Entscheidungsdatum
09.08.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
W226 1425962-2/39E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH, Wolfeggstraße 1, 6900 Bregenz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.12.2018, Zl.: 740781403-171074697, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.07.2021 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und in Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheides wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gegen XXXX gemäß §§ 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.
XXXX wird eine „Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF und § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erteilt.
II. Im Übrigen werden in Erledigung der Beschwerde die Spruchpunkte IV. bis VII. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
I.1.1. Der zum Zeitpunkt der Antragstellung im Jahr 2004 minderjährige, zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt volljährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte durch seine gesetzliche Vertretung einen Asylerstreckungsantrag. Nachdem dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers (Vater) der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde und die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Kernfamilie festgestellt wurde, ist dem Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.11.2004 gemäß § 11 AsylG 1997 stattgegeben und dem Beschwerdeführer Asyl in Österreich durch Erstreckung gewährt worden. Gemäß § 12 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
I.1.2. Nachdem der Beschwerdeführer als Jugendlicher bereits zweimal straffällig geworden war, wurde diesem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.03.2012, Zl. 04 07.814-BAL gemäß § 7 Abs. 1 AsylG der zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt und wurde gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dem Beschwerdeführer wurde darüber hinaus der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, zeitgleich jedoch dessen Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet für auf Dauer unzulässig erklärt.
I.1.3. Gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.03.2012 brachte der Beschwerdeführer im damaligen Verfahren fristgerecht Berufung ein, wobei das Bundesverwaltungsgericht am 26.05.2014 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durchführte.
I.1.4. Der Beschwerdeführer, welcher in der Zwischenzeit wegen drei weiterer Straftaten rechtskräftig verurteilt worden war, schilderte im Rahmen dieser Beschwerdeverhandlung im Wesentlichen, russischer Staatsbürger zu sein und der tschetschenischen Volksgruppe zuzugehören. Nach Schilderung seines schulischen Werdeganges im Bundesgebiet schilderte der Beschwerdeführer, dass er einige Monate als Lagerlogistiker und einige Monate als Kochlehrling gearbeitet habe, er habe niemals eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt. Seine Eltern und er hätten nur aufgrund der allgemeinen Situation die Russische Föderation verlassen, es sei „damals einfach ein schrecklicher Ort“ gewesen.
Nach Erörterung der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten schilderte der Beschwerdeführer gegenüber dem damals zuständigen Richter des Bundesverwaltungsgerichts, dass ihm gar keiner gesagt habe, dass seine Ausweisung für auf dauerhaft unzulässig von der Behörde angesehen worden war. Der Beschwerdeführer führte aus, dass er selbst gar keine Berufung hätte machen wollen, aber die Jugendwohlfahrt habe es ausdrücklich so machen wollen, das sei gegen seinen Willen so entschieden worden. Er wolle nur in Österreich bleiben, seine Lehre fertigmachen und eines Tages seine Freundin heiraten. Der Beschwerdeführer wurde vom damals erkennenden Richter dezidiert gefragt, ob er sich eigentlich selbst in der Russischen Föderation verfolgt sehe und gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass es nicht der Fall sei.
I.1.5. In weiterer Folge zog der Beschwerdeführer ausdrücklich die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des Bescheides des Bundesasylamtes zurück, weshalb das Verfahren wegen Zurückziehung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10.06.2014, Zl. W129 1425962-1/14E eingestellt wurde.
I.1.6. Laut Aktenlage stellte der Beschwerdeführer in weiterer Folge am 14.08.2017 einen Antrag auf Ausfüllung einer Duldungskarte, den er laut Aktenlage am 07.09.2017 wieder zurückgezogen hat.
I.2.1. Am 19.09.2017 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG. Der Beschwerdeführer wurde mit Verbesserungsauftrag vom 07.11.2017 aufgefordert, einen gültigen - russischen – Reisepass und einen Nachweis über die Erfüllung des Modul 1 der Integrationsvereinbarung nachzureichen. Der Beschwerdeführer legte in weiterer Folge die Kopie einer russischen Geburtsurkunde vor sowie eine Bestätigung über eine Absolvierung einer Externistenprüfung betreffend die Fächer Deutsch und Mathematik.
I.2.2. Am XXXX wurde der BF erneut wegen einer schweren Straftat - § 84 Abs. 4 StGB und § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG – zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt.
I.2.3. Am 29.12.2017 übermittelte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Heilung des Mangels „Vorlage eines gültigen Reisedokumentes im Original“, den er im Wesentlichen dahingehend begründete, dass es ihm nicht möglich sei, einen russischen Reisepass bei der russischen Vertretung in Salzburg zu beschaffen. Es sei ihm empfohlen worden, nach Russland zu gehen und dort einen Pass zu beantragen, das sei ihm aber ohne Reisedokument nicht möglich. Ohne gültigen Ausweis habe er in Österreich keine Chance, einen russischen Pass zu erhalten. Die vom BF vorgelegte russische Geburtsurkunde würde der russischen Botschaft nicht ausreichen, sie würden ein Personaldokument benötigen, was die Geburtsurkunde jedoch nicht darstelle. Seine Geschwister und Eltern würden die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, er wisse auch nicht, ob es ihm jemals möglich sein werde, einen russischen Pass zu bekommen.
I.2.4. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer am 30.01.2018 ein schriftliches Parteiengehör, wonach beabsichtigt sei, den Antrag gem. § 55 AsylG abzuweisen und eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot zu erlassen.
Die belangte Behörde verwies auf die insgesamt sieben strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, zugleich wurde diesem ein Fragenkatalog übermittelt, betreffend seine Lebenssituation im Bundesgebiet.
