TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/10 W189 2239276-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.08.2021
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Entscheidungsdatum

10.08.2021

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9

Spruch


W189 2239276-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen die Spruchpunkte I. – III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: der BF) stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Asylantrag (Akt I, AS 13 ff).

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX wurde der Asylantrag des BF gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.), die Abschiebung des BF in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.) (Akt I, AS 133 ff).

3. Der BF erhob gegen diesen Bescheid Berufung (Akt I, AS 219 ff).

4. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom XXXX wurde der Beschwerde des BF stattgegeben und ihm gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme (Akt I, AS 283 ff).

5. Am XXXX wurde der BF vom Bezirksgericht XXXX wegen Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe vom einem Monat verurteilt.

6. Am XXXX wurde der BF vom Landesgericht XXXX wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15 StGB § 169 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von 300 Tagsätzen zu je EUR 4,- (EUR 1.200,-), im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 150 Tagen verurteilt.

7. Im Rahmen einer polizeilichen Zeugenvernehmung am XXXX gab der BF an, im XXXX über Weißrussland nach Tschetschenien gereist zu sein, wo er für zwei Wochen seine Mutter besucht habe. Er wisse nicht, ob er in seiner Heimat noch gefährdet sei oder nicht. Er wolle dort einfach nicht mehr leben (Akt II, AS 13).

8. Der BF wurde am XXXX durch das Bundesamt für Fremdenwesen (in der Folge: BFA) zum Gegenstand einer Asylaberkennung niederschriftlich einvernommen (Akt II, AS 63 ff).

9. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX wurde dem BF der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Dem BF wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig erklärt und dem BF eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt IV.) (Akt II, AS 105 ff).

10. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF durch seine Rechtsvertretung fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. – III. dieses Bescheides ein und monierte Verletzung der Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides (Akt II, AS 187 ff).

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin der russischen Sprache durch, an welcher der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA bliebt der Verhandlung entschuldigt fern (OZ 6Z).

12. Am XXXX gab der BF eine Stellungnahme zu den Länderberichten ab (OZ 7).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Zur Person des BF

Der BF ist russischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tschetschenen sowie der Religionsgemeinschaft der Muslime an. Er ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Er spricht Tschetschenisch und Russisch.

Der BF wurde in XXXX , Republik Tschetschenien, geboren und ist dort aufgewachsen. Er hat in seiner Heimat von XXXX bis XXXX die Grundschule besucht. Im XXXX ist der BF in das österreichische Bundesgebiet eingereist.

Die Mutter und die zwei jüngeren Brüder des BF leben in einem eigenen Haus in XXXX . Seine Mutter bezieht Pension, ein Bruder arbeitet und der andere ist arbeitslos. Der BF hat regelmäßig Kontakt zu ihnen.

Der BF hat in Österreich in verschiedenen Unternehmen als Hilfsarbeiter gearbeitet und ist seit ungefähr XXXX arbeitslos. Der BF hatte Hepatitis C und muss Medikamente einnehmen.

Am XXXX wurde der BF vom Bezirksgericht XXXX zur Zl. XXXX wegen Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe vom einem Monat verurteilt.

Am XXXX wurde der BF vom Landesgericht XXXX zur Zl. XXXX wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15 StGB § 169 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von 300 Tagsätzen zu je EUR 4,- (EUR 1.200,-), im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 150 Tagen verurteilt.

Der BF reiste am XXXX über den polnischen Grenzort XXXX aus der Europäischen Union aus und kehrte am XXXX zurück. Er reiste am XXXX über den ungarischen Grenzort XXXX neuerlich aus der Europäischen Union aus und kehrte am XXXX zurück. Der Konventionsreisepass des BF enthält keine Einreisestempel von Weißrussland und der Ukraine. Der BF verbrachte in etwa die Zeit vom XXXX bis XXXX und vom XXXX bis XXXX in Tschetschenien.

1.2. Zur den Gründen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

Dem BF wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom XXXX , Zl. XXXX , gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Der Asylgerichtshof ging davon aus, dass das Vorbringen des BF, nämlich, dass er und sein Bruder in den beiden Tschetschenienkriegen durch die Unterstützung der Kämpfer mit Lebensmitteln und ähnlichem beteiligt gewesen seien und der BF deshalb im Jahr XXXX drei Monate von russisch-tschetschenischen Sicherheitskräften gefangen gehalten und schwer misshandelt worden sei, sowie sein Bruder seit dem Jahr XXXX verschollen sei, glaubhaft sei.

