TE Bvwg Beschluss 2021/7/26 W240 2244631-1

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Veröffentlicht am 26.07.2021
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Entscheidungsdatum

26.07.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W240 2244631-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2021,
Zl. 1279911209/210871923, beschlossen:

A)       Der Beschwerde wird gemäß § 21 Absatz 3, 2. Satz BFA-VG stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)       Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in der Folge auch BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, wurde am 29.06.2021 unrechtmäßig zu Fuß von Italien kommend am Grenzübergang kontrolliert, dabei habe er keine für den Grenzübergang bzw. für den legalen Aufenthalt in Österreich erforderlichen Reise- und Identitätsdokumente vorweisen können.

Der BF wurde gemäß § 39 FPG festgenommen und hat die Identitätsfeststellung ergeben, dass der BF am 23.04.2021 in Bulgarien, am 26.05.2021 in Rumänien und am 23.06.201 in Slowenien Asylanträge gestellte hatte (Eurodac-Treffermeldungen der Kategorie 1).

Am 30.06.2021 wurde betreffend den BF in Ausübung der verwaltungsbehördlichen Befehlsgewalt gemäß §§ 34 Abs. 5 und 47 Abs. 1 BFA-VG wegen unrechtmäßigen Aufenthalts ein Festnahmeauftrag erlassen.

Am 30.06.2021 wurde der Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 8 BFA-VG widerrufen, da die Voraussetzungen nicht mehr vorlagen und die Schubhaft begann.

Im Akt liegt eine mit 30.06.2021 datierte Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme (AS 11ff), darin wurde festgehalten, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung bzw die Anordnung zur Außerlandesbringung beabsichtigt sei. Darin wurde insbesondere ausgeführt, dass der BF offenbar nicht rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei bzw. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Der BF wurde ersucht, zahlreiche Fragen zu beantworten, für die Beantwortung der Fragen und für eine etwaige Stellungnahme wurden dem BF sieben Tage eingeräumt.

Es liegt im Akt keine Stellungnahme zu dieser Verständigung beim BFA ein.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 05.07.2021 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gem. § 61 Abs. 1 Z 2 FPG gegen diesen die Anordnung der Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei gem. § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Bulgarien zulässig.

Im Verfahrensgang wird angeführt, dass Deutschland (!) mit 05.07.2021 zuständiger Dublin-Staat sei und zugestimmt habe. Begründend wurde im angefochtenen Bescheid insbesondere festgehalten, dass die Zuständigkeit eines anderen DUBLIN-Staates für das Führen des Asylverfahrens des BF sich aus der Eurodac-Abfrage ergebe. Die Zustimmung Bulgariens sei aktenkundig. Die mangelnde soziale Verankerung in Österreich, dass der BF nie amtlich gemeldet gewesen sei, nie legal gearbeitet habe und sich nur kurz im Bundesgebiet aufgehalten habe, ergebe sich eindeutig aus der GVS- und ZMR-Abfrage sowie dem Sozialversicherungsauszug zur Person des BF. Unter diesen Gesichtspunkten sei praktisch auszuschließen, dass bislang eine Integrationsverfestigung des BF in Österreich erfolgen habe können. Bei den Familienverhältnissen des BF handle es sich um ein Sachverhaltselement das nur dem BF bzw. einem kleinen Kreis von Personen bekannt sein könne. Insbesondere stehe auch die Identität des BF nicht fest. Er habe nie behauptet, Familienangehörige in Österreich zu haben.

Gegen den Bescheid des Bundesamtes richtet sich die eingebrachte Beschwerde. Darin wurde insbesondere vorgebracht, dass das BFA nach Verhaftung des BF auf eine Einvernahme verzichtet habe und habe die Zustellung eines schriftlichen Parteiengehörs unterlassen. Der BF sei in Schubhaft versetzt worden. Nach Erhalt des Mandatsbescheids in der Schubhaft sei es unterlassen worden, dem BF einen Rechtsberater zur Seite zu stellen. Die Rechtsberatung habe allerdings nach Erhalt des Bescheides vom 05.07.2021 nachgeholt werden können. Der Beschwerdeführer habe nach eigenen Angaben bei seinem Bruder in Österreich bleiben wollen. Bei dem hier umkämpften Bescheid handle es sich somit um ein reines Aktenverfahren, wobei dem BF nicht die Möglichkeit seine Anliegen zu schildern, eingeräumt worden sei. Hätte eine Einvernahme stattgefunden, wäre die belangte Behörde zum Schluss gekommen, dass der BF einen Asylantrag habe stellen wollen. Der Bescheid basiere auf bloßen Vermutungen und sei mit nichtzutreffenden Textbausteinen durchsetzt. Die Situation in Bulgarien hätte im Detail geprüft werden müssen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist volljährig und ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger. Er hat zu Österreich keine familiären, beruflichen oder privaten Bindungen.