I.2.5. In einer schriftlichen Eingabe führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er sich seit dem Jahr 2004 in Österreich aufhalte, er wisse nicht, wo sie genau vor der Ausreise gelebt hätten. Es sei in Tschetschenien gewesen. Im Fall der Rückkehr nach Tschetschenien hätte er niemanden dort, die ganze Familie lebe in Österreich und habe auch schon die österreichische Staatsbürgerschaft. Zudem beherrsche er die russische Sprache nicht. Er könne kyrillische Buchstaben nicht lesen oder schreiben und wäre demzufolge in Tschetschenien und Russland ein Analphabet. In der Heimat habe er auch keine Kontakte mehr, es könne allerdings sein, dass Cousins des Vaters noch dort leben würden, aber die kenne er nicht. In Österreich habe er Volksschule und Hauptschule absolviert, danach eine Lehre als Koch begonnen. Derzeit arbeite er nicht, hätte aber eine Einstellungszusage. Er werde von seiner Familie unterstützt, bei dieser lebe er auch. Über Kranken- oder Unfallversicherung verfüge er nicht, er lebe seit fast 14 Jahren in Österreich und habe mehr als die Hälfte seines Lebens in Österreich verbracht. Er habe seine Zeit in Österreich sehr wohl genutzt, sich zu integrieren, er sei zur Schule gegangen und habe auch eine Lehre begonnen und lebe auch die ganze Familie hier. Zudem habe er im Jahr 2016 geheiratet, sei aber inzwischen schon wieder geschieden, zu seinen Eltern und seinen Geschwistern habe er aber eine sehr innige Beziehung.
Außerdem verwies der Beschwerdeführer darauf, dass er in Österreich Fußball gespielt habe, er habe Wasserball gespielt, geboxt und Taekwondo gekämpft.
Zu den strafrechtlichen Verurteilungen führte der Beschwerdeführer aus, dass er noch als Kind wegen Vergehen nach dem SMG angezeigt worden sei, die Staatsanwaltschaft sei aber von der Verfolgung zurückgetreten. Die Verurteilungen seien erfolgt, als der Beschwerdeführer noch ein Minderjähriger gewesen sei, zuletzt sei er im November 2017 wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung verurteilt worden, er werde seine Haftstrafe im Februar 2018 antreten. Die Schwere seiner Taten seien ihm durchaus bewusst und er bereue zutiefst, was er bisher begangen habe, habe aber fest vor, in Zukunft nicht mehr delinquent aufzutreten. Er wolle „von vorne anfangen“. Bei den ersten Vergehen und Verbrechen sei seine Minderjährigkeit zu berücksichtigen, und an das Waffenverbot halte er sich seit dem Jahr 2016, habe somit seit über eineinhalb Jahren keinen Verstoß mehr gegen das Waffenverbot begangen.
Ein Einreiseverbot würde ein sehr massiver Einschnitt in sein Familienleben sein, denn er würde dann für mehrere Jahre von seiner in Österreich lebenden Familie getrennt sein, ohne Möglichkeit, auf – wenn auch nur kurzfristige – wechselseitige Besuche. Ein Besuch der Eltern und Geschwister sei wegen der Asylanerkennung im Jahr 2004 sehr gefährlich.
In weiterer Folge wurde eine nicht näher ausgeführte Einstellungszusage einer offensichtlich im Gastronomiebereich tätigen Unternehmung in Bregenz übermittelt, wobei sich dieser jedoch nicht entnehmen lässt, in welchem Ausmaß und zu welcher Entlohnung der Beschwerdeführer angestellt werden sollte.
I.2.6. Am 16.07.2018 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde. Der Beschwerdeführer führte aus, dass ihm sein Pass in Kroatien abgenommen worden sei, seit 2017 warte er auf Papiere und seit 2016 könne er nicht arbeiten, weil er keinen Pass habe. In Österreich habe er ein Jahr als Koch gearbeitet, da würde er gerne weitermachen. Er befinde sich derzeit in einer Justizanstalt, auch dort arbeite er als Koch und er hoffe, dass er noch eine Chance bekomme. Zuletzt habe er 16 Monate bekommen, es habe eine Auseinandersetzung mit einem Kollegen gegeben, dieser sei gefallen. Der Beschwerdeführer habe die Rettung geholt und die Polizei habe alles aufgeschrieben. Es sei nur eine leichte Auseinandersetzung gewesen. Er würde gerne ein Geschäft aufmachen und unabhängig sein, er habe keinen Führerschein, keine Wohnung und keine Perspektive, obwohl er 23 Jahre alt sei. Der Beschwerdeführer wolle eine Lehre als Koch fertigmachen, er könnte als Hilfskoch anfangen und wenn dann dort die Lehrstelle frei werde, könnte er die Lehre fertigmachen. Er habe noch ein Zeugnis vom ersten Lehrjahr, diese Lehre habe er dann abgebrochen, da er zuvor auf die schiefe Bahn gekommen sei. Er sei unverheiratet, könne aber bei den Eltern nach der Entlassung wohnen. Er könnte auch mit Fußfessel arbeiten, eine Wohnung bezahlen und selbständig sein. Der Besitzer einer namentlich genannten Gastronomieunternehmung würde ihn auch mit Fußfessel anstellen. Im Gefängnis habe er zudem den Hauptschulabschluss nachgemacht.
I.2.7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28.12.2018 wurde der Antrag auf Mängelbehebung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 abgewiesen und der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 19.09.2017 gemäß § 55 AsylG abgewiesen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen und es wurde festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt, einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG aberkannt und zuletzt gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG erlassen.