1.3. Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten

Die Lage im Herkunftsstaat des BF hat sich seit Zuerkennung des Status maßgeblich und nachhaltig geändert. Der BF unterliegt in der Russischen Föderation daher keiner aktuellen Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

1.4. Zur Situation des BF im Falle einer Rückkehr

Dem BF ist die Rückkehr in die Russische Föderation – etwa in den Heimatort XXXX – zumutbar.

Im Falle einer Rückkehr würde er in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Er läuft nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat ist der BF nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

1.5.1. Politische Lage in Tschetschenien

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland

?        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation

1.5.2. Sicherheitslage in Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Quellen:

•        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik

•        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus

1.5.3. Rechtschutz und Justizwesen in Tschetschenien

In Tschetschenien herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellen Gewohnheitsrecht (Adat), einschließlich der Tradition der Blutrache, und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 13.2.2019). Somit bewegt sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia (EASO 9.2014). Die Einwohner Tschetscheniens sagen jedoch, dass das fundamentale Gesetz in Tschetschenien „Ramzan sagt“ lautet, was bedeutet, dass Kadyrows gesprochene Aussagen einflussreicher sind als die Rechtssysteme und ihnen möglicherweise sogar widersprechen (CSIS 1.2020).

Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017). So musste zum Beispiel im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in die föderalen Kompetenzen fällt (ÖB Moskau 12.2019).

Die Bekämpfung von Extremisten geht laut glaubwürdigen Aussagen von lokalen NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 13.2.2019, vgl. ÖB Moskau 12.2019, AI 22.2.2018). Es gibt ein Gesetz, das die Verwandten von Terroristen zur Zahlung für erfolgte Schäden bei Angriffen verpflichtet. Menschenrechtsanwälte kritisieren dieses Gesetz als kollektive Bestrafung. Angehörige von Terroristen können auch aus Tschetschenien vertrieben werden (USDOS 11.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Ausgewiesene Familien können sich grundsätzlich in einer anderen Region der Russischen Föderation niederlassen und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken (ÖB Moskau 12.2019). Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz (AA 13.2.2019), hierzu gehören neben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (ÖB Moskau 12.2019) auch Oppositionelle, Regimekritiker und Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, Angehörige der LGBTI-Gemeinde und diejenigen, die sich mit Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. seinem Clan angelegt haben. Auch Künstler können Beeinträchtigungen ausgesetzt sein, wenn ihre Arbeit nicht im Einklang mit Linie oder Geschmack des Republiksoberhaupts steht. Regimekritikern und Menschenrechtsaktivisten droht unter Umständen Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zum Mord. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew, gegen den strafrechtliche Ermittlungen wegen (wahrscheinlich fingierten) Drogenbesitzes laufen, wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 13.2.2019). Titijew wurde nach fast anderthalb Jahren Gefängnis auf Bewährung freigelassen (AI 10.6.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World’s Human Rights - Russian Federation

•        AI Amnesty International (10.6.2019): Oyub Titiev kommt auf Bewährung frei!

•        CSIS – Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus

•        EASO – European Asylum Support Office (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautentführung; Waisenhäuser)

•        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation

•        US DOS – United States Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland

1.5.4. Sicherheitsbehörden in Tschetschenien

Die zivilen Behörden auf nationaler Ebene haben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien, die nur dem Republiksoberhaupt, Kadyrow, unterstellt sind (US DOS 11.3.2020). Kadyrows Macht wiederum gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen „Kadyrowzy“. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet; ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017). Vor allem tschetschenische Sicherheitsbehörden können Menschenrechtsverletzungen straffrei begehen (HRW 7.2018, vgl. AI 22.2.2018). Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ansuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch „ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden ‚unantastbaren Polizeieinheiten‘ zu tun haben“ (EASO 3.2017).

