TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/13 W226 2221531-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.07.2021
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Entscheidungsdatum

13.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W226 2221535-1/12E

W226 2221531-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX (BF1), geb. XXXX und 2.) XXXX (BF2) geb. XXXX , beide StA: Russische Föderation, vertreten durch BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2019, Zlen.: 1100702606-161682908 (BF1) und 1100702704-161683017 (BF2), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.06.2021 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Erstes Dublinverfahren:

1.1. Die Beschwerdeführerinnen (im Folgenden: BF) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehörten der Volksgruppe der Osseten an und bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben.

Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) reiste gemeinsam mit ihrer Mutter XXXX , ihrer volljährigen Schwester XXXX und ihrer minderjährigen Tochter, der Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2) in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten beide am 31.12.2015 – ebenso wie ihre mitgereisten Angehörigen – erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz.

Eine Einsicht in die Visa-Datenbank hat ergeben, dass den BF und ihren Angehörigen seitens der tschechischen Vertretungsbehörde in Moskau/Russland jeweils Schengenvisa erteilt worden sind.

1.2. Im Zuge des durchgeführten Konsulationsverfahrens stimmte die tschechische Dublinbehörde der Übernahme der BF und ihrer weiteren Angehörigen ausdrücklich zu und wurde – nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens - mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 08.04.2016 der erste Antrag der BF auf internationalen Schutz – ebenso wie die Anträge ihrer Angehörigen – ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Mangels Erhebung eines Rechtsmittels erwuchs dieser Bescheid vom 08.04.2016 in Rechtskraft.

Da die BF (ebenso wie ihre mitgereisten Angehörigen) in der Folge unbekannten Aufenthaltes waren, hat sich die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert.

2. Zweites Dublinverfahren:

2.1. Am 15.12.2016 stellten die BF - ebenso wie ihre Angehörigen – einen weiteren, zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Im Zuge der am selben Tage durchgeführten Erstbefragung gab die BF1 im Wesentlichen an, dass sie gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrer Tochter Ende April 2016 Österreich freiwillig verlassen habe und illegal über die Ukraine nach Russland gelangt sei. Dort habe sie sich bis 12.12.2016 aufgehalten und sei mit den genannten Familienmitgliedern über die Ukraine und weitere, ihr nicht bekannte Länder nach Österreich gebracht worden, wofür ihrer Mutter einen Betrag in der Höhe von € 4.000 bezahlt habe. Sie würden nicht nach Tschechien wollen, da sie das erste Mal, als sie dort gewesen seien, die Nachricht bekommen hätten, dass die Bedroher über ihren Aufenthalt in Tschechien Bescheid wissen würden. Sie und ihre Mutter hätten eine dieser Personen in Tschechien gesehen. Sie habe das bei ihrem ersten Asylantrag bei der Polizei nicht angegeben, beim Asylamt habe sie es aber gesagt. Die Leute würden sie auch in Tschechien finden und dann töten.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen gab die BF1 an, sie sei in Georgien geboren und habe eine Lebensgemeinschaft. Ihre Muttersprache sei Russisch sie spreche auch Georgisch.

Als die BF1 befragt wurde, ob sie Ergänzungen/Korrekturen machen wolle, führte diese aus, dass ihre Fluchtgründe seit ihrem 1. Asylantrag in Österreich aufrecht seien. Sie hätten Angst vor diesen Leuten, diese würden immer mehr Geld von ihnen wollen und hätten sie immer wieder mit dem Umbringen bedroht. Die BF2 sei im September 2016 von diesen Leuten gestoßen und dabei verletzt worden. Sie könne dazu ein Foto und Bestätigungen beim Asylamt vorlegen.

In der Folge legte die BF1 einen handschriftlichen Befundbericht vom 04.01.2017 eines Facharztes für Orthopädie (betreffend Kreuz-, Nacken- und Rückenschmerzen) sowie eine Ambulanzkarte betreffend eine Behandlung vom 03.01.2017 (mit der Diagnose „Vertebrogene Lumbalgie li“) vor.

2.2. In der am 10.02.2017 erfolgten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA führte die BF1 an, dass die BF2 keine eigenen Fluchtgründe habe. Sie sei ausgereist, weil sie nicht nach Tschechien gewollt hätten und dort Probleme hätten. Sie seien ca. 7 Monate in Russland gewesen und hätten Russland am 12.12. wieder verlassen. Auf die Frage, warum sie erneut von Russland ausgereist sei, gab die BF1 an, man habe ihr die BF2 wegnehmen wollen und sie habe Angst bekommen. Zu Beweismitteln betreffend den Aufenthalt in Russland befragt, verwies diese auf die von der Mutter vorgelegten Reisetickets.