Spruchpunkt I. wurde dahingehend begründet, dass der Beschwerdeführer trotz mehrfacher Nachfrage keinerlei Nachweise vorgelegt habe, dass er jemals persönlich bei der russischen Botschaft vorgesprochen hätte. Die belangte Behörde verwies auf eine Mitteilung der Konsularabteilung der Botschaft der Russischen Föderation, wonach alle russischen Staatsbürger Reisepässe beantragen können, wenn eine Person keine Unterlagen habe, könne die Identität auf persönliche Anfrage geprüft werden. Der Beschwerdeführer sei mehrfach persönlich, telefonisch und über den Bewährungshelfer hingewiesen worden, dass er persönlich mit der russischen Geburtsurkunde bei der Botschaft vorsprechen müsse, es werde nicht geglaubt, dass der Beschwerdeführer persönlich einen Antrag auf Feststellung der Identität bei der russischen Botschaft gestellt habe. Der Behörde seien zahlreiche Fälle bekannt, bei denen nach persönlicher Vorsprache, entsprechenden Angaben und nach einem Ermittlungsverfahren in der Russischen Föderation sogar ohne jegliche Dokumente ein russischer Reisepass ausgestellt werden könne.
Die abweisende Entscheidung zu § 55 AsylG wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen dahingehend begründet, dass sich der Beschwerdeführer derzeit in Strafhaft in der Justizanstalt XXXX befinde. Bislang habe er sich für die Dauer von insgesamt drei Jahren bereits in einer Justizanstalt aufgehalten, habe auch für wenige Monate einen Wohnsitz ohne die Eltern begründet. Bei den Eltern habe er sich gemeldet, weil der Beschwerdeführer sich ohne Einkommen keine eigene Wohnung leisten könne. Der Umstand, dass man sich mit Eltern und Geschwistern gut verstehe, reiche für das Entsprechen eines Familienlebens bei Erwachsenen nicht aus. Die vom Beschwerdeführer erwähnte Absolvierung einer Schule sei in Österreich verpflichtend, weshalb vom Besuch einer Schule nicht eine besondere Integrationsbereitschaft abgeleitet werden könne.
Die belangte Behörde verwies darauf, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 2011 bis 2012 insgesamt neun Monate lang eine Lehre als Koch begonnen, diese jedoch nicht abgeschlossen habe und habe er in den Jahren 2013 bis 2015 insgesamt neun Monate als Arbeiter gearbeitet, ansonsten sei er in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Die vom Beschwerdeführer in einer Stellungnahme erwähnte Tätigkeit als Umzugshelfer habe nicht festgestellt werden können.
Die belangte Behörde verwies auf die zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, er spreche auch die Muttersprache und habe noch die ersten acht Jahre seines Lebens in Tschetschenien verbracht. Er sei in einer tschetschenischen Familie aufgewachsen und sei mit den tschetschenischen Sitten und Gebräuchen vertraut, wenn auch die Eltern inzwischen die österreichische Staatsbürgerschaft haben. Die kyrillische Schrift könne er erlernen. Im Hinblick auf die im Vergleich zur Aufenthaltsdauer durchschnittliche sprachliche und nur geringfügige beruflich-soziale Integration hätten keine Anhaltspunkte gefunden werden können, die für eine außergewöhnliche Konstellation sprechen würden. Die mehrfachen strafrechtlichen Verurteilungen wegen Gewalt- und Eigentumsdelikten und die fehlende Einsicht würden dazu führen, dass den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen am Verbleib in Österreich der Vorrang zu geben sei. Der Eingriff in den Schutz auf Privat- und Familienleben sei daher gerechtfertigt und zum Schutz der österreichischen Bevölkerung vor weiteren Verbrechen auch notwendig.
Zur Frage der Zulässigkeit einer Abschiebung in den Herkunftsstaat führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer mehrfach selbst ausdrücklich angegeben habe, sich in der Russischen Föderation nicht verfolgt zu fühlen. Dem Beschwerdeführer sei es somit möglich, nach Tschetschenien zurückzukehren, wobei es ihm aber freistehe, sich auch in anderen Landesteilen anzusiedeln, da in der Russischen Föderation Bewegungsfreiheit herrsche.
Das erlassene Einreiseverbot wurde dahingehend begründet, dass der Beschwerdeführer eine Vielzahl von Straftaten begangen habe, das wiederholte Fehlverhalten des Fremden würde eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit bewirken. Der Beschwerdeführer habe insgesamt bereits drei Jahre in Haftanstalten verbracht, seit dem 15. Lebensjahr sei er wiederholt straffällig geworden, wobei die Delikte von bloßen Sachbeschädigungen über Eigentumsdelikte bis hin zu schweren Gewaltverbrechen sich gesteigert hätten. Der Beschwerdeführer habe gegen das gegen ihn erlassene Waffenverbot verstoßen, nach Aberkennung des Asylstatus habe er Raubüberfälle, Erpressung, Nötigung, gewerbsmäßigen Betrug und Einbruchsdiebstahl begangen. Auch eine positive Prognose sei nicht möglich, da die Ausführungen bezüglich Arbeitsaufnahme vage und ziellos geblieben seien, der Beschwerdeführer habe nur ein unverbindliches Schreiben zu einer Stelle als Hilfskoch vorlegen können. Ein Einstieg in das Berufsleben und eine längerdauernde Arbeitsaufnahme würden nicht ernsthaft geplant erscheinen. Die Verbüßung von Haftstrafen habe in der Vergangenheit nichts bewirkt, der Beschwerdeführer habe seine Gleichgültigkeit gegenüber den in Österreich geschützten Werten mehrfach deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Erlassung eines achtjährigen Einreiseverbotes sei somit notwendig, um die Menschen in Österreich für längere Zeit vor den Untaten des Beschwerdeführers zu schützen und bei diesem die Einsicht zu bewirken, dass fortgesetzte Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung in Österreich nicht mehr geduldet werden.