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor Ramzan Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind auch in Moskau präsent (AA 13.2.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World’s Human Rights - Russian Federation

•        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection

•        HRW – Human Rights Watch (7.2018): Human Rights Watch Submission to the United Nations Committee Against Torture on Russia

•        US DOS – United States Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland

1.5.5. Allgemeine Menschenrechtslage in Tschetschenien

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten (ÖB Moskau 12.2019). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 13.2.2019). Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird, und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. BAMF 11.2019).

In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten (ÖB Moskau 12.2019). Der regierungskritische tschetschenische Blogger Tumso Abdurachmanow ist nach eigenen Angaben in seinem polnischen Exil von einem bewaffneten Angreifer attackiert worden. Es sei ihm gelungen, den Angreifer zu überwältigen. Menschenrechtsgruppen verurteilten den Angriff als „Mordversuch“. Abdurachmanow betreibt bei YouTube einen Videokanal, der etwa 75.000 Abonnenten hat. In seinen Videos setzt er sich kritisch mit dem tschetschenischen Regionalpräsidenten Ramsan Kadyrow auseinander. Nach eigenen Angaben wurde er in Tschetschenien mit dem Tode bedroht, seit 2015 lebt er im Exil. Dies war nicht der erste Angriff auf einen Tschetschenen, der von Kadyrow als „störend“ empfunden wird, erklärte die russische Menschenrechtsorganisation Memorial. In den meisten Fällen würden die Ermordungen oder Mordversuche von „aus Tschetschenien entsandten Auftragsmördern“ in Moskau oder anderen russischen Regionen, aber auch in der Ukraine oder anderen europäischen Ländern ausgeführt. 2019 hatte die Ermordung eines Georgiers mit tschetschenischen Wurzeln im Berliner Tiergarten Aufsehen erregt. Das Opfer soll im sogenannten zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft haben. Laut Bundesanwaltschaft wurde der 40-Jährige von russischen Behörden als „Terrorist“ eingestuft und verfolgt. Ein dringend tatverdächtiger russischer Staatsangehöriger sitzt in Untersuchungshaft (AFP 27.2.2020). Anfang 2020 wurde ein anderer politischer Blogger aus Tschetschenien tot in einem Hotel in Frankreich aufgefunden. Imran Aliev (44) habe eine Kopfverletzung erlitten. Nach einem Bericht des kaukasischen Internetportals Kawkaski Usel hatte der Blogger sich in seiner früheren Heimat unbeliebt gemacht. Bei Youtube hatte der Tschetschene unter dem Namen Mansur Staryj Ramsan Kadyrow und dessen Familie scharf kritisiert (Kleine Zeitung 3.2.2020).

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 13.2.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,

•        AFP – Agence France Presse (27.2.2020): Bewaffneter Angreifer attackiert tschetschenischen Exil-Blogger

•        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (11.2019): Länderreport 21 Russische Föderation, LGBTI in Tschetschenien

•        Kleine Zeitung (3.2.2020): Gewalttat vermutet Blogger aus Tschetschenien lag tot in Hotelzimmer

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation

1.5.6. Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner (ÖB Moskau 12.2019) und unabhängige Journalisten (HRW 26.5.2017), wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. HRW 26.5.2017). Ramzan Kadyrow versucht dem Terrorismus und möglicher Rebellion in Tschetschenien unter anderem durch Methoden der Kollektivverantwortung zu begegnen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019). Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 13.2.2019). Auch Familienangehörige, Freunde und Bekannte oder andere mutmaßliche Unterstützer von Untergrundkämpfern können zur Verantwortung gezogen und bestraft werden (ÖB Moskau 12.2019; vgl. HRW 17.1.2019). Verwandte von terroristischen Kämpfern stehen häufig unter dem Verdacht, diese zu unterstützen (ÖB Moskau 12.2019), und sind daher von Grund auf eher der Gefahr öffentlicher Demütigungen, Entführungen, Misshandlungen und Folter ausgesetzt (sog. Sippenhaft) (ÖB Moskau 12.2019; vgl. HRW 17.1.2019). Vereinzelt kommt es vor, dass Personen, denen die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen wird, von Sicherheitskräften drangsaliert werden. Oftmals verlieren Angehörige ihre Arbeitsstelle, ihre Häuser werden niedergebrannt, Kinder werden von der Schule ausgeschlossen, oder sie werden überhaupt aus Tschetschenien ausgewiesen (ÖB Moskau 12.2019). Die Mitverantwortung wurde sogar durch Bundesgesetze festgelegt, so z.B. ein 2013 verabschiedetes Gesetz, das Familienangehörige von Terrorverdächtigen verpflichtet, für Schäden, die durch einen Anschlag entstanden sind, aufzukommen, und das die Behörden in diesem Zusammenhang auch zur Beschlagnahmung von Vermögenswerten der Familien ermächtigt (ÖB Moskau 12.2019; vgl. SFH 25.7.2014). Angehörigen von Aufständischen bleiben laut Tanja Lokschina von Human Rights Watch in Russland nicht viele Möglichkeiten, um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine Möglichkeit ist es, die Republik Tschetschenien zu verlassen, was sich jedoch nicht jeder leisten kann, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen kommen vor (Meduza 31.10.2017). Ausgewiesene Familien können sich grundsätzlich in einer anderen Region der Russischen Föderation niederlassen und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken (ÖB Moskau 12.2019).