2.3. In der Folge brachte die Mutter der BF1 in ihrem Verfahren diverse medizinische Unterlagen in Vorlage, aus denen sich zusammengefasst nach Durchführung einer Mammographie ergab, dass diese einen Tumor an der Brustdrüse hat. Zudem wurde mit einer Stellungnahme vom 20.03.2017 diverse Schreiben in russischer Sprache sowie Bestätigungen der Hausärztin vorgelegt.

2.4. Am 24.04.2017 fand neuerlich eine niederschriftliche Einvernahme statt, bei der die BF1 zusammengefasst angab, dass die BF2 fast nichts esse und untergewichtig sei. Sie sei Ende April 2016 illegal mit dem Auto aus Österreich ausgereist, genauso seien sie wieder nach Österreich eingereist. Sie sei in der Ukraine gewesen, mehr wisse sie nicht. Zum Beweis der Ausreise und einen Aufenthalt in Russland habe ihre Mutter in ihrem eigenen Verfahren Belege vorgelegt. Sie wolle nicht nach Tschechien, dort drohe ihr Gefahr. Sie habe die Menschen gesehen, die sie in Russland und auch in Tschechien verfolgt hätten bzw. ihr die BF2 wegnehmen hätten wollen. Einen konkreten Vorfall habe es diesbezüglich nicht gegeben. Zum Gesundheitszustand ihrer Mutter gab sie an, dieser würde es schlecht gehen, sie würden sich darum kümmern,

2.5. In der Folge wurde betreffend den Gesundheitszustand der Mutter der BF1 ein Konvolut an medizinischen Unterlagen vorgelegt. Demnach wurde diese am 23.03.2017 wegen ihrer Brustkrebserkrankung operiert und ihr am 16.05.2017 ein Portkathetersystem zur Durchführung einer Chemotherapie implantiert.

2.6. Mit Bescheiden vom 24.05.2017 wurden die zweiten Anträge der BF auf internationalen Schutz – ebenso wie die Anträge ihrer Angehörigen – ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Das BFA führte begründend aus, dass das Vorbringen der BF, sie hätte das Gebiet der Mitgliedstaaten für mindesten drei Monate verlassen, nicht glaubhaft sei.

2.7. Gegen diesen Bescheid erhoben die BF (ebenso wie ihre Angehörigen) fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, worin im Wesentlichen neuerlich vorgebracht wurde, dass die BF und ihre Angehörigen von Ende April 2016 bis Dezember 2016 in Russland aufhältig gewesen seien. Zudem habe das BFA den Gesundheitszustand der Mutter der BF1 nicht berücksichtigt und wurden dazu diverse medizinische Unterlagen in Vorlage gebracht, wobei unter anderem attestiert wurde, dass die Mutter auf die Hilfe ihrer Töchter angewiesen sei.

2.8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes (in der Folge BVwG) vom 03.07.2017 wurde den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt und wurden in der Folge diverse weitere medizinische Unterlagen betreffend den Gesundheitszustand der Mutter der BF1 übermittelt.

2.9. Mit Beschluss des BVwG vom 28.03.2018 wurde den Beschwerden gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben, wobei die Angehörigen gleichlautende Entscheidungen erhielten. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es das BFA unterlassen habe, Tschechien das relevante Vorbringen mitzuteilen bzw. die vorgelegten Unterlagen anzuführen, um eine Beurteilung durch Tschechien (betreffend die Zuständigkeit) zu ermöglichen. Zudem seien die vorgelegten Schreiben in russischer Sprache nicht übersetzt worden, sodass eine Überprüfung, ob diese das Vorbringen der BF betreffend die behauptete Wohnsitznahme in Russland stützen oder nicht, nicht möglich sei. Auch liege keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes der Mutter der BF1 vor. Abschließend wurde der Behörde im Detail aufgetragen, diverse Ermittlungen zum aktuellen Gesundheitszustand bzw. der Behandlung der Mutter der BF1 vorzunehmen.

2.10. Im fortgesetzten Verfahren legte die BF1 eine Überweisung an einen Wahlarzt (für Dermatologie) vor und wurde diese am 24.04.2018 erneut einvernommen.

Die BF1 gab an, ihr gesundheitlicher Zustand sei in Ordnung, sie sich aber Sorgen um ihre Mutter mache. Dieser gehe es nach der Chemotherapie und der Brustoperation sehr schlecht. Die BF2 sei gesund, aber etwas zu dünn, da sie 6 Jahre als sei und 12 Kilo wiege. Sie seien deswegen aber noch nicht beim Arzt gewesen. Die Ärzte im Lager hätten vor ca. zwei Wochen gesagt, dass es ihr gut gehe.