I.2.8. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und dabei im Wesentlichen wie folgt ausgeführt:
Die belangte Behörde habe das sehr ausgeprägte Privat- und Familienleben missachtet. Es sei unbestritten, dass der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG-DV 2005 seiner Mitwirkungspflicht nicht zur Gänze nachgekommen sei, da er keinen gültigen Reisepass beigebracht habe. Hätte die belangte Behörde jedoch die persönliche Situation des Beschwerdeführers berücksichtigt, dann hätte sie eine anderslautende Entscheidung erlassen. Der Beschwerdeführer habe sich um ein Identitätsdokument intensiv bemüht und habe auch ein solches in Form einer russischen Geburtsurkunde vorgelegt. Soweit ihm möglich war, habe er mitgewirkt, Fragen beantwortet und Stellung genommen. Er sei mehrmals bei der russischen Botschaft in Salzburg gewesen, auf das habe er schon schriftlich hingewiesen. Dem Beschwerdeführer sei es trotz mehrmaliger persönlicher Vorsprache nicht gelungen, einen Reisepass oder eine Bestätigung zu bekommen, dass er keinen Reisepass erhalte. Der Beschwerdeführer habe Zugtickets vorzulegen, aus denen würde deutlich hervorgehen, dass er tatsächlich bei der russischen Botschaft in Salzburg gewesen sei. Aufgrund des bestehenden Privat- und Familienlebens sei dem Beschwerdeführer jedenfalls eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, eine Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung sei nur dann gegeben, wenn die Behörde einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden und den staatlichen Interessen gefunden habe. Die Eltern und auch die jüngeren Geschwister würden den Beschwerdeführer nicht nur seelisch, sondern auch finanziell unterstützen, der Beschwerdeführer lebe seit der Einreise im Jahr 2004 fast ununterbrochen mit den Eltern und den weiteren Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Er lebe somit insgesamt 15 Jahre in Österreich und habe somit die innerliche und mentale Bindung zum Land seiner formellen Staatsbürgerschaft faktisch verloren. Nicht nur der Beschwerdeführer selbst, sondern auch seine Kernfamilie in Österreich würden im Fall seiner Rückkehr massiv in ihrem Recht auf Privatleben in Österreich eingeschränkt werden. Der Aufenthalt in Österreich sei umso mehr notwendig, um seine familiären und sozialen Bindungen aufrecht zu erhalten. Bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt sei nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt habe, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sei eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ausnahmsweise möglich. Es sei zwar richtig, dass der Beschwerdeführer momentan keine fixe Anstellung habe, er habe aber einen neuen Lebensweg in Angriff genommen, was auch aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt habe, eindeutig belegbar sei. Dies sei nämlich mit der Absicht verbunden gewesen, damit einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen. Für einen Vorbestraften sei es schwierig, eine regelmäßige Beschäftigung zu erhalten, er bemühe sich aber trotz seiner Delikte sich an das gesellschaftliche Leben in Österreich anzupassen. Er wolle seine abgebrochene Lehrausbildung als Koch fortsetzen und künftig hierzulande einen Beruf problemlos ausüben, um sich selbst erhalten zu können. Der Beschwerdeführer habe darüber hinaus eine weitere Arbeitszusage vorzulegen. Der Vorwurf der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe im Bundesgebiet nicht länger als fünf Monate gearbeitet, sei dahingehend zu beantworten, dass diese als zu kurz vorgeworfenen Anstellungen ihren Ursprung beim Nichtvorliegen einer Beschäftigungsbewilligung haben, da dem Beschwerdeführer stets mitgeteilt worden sei, er sei für eine Stelle gesetzmäßig nicht anstellbar. Ab positiver Erledigung des Antrags, werde er durch seine Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten können. Der Beschwerdeführer habe sich somit „ausgezeichnet eingelebt“, er habe viele österreichische Freunde. Er sei mit Österreich sehr tief verwurzelt und „fühle sich dem Land sehr verbunden“.
Die belangte Behörde habe sich mit seiner Lage überhaupt nicht auseinandergesetzt und wäre es möglich gewesen, konkrete Nachforschungen im Hinblick auf die persönliche Lage des Beschwerdeführers in Bezug auf das Heimatland durchzuführen. Er habe Tschetschenien im Kindesalter verlassen, spreche die Muttersprache seiner Eltern auf einem sehr geringen Sprachniveau und sei deshalb die Rückkehr in die Russische Föderation nicht zumutbar. Zudem stelle der Beschwerdeführer keine Gefahr für die allgemeine Sicherheit Österreichs dar, dies trotz seiner Bescholtenheit, denn der Beschwerdeführer habe sein Fehlverhalten zutiefst bereut und seine Verfehlungen bereits verbüßt.
Der Beschwerde beigelegt war eine Mitteilung eines Abholgroßmarktes, wonach dem Beschwerdeführer eine Tätigkeit im Unternehmen in Aussicht gestellt werden könne, datierend mit 28.01.2019 sowie ein Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung am 24.04.2018. Beigelegt war zudem ein Schreiben seines Bewährungshelfers sowie eine Entscheidung des XXXX betreffend vorzeitige bedingte Entlassung.