Von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges einzig und allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen ist heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen (ÖB Moskau 12.2019). Aktuelle Beispiele zeigen jedoch, dass Kadyrow gegen bekannte Kritiker, die manchmal auch der Republik Itschkeria zuzurechnen sind, auch im Ausland vorgeht (CACI 25.2.2020).

Trotzdem dürften sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung vor allem auch auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen. Zahlreichen Personen, nach denen seitens russischer Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen Strafgesetzbuch zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den sog. Islamischen Staat zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        CACI – Central Asia-Caucasus Analyst (25.2.2020): Kadyrov Continues to Target Enemies Abroad

•        HRW - Human Rights Watch: Russia (26.5.2017): Anti-Gay Purge in Chechnya

•        HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 – Russia

•        Meduza (31.10.2017): Guilty by blood

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation

•        ÖB Moskau (12.7.2017): Information an die Staatendokumentation, Moskau-KA/ENTW/0014/2017

•        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland: Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans

1.5.7. Bewegungsfreiheit

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 13.3.2019).

Quellen:

•        US DOS – United States Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland

1.5.8. Grundversorgung im Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 7.2020a; vgl. ÖB Moskau 12.2018), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Dennoch hat sich die wirtschaftliche Lage im Nordkaukasus in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Wenngleich die föderalen Transferzahlungen wichtig bleiben, konnten in den vergangenen Jahren dank des massiven Engagements der Föderalen Behörden, insbesondere des Nordkaukasus-Ministeriums, signifikante Fortschritte bei der sozio-ökonomischen Entwicklung der Region erzielt werden (ÖB Moskau 12.2019). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung. Die Bevölkerungspyramide ähnelt derjenigen eines klassischen Entwicklungslandes mit hohen Geburtenraten und niedrigem Durchschnittsalter, und unterscheidet sich damit stark von der gesamtrussischen Altersstruktur (AA 13.2.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation

1.5.9. Sozialbeihilfen

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab; eine finanzielle Beteiligung der Profitierenden ist nicht notwendig. Alle Leistungen stehen auch Rückkehrern offen (IOM 2018). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds (GIZ 7.2020c).

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2020c)

Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017). Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitee Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

• Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);

• Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);

• Familien mit geringem Einkommen;

• Studenten, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).

Arbeitslosenunterstützung: Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Die Mindesthöhe pro Monat beträgt 850 Rubel (12 €) und die Maximalhöhe 4.900 Rubel (70 €). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2018).

Quellen:

•        BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

•        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft

•        IOM – International Organisation of Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation

•        Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382

1.5.10. Behandlungsmöglichkeit von Hepatitis

Hepatitis C ist sowohl in der Russischen Föderation (BMA 11674) als auch in Tschetschenien behandelbar (BMA 11292).

Quellen:

•        International SOS via MedCOI (23.6.2018): BMA 11292

•        International SOS via MedCOI (15.10.2018): BMA 11674

1.5.11. Rückkehr

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung von Problemen zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Im Normalfall sind Rückkehrer aber nicht immer mit Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert (ÖB Moskau 12.2019).