Betreffend die Ausreise gab sie an, sie seien mit dem PKW Ende April 2016 in die Ukraine und anschließend nach Russland gereist. Befragt, warum sie zurück nach Russland gereist seien, gab die BF1 an, man habe sie nach Tschechien schicken wollen, dies hätten sie nicht gewollt. Auf die Frage, ob es angesichts der Fluchtgründe nicht sinnvoller gewesen wäre, in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu reisen, führte die BF1 aus, sie hätten nicht gewusst, dass sie in ein anderes Land reisen dürfen. Befragt, ob sie dies nicht in Erwägung gezogen hätten, da die Ausreise sehr teuer gewesen sei, gab die BF1 an, sie hätten gedacht, dass es ihnen bessergehe und sie von den Verfolgern in Ruhe gelassen werden. Dies sei nicht der Fall gewesen. Auf die Frage, ob sie während des gesamten Aufenthaltes in Russland verfolgt oder bedroht worden seien, antwortete die BF1, dass sie dauernd ihren Wohnsitz geändert hätten, weswegen man sie nicht gefunden habe. Als man den Wohnsitz erfahren habe, seien sie nach XXXX gefahren, wo sie 12 Tage lang geblieben wären. Danach seien sie ausgereist.

2.11. Mit Bescheiden des BFA vom 19.06.2018 wurden die zweiten Anträge der BF auf internationalen Schutz erneut ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung der Anträge zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Das BFA führte wiederum aus, dass das Vorbringen der BF, sie hätte das Gebiet der Mitgliedstaaten für mindesten drei Monate verlassen, nicht glaubhaft sei. Die BF hätten keine Angaben zur ihrem Reiseweg machen können. Mit den vorgelegten Zugtickets würde nicht bewiesen werden, dass diese in Russland gekauft worden wären. Es sei außerdem nicht auszuschließen, dass die vorgelegten Schreiben aus Russland geschickt worden wären, ohne dass sich die BF tatsächlich dort aufgehalten hätte. Der Gesundheitszustand der BF – auch jener der Mutter der BF1 – würde eine Überstellung bzw. einen Aufenthalt in Tschechien nicht unzumutbar machen.

2.12. Gegen diesen Bescheid erhoben die BF – sowie ihre Angehörigen, die gleichlautende Entscheidungen erhalten hatten - fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen das Vorbringen betreffend eine Ausreise nach Russland wiederholt, auf die Erkrankung der Mutter der BF1 hingewiesen und wurden medizinische Unterlagen betreffend die Mutter der BF1 in Vorlage gebracht.

2.13. Mit Beschluss des BVwG vom 02.08.2018 wurde den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

2.14. Mit weiterem Beschluss des BVwG vom 10.08.2018, GZlen.: W192 2162511-2/3E und W192 2162505-2/3E, wurden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung von neuen Bescheiden an das BFA zurückverwiesen.

In der Begründung wurde darauf hingewiesen, dass eine Überprüfung der im Akt einliegenden (nicht übersetzten) russischen Schreiben bzw. der behaupteten Ausreise nach Russland nicht möglich sei und dem Akteninhalt auch nicht zu entnehmen sei, dass das BFA die tschechischen Behörden über das relevante Vorbringen (zum Reiseweg) der BF informiert habe oder die vorgelegten Unterlagen übermittelt habe. Dem BFA wurde insbesondere aufgetragen, den tschechischen Behörden sämtliche Informationen zu übermitteln.

2.15. Ebenso wurde mit Beschlüssen des BVwG vom 10.08.2018, GZ.: W241 2162027-2/3E und W235 2162026-2/3E die bekämpften Bescheide der Angehörigen behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung von neuen Bescheiden an das BFA zurückverwiesen. Im Beschluss der Mutter der BF1 wurde zusätzlich darauf hingewiesen, dass keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes vorliege und dem BFA aufgetragen ergänzende Ermittlungen dazu durchzuführen.

