Entscheidungsdatum
22.07.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W111 2194717-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Dajani, LL.M., über die Beschwerde von XXXX XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2018, Zl.: 1167764610-171056524, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.06.2021, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 12.09.2017 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er am 16.08.2017 ins Bundesgebiet eingereist war.
Anlässlich seiner am 13.09.2017 abgehaltenen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, er sei in Ägypten geboren worden, konfessionslos und gehöre der russischen sowie der ägyptischen Volksgruppe an. Er habe in Moskau die Universität besucht und sei zuletzt als Regisseur für Kino und Fernsehen tätig gewesen. Sein Vater hielte sich in Ägypten auf, seine Ehefrau, von der er getrennt lebe, seine Lebensgefährtin, sowie eine minderjährige Tochter würden in der Russischen Föderation leben, eine volljährige Tochter befinde sich in der Ukraine. Sein Bruder lebe bereits seit 28 Jahren in Österreich und besitze die österreichische Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer habe zuletzt an einer näher bezeichneten Anschrift in Moskau gelebt, nachdem er im Jahr 1989 von Ägypten nach Russland ausgewandert wäre. Im Jahr 2016 habe er sich entschlossen, Russland zu verlassen. Die tatsächliche Ausreise aus der Russischen Föderation sei Mitte August 2017 legal auf dem Landweg unter Mitführung seines russischen Reisepasses erfolgt. Der Beschwerdeführer sei mit einem vom XXXX gültigen griechischen Schengen-Visum der Kategorie C über Weißrussland, Polen und Tschechien legal nach Österreich gereist.
Zum Grund seiner Flucht führte er aus, er habe als Journalist und Regisseur kurze Filme über den Krieg in der Ukraine und in Syrien gedreht, welche über Facebook gegangen wären. Seitens der russischen Behörden sei ihm die Ausstrahlung jener Filme untersagt worden und es sei verlangt worden, dass er selbige lösche. Auch sei er seitens des Geheimdienstes FSB vorgeladen und zur Einstellung der Filmerei aufgefordert worden. Weiters hätte der FSB den Beschwerdeführer aufgefordert, mit ihm zusammenzuarbeiten, um andere Journalisten anklagen zu können. Der Beschwerdeführer habe sich diesbezüglich geweigert. Von seinem Arbeitgeber sei er aufgefordert worden, zu kündigen. Der Beschwerdeführer sei freier Journalist gewesen und bedroht worden. Aus diesem Grund sei er geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, eingesperrt zu werden.
Am 07.03.2018 wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache sowie einer Vertrauensperson vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, er habe bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben erstattet, welche richtig protokolliert worden wären, doch habe er noch nicht alle Details vorbringen können und es sei ihm die Erstbefragung nicht zur Gänze rückübersetzt worden. In Österreich beziehe der Beschwerdeführer Grundversorgung und werde zudem von seinem Bruder unterstützt, welcher die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Abgesehen von jenem Bruder habe er keine Verwandten in Österreich; er besuche einen Deutschkurs sowie eine katholische Kirche und sei gesund. Der Beschwerdeführer sei in Ägypten geboren, besitze die Staatsbürgerschaft Ägyptens jedoch bereits seit langem nicht mehr. Der Beschwerdeführer sei russischer Staatsbürger, Kosmopolit und Russe. Er sei zweimal verheiratet gewesen und habe eine Lebensgefährtin, wobei er mit jeder Partnerin eine gemeinsame Tochter habe. Der Beschwerdeführe habe Filmregie studiert und in der Russischen Föderation Wohnsitze in Moskau sowie in XXXX besessen. Er habe als Regisseur gearbeitet und legte eine Bestätigung über seine Beschäftigung bei einem näher bezeichneten TV-Sender vom Ende August 2006 bis Anfang Juli 2017 vor.
Zu seinen Beweggründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates führte der Beschwerdeführer aus, er habe seit 2006 für den erwähnten TV-Sender gearbeitet; ab 2011 sei es zu verstärkten Zensur-Anweisungen gekommen, zeitgleich habe der arabische Frühling begonnen. Noch stärkerer Druck sei Anfang 2013 mit dem Beginn der Krise in der Ukraine ausgeübt worden. Der Beschwerdeführer habe im Jahr 2014 von seiner ersten Frau, welche zwischenzeitlich in der Ukraine gelebt hätte, erfahren, dass ihre Berichterstattung über die Ukraine nichts mit der Wirklichkeit gemein hätte und habe dies beim Sender hinterfragt. 2015 sei ihm Videomaterial vorgelegt worden, welches er im Fernsehen veröffentlichen sollte; hierbei habe es jedoch um Falschinformationen gehandelt, sodass sich der Beschwerdeführer geweigert hätte, diese zu senden. An seinem Geburtstag im Jahr 2015 sei er zum FSB vorgeladen worden, wobei es sich um ein informatives Kennenlernen gehandelt hätte. Im Jänner 2016 sei er von der Geschäftsführung des TV-Senders angewiesen worden, sich nicht in sozialen Netzwerken oder Interviews zu äußern. Seitdem sei der Beschwerdeführer regelmäßig zum FSB vorgeladen worden. In der zweiten Hälfte des Jahres 2016 sei ihm die Berechtigung zur Berichterstattung über Syrien entzogen worden, im Dezember 2016 habe er nicht mehr über die Ukraine berichten dürfen. Im Dezember 2015 sei er vom FSB vorgeladen und ersucht worden, Kontakt zu seinen alten Universitätskollegen aufzunehmen und Informationen über diese zu sammeln. Er sollte den informellen Austausch dieser Personen überwachen und die Informationen an den FSB weiterleiten. Der FSB habe auch Drohungen für den Fall, dass er sich dieser Kooperation widersetzen sollte, ausgesprochen. Der Beschwerdeführer habe diese Kooperation abgelehnt. Im Jahr 2017 sei er in der Arbeit überwacht worden, indem zwei Videokameras über seinem Arbeitsplatz installiert worden wären. Im März 2017 habe der FSB von ihm verlangt, dass er ein geplantes Verlassen der Russischen Föderation melden solle. Anfang Mai 2017 habe er einen politischen Analytiker seines Senders getroffen, welcher jahrelang für einen arabischen Sender als Korrespondent in Ägypten tätig gewesen wäre und gute Kontakte zum Kreml gehabt hätte. Dieser habe dem Beschwerdeführer seine Unterstützung versprochen. Später habe der Chefredakteur dem Beschwerdeführer Informationen zugespielt, denen zufolge er gekündigt und verhaftet werden sollte. Der Beschwerdeführer habe niemanden gewarnt und sei nach Zypern geflogen; bei seiner Ausreise sei er angehalten und zum Nachweis eines beabsichtigten Rückfluges angewiesen worden, was ihm zuvor noch nie passiert wäre. In Zypern habe er mit seiner Frau über seine Probleme gesprochen. Nach der Rückkehr an seine Arbeitsstelle habe er festgestellt, dass sein PC ausgetauscht worden sei. Daraufhin hätte der Beschwerdeführer über Wissenschaftsthemen berichtet, die Überwachung sei jedoch fortgesetzt worden. Mitte Juli 2017 habe ihn der stellvertretende Direktor zu sich gerufen, wobei sich noch zwei weitere, dem Beschwerdeführer unbekannte, Personen im Raum befunden hätten. Der stellvertretende Direktor hätte ihm ein Kündigungsschreiben vorgelegt, wobei der Beschwerdeführer hätte angeben sollen, dass er selbst zu kündigen beabsichtige. Der Beschwerdeführer habe den Ernst der Lage erkannt und nur das Ziel gehabt, das Gebäude in Freiheit zu verlassen. Ihm sei bewusst gewesen, dass die Situation bei Verweigerung seiner Unterschrift eskalieren würde. Daher habe er unterzeichnet. Der Beschwerdeführer habe das Gebäude verlassen und sei zwei Tage zuhause geblieben. Wenn er außer Haus gegangen sei, sei ihm aufgefallen, dass er stets von Personen beobachtet worden wäre. Eines Tages Ende Juli 2017 habe er gemerkt, dass ihm niemand folge, habe sich in einen Zug nach XXXX gesetzt und sei zu seiner Lebensgefährtin gefahren. Er habe dann für zehn Tage bei einer Nachbarin seiner Lebensgefährtin gewohnt und seine Lebensgefährtin habe in diesem Zeitraum die für seine Ausreise benötigten Tickets besorgt. Vor zwei oder drei Wochen seien die zweite Frau des Beschwerdeführers und deren Tochter auf Ferienbesuch in Moskau gewesen. Bei ihrer Einreise sei sie gefragt worden, ob sie Informationen über den Beschwerdeführer hätte.
