TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/16 L518 2223960-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2021
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Entscheidungsdatum

16.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §9
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L518 2223963-1/11E

L518 2223966-1/11E

L518 2223961-1/8E

L518 2223960-1/8E

L518 2223964-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde des (1.) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Georgien, der (2.) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Georgien, der (3.) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Georgien, des (4.) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Georgien und des (5.) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Georgien, alle vertreten durch RAe KOCHER & BUCHER OG sowie durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (1.) vom 30.08.2019, Zl. XXXX , (2.) vom 30.08.2019, Zl. XXXX , (3.) vom 29.08.2019, Zl. XXXX , (4.) vom 29.08.2019, Zl. XXXX und (5.) vom 29.08.2019, Zl. XXXX , wegen §§ 8, 9, 10 und 57 Asylgesetz (AsylG 2005), § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) und §§ 46, 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 30.08.2021 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist mit der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) in aufrechter Ehe verheiratet, die minderjährige Drittbeschwerdeführerin (BF3), der minderjährige Viertbeschwerdeführer (BF4) und der minderjährige Fünftbeschwerdeführer (BF5) sind die leiblichen Kinder des BF1 und der BF2. Sämtliche Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Georgiens, der georgischen Volksgruppe zugehörig und orthodoxe Christen.

I.2. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin stellten im Gefolge ihrer illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 14.03.2018 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer stellte die BF2 als gesetzliche Vertreterin am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

I.3. Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der LPD Niederösterreich am 14.03.2018 gaben die BF zum Fluchtgrund befragt bekannt, dass im Jänner 2018 beim BF4 lymphoblastische Leukämie diagnostiziert wurde. In der Türkei hätte der BF1 für die Behandlung ca. USD 30.000,- aufgewendet. Dort hätte er erfahren, dass seinem Sohn in Österreich geholfen werden könnte. Andere Gründe hätte er und seine Familie nicht. Von der BF2 wurden die gleichen Gründe bekannt gegeben.

I.4. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der BF1 und die BF2 am 15.05.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, RD Niederösterreich, im Beisein einer Dolmetscherin in georgischer Sprache von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen.

Zu den Gründen der Antragstellung befragt gaben der BF1 und die BF2 gleichlautend an, dass der einzige Grund die beabsichtigte medizinische Behandlung des BF4 im Bundesgebiet sei, einen anderen Grund gäbe es nicht.

I.5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19.07.2018,
Zl. 1184268702-180255771, wurde der Antrag des BF4 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm
§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF4 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.07.2019 erteilt. Dem BF1, der BF2 und der mj. BF3 und BF5 wurde im Familienverfahren subsidiärer Schutz gewährt.

Begründend führte das Bundesamt aus, dass im Fall des BF4 eine Situation vorliege, welche einen Verbleib für die Dauer der medizinischen Behandlung erforderlich mache.

I.6. Die Bescheide erwuchsen mit 24.08.2018 in Rechtskraft.

I.7. Einem Befund des St. Anna Kinderspital vom 11.12.2018 ist zu entnehmen, dass am 20.10.2018 die intensive Chemotherapie beim BF4 abgeschlossen wurde und die Erhaltungstherapie am 13.11.2018 begonnen wird. Der Besuch der Schule ist somit wieder möglich.

I.8. Am 21.06.2019 stellte der BF1 für sich und die BF2 bis BF5 einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

I.10. Am 24.06.2019 wurde den BF im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zur beabsichtigten Aberkennung des subsidiären Schutzes und die aktuellen Länderinformationen zu Georgien übermittelt.

I.11. Von den BF wurde am 09.07.2019 diesbezüglich mitgeteilt, dass der BF4 dank den österreichischen Ärzten eine zweite Chance auf Leben erhalten hat. Die Behandlung sei zwar noch nicht abgeschlossen, ihm gehe es aber viel besser. Der BF4 besuche aktuell die Schule, Österreich sei jetzt die zweite Heimat. Übermittelt wurde dabei ein Schriftstück des St. Anna Kinderspital. Diesem ist entnehmbar, dass die Intensivtherapie abgeschlossen sei und die Erhaltungstherapie noch weitergeführt werde. Diese sollte in einem spezialisierten Zentrum wie dem St. Anna Kinderspital durchgeführt werden.

I.12. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 29.08.2019, wurde den BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I). Gemäß § 9 Abs. 4 AsylG wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm
§ 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß
§ 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde bei der BF2 und beim BF4 ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise fünf Monate ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage, bei den BF1, BF3 und BF5 14 Tage ab Rechtskraft.

Zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde im Wesentlichen festgehalten, dass die Gründe, welche zur Erteilung des subsidiären Schutzes geführt haben nicht mehr vorliegen. Die Intensivtherapie beim BF4 wurde beendet, dieser befinde sich nun in der Erhaltungstherapie und könne diese noch im Rahmen der Frist zur freiwilligen Ausreise abgeschlossen werden. Weitere Untersuchungen können auch im Heimatland durchgeführt werden, weshalb der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen sei. Außer der Krankheit des BF wurden keine Rückkehrbefürchtungen geltend gemacht und handle es sich bei Georgien ohnedies um einen sicheren Herkunftstaat. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG würden nicht vorliegen und verletzte die Rückkehrentscheidung nicht das Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet.