Es besteht keine allgemeine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit von Rückkehrern in den Nordkaukasus. Vereinzelt gibt es Fälle von Tschetschenen, die im Ausland einen negativen Asylbescheid erhalten haben, in ihre Heimat zurückgekehrt sind und nach ihrer Ankunft unrechtmäßig verfolgt worden sind. Das unabhängige Informationsportal Caucasian Knot schreibt in einem Bericht vom April 2016 von einigen wenigen Fällen, in denen Tschetschenen, denen im Ausland kein Asyl gewährt worden ist, nach ihrer Abschiebung drangsaliert worden wären (ÖB Moskau 12.2019). Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für jene ergeben, die schon vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 12.2019).

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Polizei gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 13.2.2019).

Neben der allgemeinen Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr haben Rückkehrer die Möglichkeit, eines der vom österreichischen Innenministerium unterstützten Reintegrationsprogramme in ihrem Heimatland in Anspruch zu nehmen. Diese freiwilligen Rückkehrer erhalten eine umfassende Beratung und eine Reintegrationsleistung vor Ort (besteht im Wesentlichen aus einer Sachleistung), welche eine erneute Existenzgrundlage im Herkunftsland ermöglichen und somit eine Nachhaltigkeit der Rückkehr fördern soll (ÖB Moskau 12.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person des BF

2.1.1. Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF, zu seinen Sprachkenntnissen, seinem Geburts- und Aufenthaltsort im Herkunftsstaat, seiner Schulbildung und seiner Einreise nach Österreich gründen sich auf seine glaubhaften und unbestrittenen Aussagen im Zuerkennungsverfahren (Akt I, AS 25 ff).

Die Feststellungen zu seinen Angehörigen im Herkunftsstaat und dem Kontakt zu ihnen folgen den glaubhaften Angaben des BF im Aberkennungsverfahren (Akt II, AS 67; Verhandlungsprotokoll S. 5).

Ebenso gründen sich die Feststellungen zur nunmehrigen Arbeitslosigkeit und früheren Erwerbstätigkeit des BF sowie seinem Gesundheitszustand auf seinem aktuellen Vorbringen (Akt II, AS 65 und 67; Verhandlungsprotokoll S. 3).

Die Feststellungen zur Straffälligkeit des BF beruhen auf einem eingeholten Auszug aus dem Strafregister.

Die Feststellungen über die Ausreisen aus der bzw. Einreisen in die Europäische Union ergeben sich aus den im Konventionsreisepass des BF enthaltenen Ein- und Ausreisestempeln des polnisch-weißrussischen Grenzortes XXXX und des ungarisch-ukrainischen Grenzortes XXXX (Akt II, AS 35 f). Die dazu getätigten Angaben des BF sind allerdings grob widersprüchlich. Sagte er noch in der polizeilichen Zeugenvernehmung vom XXXX aus, im XXXX über Weißrussland nach Tschetschenien gereist zu sein, um dort für zwei Wochen seine kranke Mutter zu besuchen (Akt II, AS 13), bestritt er dies in der Einvernahme durch das BFA vom XXXX kategorisch und gab nun an, nur in Weißrussland gewesen zu sein. Die Polizei habe ein falsches Protokoll erstellt (Akt II, AS 67). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX wiederum erklärte der BF zunächst, dass er XXXX nach Tschetschenien gereist sei, um dies unmittelbar darauf wiederum abzustreiten, bloß um darauf folgend wiederum doch zuzugeben, dort gewesen zu sein (Verhandlungsprotokoll S. 7 f). Vor dem Hintergrund dieses grob widersprüchlichen Aussageverhaltens des BF, dem allerdings eindeutigen Protokoll der polizeilichen Vernehmung, welches dem BF auch rückübersetzt wurde, und den vorhandenen Passstempeln besteht kein Zweifel daran, dass der BF tatsächlich in Tschetschenien war. Diesen Passstempeln ist jedoch zu entnehmen, dass der BF im XXXX nicht – wie von ihm behauptet – über Weißrussland, sondern über die Ukraine aus der Europäischen Union ausreiste und – seiner Aussage folgend – nach Tschetschenien einreiste. Eine Ausreise nach bzw. über Weißrussland erfolgte hingegen bereits im XXXX . Zudem verbrachte der BF – wiederum auf Basis der Stempel – XXXX nicht bloß zwei Wochen, sondern rund einen Monat und zehn Tage außerhalb der Europäischen Union und also offenkundig in Tschetschenien. Auf Basis dieser Erwägungen und des insbesondere völlig unglaubwürdigen Verhaltens des BF, der mehrfach seine Aussage abänderte, war daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass der BF nicht nur vom XXXX , sondern auch schon zuvor vom XXXX in Tschetschenien verbrachte, zumal auch sonst kein Grund ersichtlich ist, weshalb der BF seine weitere Reisetätigkeit, nämlich insbesondere bereits die Einreise nach Weißrussland bzw. die Ukraine – entsprechende Stempel fehlen nämlich im Konventionsreisepass – verschleiern würde, was im Übrigen den Besitz eines russischen Auslandsreisepasses durchaus nahelegt, letztlich aber dahingestellt bleiben kann.