Ein Universitätskollege des Beschwerdeführers, welcher ebenfalls als Regisseur arbeite, sei ebenfalls zum FSB zitiert worden; er sei dort bis zu einem Monat aufhältig gewesen, später sei er in seiner Wohnung mit schweren körperlichen Verletzungen gefunden worden, an welchen er in der Folge verstorben sei. Seine Lebensgefährtin werde seit der Ausreise des Beschwerdeführers immer wieder aufgesucht und nach dessen Person gefragt. Die Vorladungen zum FSB seien aufgrund der Einstellung und Berichterstattung des Beschwerdeführers zur Ukraine und zu Syrien erfolgt. Außerdem hätten sie von ihm verlangt, dass er seinen Facebook-Account stilllege; seit einem Jahr habe er keine Internet-Aktivitäten mehr, er lebe sehr vorsichtig. Zudem hätte er seine Kollegen ausspionieren sollen. Er sei insofern vom FSB bedroht worden, als ihm mitgeteilt worden wäre, dass er sehr lange bei ihnen bleiben würde, sollte er nicht kooperieren. Der Beschwerdeführer sei erstmals über seinen Arbeitgeber vom FSB kontaktiert worden, in weiterer Folge seien die Kontaktaufnahmen über Whatsapp erfolgt. Für den Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation befürchte er im besten Fall, verhaftet zu werden, im schlimmsten Fall wisse er nicht, was mit ihm passieren könnte. Aus seiner Erfahrung wisse er, dass alle Personen, die gegen die Regierung protestiert hätten, entweder das Land verlassen hätten oder verhaftet worden seien. Ihm sei aufgefallen, dass es in ihrem Unternehmen zwei Spitzel gegeben hätte. Beim FSB seien ihm von ihm intern im TV-Sender geäußerte Meinungen zum Krieg in der Ukraine und in Syrien vorgehalten worden. Zur Frage, was ihn persönlich für den FSB bzw. für die Russische Föderation so gefährlich mache, als dass man ihn verhaften müsste, gab der Beschwerdeführer an, das Gleiche hätte er sich auch gefragt. Er denke, dass es hierfür mehrere Gründe gebe. Vielleicht sei es die Angst, dass er eine kleine Widerstandsgruppe gründe, weil er viele Informationen hätte; vielleicht aber auch Angst um den Präsidenten und sämtliche weitere hochrangige Staatspolitiker, da er über alle Staatsbesuche zuvor gewusst hätte und auch bei vielen Militärübungen dabei gewesen sei.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.I), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für dessen freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Im Rahmen der Entscheidungsbegründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, dass er in der Russischen Föderation von einer asylrechtlich relevanten Verfolgung betroffen gewesen wäre oder eine solche im Fall einer Rückkehr zu befürchten hätte. Aufgrund seiner vagen und nicht nachvollziehbaren Ausführungen habe er den Sachverhalt, welcher zu seiner Ausreise geführt hätte, nicht glaubhaft machen können.
Beweiswürdigend wurde hierzu ausgeführt, der Beschwerdeführer habe seine Ausreise maßgeblich mit der Vermutung einer ihm drohenden Verhaftung begründet, sei jedoch im Rahmen des Verfahrens nicht dazu in der Lage gewesen, glaubhaft und nachvollziehbar darzulegen, inwiefern er tatsächlich von einer Verhaftung bedroht gewesen wäre. Soweit der Beschwerdeführer geschildert hätte, das Gefühl gehabt zu haben, beobachtet und überwacht zu werden, so könne hieraus kein asylrelevanter Sachverhalt erkannt werden, zumal ihm währenddessen nichts zugestoßen wäre und eine Bedrohung erheblicher Intensität daher nicht zu erkennen sei. Der Umstand, dass er eines Tages festgestellt hätte, nicht mehr überwacht zu werden, woraufhin er die Russische Föderation verlassen hätte, könne seitens der Behörde nicht nachvollzogen werden, zumal die Tatsache der nicht mehr aufrechten Überwachung eher darauf schließen ließe, dass die russischen Behörden das Interesse an seiner Person verloren hätten. Auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer bereits im Herbst bzw. Dezember 2016 hinsichtlich einer Kooperation mit dem FSB aufgefordert worden wäre, zuletzt im Mai 2017 zum FSB vorgeladen worden sei, jedoch bis zur Ausreise nicht konkret bedroht worden wäre, ließe das Bundesamt darauf schließen, dass der Genannte in der Russischen Föderation keine Verfolgung zu befürchten hätte; diesem sei es im Februar bzw. Mai 2017 möglich gewesen, die Russische Föderation ohne Einschränkungen zu verlassen. Im Falle eines konkreten Interesses an einer Inhaftierung seiner Person wäre ihm wohl die Ausreise verwehrt respektive der Reisepass abgenommen worden. Dessen Verweigerung einer Kooperation mit dem FSB hätte keine konkreten Handlungen nach sich gezogen. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer über sensible Informationen verfügt und sich kritisch über die Vorgehensweise der Russischen Föderation in Syrien und der Ukraine geäußert hätte, könnte diesen zwar in einen gewissen Fokus der russischen Behörden gerückt haben; jedoch lasse sich hieraus keine asylrelevante Verfolgung ableiten, zumal er bis zur Ausreise keinen konkreten Drohungen oder Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei.
