TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/20 W226 2220891-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.07.2021
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Entscheidungsdatum

20.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W226 1300288-4/22E
W226 2220888-1/10E
W226 2220890-1/10E
W226 2220891-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas WINDHAGER als Einzelrichter über die gemeinsame Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, 2.) mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation und 4.) mj. XXXX XXXX alle vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2019, Zlen. 742334400-181235809 (ad 1.), 1073086710-181235850 (ad 2.), 1118165401-181235841 (ad 3.) und 1206548402-181235876 (ad 4.) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. - III. der angefochtenen Bescheide wird als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen den Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gegen 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX und 4.) XXXX gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 5 AsylG 2005 iVm § 52 FPG 2005 iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

XXXX wird eine „Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten gemäß § 54 Absatz 1 Ziffer 1 AsylG 2005 und § 58 Absatz 2 iVm § 55 Absatz 1 AsylG 2005 erteilt. XXXX , XXXX und XXXX wird eine „Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten gemäß § 54 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG 2005 und § 58 Absatz 2 iVm § 55 Absatz 2 AsylG 2005 erteilt.

III. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte V. und VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

I.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: BF) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe sowie dem muslimischen Glauben zugehörig. Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer (im Folgenden: BF2, BF3 bzw BF4). Die BF1 gelangte gemeinsam mit ihrem Vater, ihrer Stiefmutter sowie ihren Halbgeschwistern am 16. November 2004 auf österreichisches Bundesgebiet und stellte am darauffolgenden Tage einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

I.1.2. Mit Bescheid vom 8. März 2006 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Vaters der BF1 gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl I Nr. 126/2002, ab (Spruchpunkt I.), erklärte dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Absatz 1 Asylgesetz 1997 für zulässig (Spruchpunkt II.) und verfügte gemäß § 8 Absatz 2 AsylG unter einem die Ausweisung des Vaters der BF1 aus dem österreichischen Bundesgebiet „nach Russland“ (Spruchpunkt III.).

Betreffend die Stiefmutter und Halbgeschwister der BF1 sowie die BF1 ergingen am 8. bzw 9. März 2006 inhaltsgleiche Bescheide. Sie hatten keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

I.1.3. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Dezember 2007 wurde die Berufung des Vaters der BF1 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. März 2006, gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt 1.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 iVm § 50 Abs. 1 und 2 FPG wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Vaters der BF1 in die Russische Föderation nicht zulässig ist (Spruchpunkt 2.) und diesem eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt 3.). Dies wurde im Wesentlichen mit der allgemeinen Versorgungslage (mangelhafte Grundversorgung) in Tschetschenien begründet. Dazu wurde zum Vater der BF1 ausgeführt: „Derartige Anhaltspunkte sind in der allgemeinen Lage in Tschetschenien zu sehen, insbesondere was die Versorgung von Personen betrifft. Insbesondere ergibt sich aus den Feststellungen zur allgemeinen Situation in Tschetschenien, dass die Grundversorgung weiterhin äußerst mangelhaft ist, sodass mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Berufungswerber im Fall einer Rückkehr in eine aussichtlose Lage geriete und es dem Asylwerber im Hinblick auf die allgemeinen schlechten Verhältnisse in Tschetschenien unter Berücksichtigung, dass der Berufungswerber für drei minderjährige Kinder sorgepflichtig ist, es ihm unzumutbar macht, dorthin zurückzukehren.“ Die vom Vater der BF1 geltend gemachten individuellen Fluchtgründe, im Herkunftsland 2003 und 2004 angehalten worden zu sein, wurden als nicht glaubhaft bewertet.

Die Stiefmutter und Halbgeschwister der BF1 sowie die BF1 hatten keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, für sie ergingen am selben Tag inhaltsgleiche Bescheide.

I.1.4. Die Behandlung der gegen Spruchpunkt 1. der Bescheide des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Dezember 2007 eingebrachten Beschwerden des Vaters, der Stiefmutter und der Halbgeschwister der BF1 sowie der BF1 lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 28. Mai 2009 ab.