2.2. Zu den Gründen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

Die Gründe für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ergeben sich aus dem genannten rechtskräftigen Erkenntnis des Asylgerichtshofs (Akt I, AS 283 ff bzw. zur näheren Begründung insbesondere AS 323).

2.3. Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten

Dass der BF in der Russischen Föderation keiner aktuellen Bedrohung aus Konventionsgründen unterliegt, folgt aus den aktuellen Länderberichten, wonach Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges einzig und allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kampfhandlungen heute nicht mehr verfolgt werden. Der tschetschenische Machtapparat konzentriert sich inzwischen vielmehr auf öffentliche Kritiker von Kadyrow und islamistische Kämpfer sowie deren Angehörigen (s. Punkt II.1.5.6.). Der BF selbst hat nie selbst an Kampfhandlungen teilgenommen, sondern lediglich Widerstandskämpfer durch Nahrungsmittel unterstützt. Soweit der BF im gegenständlichen Aberkennungsverfahren in vor dem BFA angab, dass er damals von der (russischen) Polizei verdächtigt worden sei, Informanten umgebracht zu haben (Akt II, AS 67), ist anzumerken, dass dieses Vorbringen dem Erkenntnis des Asylgerichtshofs nicht zugrunde gelegt wurde. Soweit der BF sodann in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sein Vorbringen nochmals erheblich steigerte, indem er nun erstmals angab, aktiv am Krieg bzw. an Kampfhandlungen teilgenommen zu haben, und er dies bereits im Zuerkennungsverfahren behauptet habe, aber im gesamten Verfahren vor dem Bundesasylamt und dem Asylgerichtshof nie zu Protokoll genommen worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 5 ff), ist dies erst Recht völlig unglaubhaft. Vielmehr ist offenkundig, dass der BF versucht war, eine Bedrohungslage zu konstruieren, um einer Aberkennung seines Asylstatus entgegenzuwirken. Entsprechend brachte der BF nämlich auch noch in der polizeilichen Zeugenvernehmung vor, dass er nicht wisse, ob er in seiner Heimat noch gefährdet sei und er einfach nicht mehr dort leben wolle (Akt II, AS 13). Somit ist vor dem Hintergrund der nicht substantiiert bekämpften Länderberichte keine aktuelle Bedrohungslage für den BF aus diesem Grund abzuleiten. Dass der BF ein islamistischer Kämpfer oder ein Kritiker von Kadyrow wäre, wurde von ihm weder vorgebracht, noch ergäbe sich dies aus dem Akteninhalt. Dabei ist festzuhalten, dass auch der zumindest zweimalige, längere Aufenthalt des BF in Tschetschenien sowie die Tatsache, dass seine Angehörigen offenkundig ohne staatliche Repressalien dort leben können, gegen eine Bedrohung des BF in seinem Herkunftsort sprechen. Im Übrigen vermag der Hinweis auf die grundsätzlich schlechte allgemeine Menschenrechtslage in Tschetschenien die Feststellung über die Amnestierung nicht zu ändern, da die genannten Ausführungen über Teilnehmer des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges als die konkret spezielleren Berichte zu betrachten sind, wobei nochmals zu wiederholen ist, dass der BF ohnehin nicht aktiv an den Tschetschenienkriegen teilgenommen hat, sondern lediglich Kämpfer mit Nahrungsmitteln unterstützt hat.