Es habe überdies nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt wäre. Der gesunde Beschwerdeführer werde angesichts seines Bildungsstandes und seiner Berufserfahrung in der Lage sein, im Herkunftsstaat neuerlich Fuß zu fassen, zudem habe er nach wie vor Angehörige im Herkunftsstaat, welche ihm anfänglich unterstützend zur Seite stehen könnten.
Der Beschwerdeführer habe keine im Bundesgebiet bestehenden engen Bindungen aufgezeigt, bestreite seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung und sei durch die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz lediglich vorübergehend zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen. Da auch keine Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 vorliegen würden, erweise sich der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung angesichts der überwiegenden öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen als gerechtfertigt.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 04.05.2018 durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation die verfahrensgegenständliche Beschwerde im vollen Umfang. Begründend wurde ausgeführt, die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt, zumal sie das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht in Bezug zu objektivem Länderberichtsmaterial gesetzt hätte. Verwiesen wurde auf relevante Auszüge aus den im angefochtenen Bescheid enthaltenen Länderfeststellungen sowie ergänzend angeführten Berichten zur Meinungsäußerungsfreiheit und zur Lage von Journalisten in der Russischen Föderation. Hätte die Behörde diese Berichte herangezogen, wäre sie zur Feststellung gelangt, dass das Leben des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation in Gefahr gewesen sei und dessen Vorbringen bezüglich Verfolgung, Verhaftung und Ermordung aus politischen Gründen in den Länderfeststellungen Deckung finde. Die Feststellung eines vagen und nicht nachvollziehbaren Vorbringens stehe im Widerspruch zur detaillierten und nachvollziehbaren Darlegung der Fluchtgründe in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 07.03.2018. Die Feststellung eines unglaubwürdigen Vorbringens basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung sowie einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung. Die Behörde habe eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens verabsäumt. Die Begründung für die Abweisung des Antrages erweise sich als zynisch; dem Beschwerdeführer sei genug zugestoßen, dieser sei mehrfach vom FSB vorgeladen worden, er sei zur Kündigung gezwungen und beobachtet worden. Hätte er nicht die Gelegenheit zur Flucht ergriffen, wäre er im schlimmsten Fall in den nächsten Tagen von seinem Balkon im fünften Stock „gefallen.“ Der Beschwerdeführer habe nicht vorgebracht, dass die russischen Behörden die Beobachtung seiner Person eingestellt hätten, er habe zum besagten Zeitpunkt lediglich keine verdächtigten Personen erkennen können und daher die Flucht riskiert. Zudem habe dieser vorgebracht, dass die russischen Behörden auch nach seiner Ausreise noch Interesse an seiner Person gezeigt hätten, worauf die Behörde jedoch nicht eingegangen sei. Entgegen der Behauptung der Behörde sei der Beschwerdeführer im Vorfeld der Ausreise – wie aus zitierten Auszügen seiner Einvernahme hervorginge – sehr wohl konkret bedroht worden. Die Situation habe sich für den Beschwerdeführer im Juni/Juli 2017 zugespitzt, sodass seine früheren Reisebewegungen nicht als Argument für eine fehlende Verfolgung herangezogen werden könnten. Aufgrund des detaillierten Vorbringens des Beschwerdeführers sei davon auszugehen, dass die konkrete Gefährdung seiner Person darin liege, dass er in der Vergangenheit bei den Behörden und dem Inlandsgeheimdienst seines Herkunftsstaates ins Blickfeld geraten sei, sich durch seine Nichtkooperation zum Staatsfeind gemacht hätte und ihm sohin auch pro futuro eine konkret regierungsfeindliche politische Gesinnung seitens der Behörden seines Herkunftsstaates unterstellt werden würde. Die Flucht des Beschwerdeführers habe keinesfalls zu einer Verbesserung seiner Lebenssituation geführt, sodass sich die Argumentation der Behörde, wonach dieser aus dem Wunsch nach Emigration ausgereist wäre, als nicht tragfähig erweise. Es hätten sich im vorliegenden Fall ausreichend Anhaltspunkte für eine dem Beschwerdeführer im Heimatland drohende asylrelevante Verfolgung ergeben. Diese Verfolgung ginge von den russischen Behörden aus und drohe dem Beschwerdeführer aufgrund seiner kritischen Berichterstattung und der Verweigerung einer Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation eine Verhaftung wegen einer ihm unterstellten Straftat oder eine extralegale Tötung drohe. Die hinreichende Intensität solcher Verfolgungshandlungen bedürfe aufgrund der zahlreichen Berichte zu Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle in der Russischen Föderation keiner weiteren Begründung. Dem Umstand Rechnung tragend, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation aus politischen Gründen und wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der kritischen Journalisten verfolgt werde, ließe auf diesen die Definition eines Flüchtlings im Sinne der GFK zutreffen, sodass diesem internationaler Schutz gemäß § 3 AsylG 2005 zu gewähren gewesen wäre.
4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte mitsamt des bezughabenden Verwaltungsaktes am 08.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
5. Der Beschwerdeführer legte zahlreiche Empfehlungsschreiben sowie eine Einstellungszusage vom 22.05.2021, eine Deutschkursbestätigung B2/1 vom 20.05.2021, eine Bestätigung über die Vereinsmitgliedschaft zum Verein Grenzenlos St. Andrä-Wördern vom 03.05.2021 inkl. Bildern von diversen Vereinsaktivitäten, ein Deutschkurszeugnis B1/2-B2/2 vom 22.01.2020, ein Deutschkurszeugnis A2/2 vom 21.09.2018, ein ÖSD Zertifikat A vom 18.06.2018, eine Teilnahmebestätigung der Sportunion und eine Teilnahmebestätigung Basisbildung vom roten Kreuz vor.
6. Am 06.06.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts in Anwesenheit eines Dolmetschers für die russische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei eine mündliche Verhandlung durch. Das Bundesamt war ordnungsgemäß geladen worden, hatte jedoch bereits im Vorfeld schriftlich mitgeteilt, auf eine Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung zu verzichten.
7. Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung gestalteten sich wie folgt:
„R: Waren Ihre bisherigen Angaben vollständig und richtig? Wurden Sie bisher im Verfahren korrekt behandelt?