3. Gegenständliches Asylverfahren:

3.1. Nachdem die Verfahren nunmehr zugelassen wurden, führte das BFA am 28.03.2019 eine Einvernahme der BF1 durch.

Diese gab an, gesund zu sein, keine Medikamente einzunehmen und nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen in der Russischen Föderation gab sie an, sie habe zuletzt in XXXX in der Straße XXXX gelebt. Ihren Reisepass habe sie zerrissen und weggeschmissen. Zum Vater der BF2 habe sie seit der Geburt keinen Kontakt. Dieser lebe soweit sie wisse in Moskau. Er zahle keinen Unterhalt. Weiters gab die BF an, in Russland würden noch Verwandte väterlicherseits leben, aber sie hätten zu ihnen keinen Kontakt. Sie gehöre der Volksgruppe der Osseten an und spreche Russisch, Ossetisch und Georgisch. Die BF1 habe die Grundschule abgeschlossen und habe sie an einem College ca. 5 Jahre lang eine wirtschaftliche Ausbildung gemacht. Sie habe ein Diplom für Wirtschaftswissenschaften. Was sie im Studium gelernt habe, wisse sie nicht mehr und auch an das Thema ihrer Diplomarbeit könne sie sich nicht erinnern. Die BF1 habe in Russland – nach ihrem Studium – 12 Jahre lang als Köchin gearbeitet. Ihr Vater sei verstorben, weil er im Auto giftige Dämpfe in der Garage eingeatmet habe. Er habe als Taxifahrer gearbeitet. Auch ihr Bruder sei verstorben, die genaue Todesursache sei nie festgestellt worden. Eine Obduktion sei nicht durchgeführt worden. Der Arzt habe gemeint, dass er vergiftet worden sei.

Genauer zum Bruder befragt, gab sie an, dieser habe in XXXX ein Treffen mit einem ehemaligen Studienkollegen gehabt. Er habe ein Zimmer gebucht und nachdem er Kaffee getrunken habe, sei ihm schlecht geworden und sei er auf die Toilette gegangen. Als er zurückgekommen sei, seien der Freund, das Auto und der Autoschlüssel nicht mehr da gewesen. Warum der Freund ihn vergiften hätte sollen, wisse sie nicht, vielleicht sei es um das Geld oder das Auto gegangen. Die Informationen über den Bruder und das Treffen habe sie von ihrer Mutter, ihr habe der Bruder im Spital alles erzählt. Wie der Mann heiße, wisse sie nicht, er habe nur gesagt, dass es ein Mann namens XXXX gewesen sei. Ihr Bruder sei Untersergeant gewesen und habe man ihm vorgeworfen, 2008 seine Dienstvollmachten überschritten zu haben. Er sei 3 oder 4 Jahre im Gefängnis bzw. in einer Strafkolonie gewesen. Was ihr Bruder beruflich gemacht habe wisse sie nicht, er habe nicht darüber gesprochen. Er habe aber der Mutter gesagt, dass er mit den Kadyrow-Leuten in Verbindung gestanden sei. Der Bruder habe der Mutter erzählt, dass er in XXXX einen Aktenkoffer mit Geld und einem Stick übergehen hätte sollen. Nach dem Tod des Bruders seien Leute zu ihnen gekommen.

Die Gründe für die Ausreise seien immer dieselben gewesen. Im April 2016 seien sie nach Russland zurückgekehrt, da sie einen Verfolger aus Russland, der zu ihnen nach Hause gekommen sei, in Tschechien gesehen hätten. Sie wisse aber nicht, was dies für Leute gewesen seien, diese hätten gesagt, dass der Bruder mit ihnen eine gemeinsame Sache gemacht habe. Warum sie in Tschechien nicht zur Polizei gegangen seien, wisse sie nicht, sie seien ausgereist, weil sie – als sie den Mann gesehen hätten – Angst bekommen hätten. Sie hätten dort nicht bleiben wollen und seien nach Österreich gekommen. Sie wisse nur, dass der Mann XXXX heiße, groß und stark gewesen sei und einen Bart gehabt habe. Befragt, ob sie jemals mit ihm gesprochen habe, führte die BF1 aus, er sei zu ihnen gekommen und sei sehr aggressiv gewesen. Er habe geschrien und den Aktenkoffer gefordert. Mehr könne sie darüber nicht sagen. In Tschechien hätten weder sie, noch jemand anders in der Familie mit ihm gesprochen. Sie habe ihn drei Mal gesehen, ob er sie gesehen habe, wisse sie nicht. Sie vermute, dass XXXX aufgrund der Visa erfahren habe, dass sie in Tschechien seien.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die BF1 an, es seien – nach dem Tod des Bruders - mehrmals pro Woche Leute zu ihnen gekommen, welche sie bedroht und gesagt hätten, dass sie mit ihrem Bruder zu tun gehabt hätten. Diese hätten ständig den Aktenkoffer gefordert. Sie hätten ihrer Schwester und der BF2 einen Schlag versetzt und sie auch mit dem Umbringen bedroht. Deswegen hätten sie Angst gehabt und seien sie ausgereist. Die Männer seien insgesamt über 50 Mal gekommen.