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Georgien traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.13. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

In der Beschwerde wird die Verletzung von Verfahrensvorschriften, mangelhafte Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht.

Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Angaben vorgebracht, dass die Länderfeststellungen mangelhaft wären, so müssten sich Patienten in Georgien in den meisten Fällen die Medikamente selbst kaufen. Auch sei es nicht nachvollziehbar, dass der Grund für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht mehr vorliege, befinde sich der BF4 doch noch in Therapie. Auch hätte das Bundesamt nicht aufgeschlüsselt, welche Kosten in Georgien vom Staat übernommen werden und welche die Familie selbst bezahlten müsse. Eine weitere Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung um zwei Jahre wäre nicht überzogen, sondern würde die gesetzmäßig gebotene Vorgangsweise darstellen. Weiters hätte das Bundesamt durch die Festlegung von unterschiedlichen Fristen hinsichtlich der freiwilligen Ausreise in das Familienleben eingegriffen.

Es werde eine mündliche Beschwerdeverhandlung beantragt, weiters die angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben und den BF eine auf zwei weitere Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zuzuerkennen. In eventu die Spruchpunkte IV. aufzuheben bzw. abzuändern, sodass die Rückkehrentscheidung aufgehoben, für auf Dauer unzulässig erklärt und Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK erteilt werden, die Bescheide des BF1, BF3 und BF5 bezüglich der Spruchpunkte VI. dahingehend abzuändern, dass die Frist für die freiwillige Ausreise fünf Monate betrage, in eventu den Bescheid ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen. Mitvorgelegt wurde ein Konvolut an medizinischen Befunden und Attesten, sowie Unterlagen zur Integration.

I.14. Mit Eingabe vom 16.08.2021 übermittelte die rechtliche Vertretung eine Stellungnahme. Darin wird mitgeteilt, dass die in Zentraleuropa üblichen Anwendungsprotokolle hinsichtlich des BF4 in Georgien nicht gegeben wären. Die Krebsbehandlung sei laut dem LIB von geringer Qualität. Auch würden vom Staat nur 80 % der Behandlungskosten übernommen werden. Die BF hätten ferner während ihres bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet einen bemerkenswerten Willen zur Integration gezeigt. Mit der Stellungnahme wurde im Rahmen der Urkundenvorlage ein Konvolut an medizinischen Unterlagen, Schulzeugnisse, Teilnahmebestätigungen und Empfehlungsschreiben eingebracht.

I.15. Am 30.08.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der BF samt ihrer rechtsfreundlichen Vertretung und einer Dolmetscherin für die georgische Sprache durchgeführt.

I.12. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Der BF1 führt den im Spruch genannten Namen, er ist Staatsangehörige von Georgien, Angehöriger der georgischen Volksgruppe und orthodoxer Christ. Der BF1 wurde am XXXX in XXXX geboren. Der BF1 besuchte elf Jahre lang die Schule, studierte danach drei Jahre auf der Sportakademie und war zuletzt als Kraftfahrer beschäftigt. Die Identität des BF1 steht fest.

Der BF1 ist der Gatte der BF2 und Vater der minderjährigen BF3 bis BF5.

Der BF1 ist gesund und gehört keiner COVID-19 Risikogruppe an.

im Herkunftsland wohnen noch die Eltern und eine Schwester, weiters noch Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins.

Die BF2 führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehörige von Georgien, Angehörige der georgischen Volksgruppe und orthodoxe Christin. Die BF2 wurde am XXXX geboren. Die BF2 besuchte neun Jahre lang die Schule, studierte danach Design an der Universität Tiflis. Beruflich war sie zuletzt als Managerin tätig. Die Identität der BF2 steht fest.

Die BF2 ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

Im Herkunftsstaat leben noch die Mutter, eine Schwester, Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins.

Die Drittbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und ist am XXXX in Georgien geboren, der Viertbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX in Georgien geboren und der Fünftbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX in Georgien geboren. Alle drei minderjährigen BF sind Staatsangehörige von Georgien, Angehörige der georgischen Volksgruppe und christlich-orthodoxen Glaubens. Die Identitäten der BF3 bis BF5 stehen fest.

Die BF3 und der BF5 sind gesund und stehen nicht in medizinischer Behandlung.

Beim BF4 wurde in Georgien eine lymphoblastische Leukämie diagnostiziert. Die intensive Chemotherapie wurde am 20.10.2018 abgeschlossen, die Erhaltungstherapie am 08.02.2020. Derzeit finden beim BF4 alle drei Monate Blutkontrollen statt. Der letzte diesbezügliche Befund ist mit 11.09.2019 datiert. Wegen während der Chemotherapie auftretender Osteonekrose bekommt der BF4 aktuell eine Physiotherapie.

In Georgien leben noch die bei den Eltern angeführten Verwandten.

Anfang Jänner verließen die BF Georgien legal mit dem Flugzeug nach Istanbul, wo der BF4 medizinisch behandelt worden ist. Mangels finanzieller Mittel sind die BF dann nach Österreich weitergereist, wo sie am 14.03.2018 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19.07.2018,
Zl. 1184268702-180255771, wurde der Antrag des BF4 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm
§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF4 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.07.2019 erteilt. Dem BF1, der BF2 und der mj. BF3 und BF5 wurde im Familienverfahren subsidiärer Schutz gewährt.

Die BF verfügen über georgische Reisepässe.

Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet war und ist nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

Die BF gehörten keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in ihrem Herkunftsstaat vor der Ausreise keine Schwierigkeiten mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer vor der Ausreise Schwierigkeiten aufgrund ihres Bekenntnisses zur christlich-orthodoxen Religion bzw. ethnischen Zugehörigkeit zur georgischen Volksgruppe zu gewärtigen hatte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

Es wird festgestellt, dass die sowohl die Chemo- als auch die Erhaltungstherapie beim BF4 erfolgreich beendet wurden.

Den BF droht im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der Beschwerdeführerin festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine in Georgien drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie im Hinblick auf kriegerische Ereignisse, extremistische Anschläge, stammesbezogene Gewalt oder organisierte kriminelle Handlungen sowie willkürliche Gewaltausübung.

Die BF verfügen über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in ihrem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft.

Die BF haben Deutsch- und Integrationskurse besucht, die BF3 legte einen Dienstvertrag der AIW Restaurantbetriebs GmbH in Wien vor. Seit 02.08.2021 ist sie 30 Stunden pro Woche beschäftigt und erhält einen Bruttolohn von € 1.181,25.

Die BF haben in Österreich keine Verwandten und sind außerhalb der Familie und sind für keine Personen im Bundesgebiet sorgepflichtig.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person der BF gelegenen Umständen.

Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation des BF.

Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

In Bezug auf die individuelle Lage der BF im Falle einer Rückkehr nach Georgien konnte keine im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich geänderte oder gar verschlechterte Situation festgestellt werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in ihrem Heimatland Georgien droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre.

Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Georgien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Die Abschiebung der BF nach Georgien ist zulässig und möglich.

Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.

II.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass es sich bei Georgien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt.

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 29.03.2021

Sofern nicht anders angegeben, schließen die Themenbereiche zu Georgien die Situation in den separatistischen Landesteilen Abchasien und Südossetien nicht ein.

Die Verwendung von Bezeichnungen wie "Regierung", "Behörden" o.Ä. im Zusammenhang mit Abchasien oder Südossetien stellen keine Wertung der Staatendokumentation hinsichtlich des Status dieser Gebiete dar.

COVID-19

Letzte Änderung: 29.03.2021

COVID-19-Infektionen kommen in allen Regionen des Landes vor; und es kommt landesweit zu unkontrollierter Übertragung von COVID-19 (USEMB 25.2.2021).

Georgien hat die Verbreitung von COVID-19 im Frühling 2020 durch strenge Maßnahmen weitgehend eingedämmt. Nachdem im Sommer 2020 die strengen Regeln aufgehoben, die Einreisebestimmungen an den Grenzen gelockert und Inlandstourismus beworben wurde, kam es ab Ende August 2020 zu einem exponentiellen Anstieg bei positiven Tests. Bis Mitte September 2020 stieg die Zahl der täglichen positiven Testergebnisse von niedrigen zweistelligen Zahlen auf etwa 150 (Eurasianet 18.9.2020) und um Mitte Oktober auf ungefähr 1.000 (Jam 16.10.2020). Gegen Ende November 2020 lag die tägliche Zahl positiver Tests um die 4.000 und die der Verstorbenen an oder mit SARS-CoV-2 bei 35-50 Personen (Agenda 26.11.2020). Im Dezember stieg die tägliche Zahl der Infektionen auf ca. 5.000. Mit strengen Maßnahmen konnte die zweite Welle bis Mitte Jänner 2021 weitgehend unter Kontrolle gebracht werden (civil 18.1.2021)

Die zentrale Homepage der Regierung mit Informationen über Covid-19 ist in Georgien unter www.stopcov.ge zu finden. Die Internetseite ist neben Georgisch auch auf Englisch, Abchasisch, Aserbaidschanisch, Armenisch und Russisch verfügbar. Somit wird gewährleistet, dass auch die Angehörigen von Minderheiten alle relevanten Informationen zur Pandemie im Allgemeinen, zur speziellen Hygiene und zu Maßnahmen der Regierung erhalten (BAMF 10.2020). Auf dieser Seite werden auch tagesaktuelle Zahlen zu bestätigten Infektionen, Genesungen, Todesfällen und Hospitalisierungen veröffentlicht (StopCoV.ge o.D.).

Der öffentliche Überlandverkehr wurde landesweit mit 25.2.2021 wieder aufgenommen (USEMB 25.2.2021). Mit Wirkung von 1.2.2021 durften Schulen, Hochschulen und Kindergärten wieder öffnen (Jam 23.1.2021). Weitere Lockerungen des wirtschaftlichen Lebens wurden im Zeitraum Februar-März 2021 ermöglicht (Gov.ge 24.2.2021). Stand Mitte März 2021 bestehen weiterhin nächtliche Ausgangssperren (USEMB 25.2.2021; vgl. Gov.ge 24.2.2021).

Mitte Jänner 2021 wurde der nationale Impfplan vorgestellt. Die Risikogruppen sollen bis Jahresmitte 2021 geimpft sein. Es ist nicht zu erwarten, dass Personen, die nicht den Risikogruppen angehören, vor dem Spätsommer/Frühherbst 2021 geimpft werden (civil 18.1.2021). Am 13.3.2021 erhielt Georgien, mit Unterstützung der Vereinten Nationen, erstmals 43.200 Impfdosen von Astra Zeneca (UNICEF 12.3.2021).