BF: Ich habe immer die Wahrheit gesagt. Aber es gibt natürlich viele Details, die ich dazu erzählen könnte, es ist sozusagen nur ein Teil der Wahrheit. Aber die wichtigsten Ereignisse habe ich geschildert. Es gab zwei Nuancen, die der Dolmetscher nicht hundertprozentig richtig übersetzt hat. Das erste Mal ging es um die Polizei. Ich glaube, dass die damalige Dolmetscherin aus Polen stammte. Sie hat nur zu 25 % Russisch gesprochen. Diese Dolmetscherin hier, spricht zu 100 % Russisch. Bei der Einvernahme gab es eine Dolmetscherin, von der ich glaube, dass sie aus Georgien kommt. Ich musste ihr immer wieder vom russischen in russische übersetzten, sprich ich musste Synonyme suchen, damit sie wissen was ich meine. Im Detail dazu möchte ich ausführen.
? Dort steht, dass ich 2016 daran gedacht habe Russland zu verlassen das ist falsch. Richtig ist, ich meine, dass man mich nachher dazu gezwungen hat die Arbeitsstelle zu verlassen (nach 2016). Das war als ich gemerkt habe, dass ich beschattet werde.
? Dort steht geschrieben, dass ich die Arbeit am 06. Juli 2017 verlassen musste. Richtigerweise war dies am 13. Juli 2017. (Einvernahmeprotokoll Seite 4). Die diesbezüglichen Dokumente habe ich bei der Einvernahme vorgelegt.
? Es gibt einen Menschen, der am Anfang und am Ende eine Rolle gespielt hat und die Information, die aufgeschrieben wurde, wurde durcheinandergebracht. Die wahre Information ist das er von 2006 bis 2007 als Chefredakteur gearbeitet hat, in dem Fernsehkanal XXXX . Sein Name ist XXXX . Zuerst hat er viele Jahre als Korrespondent gearbeitet. Er spricht Arabisch und Ägyptischen Dialekt. Er ist ein Dolmetscher, er ist ein Vortragender an der Uni von 2007 bis heute arbeitet er als Experte und Analytiker, aber nicht für XXXX , sondern für viele internationale Sender. (Einvernahmeprotokoll Seite 6). Wir wurden nämlich Freunde, schon im ersten Jahr. Er hatte immer wieder technische Probleme, bei denen ich ihm geholfen habe.
? Hier steht geschrieben, dass meine Lebensgefährtin ein Zugticket oder Busticket gekauft hat, aber es ist nicht ganz klar wohin die Reise mit dem Zug ging. Das Zugticket war von Moskau nach Brest und das Busticket von Brest nach Krakau. Diese Tickets habe ich auch bei der Einvernahme vorgelegt. Ich habe diese Fahrscheine auch mit.
? Es steht dort geschrieben, dass mein Freund mit einer Wunde am Kopf gefunden wurde das ist falsch. Er hat sich nur beklagt, dass er Kopfschmerzen hat und dass er schwach ist. (Einvernahmeprotokoll Seite 8).
? Dort steht, dass ich meinen Freunden ab Herbst 2016 nachspionieren solle, tatsächlich war es im Dezember. (Einvernahmeprotokoll Seite 9).
Nachgefragt gebe ich an, das waren Übersetzungsprobleme. Es hat sehr lange gedauert und es gab immer wieder Probleme im Verständnis zwischen der Dolmetscherin und mir. Bei der Durchsicht des Protokolls nach der Einvernahme ist mir das aufgefallen. Bei der Rückübersetzung habe ich das nicht moniert, weil ich der Dolmetscherin nicht mehr folgen konnte.
R: Bitte schildern Sie mir ihren Lebenslauf bis zu jenem Zeitpunkt an den ihre Probleme begonnen haben?
BF: Ich heiße XXXX , ich komme aus Russland. Ich stamme aus Ägypten aus Kairo. Ich habe dort eine Ausbildung an der Hochschule für Theaterwissenschaften gemacht und auch eine Kunstakademie. Die Hochschule war an der Kunstakademie. Es war eine Ausbildung. Das war die Kunstakademie und keine Schule. Ich habe dort studiert. 1989 wurde ich in die Sowjetunion eingeladen und bekam dort ein Stipendium für die staatliche Universität für Filmwissenschaft und zwar in der Abteilung für die Regisseur Ausbildung. Ich habe dann weiter in Moskau gearbeitet und gelebt bis zum Jahr 2017. Ich bin russischer Staatsbürger und habe keine ägyptische Staatsbürgerschaft mehr. 2006 habe ich begonnen für XXXX zu arbeiten. Vorher habe ich auch für andere Sender gearbeitet. Bei XXXX habe ich als Regisseur für die Sendungen gearbeitet. Ich hatte dort eine Stelle, die nicht nur mit technischen Fragen verantwortlich war, sondern ich war auch dafür verantwortlich was gesendet wird. Unser Sender war vollständig ein Nachrichtensender. Ich war für alles zuständig, was sozusagen gezeigt worden ist. Ich war in der Arabischen Abteilung, weil ich gleichzeitig Arabisch und Russisch gesprochen habe. Diesen Posten durfte nur ein russischer Staatsbürger nehmen und weil ich die Russische Staatsbürgerschaft habe, durfte ich dort arbeiten. Es wurde schichtweise gearbeitet und für jede Schicht gab es einen Chef. Es gab einen Oberboss und einen Leiter der jeweiligen Schicht. Ich war ein Schichtleiter. Es gab Anfangs drei Schichtleiter, am Ende zwei Schichtleiter. Ich war verantwortlich für technische Fragen, aber auch für inhaltliche Fragen bzw. was gezeigt wird oder was gesprochen wird. Von 2006 bis 2011 war alles in Ordnung, dann begann die arabische Revolution.
R: Bitte schildern Sie Ihre persönlichen Lebensumstände?
BF: Ich war verheiratet. Das erste Mal habe ich geheiratet, als ich noch Student in der Sowjetunion war und das zweite Mal habe ich in Moskau geheiratet. Die erste Ehe, die in Kiew geschlossen wurde dauert von 1991 bis 2000, offiziell. Vorher haben wir aber auch miteinander gelebt. Die zweite Ehe von 2001 bis jetzt (von dieser Frau bin ich aber seit 2008 getrennt) und die dritte Beziehung von 2008 bis jetzt. Mit der zweiten Ehefrau lebe ich nicht gemeinsam. Die erste Frau ist in der Ukraine und die zweite Frau in Zypern und die dritte Frau in Russland in der Nähe von Moskau. Ich habe eine freundschaftliche Beziehung zu den Frauen.
R: Haben Sie Verwandte in Österreich?
BF: Ein Bruder lebt hier. Er ist verheiratet und hat keine Kinder. Er ist 1988 oder 1989 nach Österreich gekommen, er wollte hier studieren und ist hiergeblieben. Er arbeitet derzeit als Taxifahrer.
R: Bitte schildern Sie mir ausführlich und chronologisch richtig aus welchen Gründen Sie ihre Heimat verlassen haben?