Genauer dazu befragt, wie die Schwester geschlagen worden sei, führte die BF1 aus, dass sie zu diesem Zeitpunkt mit der BF2 in Moskau gelebt habe. Man habe sie angerufen und es ihr erzählt. Sie sei zuerst in Karenz gewesen und dann mit dem Kind nach Moskau gefahren, da sie arbeiten habe müssen. Sie habe gearbeitet und auch dort seien die Leute zu ihr gekommen. Sie habe zwei oder dreimal die Wohnung gewechselt und habe sich nicht registriert. Die BF2 habe einen privaten Kindergarten besucht. Eines Tages habe sie die Erzieherin vom Kindergarten angerufen und gesagt, dass zwei Männer gekommen seien, um die BF2 abzuholen. Sie habe dann gesagt, dass sie die Männer nicht kenne und sie das Kind niemandem außer ihr geben dürften. Dann habe sie die BF2 selbst abgeholt und verstanden, dass es wieder dieselben Leute gewesen seien. Sie sei dann zu ihrer Mutter gefahren, habe dort gelebt und nicht mehr gearbeitet. 2015 hätten sie dann Visa erhalten und seien ausgereist.

Dazu befragt, wann die BF2 geschlagen worden sei, führte die BF1 aus, im April 2106 seien wieder Leute gekommen und hätten den Aktenkoffer gefordert. Im Sommer 2016 habe man ihr Kind geschlagen. Sie und der Mann hätten zu schreien begonnen, das Kind sei auf sie zugelaufen und einer der Männer habe sie dann geschlagen. Ihre Anzeige bei der Polizei sei nicht entgegengenommen worden. Im Krankenhaus seien sie nicht gewesen.

Nochmals zu den Männern befragt, führte die BF1 aus, sie wisse nicht viel von ihnen. Ihr Bruder habe etwas von Kadyrow-Leuten gesagt. Sie wisse nur, dass sie mit Waffen und Drogen beschäftigt gewesen seien. Dies wisse sie von ihrer Mutter, welche es wiederum vom Bruder erfahren habe. Zu den konkreten Bedrohungen durch die Männer befragt, führte die BF1 aus, diese hätten sie mit dem Umbringen und Kindesentführung bedroht. Man habe sie wegen dem Koffer einschüchtern wollen. Was auf dem Stick gewesen sei, wisse sie nicht, sie habe nie gefragt.

Zur BF2 gab sie an, dass diese keine eigenen Fluchtgründe habe.

Weiters gab die BF1 an, noch eine Wohnung in Russland zu haben, diese sei aber versperrt, dort lebe niemand. Die Visa hätten sie sich in XXXX ausstellen lassen. Probleme bei der Ausstellung habe es nicht gegeben. Als sie von Österreich wieder nach Russland zurückgereist seien, hätten sie bei einer Freundin der Mutter in XXXX gelebt. Dort seien wieder diese Leute gekommen und die Freundin habe Angst um ihr Kind bekommen.

Zu ihrem Leben in Österreich gab die BF1 an, sie treffe sich manchmal mit den Leuten, welche sie im Kurs kennengelernt habe. Sie besuche einen Deutschkurs, die BF2 gehe in die Schule und im Hort Tanzen (lateinamerikanische Tänze). Dort seien vorwiegend Russischsprachige Kinder. Sie sei nicht Mitglied in Vereinen oder Organisationen. Sie habe keine Hobbys und mache nichts in ihrer Freizeit. Sie sei zu Hause und kümmere sich um den Haushalt. Die BF1 wolle die Kurse abschließen und anschließen in einem Restaurant arbeiten. Nach Restaurants erkundigt habe sie sich noch nicht.

Im Zuge der Einvernahme legte die BF1 eine Anmeldebestätigung für einen Deutschkurs A1, eine Bestätigung der Deutschlehrerin betreffend die Teilnahme an einem Deutschkurs, ein Zeugnis zur Integrationsprüfung A1 sowie Fotos der BF2 mit einem Hämatom am rechten Auge vor.