I.1.5. Die vom Vater, von der Stiefmutter und den Halbgeschwistern der BF1 sowie der BF1 eingebrachten Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG wurden mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 16. August 2010 zurückgewiesen.

I.1.6. Am 30. November 2015 wurde dem BF2 mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 34 Absatz 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

I.1.7. Am 12. April 2017 wurde dem BF3 mit Bescheid des BFA gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 34 Absatz 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

I.1.8. 2017 wurden den BF1-BF3 sowie dem Vater, der Stiefmutter und den Halbgeschwistern der BF1 mit Bescheid des BFA zuletzt jeweils befristete Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 11. Dezember 2018 erteilt.

I.1.9. Am 5. Oktober 2018 wurde dem BF4 mit Bescheid des BFA gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 34 Absatz 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und diesem eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 11. Dezember 2018 erteilt.

I.1.10. Am 19. November 2018 stellten die BF entsprechende Verlängerungsanträge.

I.2.1. Am 6. Februar 2019 wurden der Vater und die Stiefmutter der BF1 sowie die BF1 vor dem BFA niederschriftlich im Aberkennungsverfahren einvernommen, wobei ihnen vorgehalten wurde, dass sich die allgemeine Lage in Tschetschenien, wegen der ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, seit dem Zuerkennungszeitpunkt nachhaltig gebessert habe und ihnen entsprechende aktuelle Länderberichte zu Kenntnis gebracht wurden. Konkrete individuelle Gründe, die gegen eine Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen, wurden vom Vater der BF1 sowie der BF1 trotz Befragung nicht dargetan. Der Vater der BF1 gab dazu im Wesentlichen vielmehr lediglich an, dass er damals vor seiner Ausreise geschlagen worden sei und Kadyrow uneingeschränkt seine Macht ausübe. Die Stiefmutter der BF1 machte lediglich Probleme des Vaters der BF1 geltend und führte im Wesentlichen dazu aus, dass Menschen, die etwas mit den früheren Krieg zu tun hätten, nicht ruhig leben könnten, es könne immer etwas passieren. Sie selbst sei 2015 zwei Wochen im Herkunftsland gewesen und habe ihre kranke Mutter im Krankenhaus besucht. Die BF1 gab dazu lediglich an, einen Herzinfarkt erleiden zu müssen, sollte sie zurückkehren müssen.

I.2.2. Jeweils mit Bescheid des BFA vom 17. Mai 2019 wurde der, den BF mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Dezember 2007 bzw Bescheiden des BFA vom 30. November 2015, 12. April 2017 und 5. Oktober 2018 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG), von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), den BF die mit Bescheid vom 14. April 2007, 4. Mai 2017, 12. April 2017 und 5. Oktober 2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Absatz 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.), ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Ebenfalls mit Bescheid vom 17. Mai 2019 wurden betreffend den Vater, die Stiefmutter sowie die Halbgeschwister der BF1 inhaltsgleiche Bescheide erlassen.

Begründend wurde im Bescheid betreffend die BF zu den Spruchpunkten I. und II. im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Versorgungslage in Tschetschenien seit der Ausreise des Vaters der BF1 wesentlich und nachhaltig verbessert habe. Dazu wurde auch auf entsprechende Passagen in den Länderfeststellungen hingewiesen. Eine individuelle Verfolgung der BF im Herkunftsland sei zu keinem Zeitpunkt festgestellt worden. Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass eine nennenswerte Integration der BF in die österreichische Gesellschaft nicht ersichtlich sei. Außerdem seien sämtliche familiäre Anknüpfungspunkte der BF von Rückkehrentscheidungen betroffen.