BF: 2011 als die Revolution in den arabischen Staaten begonnen hat, gab es eine Zensur. Das spürten wir in der Arbeit. 2011 und 2012 konnten ich und meine Kollegen noch halbwegs arbeiten. Dies war nur dank dem damaligen Chefredakteur möglich. Aber 2013 wurde er von den damaligen Posten entfernt, er hatte somit keinen Einfluss mehr auf die Nachrichten. Die damalige Chefredakteurin XXXX . Sie wurde von diesem Posten entfernt, dies war Anfang des Jahres 2013. Stattdessen wurde eine andere Chefredakteurin bestimmt. Sie hieß XXXX . Sie arbeitet auch noch heute bei XXXX . Seit Anfang 2013 gab es dann eine verstärkte Kontrolle. Auf einer Arbeitsversammlung hat sie uns ersucht das Thema der Ukraine zu den Nachrichten hinzuzufügen. Es wurde in mehreren Sprachen gesendet. Ich war in der Arabisch-Sprachigen-Abteilung, aber wir beschäftigten uns auch mit internationalen Themen. Zuerst waren sozusagen Hauptthemen von Syrien, Ägypten und Jemen, was damals dort passiert ist. Die ganze Welt hat die Nachrichten übertragen, weil es damals auch die aktuellen waren. Dann hat uns XXXX plötzlich im Zuge einer Arbeitsversammlung aufgetragen die Ukraine dazu zunehmen in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, obwohl der Höhepunkt der Ereignisse in der Ukraine erst später war. Damals hat Russland der Ukraine nahegelegt einer Zollunion beizutreten. Es hat in der Arbeit immer mehr Kontrolle gegeben und es wurde praktisch eine Zensur eingeführt. Die Themen Syrien und Ukraine waren speziell im Fokus, besonders nach der Anwendung von chemischen Waffen in Syrien das war im Frühling und im Sommer. Die Ukraine hat damals alle Vorschläge von Russland betreffend eine Zollunion abgelehnt. Es kam dann Ende des Jahres zu Massenprotesten auf der Straße in der Ukraine. Das war Ende des Jahres 2013. Das hat verstärkt 2014 begonnen. Es hat immer mehr falsche Informationen gegeben. Ich und auch alle meine Kollegen waren dagegen. Es hat zwei oder drei Leiter der englischsprachigen Ausgabe unseres Kanals für Amerika. Diese haben bei der laufenden Sendung gesagt, dass es eine Lüge ist und die haben dann die Arbeit quittiert. Sie haben gesagt, dass sie dort nicht mehr arbeiten werden.
R: Was ist mit Ihnen passiert?
BF: Zu dem Zeitpunkt stieg der Druck, besonders als Putin unseren Sender besucht hat im XXXX besucht hat. Da wurde gesagt, dass diejenigen, die russische Position nicht unterstützen, von der Arbeit verschwinden sollen. Manche gingen freiwillig, ich blieb aber dort. Als die Kriegshandlungen in der Ostukraine immer stärker wurden hat man uns direkt diktiert, was gezeigt werden soll. Deswegen hat es für uns keine Möglichkeit mehr gegeben irgendetwas objektives während der Nachrichten zu zeigen. Es kam auch vor, dass unsere Kollegen eine Information hatten, aber die ausgestrahlte Information völlig konträr war. Wenn meine Kollegen aus Geschäftsreisen vom Osten der Ukraine haben sie uns die Wahrheit erzählt, aber nur informell. Und ich hatte ja noch gemeinsame Bekannte mit meiner ersten Ehefrau in der Ukraine. Und diese Information übertrug ich über unseren Internetinformationskanal. Diese wurden dann entfernt am Abend oder am nächsten Tag. Nachgefragt gebe ich an, dass es für mich üblich war, dass man unerwünschte Nachrichten verschwinden ließ. Ich persönlich hatte seit meinen Studententagen den Zugang, dass wir Informationen sammeln und weitergeben sollten. Das hat ca. ein Jahr gedauert bis zum Jahr 2015. 2015 habe ich etwas neues gesehen. Das war so eine zweifelhafte Videoaufnahme. Es handelt sich um eine offensichtlich verfälschte Aufnahme und ich habe mich geweigert irgendetwas mit diesem Video zu tun zu haben. Ich wollte die Ausstrahlung dieser Videoaufnahme verhindern. Im September 2015 gab es eine Fakeaufnahme. Man hat Geräusche gehört, die eindeutig darauf hingewiesen haben, dass dies inszeniert worden ist. Es handelt sich um eine Aufnahme einer vermeintlichen Attacke gegen unseren Korrespondenten. Ich habe gesagt, dass dieses Video nicht ausgestrahlt wird. An dem Tag bei der Arbeitsversammlung sagte ich, dass solange ich dort arbeitete dieses Video nicht ausgestrahlt wird. Ich habe dann versucht dieses Video zu kopieren, es gelang mir aber nicht. Die XXXX des Fernsehstudios hieß XXXX , sie hatte zwei Stellvertreter, einer von ihnen namens XXXX ist zu mir am 17.11.2015 gekommen und hat mir einen Zettel mit einer Telefonnummer gegeben. Er sagte mir, dass ich diese Telefonnummer dringend anrufen soll, es handelte sich um eine FSB-Nummer. Man hat mich aufgefordert dorthin zu kommen um 6 Uhr am Abend war ich beim Gebäude der FSB, der Lubianka. Ich habe auch nicht ganz verstanden wohin ich jetzt gehen soll, dort gab es die Bewachung ich fragte wohin ich soll und man verwies mich auf einen Seiteneingang. Ich ging dorthin, man hat mich aufgefordert den Pass abzugeben bei der Security und ich habe dort 20 bis 30 Minuten gewartet. Dann kam ein Mann und er hat mich dann begleitet zu dem Arbeitszimmer. Dort habe ich ca. eine halbe Stunde gewartet. Dann kamen eine Frau und ein Mann in Uniform. Sie haben mich aufgefordert über mich zu erzählen von dem Zeitpunkt als ich begonnen hatte in Russland zu leben bis zum damaligen Zeitpunkt. Man hat mir viele allgemeine Fragen gestellt und dann hat man mich aufgefordert meine Biographie aufzuschreiben und dann gingen sie weg. Ich habe dann das aufgeschrieben und als ich fertig war nach 10 oder 15 Minuten sind sie wiedergekommen. Sie haben dann Sachen über den Patriotismus erzählt und dann haben sie gesagt, dass ich gehen kann. Es war schon nach 11 Uhr oder so. an dem Tag hatte ich eigentlich Geburtstag, aber wir feierten nicht. Nach ein paar Tagen in der Arbeit habe ich gemerkt, dass sich alle sehr vorsichtig gegenüber mir verhalten. Im Jänner 2016 wurde ich dann von jemanden angerufen, man hat sich als FSB vorgestellt. Man hat mich ersucht dorthin zu kommen, aber nicht zum selben Gebäude, sondern zu einem 500 Meter entfernten. Die Straße hieß XXXX . Ich habe das gleich gefunden und bin dorthin gekommen. Ich habe meinen Pass abgegeben und ich habe gewartet, später ist ein Mann zu mir gekommen, ca. 30 Jahre in ziviler Bekleidung. Er hat mich ersucht mit ihm in das Arbeitszimmer zu kommen. Er hat sich als XXXX vorgestellt. Er hatte auf dem Tisch, die Zettel die ich voriges Mal geschrieben habe und er hat mit mir über mein Leben über diese Zettel gesprochen. Dann hat er mir gesagt, dass ich alle meine persönlichen Veröffentlichungen im Internet löschen soll. Die Information, die ich bekommen habe wurden wieder gelöscht und er hat mich ersucht die Informationen in meinen persönlichen Accounts zu löschen. Als wir uns verabschiedet haben, hat er immer gesagt bis bald, auf Wiedersehen und bleiben wir in Kontakt. Als ich in die Arbeit kam, ich weiß nicht ob am nächsten Tag oder Tage später wurde ich aufgefordert zu XXXX zu kommen, dort war auch der XXXX . Man sagte mir dort, dass ich meine Meinung nicht nach außen tragen kann, weder in der Sendung noch in meinen persönlichen Accounts, auch nicht per Interviews oder irgendwelchen Versammlungen. Sie haben mir einen Zettel zum Unterschreiben gegeben und auf diesem Zettel stand ich verpflichte mich keine beruflichen Informationen nach außen zu tragen.