3.2. Mit gegenständlichen Bescheiden vom 26.06.2019 wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 idgF, sowie bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz ab (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus führte das BFA aus, dass die BF1 im gesamten Verfahren vage und unkonkrete Angaben gemacht habe. Sie habe immer wieder von der Behörde dazu aufgefordert werden müssen, genaue Angaben zu machen und sei sie nicht dazu in der Lage gewesen anzugeben, wer die Männer gewesen seien oder wie dies ausgesehen hätten. Auch habe sie nicht angeben können, was ihr Bruder gearbeitet habe. Zudem seien die BF im April 2016 freiwillig in die Russische Föderation zurückgekehrt, bevor sie dann im Dezember 2016 erneut nach Österreich eingereist seien. Es sei äußerst unglaubwürdig, dass Männer über drei Jahre hinweg zu den BF nach Hause kommen und ihnen drohen bzw. sie auch schlagen würden, doch keine weiteren Sanktionen durchgesetzt worden seien. Würden diese Männer tatsächlich der Kadyrow angehören, dann sei zu erwarten, dass diese die ausgesprochenen Sanktionen auch wirksam umsetzen würden. Das Vorbringen der BF sei daher insgesamt unlogisch, nicht nachvollziehbar und völlig unglaubwürdig.

Zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, dass die BF1 arbeitswillig und –fähig sei, über langjährige Schulbildung verfüge und in der Vergangenheit Berufserfahrung habe sammeln können. Da sie betreffend ihr Studium höchst vage Angaben gemacht habe, sei zweifelhaft, ob sie das angeführte Studium tatsächlich gemacht habe. Die BF1 habe den Großteil ihres Lebens in Russland verbracht, es sei ihr zuzumuten durch eigene Arbeitsleistung und eventuell mit Unterstützung der Angehörigen ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung kam die belangte Behörde zum Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Ausreise der BF gegenüber den persönlichen Interessen überwiegen würden und nicht von einer umfassenden Integration ausgegangen werden könne.

3.3. Ebenso wurden mit Bescheiden des BFA vom 26.06.2019 die Anträge der Angehörigen hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten sowie der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Es wurden Rückkehrentscheidungen erlassen, eine Abschiebung in die Russische Föderation als zulässig erachtet und eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

3.4. Gegen die gegenständlichen Bescheide brachten die BF (sowie auch ihre Angehörigen) fristgerecht eine vollumfassende und gleichlautende Beschwerde ein, worin nach Wiederholung des Verfahrensganges/der Fluchtgründe, zusammengefasst ausgeführt wurde, dass die BF ihre Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten. Die Sicherheitsbehörden der Russischen Föderation seien nicht gewillt bzw. nicht imstande, den BF den notwendigen Schutz zu bieten. Es stehe auch keine IFA in zur Verfügung. Weiters wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass Frauen in Russland Diskriminierung (z.B. am Arbeitsplatz) ausgesetzt seien und eine geringere Pension bekommen würden. Die Fluchtgründe seien schlüssig, ausführlich und glaubhaft angegeben worden und habe eine Angst vor der Rückkehr glaubhaft gemacht werden können. Weiters gehe aus dem LIB zur Sicherheitslage in Russland hervor, dass in der Heimatrepublik (dem Nordkaukasus) die Situation der Frauen, insbesondere der alleinstehenden Frauen äußerst problematisch sei. Für alleinstehende Frauen bestehe ein größeres Risiko Opfer eines Verbrechens zu werden. Im Falle einer Rückkehr könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Lebensgrundlage gesichert sei. Zudem sei eine Rückkehr als Mutter (ohne Ehemann) im konservativen Gesellschaftsbild nicht akzeptabel und könnten die staatlichen Behörden keine ausreichende Unterstützung bieten. Die BF würden niemanden haben, der sie unterstützen könnte. Die Behörde habe nicht erhoben bzw. nicht festgestellt, ob bei einer Rückkehr eine Unterstützung durch die Angehörigen tatsächlich möglich sei. Bei einer Rückkehr sei daher von einer Notlage entsprechend Art. 2, 3 EMRK auszugehen. Auch würden sich die BF um eine Integration in Österreich bemühen, weshalb eine Rückkehrentscheidung gegen Art. 8 EMRK verstoßen würde.

3.5. Am 06.08.2019 wurden ein Bericht des Unterkunftgebers über die BF und ihre Familie sowie eine Bestätigung der BF1 über den Besuch eines Deutschkurses in Vorlage gebracht.

3.6. Im Zuge einer Beschwerdeverhandlung vom 15.06.2021 wurden die BF1, ihre Schwester und ihre Mutter durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu ihren Fluchtgründen, ihren Rückkehrbefürchtungen und ihrer Integration in Österreich befragt.

Im Zuge der Verhandlung legte die BF1 einen Arztbrief eines Facharztes für Neurologie vom 08.06.2021 vor, wonach bei ihr die Diagnose „Kombinationskopfschmerzen mit Migräne mit Aura“ erstellt wurde. Als Therapie wurden Sibelium TBL 10mg und Frovalan 2,5mg FTL angeführt.

