Geld und dem USB-Stick gefordert. Sie hätten nicht gewusst, wo dieser sei, aber man habe ihnen nicht geglaubt. Deswegen seien sie dann ausgereist. Die Leute seien auch im Sommer 2015 gekommen, als sie alleine zu Hause gewesen sei. Die Mutter sei im Krankenhaus, die Schwester mit dem Kind in Moskau gewesen. Die Leute hätten nach der Mutter und dem Aktenkoffer gefragt. Als die BF gesagt habe, davon nichts zu wissen, habe man sie beleidigt. Man habe ihr gesagt, dass sie den USB-Stick übergeben solle, da sie sonst eines Morgens in einem dunklen Keller aufwachen könnte und nicht einmal das Recht zum Atmen bekommen werde. Sie habe nur geschrien, dass sie nichts wisse. Einer von den Männern habe ihr ins Gesicht geschlagen, sie sei umgefallen und habe zu weinen begonnen. Die Nachbarin sei gekommen und habe gesagt, dass sie die Polizei verständigen werde. Dann seien die Männer weggegangen. Sie habe eine Verletzung unter dem linken Auge gehabt. Nachdem die Schwellung nach zwei Wochen weggegangen sei, habe sich über dem Auge ein „Säckchen“ gebildet, das man im Spital öffnen habe müssen. Sie habe eine Anzeige bei der Polizei machen wollen, aber die habe gesagt, dass man dagegen nichts machen könne. Manchmal sei auch die Polizei zu ihnen gekommen, die Leute hätten dorthin Verbindungen gehabt. Diese hätten gefragt, womit sich der Bruder beschäftigt habe und wo das Auto mit dem Aktenkoffer sei. 2015 hätten sie verstanden, dass sie in einer ausweglosen Lage seien und seien sie nach Tschechien gegangen. Sie hätten gedacht, dass man sie in Ruhe lasse, wenn sie eine Zeit lang weg seien. Als sie dann XXXX gesehen hätten, hätten sie Angst bekommen und seien nach Österreich gereist. Ende April seien sie zurück nach Russland und hätten dort bei einer Freundin der Mutter gelebt. Die Nachbarn hätten Fragen gestellt und dem Bezirksinspektor erzählt, dass dort eine andere Familie lebe. Der Bezirksinspektor sei gekommen, die Mutter habe die Situation erklärt und sie hätten sich dort registrieren müssen. Sie glaube, dass man sie deswegen auch dort gefunden habe. Die Leute seien wiedergekommen und hätten sie mit tätlichen Angriffen bedroht. Diese hätten auch gesagt, es sei kein Problem sie umzubringen oder sie zu Sklaven zu machen. Die Leute seien im Sommer 2016 zur Freundin gekommen. Jedes Mal seien andere Leute gekommen.

Die BF berichtete weiters von einem Vorfall, bei dem die Leute gekommen seien und die Freundin der Mutter die Tür geöffnet habe. Die Schwester habe geschrien und sei von einem der Männer am Hals gepackt worden. Die Tochter habe zu weinen begonnen und habe man dann dem Kind einen Schlag versetzt, der ein großes Hämatom am Auge zur Folge gehabt habe. Sie seien alle hysterisch geworden und hätten die Leute gesagt, dass es keine Vorwarnung, sondern Taten geben werde und sie den Aktenkoffer übergeben sollen. Dann seien die Leute gegangen. Die Leute hätten auch ständig – trotz dem Wechsel der Nummern - ihre Telefonnummern in Erfahrung gebracht und sie angerufen. Im Dezember hätten die Freunde der Mutter gesagt, dass sie Angst um ihr eigenes Leben und das ihres Kindes hätten bzw. die BF von dort weggehen solle. Sie hätten nicht gewusst wohin, ihnen sei aber klar gewesen, dass sie nicht in Russland bleiben können, da man sie überall finden würde. Dann hätten sie sich entschieden, nochmals eine Reise nach Österreich zu versuchen.