I.2.9. Mit Erkenntnis vom 19.02.2019 wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde als unbegründet ab. Die Rückkehrentscheidung wurde insbesondere damit begründet, dass trotz familiärer Anknüpfungspunkte im Inland auch diese Beziehungen zur Familie bereits in der Vergangenheit den Beschwerdeführer keinesfalls von der Begehung schwerster Straftaten abgehalten hätten. Dem Beschwerdeführer sei wegen seiner Straftaten bereits 2012 rechtskräftig der Asylstatus aberkannt worden. Dies habe den Beschwerdeführer jedoch auch nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten, sodass im Ergebnis angesichts der schweren Delinquenz der Eingriff in das Familienleben gerichtfertigt sei. Weiters sei auszuführen, dass der Beschwerdeführer durch die Begehung mehrerer Straftaten, die zu Verurteilungen zu (zum Teil) unbedingten, langwierigen Freiheitsstrafen geführt hätten, wiederholt zum Ausdruck gebracht habe, die österreichische Rechtsordnung nicht zu akzeptieren. Es könne daher nicht von einer besonderen sozialen Verfestigung gesprochen und auch keine positive Zukunftsprognose getroffen werden, denn auch die mehrfachen Vorstrafen hätten den Beschwerdeführer nicht von weiteren Straftaten abhalten können und bei den von ihm begangenen Straftaten handle es sich nicht um bloß geringfügige Delikte, sondern um Straftaten, die auf die grundsätzliche Gewaltbereitschaft und auf ein hohes Aggressionspotenzial des Beschwerdeführers schließen lassen würden. Der Beschwerdeführer müsse zudem gegen sich gelten lassen, dass er in der Vergangenheit erkennbar keine Schritte – insbesondere im Hinblick auf die wiederkehrende Straffälligkeit - gesetzt habe, um seine soziale Integration, sowie sein wirtschaftliches Fortkommen im Bundesgebiet zu regeln. Erkennbar erst angesichts der angedrohten Rückkehrentscheidung habe der BF in Justizhaft begonnen, seine Bildung zu ergänzen und sich um eine neuerliche berufliche Anstellung – nach Jahren diesbezüglicher Untätigkeit - zu bemühen. Weitere integrationsbegründende Umstände, beispielsweise soziales Engagement, ehrenamtliche Tätigkeiten oder die Mitgliedschaft in einem Verein, seien für das Gericht nicht ersichtlich. Insgesamt habe sohin die Abwägung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers mit den öffentlichen Interessen ergeben, dass trotz des 14-jährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich, sowie seiner geknüpften Freundschaften und der absolvierten Schulausbildung, die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen sowie an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, die durch den Aufenthalt des wiederholt straffällig gewordenen Beschwerdeführers gefährdet seien, schwerer wiegen würden, als die Auswirkungen der Rückkehrentscheidung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.
I.2.10. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11.06.2019 wurde die Behandlung der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts abgelehnt und mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 17.07.2019 wurde diese über nachträglichen Antrag im Sinne des § 87 Abs. 3 VfGG gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
I.2.11. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 05.09.2019 wurde der Revision des Beschwerdeführers gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
I.2.12. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.12.2019 wurde das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Es hätte einer näheren Befassung mit den Straftaten des Revisionswerbers und seinem daraus ableitbaren Persönlichkeitsbild bedurft. Die wiedergegebenen - im Wesentlichen der Strafregisterauskunft folgenden - Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts würden für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose nicht ausreichen. Dies gelte umso mehr, weil es sich bei den Straftaten großteils um solche handelte, die der Revisionswerber als Jugendlicher oder als junger Erwachsener begangen hatte. Unter Berücksichtigung insbesondere des seit April 2004 andauernden Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet, seiner Deutschkenntnisse, der österreichischen Angehörigen (Eltern und Geschwister) sowie der teilweise ausgeübten Berufstätigkeit hätte das Bundesverwaltungsgericht auch nicht vom Vorliegen eines eindeutigen Falles ausgehen dürfen, der es ihm ausnahmsweise erlaubte, von der Durchführung der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung abzusehen.
I.2.13. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.02.2020 wurde der Beschwerde des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Mit Ladung vom 04.02.2020 wurde vom Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den 26.03.2020 anberaumt, welche vom Bundesverwaltungsgericht am 16.03.2020 – coronabedingt - abgesagt wurde.
I.2.14. Am 08.06.2020 erstattete der Beschwerdeführer einen Fristsetzungsantrag, woraufhin das Bundesverwaltungsgericht am 22.06.2021 vom Verwaltungsgerichtshof aufgefordert wurde, binnen sechs Wochen eine Entscheidung zu erlassen.
I.2.15. Am 20.07.2020 fand nunmehr eine öffentliche, mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, wobei der Beschwerdeführer insbesondere zu seinen strafrechtlichen Verurteilungen sowie integrativen Aspekten befragt wurde.
I.2.16. Am 27.07.2021 erstattete der Beschwerdeführer eine ergänzende Stellungnahme, womit er eidesstaatliche Erklärungen seiner Lebensgefährtin sowie deren Mutter vorlegte und sich zum Inhalt des Länderinformationsblattes äußerte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:
1. Feststellungen:
II.1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist volljähriger Staatsangehöriger der Russischen Föderation, somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Seine Identität steht fest. Er ist Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum islamischen Glauben. Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten und nimmt keine Medikamente.
II.1.2. Der BF reiste im Jahr 2004 als ca 9-Jähriger illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte im Wege seines gesetzlichen Vertreters (Vater) einen Asylerstreckungsantrag. Dem Antrag wurde mit Bescheid vom 18.11.2004 stattgegeben und festgestellt, dass dem BF kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Nachdem der BF als Jugendlicher bereits zweimal straffällig geworden war, wurde ihm mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.03.2012 der Status des Asylberechtigten aberkannt.