3.7. Am 16.06.2021 brachten die BF folgende Unterlagen in Vorlage:

-        Anmeldebestätigung der BF1 betreffend einen Deutschkurs A2 (22.06.2021-14.10.2021);

-        Schulnachricht der BF2 für das Schuljahr 2020/21 (3. Schulstufe);

-        Schulbesuchsbestätigung der BF2 für das Schuljahr 2019/20 (2. Schulstufe);

-        Bestätigung, wonach die BF1 seit September 2019 gemeinnützige Hilfsarbeit in einer Klinik im Umfang von 20 Monatsstunden leiste;

-        Schreiben der Schule betreffend die BF2;

-        Zertifikat, wonach die BF1 den Kurs „Deutsch A2“ regelmäßig besucht habe;

-        Schreiben, wonach die BF1 die ÖSD Integrationsprüfung A2 am 25.10.2019 nicht bestanden habe.

3.8. Am 07.07.2021 wurde ein Jahreszeugnis der BF2 für das Schuljahr 2020/2021 (3. Schulstufe) in Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Feststellungen zur Person der BF, ihrem Reiseweg und den durchgeführten Dublinverfahren:

Die BF sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der Volksgruppe der Osseten an und bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben.

Die Identität der BF steht mangels Vorlage von russischen Identitätsdokumenten nicht zweifelsfrei fest, ist aber angesichts der Treffermeldungen in der Visa-Abfrage sehr wahrscheinlich.

Die BF (sowie die Mutter und die Schwester der BF1) reisten im Dezember 2015 in Besitz von tschechischen Schengenvisa (legal) nach Tschechien, hielten sich dort wenige Tage lang auf und reisten in weiterer Folge, nachdem sie dort ihre Reisepässe zerstört haben, weiter nach Österreich, wo sie am 31.12.2015 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Mit Bescheid des BFA vom 08.04.2016 wurde dieser erste Antrag der BF auf internationalen Schutz – ebenso wie die Anträge ihrer Angehörigen – ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig ist (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Mangels Erhebung eines Rechtsmittels erwuchs dieser Bescheid vom 08.04.2016 in Rechtskraft.

Ende April 2016 haben die BF - gemeinsam mit der Mutter und der Schwester der BF1 – freiwillig das österreichische Bundesgebiet verlassen und sind in die Russische Föderation zurückgekehrt, wo sie sich bis 12.12.2016 in XXXX (bei einer Freundin der Mutter) aufgehalten haben. Danach reisten die BF mit ihren Angehörigen erneut nach Europa bzw. nach Österreich ein und stellten die BF und ihre Angehörige am 15.12.2016 einen weiteren (zweiten Antrag) auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheiden vom 24.05.2017 wurden die zweite Anträge der BF auf internationalen Schutz – ebenso wie die Anträge ihrer Angehörigen – ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gegen diese Bescheide en die BF (ebenso wie ihre Angehörigen) fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

Nachdem das BVwG mit Beschluss vom 03.07.2017 der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannte, wurde der Beschwerde mit Beschluss des BVwG vom 28.03.2018 gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben, wobei die Angehörigen der BF gleichlautende Entscheidungen erhielten.

Nach Durchführung weiterer Ermittlungen wurde mit Bescheid des BFA vom 19.06.2018 der zweite Antrag der BF auf internationalen Schutz erneut ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Tschechien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gegen diesen Bescheid erhoben die BF – sowie ihre Angehörigen, die gleichlautende Entscheidungen erhalten hatten - fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

Mit Beschluss des BVwG vom 02.08.2018 wurde den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt und mit weiterem Beschluss des BVwG vom 10.08.2018 die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

Ebenso wurden mit Beschlüssen des BVwG vom 10.08.2018 die bekämpften Bescheide der Mutter und Schwester der BF1 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung von neuen Bescheiden an das BFA zurückverwiesen.

In weiterer Folge wurde das Verfahren vom BFA zugelassen, eine Einvernahme zu den Fluchtgründen der BF durchgeführt und der zweite Antrag auf internationalen Schutz mit gegenständlichen Bescheiden vom 26.06.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten sowie der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Es wurde Rückkehrentscheidungen erlassen, die Abschiebung in die Russische Föderation als zulässig erachtet und eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Die Mutter sowie die Schwester der BF1 erhielten gleichlautende Entscheidungen.

1.2. Zu den Fluchtgründen und einer Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

Nicht festgestellt werden kann, dass den BF in der Russischen Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität – oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität – in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wären.

Die BF1 wurde in Georgien geboren, sie lebte aber den Großteil ihres Lebens in der Russischen Föderation ( XXXX und XXXX ).