I.2.3. Dagegen erhoben die BF am 17. Juni 2019 vollumfänglich Beschwerde. Darin wurde zum einen die Mangelhaftigkeit des Verfahrens kritisiert, die Länderfeststellungen des BFA bemängelt und unter anderem auf einen Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe von April 2017 verwiesen, wonach eine Kontaktperson auch über Schläge und Folter während einer Befragung von rückkehrenden abgewiesenen Asylsuchenden durch den russischen Inlandsgeheimdienst sowie über Fälle von Entführungen und Tötungen berichtet habe. Weiters wurde ausgeführt, dass sich weder die Versorgungslage noch die Menschrechtslage im Herkunftsland bzw. Tschetschenien im relevanten Zeitraum seit der letzten Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung im April 2017 maßgeblich und nachhaltig geändert habe, was vom Bundesamt im bekämpften Bescheid auch nicht einmal behauptet worden sei. Dass die Versorgungslage sich seit der Ausreise der BF1 erheblich verbessert habe sei weder Prüfungsgegenstand noch maßgeblich, da die Veränderung der Lage innerhalb des Heimatstaates ab dem Zeitpunkt der letzten Verlängerung rechtlich maßgeblich sei. Letztlich wurde die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidungen bestritten und darauf hingewiesen, dass sich die BF1 seit knapp 15 Jahren in Österreich aufhalte, den Pflichtschulabschluss gemacht habe und Freunde in Österreich habe, die BF2-BF4 in Österreich geboren seien und die BF sehr gute Deutschkenntnisse hätten.

I.2.4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2019 wurden die Beschwerden des Vaters, der Stiefmutter sowie der Halbgeschwister der BF1 gegen die Spruchpunkte I. – III. der angefochtenen Bescheide gemäß §§ 9 Abs. 1 und Abs. 4, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF als unbegründet abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 Abs. 2 und Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I Nr. 87/2012, auf Dauer für unzulässig erklärt und jeweils eine "Aufenthaltsberechtigung plus“ bzw "Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

Zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht dabei unter anderem aus:

„Wie auch bereits unter Punkt II.2.2. dargelegt wurde, lassen sich aus den getroffenen Länderfeststellungen keine Anhaltspunkte für eine derartig schlechte Versorgungslage im Herkunftsland bzw. Tschetschenien erkennen, aufgrund welcher die BF bei einer Rückkehr ins Herkunftsland einer realen Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse ausgesetzt wären. Auch lassen sich aus den persönlichen Verhältnissen der BF keine derartigen außergewöhnlichen Umstände ableiten, die die Zuerkennung des Status des subsidiär schutzberechtigten rechtfertigen würden. Dazu ist erneut darauf hinzuweisen, dass die Grundversorgung der russischen Bevölkerung - wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt - gesichert ist. Auch finden sich keine Hinweise auf eine im Allgemeinen schlechte oder unzureichende medizinische Versorgungslage im Herkunftsstaat. Unter Zugrundelegung der Feststellungen zu Sozialleistungen und insbesondere der staatlichen Familienhilfe bei kinderreichen Familien ist auch nicht davon auszugehen ist, dass der BF1 und die BF2, die beide gesund und arbeitsfähig sind und über ein familiäres Netz verfügen, nach einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (etwa Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären. Es liegen auch keine begründeten Anhaltspunkte dafür vor, dass diesbezüglich eine Situationsänderung bevorstehen könnte.

Auch kann nicht angenommen werden, dass die BF, die der der tschetschenischen Volksgruppe angehören und Sunniten sind, im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale einer Verfolgung ausgesetzt wären.

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Abschiebung der BF für diese als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. In der Russischen Föderation bzw. im Nordkaukasus ist eine Zivilperson nicht allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt. In diesem Zusammenhang ist auch auf das Urteil des EGMR vom 13.09.2016, wonach die Situation im Nordkaukasus – trotz dort festzustellender schwerer Menschenrechtsverletzungen – nicht so geartet ist, dass die Abschiebung dorthin automatisch eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde (vgl. EGMR 13.09.2016, A.A. und A.A. gegen Frankreich, Zl. 39707/13, Rz. 61). Diesbezüglich sind keine Anhaltspunkte für einen maßgebliche Lageänderung aufgetreten.