Mit 1.2.2021 wurden alle Einschränkungen für Linienflüge aufgehoben (1TV 1.2.2021; vgl. Jam 23.1.2021). Alle Personen, die einen vollständigen Impfschutz nachweisen können, müssen bei Einreise nicht in Quarantäne. Personen, die keinen Impfschutz und keinen negativen PCR-Test (nicht älter als 72 Stunden), nachweisen können, werden bei Einreise für unbestimmte Zeit und auf eigene Kosten in Quarantäne verbracht (USDOS 25.2.2021; vgl. MoF o.D.), falls eine Selbstisolierung nicht möglich ist. Bei Vorlage eines negativen PCR-Tests (nicht älter als 72 Stunden) muss eine achttägige Selbstisolation samt einer weiteren PCR-Testung fünf Tage nach Einreise auf eigene Kosten durchgeführt werden (MoF o.D.).

Trotz der Zugangsbeschränkungen unterstützt die Georgische Regierung die separatistische Region Abchasien bei der Bekämpfung von COVID-19 materiell und fachlich. Auch die Behandlung von abchasischen COVID-19-Patienten in Kern-Georgien wurde ermöglicht (CW 27.11.2020; vgl. Jam 16.10.2020). Internationale Hilfe in Südossetien ist auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschränkt. Die georgische Zentralregierung hat Zchinwali ebenfalls humanitäre Hilfe angeboten, aber der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt (CW 27.11.2020). Dennoch werden auch COVID-Patienten aus Südossetien in Georgien behandelt, wenn auch in geringerem Ausmaße als aus Abchasien (Jam 16.10.2020).

Quellen:

?        1TV - Pirveli Arkhi / First Channel (1.2.2021): Georgia resumes int'l flights, https://1tv.ge/en/news/georgia-resumes-intl-flights/, Zugriff 23.2.2021

?        Agenda.ge (26.11.2020): Georgian gov’t introduces further coronavirus restrictions until Jan. 31, https://agenda.ge/en/news/2020/3722, Zugriff 30.11.2020

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Bundesrepublik Deutschland] (10.2020): Länderreport 31 - Georgien: Allgemeine Lage der ethnischen Minderheiten,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2042046/laenderreport-31-Georgien.pdf, Zugriff 15.12.2020

?        civil.ge (18.1.2021): COVID-19 Vaccine Rollout in Georgia: Waiting for Godot?, https://civil.ge/archives/391207, Zugriff 18.1.2021

?        CW - Caucasus Watch (27.11.2020): Council of Europe reports on Abkhazia and Tskhinvali, https://caucasuswatch.de/news/3289.html, Zugriff 30.11.2020

?        Eurasianet (18.9.2020): Georgia experiences its first wave of COVID-19, https://eurasianet.org/georgia-experiences-its-first-wave-of-covid-19, Zugriff 30.11.2020

?        Jam News (23.1.2021): Protests after Georgia announces only partial lifting of Covid restrictions, https://jam-news.net/georgia-news-coronavirus-restrictions-that-will-change-protests/, Zugriff 25.1.2021

?        Jam News (16.10.2020): Georgia: coronavirus patients from the other side of territorial conflict, https://jam-news.net/coronavirus-georgia-treatment-abkhazia-south-ossetia/, Zugriff 30.11.2020

?        MoF - Ministry of Foreign Affairs [Georgien] (o.D.): Regulations for Crossing the Georgian Border in connection with the COVID-19 pandemic, https://mfa.gov.ge/MainNav/CoVID-19-sakitkhebi/sazgvris-kvetis-regulaciebi.aspx?lang=en-US, Zugriff 15.3.2021

?        StopCoV.ge [Georgien] (o.D.): Prevention of Coronavirus Spread in Georgia, https://stopcov.ge/en/, Zugriff 15.3.2021

?        UNICEF - Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (12.3.2021): Georgia will receive a first batch of 43,200 doses of COVID-19 vaccine through COVAX Facility, https://www.unicef.org/georgia/press-releases/georgia-will-receive-first-batch-43200-doses-covid-19-vaccine-through-covax-facility

?        USEMB - U.S. Embassy in Georgia [Vereinigte Staaten von Amerika] (25.2.2021): COVID-19 Information for Georgia (Last Updated: February 25, 2021), https://ge.usembassy.gov/covid-19-information-on-georgia/, Zugriff 15.3.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Georgien wurde im April 1991 unabhängig [bis dahin Teilrepublik der Sowjetunion]. Nach der georgischen Unabhängigkeit erhöhten sich die Spannungen innerhalb Georgiens in den Gebieten Abchasien und Südossetien. 1992 erfolgten Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens, die jedoch von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurden (AA 23.9.2020). Russland betreibt gegenüber beiden Regionen eine Politik der informellen militärischen und wirtschaftlichen Annexion (bpb 26.8.2020; vgl. US DOS 11.3.2020) und kontrolliert ein Fünftel des georgischen Staatsgebiets (FAZ 23.2.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Durch Verfassungsänderung am 17.11.2013 wurde das Land von einer Präsidialrepublik zu einer Parlamentarischen Demokratie. Die georgische Außenpolitik sieht in der Integration Georgiens in EU und NATO ein prioritäres Ziel für eine nachhaltige demokratische Entwicklung des Landes. Dies wirkt sich unmittelbar auf den innenpolitischen Reformwillen aus (AA 23.9.2020). In Georgien finden regelmäßig kompetitive Wahlen statt. Nachdem der Demokratisierungsprozess in den Jahren 2012-13 an Dynamik gewonnen hatte, kam es in den letzten Jahren zu einer Stagnation der Fortschritte. Oligarchen haben übergroßen Einfluss auf Politik und politische Entscheidungen und die Rechtsstaatlichkeit wird nach wie vor durch politische Interessen behindert. Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Neue politische Parteien können in der Regel ohne Behinderungen gegründet werden und zu den Wahlen antreten. Allerdings war die politische Landschaft von der Dominanz abwechselnd einer Partei geprägt, was die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt hat (FH 3.3.2021).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wurde bis 2018 durch Direktwahl gewählt. Aufgrund einer Verfassungsänderung wird der Präsident in Zukunft indirekt für sechs Jahre von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt werden. Der Präsident ernennt formal den Premierminister, der vom Parlament nominiert wird (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabischwili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60 % gegen ihren Konkurrenten Grigol Vaschadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakaschwili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018, FH 3.3.2021). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabischwili (OSCE/ODIHR 29.11.2018).