Die erkennungsdienstliche Behandlung ergab EURODAC-Treffer über eine Asylantragstellung am 23.04.2021 in Bulgarien, am 26.05.2021 in Rumänien und am 23.06.201 in Slowenien.

Dem BF, der nicht einvernommen wurde im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens, wurde kein hinreichendes Parteiengehör zur beabsichtigten Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 2 FPG nach Bulgarien gewährt.

Selbst wenn der BF die im Akt einliegende mit 30.06.2021 datierte Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme (AS 11ff) erhalten hätte, was nicht ersichtlich ist, sowie auf die Bedeutung des Schreibens aufmerksam gemacht worden wäre und er die Möglichkeit gehabt hätte, sich von dem Inhalt Kenntnis zu verschaffen, wäre der BF nicht in der Lage gewesen, Angaben zu seinem Aufenthalt in Bulgarien zu machen, da er weder über die Existenz des Eurodac-Treffers noch über eventuelle Konsultationen mit Bulgarien in Kenntnis gesetzt wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, ob der BF in Hinblick auf seine persönliche Situation im Falle einer aktuellen Überstellung nach Bulgarien Gefahr liefe, in seinen von der EMRK eingeräumten Rechten verletzt zu werden.

2.       Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.

Die erkennungsdienstliche Behandlung des BF in Bulgarien ergibt sich aus den Eurodac-Treffermeldungen.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und

Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl. § 75 Abs. 18 AsylG 2005 idF BGBGl. I 2013/144).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

„§ 61. (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1.dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder ….

(2)      Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3)      Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4)      Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.

(5)      Eine Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung ist binnen einer Woche einzubringen.“

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

„§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:

„Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1)      Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2)      Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3)      Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Artikel 5

Persönliches Gespräch

(1)      Um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern, führt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller. Dieses Gespräch soll auch das richtige Verständnis der dem Antragsteller gemäß Artikel 4 bereitgestellten Informationen ermöglichen.

(2)      Auf das persönliche Gespräch darf verzichtet werden, wenn

a)       der Antragsteller flüchtig ist oder

b)       der Antragsteller, nachdem er die in Artikel 4 genannten Informationen erhalten hat, bereits die sachdienlichen Angaben gemacht hat, so dass der zuständige Mitgliedstaat auf andere Weise bestimmt werden kann. Der Mitgliedstaat, der auf das Gespräch verzichtet, gibt dem Antragsteller Gelegenheit, alle weiteren sachdienlichen Informationen vorzulegen, die für die ordnungsgemäße Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats von Bedeutung sind, bevor eine Entscheidung über die Überstellung des Antragstellers in den nach Artikel 26 Absatz 1 zuständigen Mitgliedstaat ergeht.

(3)      Das persönliche Gespräch wird zeitnah geführt, in jedem Fall aber, bevor über die Überstellung des Antragstellers in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß Artikel 26 Absatz 1 entschieden wird.

(4)      Das persönliche Gespräch wird in einer Sprache geführt, die der Antragsteller versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass er sie versteht und in der er sich verständigen kann. Die Mitgliedstaaten ziehen erforderlichenfalls einen Dolmetscher hinzu, der eine angemessene Verständigung zwischen dem Antragsteller und der das persönliche Gespräch führenden Person gewährleisten kann.

(5)      Das persönliche Gespräch erfolgt unter Bedingungen, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten. Es wird von einer dafür qualifizierten Person gemäß dem innerstaatlichen Recht durchgeführt.