Den BF ist es - wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt wurde - auch sonst nicht gelungen, individuelle Gründe für eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (in Folge: EMRK) oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention glaubhaft zu machen.“

Zur Erteilung der Aufenthaltstiteln wurde begründend unter anderem ausgeführt, dass aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung im konkreten Einzelfall eine Rückkehrentscheidung zumindest gegen die in Österreich geborene inzwischen 14-jährige Halbschwester der BF1, die bisher ihr gesamtes Leben in Österreich verbracht hat, hier die Schule besucht hat bzw. weiterhin besucht, und bis auf die tschetschenische Sprache kaum über Anknüpfungspunkte zum Herkunftsland verfügt, jedenfalls unzulässig sei und allein schon aufgrund des Umstandes, dass eine Abschiebung ihrer Eltern und minderjährigen Geschwister eine Trennung von ihrer Kernfamilie zu Folge hätte und sohin unverhältnismäßig ihr durch Art. 8 geschütztes Familienleben verletzten würde, auch hinsichtlich der übrigen Familienmitglieder von einem Überwiegen ihrer privaten Interessen auszugehen gewesen sei.

I.2.5. Der Antrag des am XXXX geborenen vierten Kindes der BF1 wurde mit Bescheid des BFA vom 26. März 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und wurde diesem ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen diesen gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG 2005 erlassen. Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG 2005 in die Russische Föderation zulässig ist und wurde gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Gegen diesen Bescheid wurde keine Beschwerde erhoben.

I.2.6. Zu der für den 4. Mai 2021 ausgeschriebenen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erschien die BF1 unentschuldigt nicht.

I.2.7. Am 17. Juni 2021 wurde nunmehr die BF1 als beschwerdeführende Partei sowie der Vater der BF2-BF4 als Zeuge durch das erkennende Gericht in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu subsidiären Schutz begründenden und integrativen Aspekten einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Die BF sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe und dem muslimischen Glauben zugehörig. Die BF1 gelangte gemeinsam mit ihrem Vater, ihrer Stiefmutter sowie ihren Halbgeschwistern am 16. November 2004 auf österreichisches Bundesgebiet und stellte am darauffolgenden Tage einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Ihr wurde am 11. Dezember 2007 der Staus der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die BF2-BF4 sind die minderjährigen Kinder der BF1, welchen am 30. November 2015, 12. April 2017 bzw 5. Oktober 2018 im Familienverfahren ebenfalls jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde.

II.1.2. Der Vater der BF2-BF4 sowie des vierten Kindes der BF1 ist XXXX , ebenfalls russischer Staatsangehöriger, dessen (dritter) Asylantrag mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. November 2018 rechtskräftig abgewiesen wurde. Mit ihm hat die BF1 am XXXX noch ein viertes Kind bekommen. Die BF1 und ihr Partner sind seit 2014 in einer Beziehung. Standesamtlich sind sie nicht verheiratet, aber im August 2014 traute sie ein Imam in einer Wohnung, wofür sie aber keine Bestätigung erhielten. Am XXXX kehrte der Partner der BF1 freiwillig in die Russische Föderation zurück, besorgte sich dort einen Reisepass und ein italienisches Visum, gültig von XXXX bis XXXX , mit welchem er umgehend wieder in Österreich einreiste und am 19. Juni 2021 nach einem dreimonatigen Aufenthalt wieder ausreiste. Nach drei Monaten Aufenthalt in der Russischen Föderation möchte er wieder zu seinen Kindern und der BF1 nach Österreich kommen. Er ist seit September 2020 in der Wohnung der BF1 gemeldet und lebt auch während seines Visumsaufenthaltes bei der BF1 und seinen Kindern.

II.1.3. Die BF1 reiste mit 6 Jahren aus der Russischen Föderation aus und besuchte in Österreich die Volksschule und die Hauptschule und absolvierte damit die achte Schulstufe der Pflichtschule. Das Unterrichtsfach Deutsch in ihrem Jahres- und Abschlusszeugnis der 8. Schulstufe schloss die BF1 positiv ab. Aufgrund ihrer Schwangerschaft brach die BF1 die Schule, konkret das Gymnasium, ab. Die BF1 ist arbeitsfähig, ging in Österreich aber bisher keiner Erwerbstätigkeit nach und lebte von Sozialleistungen. Sie spricht Tschetschenisch und Deutsch, aber kein Russisch.