II.1.3. Der BF wurde mehrfach in Österreich rechtskräftig strafrechtlich verurteilt und zwar:
• mit Urteil des XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 125 StGB, wobei der BF eine fremde Sache beschädigte, indem er auf einem Sessel der XXXX Festspielbühne herumsprang, bis dieser aus der Verankerung riss, wodurch den XXXX Festspielen ein Schaden entstand. Die Strafe wurde gemäß § 13 JGG für eine Probezeit von einem Jahr vorbehalten (Jugendstraftat);
• mit Urteil des LG XXXX , GZ. XXXX , vom XXXX wegen § 146 StGB, § 229 StGB, § 241e (3) StGB, § 142 (1) StGB, wobei der BF in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit anderen, mit Gewalt, nämlich Würgen und in den Rücken treten, Personen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz abnötigte, um durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern; unbare Zahlungsmittel bzw Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, mit dem Vorsatz, deren Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern bzw zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, unterdrückte; sowie mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, unter Vorspiegelung ihrer Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit, mithin durch Täuschung über Tatsachen, Taxilenker zur Beförderung in Taxis, mithin zu Handlungen verleitet, welche die Inhaber der jeweiligen Taxiunternehmen an deren Vermögen schädigte. Der BF wurde folglich unter Einbeziehung des Schuldspruches des Urteils XXXX zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 9 Monaten, davon 6 Monate bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren und unter Anordnung der Bewährungshilfe (Jugendstrafhaft) verurteilt und schuldig gesprochen zur ungeteilten Hand mit anderen, einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von EUR 300 zu bezahlen. Als mildernd wertete das Gericht das teilweise Geständnis des BF, als erschwerend die einschlägige Vorstrafe sowie das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen;
• mit Urteil des LG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 50 WaffG, § 15, §§ 127,129 Z2 StGB, §§ 146, 148 1. Fall StGB, §§ 15, 105 StGB, § 144 (1) StGB § 15 StGB, wobei der BF mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, eine Person durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, nämlich die Drohung mit Abzocken und Verprügeln, sowie, dass ihm und seiner Familie etwas angetan werde, zu einer Handlung, die ihn am Vermögen schädigte bzw schädigen sollte, genötigt bzw zu nötigen versuchte; eine Person durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, nämlich die Drohung, dass ihm und seiner Familie etwas passieren werde bzw sein Leben „gefickt“ sei, zu einer Unterlassung zu nötigen versuchte; gewerbsmäßig mit dem Vorsatz durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, jemanden durch Täuschung über Tatsachen, nämlich über seiner Bereitschaft zur Rückgabe eines iPods sowie über seine Zahlungsfähigkeit und –willigkeit zur Bezahlung von Cannabis, zu einer Handlung verleitete, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigte; eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein Fahrrad, einem unbekannten Verfügungsberechtigten durch Aufbrechen eines Behältnisses, einer Fahrradbox, mit dem Vorsatz wegzunehmen versuchte, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er durch wuchtige Schläge mit einer Stahlrute gegen den Eisenrahmen der Fahrradbox durch Einführen der Stahlrute zwischen die Stäbe des Eisenrahmens im Bereich des Schließzylinders aufzubrechen und das Fahrrad daraus wegzunehmen trachtete; sowie wenn auch nur fahrlässig, eine Stahlrute, mithin eine verbotene Waffe, im Sinne des § 17 WaffG unbefugt besessen hat. Der BF wurde folglich zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 10 Monate (Jugendstraftat) verurteilt und schuldig gesprochen, einen Schadensersatzbetrag in Höhe von EUR 400 zu bezahlen. Als mildernd wertete das Gericht das teilweise Geständnis, die teilweise Schadensgutmachung sowie den teilweisen Versuch, als erschwerend die einschlägigen Vorstrafen sowie das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen und Vergehen;
• mit Urteil des BG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 125 StGB, wobei der BF in der Justizanstalt XXXX ein Lesebuch und eine Kühlbox beschädigte, zu einer Geldstrafe in der Höhe von 40 Tagessätzen (EUR 160) (Jugendstraftat). Als mildernd wertete das Gericht das Geständnis, als erschwerend die drei einschlägigen Vorstrafen;
• mit Urteil des LG XXXX , GZ. XXXX , vom XXXX wegen §142 StGB, wobei der BF mit einem anderen in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter mit Gewalt gegen eine Person, nämlich Schläge mit der Faust sowie auf die Person eintreten, fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Packung Zigaretten, eine Kräutermühle sowie Bargeld in Höhe von EUR 4 mit dem Vorsatz abnötigte, durch deren Zueignung, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern. Der BF wurde folglich zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Monaten verurteilt (Junger Erwachsener). Als mildernd wertete das Gericht das Alter unter 21 Jahren, als erschwerend die Vorstrafen sowie den raschen Rückfall;
• mit Urteil des LG XXXX , GZ. XXXX , vom XXXX wegen § 50 (1) Z 3 WaffG, § 84 (4) StGB, wobei der BF einen anderen vorsätzlich am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung bei diesem herbeiführte, indem er diesem mehrere Faustschläge gegen den Kopf versetze, wodurch dieser eine Unterkieferkorpusfraktur und eine Kollumfraktur, sohin eine an sich schwere Körperverletzung, erlitt; sowie, wenn auch nur fahrlässig, eine verbotene Waffe trotz aufrechten Waffenverbotes, nämlich eine CO2-Waffe samt Magazin und Munitionsflasche unbefugt besaß. Er wurde folglich zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten verurteilt und schuldig gesprochen, einen Schadensersatzbetrag in Höhe von EUR 2.254,46 zu bezahlen. Als mildernd wertete das Gericht das Geständnis sowie das Alter beim Vergehen nach dem WaffG unter 21 Jahren, als erschwerend die drei einschlägigen Vorstrafen, das Zusammentreffen von einem Verbrechen und einem Vergehen sowie die Tatbegehung innerhalb der Probezeit.
Festgestellt werden weiters die dem Strafregisterauszug zu entnehmenden Informationen und Daten, insbesondere Vollzugsdaten. Der BF verbrachte aufgrund seiner Verurteilungen, wobei es sich mit Ausnahme einer Verurteilung um Jugendstrafsachen bzw Strafsachen junger Erwachsener handelte, über drei Jahre seines zum Entscheidungszeitpunkt 25-jährigen Alters in Haft. Der BF wurde nach (auch bedingten) Haftentlassungen bzw Verurteilungen rasch, nämlich etwa nach einem Jahr, rückfällig, insbesondere das, der vorletzten Verurteilung vom XXXX zugrundeliegende Verhalten, wurde nur knapp sieben Monate nach der letzten Haftentlassung des BF gesetzt. Seit der seiner letzten bedingten Entlassung unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren aus dem Strafvollzug am XXXX nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Haftstrafe wurde der BF nicht mehr rückfällig. Der BF hat sich seither mit seinem delinquenten Verhalten auseinandergesetzt, an sich gearbeitet und sich um eine Bildungs- und Berufsperspektive gekümmert.