Das Parlament Georgiens hat 150 Sitze, wovon 120 über Parteienlisten und 30 über Direktmandate in Wahlkreisen vergeben werden. Bei den Wahlen 2016 wurden noch 72 Direktmandate vergeben (KP 26.11.2020). Die Änderungen zu einem reinen Verhältniswahlrecht wurden vom Parlament für die nächsten, planmäßig 2024 stattfindenden Wahlen, beschlossen (KP 23.11.2019; vgl. RFE/RL 28.11.2019, taz 2.11.2020, FH 3.3.2021, US DOS 11.3.2020). Die Reform des Wahlrechts konnte erst nach Massenprotesten 2019 durchgesetzt werden (taz 2.11.2020; vgl. DW 24.6.2019, US DOS 11.3.2020).

Die Wahlhürde für die Verhältniswahl ist auf 1% der Stimmen festgelegt. Es besteht ein Begrenzungsmechanismus, der vorsieht, dass keine einzelne Partei, die weniger als 40% der abgegebenen Stimmen erhält, die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten darf. Im Falle einer vorgezogenen Neuwahl zwischen 2020 und 2024 wird diese nach demselben Wahlsystem wie im Jahr 2020 durchgeführt. Alle nachfolgenden Wahlen werden jedoch auf der Grundlage des vollständig proportionalen Wahlsystems durchgeführt, wie es für die Parlamentswahlen 2024 vorgesehen ist (civil 8.3.2020; vgl. KP 11.4.2020).

Bei den trotz COVID-Panedmie am 31.10.2020 durchgeführten Parlamentswahlen erzielte die bisherige Regierungspartei Georgischer Traum 48% der Stimmen und mit 91 Sitzen erneut eine satte Mehrheit von 60% der Mandate (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Das größte Oppositionsbündnis, die Vereinigte Nationale Bewegung, erhielt 26,9% der Stimmen zugeschrieben (EN 2.11.2020). Insgesamt haben neun Parteien den Sprung ins Parlament geschafft (KP 26.11.2020; vgl. Jam 26.11.2020). Der Gründer des Wahlbündnisses Georgischer Traum, Bidzina Iwanischwili, hatte zur Parlamentswahl 2020 wieder das Amt des Parteivorsitzenden übernommen, allerdings ohne sich um irgendeine Regierungsfunktion zu bewerben. Im Februar 2021 erfolgte der nach seinen Aussagen endgültige Rückzug ins Privatleben. Es zeigt sich allerdings das Hauptproblem, das Iwanischwili seiner Partei und dem Land hinterlassen hat: Eine Mehrheitspartei ohne klare Programmatik, ohne klare innerparteiliche Demokratie und ohne politisch selbständige Charaktere an ihrer Spitze. Eine Partei, die nach wie vor den Verdacht nicht ausräumen kann, nur willfähriges Erfüllungsinstrument ihres Gründers und Mentors zu sein, der nach wie vor im Hintergrund die Fäden zieht (KP 11.2.2021). Kobachidse ist der Nachfolger von Bidsina Iwanischwili als Vorsitzender der Regierungspartei "Georgischer Traum" (FAZ 18.2.2021).

Die unterlegene Opposition prangerte erhebliche Wahlmanipulationen an und mobilisierte ihre Anhänger auf der Straße. Die Sicherheitskräfte setzten Schlagstöcke und Wasserwerfer ein (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Einheimische Wahlbeobachter*innen stellten zahlreiche Ungereimtheiten fest (taz 2.11.2020). Gemäß OSZE waren die Parlamentswahlen kompetitiv und insgesamt wurden die Grundfreiheiten respektiert. Dennoch haben weitverbreitete Vorwürfe von der Ausübung von Druck auf die Wähler und der unklaren Abgrenzung zwischen der Regierungspartei und dem Staat das Vertrauen der Öffentlichkeit in einige Aspekte des Wahlvorganges unterminiert. Der grundlegend überarbeitete Rechtsrahmen bot eine solide Grundlage für die Abhaltung demokratischer Wahlen und die technischen Aspekte der Wahlen wurden trotz der Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie effizient gehandhabt. Jedoch hat sich die Dominanz der Regierungspartei in den Wahlkommissionen negativ auf die Wahrnehmung ihrer Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ausgewirkt, insbesondere auf den unteren Ebenen (OSCE/ODIHR 1.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021).