Der Vater der BF1 ist am XXXX in XXXX gestorben. Die genaue Todesursache kann nicht festgestellt werden. Auch der Bruder der BF1 ist bereits verstorben.

Die BF1 hat in der Russischen Föderation die Grundschule abgeschlossen und etwa 5 Jahre lang eine wirtschaftliche Ausbildung an einem College gemacht. Sie hat etwa 12 Jahre lang als Köchin gearbeitet und konnte sich den Lebensunterhalt für sich und die BF2 verdienen.

Die BF hatten in der Russischen Föderation keine wirtschaftlichen Probleme. Die Mutter der BF1 ist nach wie vor Eigentümerin von zwei Wohnungen in XXXX .

Die minderjährige BF2 wurde in der Russischen Föderation geboren, sie besuchte in XXXX einen privaten Kindergarten. Der Vater der BF2 lebt in XXXX .

In der Russischen Föderation halten sich nach wie vor zahlreiche Verwandte der BF auf. So lebt eine Tante mütterlicherseits der BF1 in XXXX und ein Onkel mütterlicherseits in XXXX Weiters leben noch mehrere Verwandte des verstorbenen Vaters der BF1 in der Russischen Föderation.

Die BF1 war im Jahr 2017 wegen Kreuz-, Rücken- und Nackenschmerzen bei einem Facharzt für Orthopädie vorstellig. Zuletzt wurden bei ihr „Kombinationskopfschmerzen mit Migräne mit Aura“ diagnostiziert und ihr deshalb die Medikamente (Sibelium 10mg und Frovalan 2,5mg) verschrieben. Ansonsten ist die BF1 gesund und auch arbeitsfähig. Auch die BF2 ist gesund. Es liegen daher keine Krankheiten vor, die einer Rückkehr in die Russische Föderation entgegenstehen würden.

1.3. Zur Integration der BF:

Die BF1 ist strafgerichtlich unbescholten, die minderjährige BF2 ist strafunmündig.

Die BF und ihre Angehörigen hielten sich – wie bereits oben festgestellt – von Dezember 2015 bis Ende April 2016 (sohin etwa vier Monate) im Bundesgebiet auf. Nach ihrer freiwilligen Ausreise in ihr Heimatland die Russische Föderation reisten sie erneut ins österreichische Bundesgebiet ein, wo sie sich nunmehr seit Mitte Dezember 2016 (sohin seit etwa 4,5 Jahren) durchgängig aufhalten.

Die BF wohnen gemeinsam mit der Mutter und der Schwester der BF1 in einer Asylunterkunft. Ansonsten leben keine Verwandten der BF in Österreich. Die Mutter und die Schwester der BF1 verfügen in Österreich nicht über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht, sondern wird ihr Asylverfahren mit heutigem Tage ebenfalls in allen Spruchpunkten negativ entschieden.

Die BF1 hat während ihres Aufenthaltes in Österreich Deutschkurse auf dem Niveau A1 und A2 besucht. Sie hat die Integrationsprüfung A1 bestanden, die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 hat sie nicht bestanden. Sonstige Ausbildungen im Bundesgebiet hat die BF1 nicht absolviert.

Die BF1 geht seit September 2019 einer gemeinnützigen Hilfsarbeit in einer Klinik nach (20h/Monat), die BF sind aber nicht selbsterhaltungsfähig, sondern beziehen laufend Leistungen aus der Grundversorgung.

Die BF1 trifft sich gelegentlich mit Personen, die sie im Deutschkurs kennengelernt hat. Es handelt sich dabei nicht um enge soziale Kontakte. Ansonsten macht die BF1 den Haushalt, Hobbys hat sie nicht.

Die BF2 wurde in Österreich eingeschult und hat zuletzt die 3. Klasse einer Volksschule abgeschlossen. In ihrer Freizeit besucht sie eine lateinamerikanische Tanzgruppe in einem Hort.

Die BF1 und die BF2 unterhalten sich im Familienverband in der Sprache Russisch, weshalb die BF2 diese Sprache beherrscht.

Eine nachhaltige Integration der BF im Sinne einer tiefgreifenden Verwurzelung im Bundesgebiet kann insgesamt nicht erkannt werden.

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:
1.         Politische Lage

Letzte Änderung: 21.07.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

1.       AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

-        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 17.7.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020

-        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

-        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

-        MDR 16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020

-        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

-        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

-        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

-        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

-        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

-        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

-        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

1.1.    Tschetschenien

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020; vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020
2.         Sicherheitslage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a; vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung v

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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