Die Verhandlung wird von 13:07 Uhr bis 13:20 Uhr unterbrochen.
BF: Dann hat es weiterhin Einschränkungen und Druck in der Arbeit gegeben. Man hat mich vom FSB aufgefordert alle ein bis zwei Monate dorthin zu kommen. Bei dem zweiten treffen hat mir XXXX eine Telefonnummer gegeben und mir gesagt, dass er mit mir über diese über WhatsApp in Verbindung stehen wird. Er wird mich entweder anrufen oder mir schreiben. Er sagte mir, dass bevor ich auf Urlaub fahre oder eine Dienstreise antrete ich den ganzen Chat löschen soll. Es hat einen Chat von unseren Nachrichten gegeben und denn soll ich löschen. In diesem Chat ging es um terminliche Absprachen zwischen uns sowie um kurze Nachrichten, ob ich Aufträge erledigt hätte (ob ich Informationen über Freunde gesammelt hätte). Im Jahre 2016 wurde ich der Möglichkeit beraubt mit den syrischen Unterlagen zu arbeiten, später im Dezember 2016 hat man mir auch das Thema der Ukraine weggenommen. Man hat mir die Möglichkeit nicht nur durch eine mündliche Order weggenommen. Durch eine Änderung im Computersystem konnte ich Informationen zwar sehen, aber sie nicht bearbeiten. Damals im Dezember 2016 kam es zum Höhepunkt der Aggressivität seitens des FSB. Man hat mich aufgefordert Kontakt zu meinen ehemaligen Kollegen wiederaufzunehmen und das habe ich abgelehnt. Die Menschen dort haben dann Schimpfwörter mir gegenüber verwendet. Man hat mir gesagt, dass ich das machen müsse, andernfalls ich länger bei ihnen bleiben werde. 2017 in der Arbeit, an der Decke waren mehrere Kameras aber damals habe ich noch zusätzlich zwei Kameras an der Decke gesehen und dann habe ich gesehen, dass wenn ich z.B. rauche jemand vom Sicherheitsdienst dorthin kommt. Die Leute waren aber keine Raucher, sie sind nur dorthin gekommen, wenn ich dort stand. Nachgefragt, ob ich mir überlegt hätte eine andere Arbeit zu suchen, gebe ich an, dass das System in Russland überall gleich ist. Eine gänzlich andere Arbeit außerhalb der Medienbranche kam für mich nicht in Frage, da ich immer in diesem Bereich tätig war. Dann habe ich gemerkt, dass ich nicht nur in der Arbeit beschattet werde, sondern auch draußen auf der Straße. Im März 2017 gab es bei FSB noch einen anderen Mann, denn habe ich noch nicht gesehen. Das war ein Mann, der sich sehr grob verhalten hat, der sagte mir, bevor du auf Urlaub fährst oder eine Dienstreise Antritts musst du diesen Chat löschen und er fragte mich auch, warum ich das nicht geschrieben habe, was mir gesagt wurde. Ich habe mich bemüht 2017 überhaupt keine Freunde zu treffen. Der Druck und die Beschattungen wurden immer intensiver. Im Mai habe ich den ehemaligen Chefredakteur getroffen. Ich habe ihm erklärt, dass es Schwierigkeiten in der Arbeit gibt und dass es Schwierigkeiten gibt in die Arbeit zu kommen. Er hieß XXXX . Er war damals ein Analytiker, der von verschiedenen Sendern eingeladen worden ist. Er sagte mir, dass er an meiner Stelle von dort weggefahren wäre. Ich würde gekündigt werden und dann könnte man mich auch noch verhaften. Zu dem Zeitpunkt hatte ich einen geplanten Urlaub. Ich bin mit meiner zweiten Frau auf Urlaub nach Zypern gefahren, zu ihr meine ich. Ich habe ihr dort erklärt, dass ich Probleme habe. Ich sagte ihr, wenn ich sie eine längere Zeit nicht kontaktieren sollte, dann gibt es zwei Möglichkeiten, entweder ich wurde verhaftet oder ich habe Russland verlassen. Ich sagte ihr, dass ich ihr meine neue Telefonnummer mitteilen werde. Als ich Moskau Richtung Zypern verlassen hat man sich meinen Pass angeschaut und hat man mich gefragt, ob ich ein Retourticket habe. Ich habe das Ticket gezeigt und ich wurde durchgelassen. Als ich von Zypern zurückgekehrt bin und wieder in der Arbeit war, habe ich festgestellt, dass ich offensichtlich einen anderen Computer hatte. Ich wurde offensichtlich beschattet. Ich habe dann gesehen, dass die Leute gar nicht verheimlichen das sie mich beschatten. Ich habe mich damals mit einem wissenschaftlichen Thema über NASA beschäftigt. Ende Mai wurde ich aufgefordert zum FSB zu kommen. An dem Tag war nur XXXX dort, das ist eine lange Zeit nicht so gewesen, immer, wenn er dort alleine war, bedeutet, dass das nächste Treffen für mich sehr schwierig wird. Ich wollte der FSB nicht mitteilen, dass ich auf Urlaub fliege. Er hat nichts dazu gesagt und ich auch nicht. Er hat nur ständig gesagt hast du schon etwas geschrieben und ich habe nur gesagt, dass ich mich mit einem wissenschaftlichen Thema beschäftige und dann hat er gesagt bis bald, wir bleiben in Kontakt. Ich habe dann weiterhin das Gefühl gehabt, dass man mich beschattet. Meine Kollegen und Freunde hatten bereits Angst mich zu begrüßen. Am 13. Juli hat mich XXXX angerufen und er sagte mir, dass ich zu dem ersten Stellvertreter von XXXX gehen soll. XXXX ist sein Name. Als ich in das Dienstzimmer kam. Der BF zeigt wie groß das Besprechungszimmer war. Ich bin dorthin gekommen, er hat mir einen Zettel gegeben und wollte, dass ich unterschreibe. Dort stand geschrieben, dass ich die Arbeitsstelle aus eigenem Wunsch verlassen werde. Ich habe mich gewundert, warum XXXX mich in der Anwesenheit von fremden Personen anbietet. Er war ein Mensch, der sehr taktvoll gearbeitet hat und plötzlich kam es zu der Situation, dass er mir diesen Zettel in Anwesenheit von anderen Personen gegeben hat. Ich habe das Gefühl gehabt, dass die Leute wissen, was auf diesem Zettel stand. Ich unterschrieb diesen Zettel, weil ich Angst hatte und ging. Sie haben mich im Anschluss daran auch noch beschattet. Zwei Tage war ich dann nur zu Hause, ich bin nirgends hingegangen. Ich habe dann immer durch die Jalousie rausgeschaut und durch die Gegensprechanlage geschaut. Ich sah wer vor der Tür ist und wer sich im Stiegenhaus befindet. Ich habe Leute gesehen, die nicht in dem Haus wohnten, es waren Hausfremde Personen.