II.1.4. Mit Notariatsakt vom 28. Mai 2021 wurde der BF1 von der „ XXXX “ eine Stammeinlage in Höhe von Euro 35.000 in der „ XXXX “ gegen eine Gegenleistung in Höhe von Euro 1 abgetreten. Mit Firmenbucheintrag vom 12. Juni 2021 wurde die BF1 daher Alleingesellschafterin der „ XXXX “ und wurde ebenfalls zur Geschäftsführerin gemacht. Das Unternehmen soll für den Transport und die Montage von Möbeln für XXXX sorgen und wurde im Oktober 2020 im Firmenbuch eingetragen. Bei dem ehemaligen Geschäftsführer dieser Gesellschaft handelt es sich um den Cousin des Partners der BF1. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 in dieser Gesellschaft derzeit tatsächlich Geschäftsführerfunktionen wahrnimmt bzw beschäftigt ist.

II.1.5. Die BF2-BF4 besuchen den Kindergarten und sprechen ebenfalls Deutsch und Tschetschenisch. Das vierte Kind der BF1 ist erst wenige Monate alt.

II.1.6. Die BF sind gesund und leiden an keinen schwerwiegenden Krankheiten. Die BF1 und ihr Partner sind strafrechtlich unbescholten. Die BF verfügt über tschetschenische Freunde und hat auch noch zu ehemaligen Schulfreunden Kontakt.

II.1.7. In Österreich leben der Vater, die Stiefmutter und die Halbgeschwister der BF1, welche über eine Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art. 8 EMRK in Österreich verfügen und zu welchen die BF ein sehr gutes Verhältnis pflegen. Es halten sich zudem einige weitere Verwandte des Vaters und der Stiefmutter der BF1 in Österreich auf. Die leibliche Mutter der BF1, zu welcher sie allerdings keinen Kontakt hat und Verwandte des Vaters der BF1 leben in Russland.

II.1.8. Unter Zugrundelegung der im Folgenden dargestellten Länderberichte liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass die BF bei einer Rückkehr ins Herkunftsland mit hinreichender Wahrscheinlichkeit konkret Gefahr liefen, dort aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden oder aufgrund der allgemeinen Versorgungslage in eine aussichtslose Lage (Nahrung, Unterkunft) zu geraten. Die BF hat auch keine konkreten und relevanten, einer Rückkehr entgegenstehende Gründe vorgebracht.

Die aktuell vorherrschende COVID-19 Pandemie bildet kein Rückkehrhindernis. Die BF sind gesund und gehören mit Blick auf ihr Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die BF bei einer Rückkehr in die Russische Föderation eine COVID-19 Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würden.

II.1.9. Zur Situation in der Russischen Föderation/Tschetschenien:

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 18.05.2021

Hinweis:

Die Länderinformationen gehen nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese ein - wie etwa Einstellungen des Reiseverkehrs in oder aus einem Land oder Bewegungseinschränkungen im Land. Dies betrifft insbesondere auch Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten zur Selbst-Quarantäne, die Versorgungslage, wirtschaftliche, politische und andere Folgen, die derzeit immer noch schwer einschätzbar sind. Diesbezüglich darf jedoch auf das COVID-Kapitel der Staatendokumentation zur aktuellen COVID-19-Lage hingewiesen werden.

Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports

oder der Johns-Hopkins-Universität:

https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6

mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Da es sich bei den Nordkaukasus-Republiken (z.B. Tschetschenien, Dagestan) um Subjekte der Russischen Föderation handelt, werden diese nicht mehr in eigenständigen Länderinformationen abgehandelt, sondern in diese Länderinformation zur Russischen Föderation (RUSS COI-CMS) integriert. Wo es Unterschiede gibt, wurden Unterkapitel zu den einzelnen Subjekten bzw. in zusammenfassender Form zum Nordkaukasus geschaffen.