II.1.4. Der BF ist seit 2019 mit einer deutschen Staatsbürgerin, XXXX , welche er bereits zuvor kannte, zusammen, aus dieser Beziehung stammt mittlerweile ein Kind, das am XXXX geboren wurde. Die beiden leben derzeit getrennt, da die Lebensgefährtin des BF von ihrer Mutter finanziell und in der Betreuung unterstützt wird. Der BF lebt auf der österreichischen Seite der Staatsgrenze in XXXX , während seine Lebensgefährtin auf der deutschen Seite, in XXXX , wohnt, wobei die Wohnsitze voneinander etwa 30 Minuten mit dem Auto entfernt sind. Die beiden sehen sich am Wochenende, sowie bei Möglichkeit unter der Woche. Sie möchten zusammenziehen, sobald der BF ein Einkommen sowie ein erforderliches Dokument für Reisen hat. Beide Elternteile kümmern sich um ihr Kind. Die Lebensgefährtin des BF spricht weder die russische, noch die tschetschenische Sprache und arbeitet in einem der Betriebe ihrer Eltern als Angestellte. Auch die Schwester und die Mutter der Lebensgefährtin des BF pflegen zu diesem und deren Kind ein gutes Verhältnis, wie auch umgekehrt die Lebensgefährtin des BF zu dessen Eltern und Geschwistern.
II.1.5. Der BF spricht gut Deutsch und Tschetschenisch und ein wenig Russisch. Der BF besuchte die Volksschule und die Hauptschule, wobei er den Pflichtschulabschluss im Jahre 2018 nachholte und in „Deutsch-Kommunikation und Gesellschaft“ ein „Genügend“ erreichte. Der BF hat etwa 11 Monate lang eine Lehre begonnen, diese aber nicht abgeschlossen und war ca 9 Monate als Arbeiter bei der XXXX beschäftigt. Abgesehen von diesen Zeiten der Erwerbstätigkeit, bezog der BF staatliche Unterstützungsleistungen. Der BF schloss am 22.06.2021 mit der XXXX einen Arbeitsvertrag als Bauhelfer aufschiebend bedingt mit Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung mit Arbeitsmarktzugangsberechtigung ab.
II.1.6. Der BF verfügt in Österreich über seine Eltern und seine Geschwister, zu welchen er ein gutes Verhältnis pflegt und welche mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, sowie über Freunde und Bekannte. In der Russischen Föderation lebt noch der Bruder des Vaters des BF, zu welchem der BF aber keinen Kontakt mehr hat.
Beweiswürdigung:
II.2.1. Die Feststellungen zur Person des BF (Staatsangehörigkeit, Identität, Geburtstag, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit) und zum Asylverfahren sowie -vorbringen des BF ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungs- und Gerichtsaktes. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich ebenso aus den persönlichen Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wo er nur eine erforderliche Nasenoperation und damit zusammenhängende Atembeschwerden erwähnt, was aber keine lebensbedrohliche Krankheit darstellt, sowie aus dem Akteninhalt.
II.2.2. Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen des BF beruhen auf einem vom Bundesverwaltungsgericht amtswegig eingeholten Strafregisterauszug sowie aus den im Akt einliegenden Gerichtsurteilen, allesamt in Form der verkürzten Urteilsausfertigung. Die rasche Rückfälligkeit lässt sich einer Zusammenschau von Verurteilungs- und (Haft-) Vollzugsdatum und Datum der nächsten Tat entnehmen. Die Feststellung zum Zeitpunkt der letzten bedingten Haftentlassung des BF stützt sich auf den Beschluss des OLG XXXX vom XXXX . Die Feststellung, dass der BF sich seither mit seinem delinquenten Verhalten auseinandergesetzt und an sich gearbeitet hat, ergibt sich aus dem Beschluss des OLG XXXX , wonach beim BF im Vergleich zu seinem letzten Strafvollzug Verbesserungen im Anstalts- und Sozialverhalten, betreffend seine Ausbildungs- und Berufsperspektive und eine regelmäßige Auseinandersetzung mit seinem deliktischen Verhalten im Rahmen von Betreuungsgesprächen eingetreten seien, was nicht nur durch die Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, sich mit den Gründen seiner Delinquenz auseinandergesetzt zu haben, zu den in den Urteilen genannten Mittätern seit Jahren keinen Kontakt mehr zu haben und sich in den letzten Jahren grundlegend gebessert zu haben sowie eine (berufliche) Perspektive gewinnen zu wollen (vgl. S 6, 7 des Verhandlungsprotokolls), sondern auch durch die Angaben des Bewährungshelfers des BF, dass, hinsichtlich der die Persönlichkeitsentwicklung des BF, im Vergleich zu seinem früheren Verhalten, eine äußerst positive Veränderung festzustellen ist sowie das vom BF absolvierte Anti-Gewalt Training im Zeitraum vom 14.02.2019 bis 15.01.2020 bekräftigt wird.
II.2.3. Die Feststellungen zur Beziehung, finanziellen- und Wohnsituation des BF mit seiner Lebensgefährtin sowie mit deren Eltern ergeben sich aus den schriftlichen Eingaben des BF im Beschwerdeverfahren inkl Vorlage entsprechender Fotos (OZ 24, OZ 35, OZ 38) und der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie aus den eidesstattlichen Erklärungen der Lebensgefährtin des BF und deren Mutter (OZ 38), welche sich im Wesentlichen mit den Angaben des BF decken, weshalb diese für glaubhaft befunden wurden. Zwar liegt für das Kind keine Vaterschaftsanerkennung des BF vor, da es ihm mangels tauglicher Dokumente zwecks Identitätsfeststellung bisher nicht möglich war, demnach haben der BF und seine Lebensgefährtin die (faktische) Vaterschaft des BF glaubhaft dargelegt. Dass die Lebensgefährtin des BF weder Russisch noch Tschetschenisch spricht, beruht auf deren eidesstaatlicher Erklärung (OZ 38).