R: Wurden Sie nach Ihrer Kündigung noch einmal von staatlicher Seite belangt?
BF: Außer das man mich beschattet hat, wurde ich nicht aufgefordert irgendwo hinzukommen. Nach zwei Tagen bin ich dann rausgegangen und ich habe immer wieder Leute gemerkt, wenn nicht gleich an der Stelle dann 30 Meter weiter. Ich habe die Leute auch über die Kamera gesehen bzw. über die Jalousien. Eines Tages, da war es schon spät, habe ich immer wieder über die Jalousien und die Kameras geschaut. Ich habe niemanden gesehen war sehr nervös, ich habe meine Dokumente genommen und hatte aber Angst irgendwo hinzugehen und dann habe ich wieder geschaut über die Jalousien und über die Kameras. Es war sehr früh, ich bin dann über mehrere Höfe gegangen und dann habe ich ein Privattaxi angehalten. Der Fahrer des Privattaxi war entweder aus Kirgistan oder Usbekistan. Ich bin mit ihm bis zu XXXX das ist ca. 500 Meter vom Bahnhof entfernt und ich bin dann zum Bahnhof zu Fuß gegangen. Ich bin dann mit der Schnellbahn nach XXXX gefahren. Ich bin zu der Nachbarin in den dritten Stock gegangen und habe sie gebeten, dass sie meine Lebensgefährtin zu mir ruft. Ich habe mich dort versteckt, bis mir meine Freundin elektronisch zwei Tickets gekauft hat. Moskau Brest und Brest Krakau. Ich bin sehr zeitig in der Früh am 14.08 nach Moskau gekommen und bin am Abend in den Zug eingestiegen. Am 15.08 bin ich nach Brest gekommen. Um 10 Uhr oder 10:30 Uhr war ich am 15.08 in Brest. Der Bus war spät in der Nacht.
R: Hatten Sie Probleme bei der Ausreise aus der Russischen Föderation?
BF: Keinesfalls. Wir wurden an der Russisch Weißrussischen Grenze nicht kontrolliert. Die Kontrollen hat es erst ab 2020 gegeben.
R: Was hätten Sie befürchtet wären Sie in der Russische Föderation geblieben?
BF: Der FSB hat sich mir gegenüber seit 2016 immer aggressiver verhalten. Als man mich Ende des Jahres aufgefordert hat meinen Kollegen und Freunden nachzuspionieren haben sie mich weiterhin aufgefordert dorthin zu kommen. Das vorletzte Mal im März haben sie sich sehr aggressiv mir gegenüber verhalten. Ich habe auch noch die Aussage von dem ehemaligen Chefredakteur im Kopf, was mit mir passieren wird. Ich wusste nicht genau, was man von mir will, aber ich wusste, dass man etwas von mir will. Ich konnte diesen Prozess überhaupt nicht verstehen, ich wusste nicht, was weiterfolgen wird. wenn ich dortgeblieben wäre, hätte ich Angst, dass man mich umbringt. Seit Dezember 2016 hatte ich immer diese Angst.
R: Im Akt befinden sich drei Schriftstücke in Kyrillischer Schrift.
Die Dolmetscherin wird gebeten den Inhalt wiederzugeben.
D: Es handelt sich bei zwei Schriftstücken um Einkommensbestätigungen aus den Jahren 2016 und 2017. Bei dem dritten Schreiben handelt es sich um eine Bestätigung vom 06.07.2017 seitens XXXX , dass der BF tatsächlich in der autonomen nicht kommerziellen Organisation TV-Nachrichten vom 28.08.2006 bis heute als Regisseur Nachrichten in der arabischen Sprache gearbeitet hat und 149494 Rubel monatlich verdient hat. (D gibt an, dass es sich nur um eine allgemeine Inhaltsangabe handelt).
BF: Außer den vorgelegten Unterlagen habe ich keine Unterlagen, die mein Vorbringen untermauern können.
BFV legt einige Fotos vor. Die Fotos sollen den BF im Studio von XXXX zeigen.
R: Sind Sie vorbestraft?
BF: Nein absolut nicht.
R: Unter welchen Umständen leben ihre Lebensgefährtin und ihre Tochter in Russland?
BF: Sie ist Musikpädagogin und das Kind besucht die Schule, die fünfte Klasse.
R: Wird Sie in irgendeiner Weise verfolgt?
BF: Es sind Leute zu ihnen gekommen, die nach mir gefragt haben das war das letzte Mal im April und im Jänner 2021. Sie haben gefragt, ob ich zu Hause wäre. Meine Ehefrau lebt offiziell in Zypern, sie hat Kontakt zu den Nachbarn in Moskau und die haben gesagt, dass sie nach mir gesucht haben.
R: Leiden Sie unter schweren oder chronischen Krankheiten?
BF: Nein, außer Angst.
R: Können Sie mir in kurzen Worten sagen, welche Integrationsschritte Sie schon gesagt haben?
BF (auf Deutsch): Am Anfang habe ich drei Monate in Traiskirchen gelebt, danach bin ich gefahren nach Greifenstein, dann wurde ich nach Sankt Andrä Wördern geschickt. Ich habe in Tulln A1 und A2 Deutschkurs gemacht. Ich habe noch weitere Kurse gemacht. Ich habe als Volontär bei XXXX gearbeitet und im XXXX habe ich auch gefilmt. Seit Anfang 2018 bin ich auch in Kontakt mit dem Verein XXXX .