Auf Befragung des BFA, gab die BF noch an, sie schätze, die Männer seien öfter als 50 Mal bei ihnen zu Hause gewesen. Sie hätten die Männer oft gefragt, wer sie sind, hätten aber keine Antwort bekommen. Die Männer hätten sich mit Drogen und Waffen beschäftigt. Welche Rolle ihr Bruder dabei gespielt habe, wisse sie nicht. Zu einer Bestätigung betreffend den Aufenthalt im Krankenhaus befragt, gab die BF, sie habe sie hier gehabt, diese aber verloren. Befragt, wie die Männer ausgesehen hätten, antwortete die BF, dass es jedes Mal andere Leute gewesen seien, weswegen sie das Äußere nicht beschreiben könne. Sie habe sich XXXX gemerkt, er sei groß, stark und aggressiv gewesen und habe grüne Augen gehabt. Die Männer hätten immer schwarze Kleidung getragen. Konkret zum Aussehen des Mannes gefragt, der sie geschlagen habe, gab die BF an, er sei groß und stark gebaut gewesen, habe schwarzes Haar und einen Bart gehabt. An die Augenfarbe könne sie sich nicht mehr erinnern.

Befragt, wie es möglich sei, dass der Bruder 10 Tage im Krankenhaus gewesen sei, man aber eine Vergiftung nicht erkannt habe, gab die die BF an, dass es keine Obduktion gegeben habe bzw. man ihnen diese nicht erlaubt habe und man die Vergiftung nicht habe feststellen können. Der Arzt habe gemeint, dass es Vergiftungen gebe, die man nur über eine Obduktion feststellen könne. Die Freundin, bei welcher sie aufhältig gewesen seien, habe in XXXX gelebt. In einen anderen Teil der Russischen Föderation seien sie nicht gegangen, weil selbst die Schwester in XXXX gefunden worden sei. Die Leute hätten überall in Russland Beziehungen. Auf weitere Befragung gab die BF an, sie hätten nicht danach gefragt, was auf dem USB-Stick zu finden sei. Zum Besuch der Leute bei der Schwester in XXXX führte die BF aus, man habe sie vom Kindergarten aus angerufen und ihr gesagt, dass drei Männer ihre Tochter abholen wollen. Die Schwester sei dann zum Kindergarten gefahren, habe die Tochter geholt und sei nach XXXX gegangen.

Zu ihrem Leben in Österreich gab die BF an, sie habe gute Nachbarn und treffe sich mit Kollegen aus dem Deutschkurs. Sie lerne Deutsch und habe einen Deutschkurs gemacht. Sonst habe sie noch nichts gemacht. Ihre Hobbys seien lesen, Deutsch lernen und mit der Familie spazieren zu gehen. Sie putze, lerne Deutsch und treffe ihre Freunde aus Armenien und Aserbaidschan, welche sie alle aus dem Deutschkurs kenne. Sie sei kein Mitglied von Vereinen oder Organisationen. Zu ihrem Alltag in Österreich gab sie an, sie stehe auf, wasche sich, wiederhole das Gelernte aus dem Deutschkurs und besuche dann den Deutschkurs. Dann gehe sie nach Hause und gehe sie manchmal auch einkaufen. Sie würde versuchen viel mit ihrer Mutter spazieren zu gehen. Sie wolle eine Ausbildung in Österreich machen, in einem Beruf arbeiten. Da sie Wirtschaft (Finanz- und Kreditwesen) studiert habe, würde sie gerne in einer Bank arbeiten.

Im Zuge der Einvernahme legte die BF eine Bestätigung betreffend den Besuch eines Deutschkurses vor sowie ein Zeugnis zur Integrationsprüfung A1 vor.