In Folge rief die Opposition zum Boykott der Stichwahl am 21.11.2020 in 17 Direktwahlkreisen auf, wodurch sich alle Kandidaten des Georgischen Traums sich bei einer Wahlbeteiligung von 26% durchsetzen konnten (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020). Die Oppositionsparteien planen aus Protest, ihre Parlamentssitze nicht zu besetzen (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020, Jam 26.11.2020). Die 90 Abgeordneten der Regierungspartei sind ausreichend, damit das Parlament seine Arbeit aufnehmen kann - um Gesetze zu verabschieden, die Abgeordneten auf die Parlamentsausschüsse zu verteilen und eine Regierung zu ernennen. Das Parlament wird jedoch nicht in der Lage sein, die Verfassung zu ändern oder die Präsidentin abzusetzen (Jam 26.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Als Regierungschef wurde Giorgi Gacharia ernannt. Dieser ist nach nur zwei Monaten im Amt am 18.2.2021 zurückgetreten (Standard 18.2.2021, 22.2.2021). Als Nachfolger wurde der frühere Verteidigungsminister Irakli Garibaschwili mit den Stimmen der Regierungsfraktion Georgischer Traum zum neuen Regierungschef gewählt (Standard 22.2.2021).

Die Opposition boykottiert Stand Ende Februar 2021 weiterhin die Arbeit im Parlament (Standard 22.2.2021). Es ist weder durch die Intervention von US-Botschafter Kelly Degnan noch durch andere internationale Moderatoren gelungen, die politische Krise in Georgien zu lösen und die Opposition davon zu überzeugen, den Parlamentsboykott aufzugeben (Jam 26.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Oppositionsvertreter zeigten sich zuletzt aber zu Gesprächen mit der Regierung bereit, um Auswege aus der Krise zu finden. Die Situation müsse entschärft werden, sagte der Oppositionspolitiker Nika Melia und bekräftigte zugleich seine Forderung nach Neuwahlen, welche die Regierungsfraktion aber vehement ablehnt. Zuletzt hatte sich die Lage zugespitzt, weil Melia in Untersuchungshaft genommen werden sollte. Ihm wird die versuchte Erstürmung des Parlaments 2019 vorgeworfen. Verhandlungen mit der Opposition seien notwendig, sagte Garibaschwili, "aber nicht mit diesen Verbrechern" (Standard 22.2.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Bundesrepublik Deutschland] (23.9.2020): Georgien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/georgien-node/politisches-portrait/202874, Zugriff 25.2.2021

?        bpb - Bundeszentrale für Politische Bildung [Bundesrepublik Deutschland] (26.8.2020): Georgien, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54599/georgien, Zugriff 25.2.2021

?        civil.ge (8.3.2020): Georgian Dream, Opposition Reach Consensus over Electoral Reform, https://civil.ge/archives/341385, Zugriff 25.2.2021

?        CW - Caucasus Watch (29.11.2018): Surabischwili gewinnt Wahl: Georgien bekommt erstmals eine Präsidentin, http://caucasuswatch.de/news/1190.html, Zugriff 25.2.2021

?        DW - Deutsche Welle (24.6.2019): Proteste in Tiflis trotz Zugeständnissen, https://www.dw.com/de/proteste-in-tiflis-trotz-zugest%C3%A4ndnissen/a-49339505, Zugriff 25.2.2021

?        EN - Euronews (2.11.2020): Georgia's ruling party wins parliamentary vote, opposition calls for protests, https://www.euronews.com/2020/10/31/georgia-s-ruling-party-claims-victory-in-parliamentary-vote, Zugriff 30.11.2020

?        Eurasianet (27.11.2020): Georgian politics still deadlocked after runoff polls, https://eurasianet.org/georgian-politics-still-deadlocked-after-runoff-polls, Zugriff 30.11.2020

?        FAZ - Frankfurter Allgemeine (23.2.2021): Warum die Lage in Georgien eskaliert, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/festnahme-in-georgien-hunderte-anhaenger-demonstrieren-in-tiflis-17212521.html, Zugriff 25.2.2021

?        FAZ - Frankfurter Allgemeine (18.2.2021): Georgiens Ministerpräsident zurückgetreten, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/georgiens-ministerpraesident-gacharia-zurueckgetreten-17204104.html, Zugriff 25.2.2021

?        FAZ - Frankfurter Allgemeine (29.11.2018): Georgien bekommt eine Präsidentin, https://www.faz.net/aktuell/salome-surabischwili-wird-neue-praesidentin-in-georgien-15915289.html, Zugriff 25.2.2021

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2021, Zugriff 3.3.2021

?        HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 – Georgia | Events of 2020, https://www.hrw.org/world-report/2021/country-chapters/georgia, Zugriff 18.1.2021

?        Jam News (26.11.2020): Georgia: can a single-party parliament function?, https://jam-news.net/georgia-can-a-single-party-parliament-work-function/, Zugriff 30.11.2020

?        KP - Kaukasische Post (11.2.2021): Der aus dem Nichts kam..., in: Kaukasische Post Ausgabe Januar/Februar 2021, Seiten 1-2.