II.2.4. Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen des BF ergeben sich aus dem Akteninhalt. Die Feststellungen zum Pflichtschulabschluss bzw zu seiner Erwerbstätigkeit ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug vom August 2017 (AS 55ff), wobei der BF nach diesem Datum in Haft war bzw nach seiner Entlassung bislang nach eigenen Angaben keiner Arbeit nachging, sodass dieser Auszug nach wie vor aktuell ist, bzw dem vom BF vorgelegten Zeugnis (OZ 24). Die Feststellungen zum Arbeitsvertrag ergeben sich aus dem vom BF vorgelegten Arbeitsvertrag (OZ 35).
II.2.5. Die Feststellungen zum Aufenthalt der Familienangehörigen bzw Freunde und Bekannte des BF und zum (fehlenden) Kontakt mit diesen stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie die schriftlichen Eingaben des BF im Beschwerdeverfahren. Dass die in Österreich lebenden Verwandten des BF österreichische Staatsangehörige sind ergibt sich aus den von diesen vorgelegten Kopien ihrer österreichischen Reisepässe (OZ 24).
3. Rechtliche Beurteilung:
II.3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden auch: BVwG) durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das BVwG, wenn es in der Sache selbst entscheidet, die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. etwa VwGH 6.10.2020, Ra 2019/19/0332).
Zu A)
II.3.2. Zur Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung und den damit verbundenen Absprüchen:
II.3.2.1. § 55 AsylG 2005 lautet:
„(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet auszugsweise:
„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“
Im Hinblick auf § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG (früher: § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 38/2011) ist festzuhalten, dass bei jeder Rückkehrentscheidung auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Asylwerbers nach Art. 8 Abs. 1 EMRK Bedacht zu nehmen ist, wobei in diesem Zusammenhang Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs erfordert und somit eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen verlangt (vgl. VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.
II.3.2.2. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind entsprechend der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
II.3.2.2.1. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Betroffene in Österreich über schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; 23.06.2015, Ra 2015/22/0026). Ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt kann den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet – unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände – ein großes Gewicht verleihen bzw. eine auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt gegründete aufenthaltsbeendende Maßnahme als unverhältnismäßig erscheinen lassen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, können solche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ausnahmsweise auch nach einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (s. VwGH 22.01.2013, 2011/18/0036). Zuweilen wurde – ausgehend von den zugunsten eines Fremden festgestellten Umständen – diese Rechtsprechung auch auf einen knapp zehn Jahre noch nicht erreichenden Aufenthalt angewendet (vgl. zu einem Aufenthalt von mehr als neuneinhalb Jahren VwGH 09.09.2014, 2013/22/0247). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden – abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich – sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (s. VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0054). Umgekehrt kann auch ein langjähriger Aufenthalt des Fremden in Österreich durch sein massives strafrechtliches Fehlverhalten relativiert sein (VwGH 01.03.2016, Ra 2015/18/0247).
Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120; 21.06.2018, Ra 2016/22/0101).
Private Interessen am Verbleib im Bundesgebiet können facettenreich sein. Tendenziell ist eine (regelmäßige) Erwerbstätigkeit und vor allem die damit verbundene Selbsterhaltungsfähigkeit ein wichtiger Aspekt. Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. 4. 2006, 2005/18/0560, dürfte mitentscheidend gewesen sein, dass der Beschwerdeführer seit fast fünf Jahren ununterbrochen, noch dazu beim selben Dienstgeber, legal beschäftigt war. Für die wirtschaftliche Integration ist nicht maßgeblich, ob es sich um eine qualifizierte Tätigkeit handelt. Hingegen erachtet der Verwaltungsgerichtshof die Integration als stark gemindert, wenn Unterstützungszahlungen karitativer Einrichtungen oder bloße Gelegenheitsarbeiten den Unterhalt gewährleisten oder erst gegen Ende des mehrjährigen Aufenthalts die Tätigkeit als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter ins Treffen geführt werden kann und bis dahin Sozialhilfe bezogen wurde (vgl. VwGH 11. 10. 2005, 2002/21/0124; VwGH 22. 6. 2006, 2006/21/0109; VwGH 5. 7. 2005, 2004/21/0124 u.a.).
Der Aspekt der Bindungen zum Heimatstaat steht in direkter Beziehung zur Integration im Bundesgebiet: Je länger der Aufenthalt im Gastland, desto stärker wird der Verlust an Bindungen zum Heimatland sein. Mit der Abnahme von Bindungen zum Herkunftsstaat wird in der Regel auch der Integrationsgrad im Bundesgebiet zunehmen. Das Fehlen jeglicher Verwandter und sonstiger Bezugspersonen im Heimatland wird ebenso wie der zwischenzeitlich eingetretene Verlust der Sprache des Heimatlandes für die Frage der Zumutbarkeit einer Reintegration maßgebliche Bedeutung erlangen (Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 858 f.).
II.3.2.2.2. Vom Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).
Der Begriff des Familienlebens ist sohin nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR 13.06.1979, Fall Marckx). Ehen, die nicht nationalem Recht entsprechen, sind kein Hindernis für ein Familienleben (EGMR 28.05.1985, Fall Abdulaziz, Cabales und Balkandali). Ebensowenig reicht das Eheband allein nicht aus, um die Anwendbarkeit des Art. 8 EMRK auszulösen. Reine Scheinehen sind deshalb nicht geschützt (VwGH 29.06.2010, 2006/18/0484).
II.3.2.2.3. Der BF reiste 2004 als 9-jähriger ins Bundesgebiet ein, hielt sich in Österreich zunächst als Asylwerber/ Asylberechtigter ununterbrochen bis 2012, in welchem Jahr dem BF der Asylstatus aufgrund seiner Straffälligkeit aberkannt wurde, und danach unrechtmäßig auf, wobei sein Verfahren bezüglich eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 seit dem 19.09.2017 anhängig ist. Er hält sich somit seit knapp 17 Jahren in Österreich auf, und