3.2. Mit gegenständlichem Bescheid vom 26.06.2019 wies das BFA den Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 idgF, sowie bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz ab (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus führte das BFA aus, dass die BF nicht dazu in der Lage gewesen sei logische und nachvollziehbare Angaben zu machen. Sie sei erst nach mehrfacher Aufforderung dazu in der Lage gewesen die Männer näher zu beschreiben und habe sie auch nicht dazu in der Lage gewesen, die Tätigkeit des Bruders darzulegen. Sie habe sich auch nicht erkundigt, wer die Männer seien oder was auf dem USB-Stick zu finden sei. Es sei davon auszugehen, dass eine Person, welche derartige Probleme habe, nichts unversucht lasse, um den Problemen auf den Grund zu gehen. Die BF sei auch nicht dazu in der Lage gewesen eine Anzeigenbestätigung der Polizei in Vorlage zu bringen. Zudem sei die BF im April 2016 freiwillig in die Russische Föderation zurückgekehrt, bevor sie dann im Dezember 2016 erneut nach Österreich eingereist sei. Es sei äußerst unglaubwürdig, dass Männer über drei Jahre hinweg zur BF nach Hause kommen und ihr drohen bzw. sie auch schlagen würden, doch keine weiteren Sanktionen durchgesetzt worden seien. Würden diese Männer tatsächlich der Kadyrow angehören, dann sei zu erwarten, dass diese die ausgesprochenen Sanktionen auch wirksam umsetzen würden. Das Vorbringen der BF sei daher insgesamt unlogisch, nicht nachvollziehbar und völlig unglaubwürdig.

Zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, dass die BF in einem arbeitsfähigem Alter sei, mehrere Jahre lang die Schule besucht habe und in der Vergangenheit Berufserfahrung habe sammeln habe können. Da sie betreffend ihr Studium höchst vage Angaben gemacht habe, sei zweifelhaft, ob sie das angeführte Studium tatsächlich betrieben habe. Sie verfüge in Russland über familiäre Beziehungen (Onkel, Tanten, Großmutter) und stehe mit einer Cousine in regelmäßigem Kontakt. Die BF habe den Großteil ihres Lebens in Russland verbracht, es sei ihr zuzumuten durch eigene Arbeitsleistung und eventuell mit Unterstützung der Angehörigen ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung kam die belangte Behörde zum Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Ausreise der BF gegenüber den persönlichen Interessen überwiegen würden und nicht von einer umfassenden Integration ausgegangen werden könne.

3.3. Ebenso wurde mit Bescheiden des BFA vom 26.06.2019 die Anträge der Angehörigen hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten sowie der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Es wurden Rückkehrentscheidungen erlassen, eine Abschiebung in die Russische Föderation als zulässig erachtet und eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

3.4. Gegen diesen Bescheid brachte die BF (sowie auch ihre Angehörigen) fristgerecht eine vollumfassende und gleichlautende Beschwerde ein, worin nach Wiederholung des Verfahrensganges/der Fluchtgründe, zusammengefasst ausgeführt wurde, dass die BF ihre Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten. Die Sicherheitsbehörden der Russischen Föderation seien nicht gewillt bzw. nicht imstande, den BF den notwendigen Schutz zu bieten. Es stehe auch keine IFA in zur Verfügung. Weiters wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass Frauen in Russland Diskriminierung (z.B. am Arbeitsplatz) ausgesetzt seien und eine geringere Pension bekommen würden. Die Fluchtgründe seien schlüssig, ausführlich und glaubhaft angegeben worden und habe eine Angst vor der Rückkehr glaubhaft gemacht werden können. Weiters gehe aus dem LIB zur Sicherheitslage in Russland hervor, dass in der Heimatrepublik (dem Nordkaukasus) die Situation der Frauen, insbesondere der alleinstehenden Frauen äußerst problematisch sei. Für alleinstehende Frauen bestehe ein größeres Risiko Opfer eines Verbrechens zu werden. Im Falle einer Rückkehr könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Lebensgrundlage gesichert sei. Zudem sei eine Rückkehr als Mutter ohne Ehemann im konservativen Gesellschaftsbild nicht akzeptabel und könnten die staatlichen Behörden keine ausreichende Unterstützung bieten. Die BF würden niemanden haben, der sie unterstützen könnte. Die Behörde habe nicht erhoben bzw. nicht festgestellt, ob bei einer Rückkehr eine Unterstützung durch die Angehörigen si tatsächlich möglich sei. Bei einer Rückkehr sei daher von einer Notlage entsprechend Art. 2, 3 EMRK auszugehen. Auch würden sich die BF um eine Integration in Österreich bemühen, weshalb eine Rückkehrentscheidung gegen Art. 8 EMRK verstoßen würde.

3.5. Am 06.08.2019 wurden ein Bericht des Unterkunftgebers über die BF und ihre Familie sowie eine Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses in Vorlage gebracht.