?        KP - Kaukasische Post (11.4.2020): Neues Wahlrecht mit Virus infiziert?, in: Kaukasische Post Ausgabe März 2020, Seiten 1,2.

?        KP - Kaukasische Post (23.11.2019): Vorhängeschlösser und Wasserwerfer ersetzen den politischen Diskurs, http://www.kaukasische-post.com/?p=3078, Zugriff 17.1.2020

?        KP - Kaukasische Post (26.11.2020): Alle Wahlen wieder, in: Kaukasische Post Ausgabe Oktober/November 2020. Seiten 1,2.

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (1.11.2020): International Election Observation Mission Georgia – Parliamentary Elections, 31 October 2020 – Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/files/f/documents/a/d/469005.pdf, Zugriff 30.11.2020

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (29.11.2018): International Election Observation Mission, Georgia – Presidential Election, Second Round, 28 November 2018 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/georgia/404642?download=true, Zugriff 25.2.2021

?        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (28.11.2019): Georgian Police Cordon Off Parliament Building To Prevent Opposition Rally, https://www.rferl.org/a/georgian-police-cordon-off-parliament-building-to-prevent-opposition-rally/30297334.html, Zugriff 25.2.2021

?        Standard, der (22.2.2021): Georgien hat mitten in innenpolitischer Krise neuen Regierungschef, https://www.derstandard.at/story/2000124395112/georgien-hat-mitten-in-innenpolitischer-krise-neuen-regierungschef?ref=article, Zugriff 23.2.2021

?        Standard, der (18.2.2021): Georgiens Regierungschef tritt nach zwei Monaten zurück, https://www.derstandard.at/story/2000124277129/georgien-regierungschef-tritt-zurueck?ref=rec, Zugriff 23.2.2021

?        Standard, der (2.12.2018): 25.000 Georgier wegen angeblichen Wahlbetrugs auf den Straßen, https://derstandard.at/2000092965067/25-000-Georgier-wegen-angeblichen-Wahlbetrugs-auf-den-Strassen?ref=rec, Zugriff 12.8.2019

?        taz, die tageszeitung (2.11.2020): Parlamentswahl in Georgien: Verloren hat die Demokratie, https://taz.de/Parlamentswahl-in-Georgien/!5725045/, Zugriff 19.1.2021

?        US DOS - U.S. Department of State [Vereinigte Staaten von Amerika] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil bezeichnet werden. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen (EDA 28.7.2020). Die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen und die hohe Arbeitslosigkeit haben zu einem Anstieg der allgemeinen Kriminalität beigetragen, die jedoch immer noch niedriger ist, als in vielen europäischen Ländern (MSZ o.D.; vgl. EDA 28.7.2020).

Im Dezember 2017 führte eine Reihe von Operationen georgischer Spezialkräfte in der Hauptstadt und im Pankisi-Tal [Munizipalität Achmeta, Region Kachetien] zur Verhaftung von Militanten, die beschuldigt wurden, an Terroranschlägen im Ausland beteiligt gewesen zu sein und Berichten zufolge beabsichtigten, Ziele auf georgischem Boden anzugreifen (MAECI 27.1.2021). Die politische Lage ist polarisiert (SZ 18.2.2021).

Die Situation an der De-facto-Grenze zwischen Georgien und den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien ist seit dem georgisch-russischen Krieg im August 2008 weitgehend ruhig. Doch bleibt die Lage angesichts der Unvereinbarkeit der Positionen und der zahlreichen Behinderungen des kleinen Grenzverkehrs angespannt. Russland betreibt gegenüber beiden Regionen eine Politik der informellen militärischen und wirtschaftlichen Annexion. Seit dem August-Krieg 2008 stellt Moskau finanzielle Unterstützung für die sozio-ökonomische Entwicklung und die Infrastruktur bereit und gewährt der abchasischen und südossetischen Bevölkerung Zugang zur russischen Staatsbürgerschaft. Russland unterhält weiterhin Stützpunkte und Truppen in Abchasien und Südossetien, darunter zwischen 3.000 und 4.000 Soldaten sowie Grenzschutztruppen des Inlandsgeheimdienstes FSB, welche die Demarkationslinien (administrative border lines – ABL) zum georgischen Kernland sichern. Zwischen Tiflis und den De-facto-Regierungen in Sochumi und Zchinwali bestehen keine offiziellen bilateralen Kontakte. Einziges Forum zum Austausch auf hochrangiger politischer Ebene sind die vierteljährlichen internationalen Gespräche im Rahmen des Genfer Prozesses. Trotzdem hat Georgien seit 2012 seine Politik der Isolation Abchasiens und Südossetiens aufgegeben und bemüht sich um Kooperation auf humanitärer Ebene. Dazu zählt etwa das Angebot, der abchasischen und südossetischen Bevölkerung den kostenfreien Zugang zum georgischen Bildungs- und Gesundheitssystems zu ermöglichen (bpb 26.8.2020; vgl. ACLED 2.2020).

