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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BAO §260 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat VI, vom 10. November 1993, Zl. 6/3-3472/91-01, 6/3-3474/91-01, betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer 1986 bis 1988 (mitbeteiligte Partei: V in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligte bezeichnete ihre Tätigkeit in den Steuererklärungen für die Jahre 1986 bis 1988 mit "Kostümbildnerin" und "Schneiderin". Hinsichtlich dieser Jahre wurde bei der Mitbeteiligten eine abgabenbehördliche Prüfung vorgenommen. Im Prüfungsbericht wurde insbesondere ausgeführt:
Die Mitbeteiligte habe die Höhere Bundeslehranstalt für Mode und Bekleidungstechnik in Wien absolviert und sei gelernte Schneidermeisterin. Sie habe keine abgeschlossene künstlerische Hochschulbildung. Sie sei beim ORF für die Art der Bekleidung der Moderatoren beratend tätig. Sie erstelle einen Monatsbekleidungsplan, kaufe die Garderobe ein und überwache, ob diese Kleidung auch tatsächlich getragen werde. Sie entwerfe Kostüme für diverse Fernsehsendungen. Die Ausführung der Kostüme obliege der Firma L.H. Weiters führe die Mitbeteiligte eine Maßschneiderei, wobei zu den Kunden hauptsächlich Schauspieler und Personal des ORF zählten. Nach Auffassung der Prüferin sei die Tätigkeit als Kostümbilderin und Kostümentwerferin keine künstlerische Tätigkeit. Durch die Verflechtung der einzelnen Tätigkeiten mit der Maßschneiderei sei ein einheitlicher Gewerbebetrieb gegeben.
Das Finanzamt erließ dem Prüfungsbericht folgend entsprechende Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuerbescheide für 1986 bis 1988. In der Berufung gegen diese Bescheide wurde die Meinung vertreten, die gegenüber dem ORF ausgeübte Tätigkeit stelle eine künstlerische Tätigkeit dar. Selbst wenn es sich dabei aber um eine gewerbliche Tätigkeit handeln sollte, liege trotz einer gewissen Verflechtung kein sachlicher Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb der Maßschneiderei vor.
In einer die Berufung ergänzenden Eingabe vom 19. März 1991 wurde ausgeführt, die Tätigkeit einer Kostümbildnerin beim ORF bestehe im Entwerfen von Kostümen für Sendungen und Shows. Die Gestaltung erfordere eine weitreichende künstlerische Begabung.
In einer weiteren Eingabe vom 20. November 1991 vertrat die Mitbeteiligte die Meinung, es könne nicht danach differenziert werden, ob ein Kostümbildner für ein Theater tätig werde oder seine Tätigkeit im Rahmen des ORF ausübe. Das Kostüm als wesentlicher Bestandteil der optischen Erscheinung des gesamten Kunstwerks müsse dieselbe Bedeutung haben, unabhängig davon, ob diese Tätigkeit für das Theater, den Film oder das Fernsehen erfolge. Eine solche Beratung verlange etwas Eigenschöpferisches. Entgegen der Meinung der Prüfung sei es nicht von Bedeutung, daß es sich bei den gezeigten Entwürfen um Alltagskleidung handle, die dem entsprechenden Zweck für verschiedene Tageszeiten oder für Freizeit angepaßt seien.
In der mündlichen Berufungsverhandlung führte der Vertreter der Mitbeteiligten aus, diese übe ihre künstlerische Tätigkeit bereits seit 1977 aus, die Schneiderei jedoch erst seit dem Jahre 1983. Sie sei nicht nur für die Kleidung der Sprecherinnen zuständig, sondern müsse diese wie die Frisur und das Make-up der Einrichtung und der gesamten Umgebung anpassen. Dazu sei auch ein intensives Studium des Drehbuches erforderlich. Die Mitbeteiligte habe im Streitzeitraum große Revues gemacht. Ihre Werke seien urheberrechtlich geschützt. Die Tätigkeit, die von der Mitbeteiligten ausgeübt werde, werde in anderen Fällen von Akademikern vorgenommen. Es wäre nötig gewesen, bezüglich der künstlerischen Tätigkeit der Mitbeteiligten ein Gutachten anzufordern. Es sei der Mitbeteiligten verboten, als Schneiderin für den ORF zu arbeiten. Sie dürfe auch keine Aufträge von Sprechern entgegennehmen, wenn diese Kleidungsstücke beruflich getragen werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung insoweit stattgegeben, als die Tätigkeit der Mitbeteiligten als künstlerische qualifiziert wurde. Nach Auffassung der belangten Behörde erfordere die Ausstattung von Shows und anderen Sendungen vornehmlich des ORF künstlerisches Einfühlungsvermögen und auch eine entsprechende künstlerische Begabung. Der erforderliche eigenschöpferische Wert sei hier gegeben. Die Absolvierung eines fachspezifischen Hochschulstudiums sei nicht Voraussetzung für die Annahme einer künstlerischen Tätigkeit; ein solches könne auch wie im Streitfall durch eine entsprechende künstlerische Begabung ersetzt werden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Präsident der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Soweit die Mitbeteiligte in ihrer Gegenschrift zunächst rügt, in der Beschwerde werde der Beschwerdepunkt im Sinne des § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG nicht bezeichnet, übersieht sie, daß die im § 292 BAO dem Präsidenten der Finanzlandesdirektion gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG eingeräumte Beschwerde begrifflich die Verletzung eines subjektiven Rechts des Beschwerdeführers nicht voraussetzt. Vielmehr handelt es sich bei einer solchen Amtsbeschwerde (einer sog. Präsidentenbeschwerde) um ein Instrument zur Sicherung der Einheit und Gesetzlichkeit der Vollziehung, welches losgelöst vom individuellen Parteiinteresse als sog. objektive Beschwerde wegen jeder unterlaufenen Rechtsverletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes eingesetzt werden kann (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1988, 88/15/0062).