3.6. Im Zuge einer Beschwerdeverhandlung vom 15.06.2021 wurden die BF, ihre Mutter und ihre Schwester durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu ihren Fluchtgründen, ihren Rückkehrbefürchtungen und ihrer Integration in Österreich befragt.

Im Zuge der Verhandlung wurden Lichtbilder betreffend die Arbeit der BF im Pensionistenclub sowie ein Schreiben der Kategorialen Seelsorge der Erzdiözese XXXX vorgelegt.

3.7. Am 16.06.2021 brachte die BF folgende Unterlagen in Vorlage:

-        Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs B2 (08.02.2021-02.07.2021);

-        diverse Empfehlungsschreiben von Deutschlehrern;

-        Schreiben eines Pensionistenclubs, wonach die BF seit Oktober 2020 als gemeinnützige Arbeiterin (57h/Monat) tätig sei und dafür 3,50€/Stunde erhalte;

-        Zeugnis zur Integrationsprüfung B1 vom 14.08.2020;

-        Bestätigung, wonach die BF seit September 2019 gemeinnützige Hilfsarbeit in einer Klinik im Umfang von 20 Monatsstunden leiste;

-        übersetzte Bestätigung über ein Fernstudium (Wirtschaft) in XXXX (ab 30.08.2012, vorgesehenes Ende der Ausbildung 30.07.2016).

3.8. Am 07.07.2021 legte die BF ein Zertifikat betreffend die Teilnahme an einem B2-Deutschkurs vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Feststellungen zur Person der BF, ihrem Reiseweg und den durchgeführten Dublinverfahren:

Die BF ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Osseten an und bekennt sich zum christlich-orthodoxen Glauben.

Die Identität der BF steht mangels der Vorlage eines russischen Identitätsdokumentes nicht zweifelsfrei fest.

Die BF (sowie ihre Mutter, ihre Schwester und ihre Nichte) reisten im Dezember 2015 in Besitz von tschechischen Schengenvisa (legal) nach Tschechien, hielten sich dort wenige Tage lang auf und reisten in weiterer Folge, nachdem sie dort ihre Reisepässe zerstört haben, weiter nach Österreich, wo sie am 31.12.2015 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Mit Bescheid des BFA vom 08.04.2016 wurde dieser erste Antrag der BF auf internationalen Schutz – ebenso wie die Anträge ihrer Angehörigen – ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig ist (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Mangels Erhebung eines Rechtsmittels erwuchs dieser Bescheid vom 08.04.2016 in Rechtskraft.

Ende April 2016 hat die BF - gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrer Nichte – freiwillig das österreichische Bundesgebiet verlassen und ist in die Russische Föderation zurückgekehrt, wo sie sich bis 12.12.2016 in XXXX bei einer Freundin der Mutter aufgehalten hat. Danach reiste die BF mit ihren Angehörigen erneut nach Europa bzw. nach Österreich ein und stellten die BF und ihre Angehörige am 15.12.2016 einen weiteren (zweiten Antrag) auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid vom 24.05.2017 wurde der zweite Antrag der BF auf internationalen Schutz – ebenso wie die Anträge ihrer Angehörigen – ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gegen diesen Bescheid erhob die BF (ebenso wie ihre Angehörigen) fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

Nachdem das BVwG mit Beschluss vom 03.07.2017 der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannte, wurde der Beschwerde mit Beschluss des BVwG vom 28.03.2018 gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben, wobei die Angehörigen der BF gleichlautende Entscheidungen erhielten.

Nach Durchführung weiterer Ermittlungen wurde mit Bescheid des BFA vom 19.06.2018 der zweite Antrag der BF auf internationalen Schutz erneut ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gegen diesen Bescheid erhob die BF – sowie ihre Angehörigen, die gleichlautende Entscheidungen erhalten hatten - fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

Mit Beschluss des BVwG vom 02.08.2018 wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt und mit weiterem Beschluss des BVwG vom 10.08.2018 der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

Ebenso wurden mit Beschlüssen des BVwG vom 10.08.2018 die bekämpften Bescheide der Angehörigen und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung von neuen Bescheiden an das BFA zurückverwiesen.