2.4. Zur Situation des BF im Falle einer Rückkehr

Die Mutter und zwei jüngere Brüder des BF leben in dessen Heimatort in einem eigenen Haus, wobei die Mutter Pension bezieht und ein Bruder arbeitet. Es ist somit davon auszugehen, dass sie über eine Existenzgrundlage verfügen. Der BF steht in Kontakt mit ihnen. Es sind im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass der BF im Falle einer Rückkehr auf dieses soziale Netz und die damit verbundene Unterkunft und finanzielle Hilfe nicht zugreifen könnte, zumal der BF auch nichts Derartiges vorbrachte. Der BF spricht mit Tschetschenisch und Russisch die Sprachen seines Herkunftsgebietes. Der BF hat dort seine Schulbildung absolviert und war jedenfalls in Österreich arbeitstätig. Zumal er auch arbeitsfähig ist, spricht nichts Grundsätzliches dagegen, dass der BF im Falle einer Rückkehr beruflich zumindest so weit Fuß fassen könnte, um für sein Existenzminimum zu sorgen, wobei auch von einer Unterstützung durch seine Angehörigen ausgegangen werden kann. Allenfalls könnte der BF auf staatliche Sozialleistungen wie Arbeitslosenunterstützung zurückgreifen. Auch der festgestellte Gesundheitszustand hindert den BF nicht an einer Teilnahme am Erwerbsleben bzw. kann auf Basis der Behandelbarkeit von Hepatitis in der Russischen Föderation davon ausgegangen werden, dass entsprechende Medikamente verfügbar sind. Da der BF aus Tschetschenien stammt, dort aufgewachsen ist und mehr als die Hälfte seines Lebens dort verbracht hat, wird er sich auch in den dort gültigen Gewohnheiten und Werten zurechtfinden.

Die genannten Erwägungen gelten auch in Betrachtung einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten, allfälligen schwierigeren wirtschaftlichen Gesamtlage, da damit nicht derartige Einschränkungen einhergehen, dass einer Person in der Ausgangslage des BF jegliche Existenzgrundlage entzogen wäre. Dies, zumal in der Russischen Föderation bereits Impfstoffe zur Verfügung stehen, sodass mittelfristig mit einem Wegfall derartiger Einschränkungen zu rechnen ist. Eine Impfmöglichkeit besteht sowohl in Österreich als auch in der Russischen Föderation.

Dass im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat der BF in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre, ist – zumal aufgrund des Wegfalls der asylbegründenden Umstände – anhand der Länderberichte nicht objektivierbar.

Sonstige außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen, hat der BF nicht angegeben und sind auch vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nicht hervorkommen.

2.5. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den im Länderinformationsblatt wiedergegebenen und zitierten Länderberichten. Diese gründen sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter Punkt II.1.5. zitiert.

3. Rechtliche Beurteilung

Zum Spruchteil A)

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

3.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des Asylberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.

Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 kann das Bundesamt einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt – wenn auch nicht rechtskräftig – nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

Gemäß Art. 1 Abschnitt C der GFK wird dieses Abkommen auf eine Person (…) nicht mehr angewendet werden, (…) 5. wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiter ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Die Bestimmungen des Z 5 sind nicht auf (…) Flüchtlinge anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr Heimatland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen.

Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 verleiht dem Grundsatz Ausdruck, dass die Gewährung von internationalem Schutz lediglich der vorübergehenden Schutzgewährung, nicht aber der Begründung eines Aufenthaltstitels dienen soll. Bestehen nämlich die Umstände, aufgrund derer eine Person als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr und kann sie es daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen, so stellt auch dies einen Grund dar, den gewährten Status wieder abzuerkennen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 AsylG, K8.).

Laut der Art. 1 Abschnitt C Z 5 betreffenden höchstgerichtlichen Judikatur setzt selbige Bestimmung in diesem Zusammenhang eine wesentliche nachhaltige Änderung der (für die Verfolgungsgefahr maßgeblichen) Umstände im Heimatstaat des Flüchtlings, einen Wegfall der Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK und der Notwendigkeit der Schutzgewährung voraus.