(6)      Der Mitgliedstaat, der das persönliche Gespräch führt, erstellt eine schriftliche Zusammenfassung, die zumindest die wesentlichen Angaben des Antragstellers aus dem Gespräch enthält. Diese Zusammenfassung kann in Form eines Berichts oder eines Standardformulars erstellt werden. Der Mitgliedstaat gewährleistet, dass der Antragsteller und/oder der ihn vertretende Rechtsbeistand oder sonstiger Berater zeitnah Zugang zu der Zusammenfassung erhält.

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1)      Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2)      Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3)      Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Artikel 24

Wiederaufnahmegesuch, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Antrag gestellt wurde

(1) Ist ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ohne Aufenthaltstitel aufhält und bei dem kein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, der Auffassung, dass ein anderer Mitgliedstaat gemäß Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.“

Im gegenständlichen Fall wurde dem BVwG der bezughabende Verwaltungsakt durch das BFA durchnummeriert und offenbar unvollständig vorgelegt.

Gemäß Art. 5 Dublin III-VO ist die Behörde verpflichtet, ein persönliches Gespräch mit dem BF zuführen. Dies gilt auch für Personen, die keinen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet gestellt haben, da letztlich der ersuchte Mitgliedstaat unter anderem aufgrund dieser Angaben seine Zuständigkeit prüfen kann.

Auf das persönliche Gespräch darf nur verzichtet werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist oder, nachdem sie die in Art. 4 Dublin III-VO genannten Informationen erhalten hat, bereits die erforderlichen sachdienlichen Angaben gemacht hat, so dass der zuständige Mitgliedstaat auf andere Weise bestimmt werden kann. Der Mitgliedstaat, der auf das Gespräch verzichtet, gibt der betroffenen Person Gelegenheit, alle weiteren sachdienlichen Informationen vorzulegen, die für die ordnungsgemäße Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats von Bedeutung sind, bevor eine Entscheidung über die Überstellung des Antragstellers in den nach Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat ergeht.

Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass die persönliche Einvernahme weder im Ermessen der Behörde liegt, noch von einem „Ersuchen um persönliche Vorsprache“ abhängig ist.

Aus dem vorgelegten Akt ist nicht ersichtlich, dass der BF im Rahmen einer niederschriftlichen Befragung im gegenständlichen Verfahren einvernommen wurde.

Im Akt liegt kein Konsultationsverfahren ein und ist einzig eine mit 30.06.2021 datierte Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme (AS 11ff), darin wurde festgehalten, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung bzw die Anordnung zur Außerlandesbringung beabsichtigt sei. Darin wurde insbesondere ausgeführt, dass der BF offenbar nicht rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei bzw. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Der BF wurde ersucht, zahlreiche Fragen zu beantworten, für die Beantwortung der Fragen und für eine etwaige Stellungnahme wurden dem BF sieben Tage eingeräumt. Es liegt im Akt keine Stellungnahme zu dieser Verständigung beim BFA ein. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Verständigung dem BF tatsächlich zugestellt wurde.

Nachdem keine Stellungnahme auf die vorzitierte - lediglich in deutscher Sprache verfasste und im Akt einliegende - Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme einlangte, erließ das BFA den nunmehr angefochtenen Bescheid vom 05.07.2021, mit welchem dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wurde und gem. § 61 Abs. 1 Z 2 FPG gegen diesen die Anordnung der Außerlandesbringung angeordnet wurde. Demzufolge sei gem. § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Bulgarien zulässig.

Gegen den Bescheid des Bundesamtes richtet sich die eingebrachte Beschwerde. Darin wurde insbesondere ausgeführt, dass das das BFA nach Verhaftung des BF auf eine Einvernahme verzichtet habe und habe die Zustellung eines schriftlichen Parteiengehörs unterlassen. Der BF sei in Schubhaft versetzt worden. Nach Erhalt des Mandatsbescheids in der Schubhaft sei es unterlassen worden, dem BF einen Rechtsberater zur Seite zu stellen. Die Rechtsberatung habe allerdings nach Erhalt des Bescheides vom 05.07.2021 nachgeholt werden können. Der Beschwerdeführer habe nach eigenen Angaben bei seinem Bruder in Österreich bleiben wollen. Moniert wurde, dass es sich beim hier angefochtenen Bescheid um ein reines Aktenverfahren handle, wobei dem BF nicht die Möglichkeit seine Anliegen zu schildern, eingeräumt worden sei. Hätte eine Einvernahme stattgefunden, wäre die belangte Behörde zum Schluss gekommen, dass der BF einen Asylantrag habe stellen wollen. Der Bescheid basiere auf bloßen Vermutungen und sei mit nichtzutreffenden Textbausteinen durchsetzt.