Ist die Berufungsentscheidung gemäß § 260 Abs. 2 BAO durch einen Berufungssenat zu fällen, so hat die im § 287 BAO geregelte Beratung und Abstimmung des Berufungssenates die in Aussicht genommene Entscheidung hinsichtlich ihres Spruches und der wesentlichen Teile der Begründung zu umfassen (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 2778). Die schriftliche Ausfertigung der Berufungsentscheidung hat neben dem vom Berufungssenat beschlossenen Spruch auch die in der Beschlußfassung des Senates gedeckte Begründung zu enthalten. Eine solche Begründung muß - wie jede Begründung eines Bescheides - erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen der Berufungssenat zur Ansicht gelangt ist, daß gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen der Berufungssenat die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juli 1994, 92/13/0140). Diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht.
Die belangte Behörde beschränkte sich darauf, anstelle einer zusammenhängenden Sachverhaltsdarstellung auf "den bekannten Akteninhalt" zu verweisen. Die den Spruch des angefochtenen Bescheides tragenden Gründe sind im folgenden Passus enthalten:
"Die Ausstattung von Shows und anderen Sendungen, vornehmlich des ORF, erfordert künstlerisches Einfühlungsvermögen und auch eine entsprechende künstlerische Begabung. Der erforderliche eigenschöpferische Wert ist hier gegeben."
Der belangten Behörde ist dabei zwar zuzugestehen, daß eine Tätigkeit als Kostümbildner - eine Tätigkeit, die an den Kunsthochschulen gelehrt wird und tatsächlich von akademisch ausgebildeten Personen ausgeübt wird - als ein eigenes Kunstfach angesehen werden kann. Fehlt dabei wie im Beschwerdefall dem Steuerpflichtigen eine einschlägige Hochschulbildung oder sonstige vollwertige künstlerische Ausbildung, so ist die Künstlereigenschaft auf Grund der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit zu prüfen. Die von der belangten Behörde gegebene Begründung für ihre Beurteilung, die Mitbeteiligte übe - abgesehen von ihrer Tätigkeit als Schneiderin - im übrigen eine künstlerische Tätigkeit aus, kann jedoch nicht nachvollzogen werden. Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides keine Darstellung darüber gegeben, welche konkreten Tätigkeiten die Mitbeteiligte für ihren Auftraggeber tatsächlich erbringt und welchen Umfang die einzelnen Tätigkeiten tatsächlich ausmachen. Insbesondere blieb im angefochtenen Bescheid ungeklärt, in welchem Ausmaß die Mitbeteiligte für ihren Auftraggeber tatsächlich als Kostümbildnerin und somit in grundsätzlicher Konkurrenz mit akademisch gebildeten Künstlern tätig gewesen ist und in welchem Umfang sich die Tätigkeit auf die bloße Verantwortung für die Auswahl der Garderobe von Moderatoren beschränkte. Dabei hat die belangte Behörde in keiner Weise begründet, warum es sich bei dieser unklar als "Kostümberatung" bezeichneten Tätigkeit um eine künstlerische Tätigkeit gehandelt haben sollte.
Mit den dargestellten Begründungsmängeln hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, sodaß der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war. Von der seitens der mitbeteiligten Partei beantragten Verhandlung war dabei aus den Gründen des § 39 Z. 3 VwGG abzusehen.
Schlagworte
Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Grundsätzliches zur Parteistellung vor dem VwGH AllgemeinMangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Besondere Rechtsgebiete FinanzverwaltungBeschwerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1994130002.X00Im RIS seit
05.04.2001Zuletzt aktualisiert am
17.11.2011