In weiterer Folge wurde das Verfahren vom BFA zugelassen, eine Einvernahme zu den Fluchtgründen der BF durchgeführt und der zweite Antrag auf internationalen Schutz mit gegenständlichem Bescheid vom 26.06.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten sowie der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen, eine Abschiebung in die Russische Föderation als zulässig erachtet und eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Die Angehörigen der BF erhielten gleichlautende Entscheidungen.

1.2. Zu den Fluchtgründen und einer Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF in der Russischen Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität – oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität – in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet wäre, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Die BF wurde in XXXX geboren und hat bis zu ihrer Ausreise nach Europa dort gelebt.

Der Vater der BF ist am XXXX in XXXX gestorben. Die genaue Todesursache des Vaters kann nicht festgestellt werden. Auch der Bruder ist bereits verstorben.

Die BF hat in Russland die Grundschule abgeschlossen und etwa 3 Jahre lang ein wirtschaftliches Fernstudium betrieben, dieses aber nicht abgeschlossen.

Sie hat keine Berufsausbildung gemacht, hat aber einen Sommer lang in einer Geflügelfabrik gearbeitet.

Die BF hatte in der Russischen Föderation keine wirtschaftlichen Probleme. Ihre Mutter ist Eigentümerin von zwei Wohnungen in XXXX . Die BF hat nach dem Tod des Vaters eine Hinterbliebenenpension bezogen.

In der Russischen Föderation halten sich nach wie vor zahlreiche Verwandte der BF auf. So lebt eine Tante mütterlicherseits in XXXX und ein Onkel mütterlicherseits in XXXX . Weiters leben noch mehrere Verwandte des verstorbenen Vaters in der Russischen Föderation.

Die BF ist gesund und leidet an keinen Krankheiten, die einer Rückkehr in die Russische Föderation entgegenstehen würden.

1.3. Zur Integration der BF:

Die unbescholtene BF und ihre Angehörigen hielten sich – wie bereits oben festgestellt – von Dezember 2015 bis Ende April 2016 (sohin etwa vier Monate) im Bundesgebiet auf. Nach ihrer freiwilligen Ausreise in ihr Heimatland die Russische Föderation reisten sie erneut ins österreichische Bundesgebiet ein, wo sie sich nunmehr seit Mitte Dezember 2016 (sohin seit etwa 4,5 Jahren) durchgängig aufhalten.

Die BF wohnt gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrer Nichte in einer Asylunterkunft. Ansonsten leben keine Verwandten der BF in Österreich. Die Mutter, die Schwester und die Nichte verfügen in Österreich nicht über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht, sondern wird ihr Asylverfahren mit heutigen Tage ebenfalls in allen Spruchpunkten negativ entschieden.

Die BF hat während ihres Aufenthaltes in Österreich Deutschkurse (bis zum Niveau B2) besucht und die Integrationsprüfung A1 und B1 bestanden. Sonstige Ausbildungen im Bundesgebiet hat sie nicht absolviert.

Die BF geht seit September 2019 einer gemeinnützigen Hilfsarbeit in einer Klinik nach (20h/Monat) und verrichtet seit Oktober 2020 auch gemeinnützige Arbeiten in einem Seniorenclub (57h/Monat), wofür sie 3,50€/Stunde bezahlt bekommt. Sie ist aber nicht selbsterhaltungsfähig, sondern bezieht laufend Leistungen aus der Grundversorgung.

Die BF trifft sich in ihrer Freizeit mit Kollegen/Freunden aus dem Deutschkurs und hat auch Bekanntschaft mit Nachbarn geschlossen. Es handelt sich dabei nicht um enge soziale Kontakte. Ansonsten macht die BF den Haushalt und geht gerne spazieren.

Eine nachhaltige Integration der BF im Sinne einer tiefgreifenden Verwurzelung im Bundesgebiet kann insgesamt nicht erkannt werden.

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:


1.         Politische Lage

Letzte Änderung: 21.07.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

1.       AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

-        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 17.7.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020

-        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

-        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

-        MDR 16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020

-        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

-        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

-        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

-        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

-        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

-        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

-        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

1.1.    Tschetschenien

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020; vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Ve

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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