In diesem Kontext erweist sich der reine Wegfall des subjektiven Furchtempfindens als nicht ausschlaggebend; Umstände im Sinne dieser Regelung müssen sich auf grundlegende in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Konvention angeführte Fluchtgründe betreffende Veränderungen im Heimatstaat des Flüchtlings beziehen, aufgrund derer angenommen werden kann, dass der Anlass für die begründete Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht. Der Wegfall des subjektiven Furchtempfindens kann jedoch ein Indiz dafür sein, dass auch objektiv kein asylrechtlich relevanter Verfolgungsgrund mehr vorliegt (VwGH 25.06.1997, 95/01/0326; VwGH 29.01.1997, 95/01/0449).

Die Änderungen im Herkunftsstaat müssen zudem nachhaltig und nicht bloß von vorübergehender Natur sein (VwGH 22.04.1999, 98/20/0567. VwGH 25.03.1999 98/20/0475). Nach Einhaltung eines längeren Beobachtungszeitraums wird auch der bloße „Haltungswandel“ des bisherigen Verfolgers, ohne dass ein politischer Machtwechsel stattgefunden hat, eine asylrechtlich maßgebliche Änderung der Umstände ergeben und in Folge Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK zum Tragen kommen (VwGH 21.11.2002, 99/20/0171).

Der Wegfall der Verfolgungsgefahr ist maßgeblich für die Anwendung des Artikel 1 Abschnitt C Z 5 GFK. Ob die allgemeine wirtschaftliche Lage im Heimatland schlecht ist oder familiäre respektive emotionelle Bindungen zum Aufnahmestaat bestehen, ist für den Eintritt der in Rede stehenden Bestimmung grundsätzlich irrelevant.

3.1.2. Fallgegenständlich ging das BFA davon aus, dass sich die Umstände im Herkunftsland des BF maßgeblich und nachhaltig verändert (d.h. verbessert) haben, und der BF daher nicht ablehnen könne, sich dem Schutz seines Herkunftsstaates zu unterstellen, weshalb auch die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 der GFK anwendbar sei.

Wie schon beweiswürdigend ausgeführt, ist den Länderberichten zu entnehmen, dass Teilnehmern am ersten und zweiten Tschetschenienkrieg heute keine Gefahr mehr droht, sofern es sich nicht um prominente bzw. öffentliche Kritiker von Kadyrow handelt. Weder hat der BF aktiv an den Tschetschenienkriegen teilgenommen, noch ist er ein öffentlicher Kritiker von Kadyrow. Vor diesem Hintergrund sind die Umstände, aufgrund derer dem BF Asyl gewährt wurde, zweifellos und nicht nur vorübergehend weggefallen.

Andere Gründe, die zur Zuerkennung bzw. Beibehaltung des Status des Asylberechtigten geführt hätten, wurden vom BF nicht glaubhaft gemacht und sind auch sonst nicht hervorgekommen. Insbesondere waren die massiv gesteigerten Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht völlig unglaubhaft. Wie ebenso schon beweiswürdigend ausgeführt, sprechen im Übrigen die Tatsachen, dass die Mutter und die Brüder des BF weiterhin unbehelligt in Tschetschenien leben, sowie, dass der BF in den letzten Jahren wiederholt für einen längeren Zeitraum in Tschetschenien verweilte, gegen eine dem BF drohende Verfolgung.

Zwar erfolgte die Aberkennung des Status des Asylberechtigten mehr als fünf Jahre nach Zuerkennung, doch ist der BF im Sinne des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 straffällig geworden, weshalb ihm der Status auch ohne vorherige Zuerkennung eines Aufenthaltstitels durch die zuständige Aufenthaltsbehörde iSd § 7 Abs. 3 AsylG 2005 aberkannt werden konnte.

Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten des BF durch die belangte Behörde aus dem Grund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 der GFK erfolgte somit zu Recht.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher abzuweisen.

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend echte, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Weiters müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.

Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen.

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016).

Abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde, obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 - mit Verweis auf EGMR vom 05.09.2013, I. vs. Schweden, Nr. 61204/09).

Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in der Russischen Föderation bzw. in Tschetschenien aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Situation im Herkunftsstaat ist auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. Geeignete Beweise eines individuellen Risikos wurden durch den BF nicht vorgelegt.

3.2.2. Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (vgl. EGMR vom 06.02.2001, Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH vom 21.08.2001, 2000/01/0443). Außergewöhnlicher Umstände liegen vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Sie liegen aber auch dann vor, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt zu sein, die zu intensiven Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Nach ständiger Rechtsprechung de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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