Zu Inguschetien werden – auch nach Absprache mit dem BVwG – keine Informationen mehr ins RUSS COI-CMS übernommen, da die Anzahl an Asylwerbern zu gering ist. Sollten Sie Informationen zu Inguschetien benötigen, ist eine konkrete Anfrage an die Staatendokumentation zu stellen.

In Bezug auf das Kaukasus-Emirat ist zu sagen, dass es momentan nicht ganz klar ist, ob es in der Praxis überhaupt noch existiert und falls ja, ob es einen neuen Anführer hat oder nicht. Dies scheint aber auch nicht das Wichtigste zu sein, da Kadyrows Kräfte und die russischen Sicherheitsbehörden jegliche dschihadistische Anhänger ins Visier nehmen und sie keinen Unterschied machen, unter welcher Flagge ein Islamist kämpft.

Covid-19-Situation

Letzte Änderung: 18.05.2021

Russland ist von Covid-19 landesweit stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind Moskau und St. Petersburg (AA 15.2.2021). Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation WHO (https://covid19.who.int/region/euro/country/ru). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 zuständig, beispielsweise betreffend Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CHRR 12.3.2021). Die Maßnahmen der Regionen sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region und ändern sich laufend (WKO 9.3.2021; vgl. AA 15.2.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 9.3.2021).

Die regierungseigene Covid-19-Homepage gibt Auskunft über die vom russischen Gesundheitsministerium empfohlenen Covid-19-Medikamente, nämlich Favipiravir, Hydroxychloroquin, Mefloquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir, rekombinantes Interferon-beta-1b und Interferon-alpha, Umifenovir, Tocilizumab, Sarilumab, Olokizumab, Canakinumab, Baricitinib und Tofacitinib. Der in Moskau entwickelte Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard umfasst folgende vier Komponenten: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Auf Anordnung des Arztes wird Patienten ein Pulsoxymeter ausgehändigt (Gerät zur Messung des Blutsauerstoffsättigungsgrades). Die medizinische Covid-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CHRR o.D.a).

Folgende Impfstoffe wurden in der Russischen Föderation entwickelt: Gam-COVID-Vac ('Sputnik V'), EpiVacCorona, CoviVac und Ad5-nCoV (CHRR o.D.b). Mittlerweile sind in der Russischen Föderation drei heimische Impfstoffe zugelassen (Sputnik V, EpiVacCorona und CoviVac). Groß angelegte klinische Studien gibt es bisher nicht (DS 20.2.2021; vgl. RFE/RL 21.2.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.). In Moskau wurden bisher mehr als 700.000 Personen geimpft (Mos.ru 8.3.2021). Obwohl Russland als weltweit erstes Land seinen Covid-Impfstoff Sputnik V registrierte, haben die Impfungen effizient gerade erst begonnen (DS 12.2.2021). Bisher wurden in der Russischen Föderation in etwa 2,2 Millionen Personen (ca. 1,5% der Bevölkerung) geimpft bzw. erhielten zumindest eine der zwei Teilimpfungen (RFE/RL 21.2.2021).

Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei der Grenzkontrolle keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, die nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Die Ausreise aus Russland ist bis auf unbestimmte Zeit eingeschränkt und nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Die internationalen Flugverbindungen wurden teilweise wieder aufgenommen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden derzeit ein- bis zweimal wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Pandemiezeit aufrecht erhalten (WKO 9.3.2021). Der internationale Zugverkehr – mit Ausnahme der Strecke zwischen Russland und Belarus - und der Fährverkehr sind eingestellt (AA 15.2.2021).

Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Sozialabgabenreduktion sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse dazu. Viele der Maßnahmen sind nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und haben einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 9.3.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen usw. (CHRR o.D.c). Jänner bis Oktober 2020 ist die Industrieproduktion pandemiebedingt um 3,1% zurückgegangen. Besonders die Rohstoffproduktion ist um 6,6% gefallen, während die verarbeitende Industrie mit 0,3% praktisch stagnierte. Die im Jahr 2020 sehr stark fallenden Ölpreise waren unter anderem eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie und mit einem globalen Nachfragerückgang verbunden und führten zu einer Rubelabwertung von 25%. Nach leichter Erholung verlor der Rubel unter anderem wegen der anhaltenden geringen Rohstoffnachfrage Mitte 2020 erneut an Wert und lag Anfang Dezember bei ca. 90 Rubel je Euro (WKO 12.2020). Das Realwachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im Jahr 2020 -3,1%. Im Vergleich dazu betrug der entsprechende Wert im Jahr 2019 2%. Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2020 17,8% des Bruttoinlandsprodukts (2019: 12,4%) (WIIW o.D.).

Moskau:

In Moskau herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Das Tragen von Masken auf Straßen wird empfohlen. Kultur- und Bildungsveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 50% der Zuschauerplätze belegt sind. Bürgern über 65 Jahren und chronisch Kranken wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021; vgl. WKO 9.3.2021, AA 15.2.2021). Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Am Arbeitsplatz sind vorgeschriebene Hygienevorschriften (unter anderem Temperaturmessungen, Mund- und Handschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 9.3.2021). Gemäß dem Moskauer Bürgermeister verbessert sich die Pandemielage in Moskau. Ein Großteil der Einschränkungen wurde aufgehoben. Gastronomiebetriebe sind wieder geöffnet. Für Schüler höherer Klassen und Studierende findet nun wieder Präsenzunterricht statt (Mos.ru 7.3.2021; vgl. Mos.ru 8.3.2021, LM 8.2.2021, Russland Analysen 19.2.2021). In der Oblast [Gebiet] Moskau wurde die Mehrzahl der wegen Covid geltenden Einschränkungen zurückgenommen. Einzig Massenveranstaltungen bleiben fast ausnahmslos verboten (Russland Analysen 19.2.2021).

St. Petersburg:

Auch in St. Petersburg herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Die für gastronomische Betriebe geltenden Beschränkungen der Öffnungszeiten wurden aufgehoben. Kulturveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Zuschauerplätze belegt sind. Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke sind Selbstisolierung und Fernarbeit verpflichtend (CHRR 12.3.2021; vgl. Gov.spb 5.3.2021, WKO 9.3.2021, Russland Analysen 8.2.2021).

Tschetschenien:

An öffentlichen Orten wird das Tragen von Masken empfohlen. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke ist Selbstisolierung vorgesehen (CHRR 12.3.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, Ria.ru 10.2.2021, KMS 10.2.2021). Bisher wurden mehr als 19.000 Personen geimpft (Chechnya.gov 26.2.2021). Mitarbeitern staatlich finanzierter Organisationen in Tschetschenien wurde mit Entlassung gedroht, sollten sie die Covid-Impfung verweigern. Bewohner in Tschetschenien berichten, ihnen seien Sanktionen angedroht worden, sollten sie sich nicht impfen lassen (CK 23.1.2021). Reisebeschränkungen wurden aufgehoben (Ria.ru 10.2.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, KMS 10.2.2021).

Dagestan:

An öffentlichen Orten herrscht Maskenpflicht. Einstweilen dürfen keine Massenveranstaltungen stattfinden. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021). Es finden Massenimpfungen statt, und verwendet wird der Impfstoff Sputnik V (E-dag.ru 23.2.2021). Bisher wurden mehr als 18.000 Personen (2,4%) geimpft (E-dag.ru 12.3.2021).

Quellen:

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Politische Lage

Letzte Änderung: 26.05.2021

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürgersollten Jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).

Quellen:

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Tschetschenien

Letzte Änderung: 26.05.2021

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – die Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil von ihnenTschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2020).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021, FH 3.3.2021). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Ramsan Kadyrow wurde bei den Wahlen vom 18. September 2016 laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 6.2020). In Tschetschenien regiert Kadyrow unangefochten autoritär. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 3.3.2021; vgl. AA 2.2.2021). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 3.3.2021).

Während der mittlerweile über zehn Jahre andauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramsan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute 'föderale Machtvertikale' dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum 'inneren Ausland' Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfo

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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