BFV legt Integrationsunterlagen vor, diese werden ebenso wie die oben zitierten Fotos zum Akt genommen.
Vorgelegt wird die Länderinformation der Staatendokumentation betreffend die Russische Föderation, generiert am 08.06.2021, Version 2. Möchten Sie dazu Stellung nehmen?
BFV verzichtet auf eine Stellungnahme.
R: Möchten Sie noch etwas vorbringen?
BF: Ich möchte betonen, dass ich nur die Wahrheit gesagt habe, falls ich noch irgendwelche Details nicht mehr in Erinnerung habe, dann bitte ich um Entschuldigung. Ich möchte auch noch hinzufügen, dass wenn ich in Russland geblieben wäre, man mich hätte nirgends arbeiten lassen. Ich weiß zwar nicht genau, was sie nach meinen Ausscheiden von mir wollen hätten, aber ich weiß, dass sie etwas wollten. Ich hatte große Angst.
BFV: Warum hat sich Ihre Angst so gesteigert, sodass Sie beschlossen haben aus Russland zu flüchten nachdem Sie gekündigt worden waren im Juli 2017?
BF: Weil man das realisiert hat, was ich zu hören bekommen habe, also Kündigung und dann die weitere Vorgehensweise. Als ich gearbeitet habe, habe ich eine Stütze gehabt, aber dann war ich ein niemand, man hätte mich einfach von der Straße nehmen können und niemand hätte nach mir gefragt. Mein Pass ist vor ein paar Wochen abgelaufen und ich hätte somit den Kontakt zu den russischen Behörden auf die Dauer nicht vermeiden können. Ergänzend möchte ich anfügen, dass mein Schengen Visum aufgrund meiner journalistischen Tätigkeit ausgestellt wurde.
BFV: Warum sind Sie davon überzeugt, dass der FSB noch immer an Ihnen interessiert ist?
BF: Da die Leute vom FSB nach wie vor nach mir fragen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er trägt den im Spruch genannten Namen und ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Er wurde in Ägypten geboren und ist kosmopolitischer Weltanschauung. Er ist arbeitsfähig und gesund. Er war zweimal verheiratet und hat eine Lebensgefährtin, er hat mit jeder Partnerin eine gemeinsame Tochter.
Der Beschwerdeführer stellte am 12.09.2107 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer hat in der Sowjetunion die staatliche Universität für Filmwissenschaft besucht und eine Ausbildung in der Abteilung für Regisseur absolviert. Bis 2017 hat er in Moskau gelebt und gearbeitet. 2006 hat der Beschwerdeführer begonnen für den Sender XXXX als Regisseur zu arbeiten. Im Zuge seiner Tätigkeit hat sich der Beschwerdeführer geweigert, Videos zu veröffentlichen, welche Falschinformation verbreiten sollten. Er hat auch kurze Filme über den Krieg in der Ukraine und in Syrien gedreht, diese wurden über Facebook veröffentlicht. Im Jänner 2016 hat der Beschwerdeführer eine Anweisung von der Geschäftsführung des Senders XXXX bekommen, sich nicht mehr in den sozialen Netzwerken oder Interviews zu äußern und keinerlei Informationen nach außen zu tragen. Später dieses Jahres wurde ihm die Berechtigung zu Berichten über Syrien entzogen, ab Dezember 2016 durfte er auch nicht mehr über die Ukraine berichten. Die FSB hat ihn aufgetragen, Kontakt zu alten Universitätskollegen aufzunehmen und diese zu überwachen sowie informelle Diskussionen zu belauschen und Informationen an die FSB weiterzugeben, die FSB hat dem Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang gedroht, ihn hierzubehalten, sollte er nicht kooperieren. Seit 2017 wurde er in der Arbeit überwacht, es wurden Videokameras an seinem Arbeitsplatz installiert. Er wurde auch auf dem Weg nach Hause überwacht, sein Computer wurde ausgetauscht und er wurde offensichtlich beschattet. Der Beschwerdeführer wurde Ende Mai aufgefordert zum FSB zu kommen, er hat ein ihm vorgelegtes Schreiben, welches bestätigte, dass er die Arbeitsstelle aus eigenem Wunsch verlasse, aus Angst unterschrieben.
Im Hinblick auf den Beschwerdeführer kann eine im Falle der Rückkehr zu erwartende Verfolgung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, zumal er in das Blickfeld der FSB geraten ist und bereits vor seiner Ausreise überwacht und bedroht wurde.
Der Beschwerdeführer verfügt über keine Möglichkeit, sich in anderen Teilen der Russischen Föderation niederzulassen.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 04.09.2020
Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2019). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.3.2020).
In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden, sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter, etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2019). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2019).
2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2019). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung in Einklang stehen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019, USDOS 11.3.2020). Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht. Mit Ende 2018 waren beim EGMR 11.750 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2018 wurde die Russische Föderation in 238 Fällen wegen einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Verstöße gegen das Recht auf Leben, insbesondere im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Tschetschenien oder der Situation in den russischen Gefängnissen. Außerdem werden Verstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gerügt (ÖB Moskau 12.2019).
Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer „nichtgenehmigten“ friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die „Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen“. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 13.2.2019).
Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 13.2.2019).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020
? AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 10.3.2020
? AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html, Zugriff 16.6.2020
? EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020
? FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020
? ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020
? USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html, Zugriff 12.3.2020
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 04.09.2020
Im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern häufig nur unzureichend untersucht (ÖB Moskau 12.2019; vgl. EASO 3.2017).
Immer wieder gibt es Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land (AI 16.4.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Laut Amnesty International und dem russischen 'Komitee gegen Folter' kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung (AA 13.2.2019). Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 13.2.2019). Untersuchungen von Foltervorwürfen bleiben häufig folgenlos (AA 13.2.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Unter Folter erzwungene 'Geständnisse' werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt (AA 13.2.2019). Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Tagen nach der Inhaftierung (USDOS 11.3.2020). Im August 2018 publizierte das unabhängige Online-Medienportal Meduza Daten über mehr als 50 öffentlich gemeldete Folterfälle im Jahr 2018. Zu den mutmaßlichen Tätern gehörten Polizei, Ermittler, Sicherheitsbeamte und Strafvollzugsbeamte. Die Behörden haben nur wenige strafrechtliche Ermittlungen zu den Vorwürfen eingeleitet, und nur ein Fall wurde vor Gericht gebracht (HRW 17.1.2019). Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. außergerichtlichen Tötungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Ab 2017 wurden Hunderte von homosexuellen Männern von tschetschenischen Behörden entführt und gefoltert, einige wurden getötet. Viele flohen aus der Republik und dem Land. In einem im Dezember 2018 veröffentlichten OSZE-Bericht wurde festgestellt, dass