Eine spezifische Äußerung des rechtsunkundigen BF konkret zur Erlassung einer Außerlandesbringung und insbesondere zur Überstellung nach Bulgarien kann aufgrund dieser pauschalen Belehrung nicht erwartet werden.

Selbst wenn der BF, falls er das Schreiben überhaupt erhalten hätte, was nicht ersichtlich ist, auf die Bedeutung des Schreibens aufmerksam gemacht worden wäre und er die Möglichkeit gehabt hätte, sich von dem Inhalt Kenntnis zu verschaffen, wäre der BF nicht in der Lage gewesen, Angaben zu seinem Aufenthalt in Bulgarien zu machen, da er weder über die Existenz des Eurodac-Treffers noch über eventuelle Konsultationen mit Bulgarien in Kenntnis gesetzt wurde. Vielmehr enthält die Verständigung die Information, dass der BF in Deutschland und Italien behandelt worden sei. Daher konnte der BF auch nicht darauf schließen, dass die Behörde beabsichtigte ihn gerade nach Bulgarien zu überstellen, da das Schreiben lediglich eine Aufzählung diverser fremdenrechtlicher Möglichkeiten enthält, ohne dem BF ein konkretes Ermittlungsergebnis oder ein beabsichtigtes Vorgehen bekanntzugeben.

Somit ist aus den dem BVwG vorliegenden Unterlagen weder der Ansatz eines mit einem Mindestmaß an Sorgfalt geführten Ermittlungsverfahren der belangten Behörde, noch eine Kontaktaufnahme mit Bulgarien oder ein dem BF gewährtes hinreichendes Parteiengehör zu entnehmen.

Auch aus dem angefochtene Bescheid ergibt sich lediglich aus dem Spruch und aus der Beweiswürdigung, dass das BFA beabsichtigt, den BF nach Bulgarien abzuschieben. Im Verfahrensgang wird angeführt, dass Deutschland (!) mit 05.07.2021 zuständiger Dublin-Staat sei und zugestimmt habe. Eine rechtliche Beurteilung ist jedoch mangels entsprechender Ausführungen und Unterlagen im Akt (insbesondere zum Konsultationsverfahren) nicht möglich.

Hinsichtlich der Länderfeststellungen zu Bulgarien ist festzuhalten, dass diese dem BF - wie ausgeführt - nicht korrekt vorgehalten wurden. Weitere Feststellungen befinden sich auch nicht im Akt.

Insgesamt hat die Behörde im gegenständlichen Verfahren somit weder ein aktenkundiges und überprüfbares Beweisverfahren geführt, noch zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens Parteiengehör gewährt oder den BF über die Verfahrensschritte ausreichend in Kenntnis gesetzt.

Dies wird unter Einhaltung der Mindestvoraussetzungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nunmehr durchzuführen sein. Danach wird gegebenenfalls der vollständige, chronologisch geordnete Akt dem BVwG erneut zur Beurteilung vorzulegen sein.

Es ist nicht Sinn und Zweck eines beschleunigten Verfahrens, durch die hier gewählte Vorgehensweise das BVwG dazu zu verhalten, selbst umfangreiche Ermittlungen nicht nur zum Verfahrensgang, sondern zum gesamten entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu führen und die daraus erzielten Ermittlungsergebnisse den Parteien zur Wahrung des Parteiengehörs (erstmals) zur Stellungnahme vorzulegen.

Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehenden Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt und festgestellt, weshalb gemäß
§ 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zwingend vorzugehen war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gem. § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wurde.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die Entscheidung liegt in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, welche bereits durch umfassende und im Detail bzw. in der fachlichen Substanz unwidersprochen gebliebene Feststellungen festgehalten wurde und demgemäß in einer Tatbestandsfrage.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf umfangreiche Judikatur des EGMR sowie auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W240.2244631.1.00

Im RIS seit

11.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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