Aus Sicht Abchasiens und Südossetiens ist der politische Status ihrer Gebiete endgültig geklärt. Sie lehnen Verhandlungen mit Georgien über eine gemeinsame Staatlichkeit ab und verfolgen den Aufbau bilateraler Beziehungen unter Anerkennung ihrer Unabhängigkeit. Die Regierung in Tiflis pocht dagegen auf die Wahrung der territorialen Integrität Georgiens. Sie versucht, ihre guten Beziehungen zur EU und den USA zu nutzen, aber auch multilaterale Foren wie die UNO, um ihrer Position Nachdruck zu verschaffen (bpb 26.8.2020). Gemäß dem georgischen Gesetz über "besetzte Gebiete" vom 23. Oktober 2008 sind die Gebiete der Autonomen Republik Abchasien und der Region Zchinwali (Südossetien) als "besetzt" zu betrachten (MAECI 27.1.2021).

Wegen Zugangsbeschränkungen gibt es nur wenige Informationen über die humanitäre Lage und Menschenrechtslage in Abchasien und Südossetien (US DOS 11.3.2020). Der EU-Sonderbeauftragte für den Südkaukasus und die EU-Beobachtermission (EUMM) unterstützen aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung (EC 5.2.2021). Obwohl der EUMM der Zutritt zu Abchasien und Südossetien verwehrt bleibt, und es weiterhin zu Zwischenfällen kommt, konnte bisher ein Wiederaufflammen der bewaffneten Auseinandersetzungen verhindert werden (bpb 26.8.2020).

Quellen:

?        ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (2.2020): ACLED Methodology and Coding Decisions around Political Conflict and Demonstrations in Central Asia and the Caucasus, https://acleddata.com/acleddatanew/wp-content/uploads/dlm_uploads/2020/02/ACLED_Central-Asia-and-the-Caucasus_Methodology_2019.pdf, Zugriff 12.3.2021

?        bpb - Bundeszentrale für Politische Bildung [Bundesrepublik Deutschland] (26.8.2020): Georgien, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54599/georgien, Zugriff 25.2.2021

?        EC - Europäische Kommission, Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik [Europäische Union] (5.2.2021): 2021 Association Implementation Report on Georgia | SWD (2021) 18 final, https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2021_association_implementation_report_in_georgia.pdf, Zugriff 25.2.2021

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (28.7.2020): Reisehinweise für Georgien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/georgien/reisehinweise-georgien.html, Zugriff 25.2.2021

?        MAECI - Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale [Italien] (27.1.2021): Viaggiare Sicuri informatevi - Georgia, http://www.viaggiaresicuri.it/country/GEO, Zugriff 25.2.2021

?        MSZ - Ministerstwo Spraw Zagranicznych [Polen] (o.D.): Informacje dla podró?uj?cych – Gruzja, https://www.gov.pl/web/dyplomacja/gruzja, Zugriff 25.2.2021

?        SZ - Süddeutsche Zeitung (18.2.2021): Nichts als Konflikte, https://www.sueddeutsche.de/politik/georgien-osze-1.5210571, Zugriff 12.3.2021

?        US DOS - U.S. Department of State [Vereinigte Staaten von Amerika] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 29.03.2021

Das Gesetz garantiert ein ordnungsgemäßes Verfahren, aber die damit verbundenen Regelungen werden nicht immer respektiert. Urteile des Verfassungsgerichts in Bezug auf ordnungsgemäße Verfahren werden unvollständig umgesetzt, es kommt zu administrativen Verzögerungen bei Gerichtsverfahren, zu Verletzungen der Unschuldsvermutung, die Nichteinhaltung von Vorschriften in Bezug auf Inhaftierung und Verhöre und die Verweigerung des Zugangs zu einem Anwalt bei der Festnahme (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Wichtige Herausforderungen bleiben in Bezug auf die Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht der Justiz bestehen. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Hohen Rat der Justiz ist nach wie vor gering. Am 30.9.2020 verabschiedete das Parlament weitere Gesetzesänderungen in Bezug auf das Ernennungsverfahren von Richtern des Obersten Gerichtshofs, ohne die einschlägige Stellungnahme der Venedig-Kommission abzuwarten und ohne die fortbestehenden Unzulänglichkeiten in diesem Verfahren vollständig zu beheben. Das Hauptaugenmerk der Reformen der Staatsanwaltschaft im Jahr 2020 lag weiterhin auf der Trennung der Funktionen zwischen Ermittlern und Staatsanwälten. Ein entsprechendes Gesetzespaket wurde vorbereitet (EC 5.2.2021).

Die Stärkung eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der Regierung und wird fortgesetzt. NGOs begleiten den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch mit. Ungeachtet der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz wenig ausgeprägt. Politisch motivierte Strafverfolgung war bis [zum Regierungswechsel] 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch fingierte Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden von georgischen und ausländischen NGOs nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 17.11.2020).

In den Jahren 2016-2020 hat die Regierungspartei Georgischer Traum zwei Wellen der Justizreform umgesetzt. Die Änderungen umfassten die Einführung der elektronischen Zuordnung von Fällen; die Einführung des Amtes des unabhängigen Inspektors des Hohen Justizrates in das Justizsystem; und Verbesserung der Normen zur Disziplinarhaftung von Richtern und zu Gerichtsverfahren. Es wurden wichtige Schritte unternommen, um die Transparenz und Offenheit der Aktivitäten des Hohen Justizrates zu erhöhen (TI 30.10.2020). Trotz der laufenden Justizreformen bleiben die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Gerichte ein erhebliches Problem, ebenso wie die Korruption und der Mangel an Transparenz und Professionalität bei Gerichtsverfahren. Nach einem neuen verfassungsrechtlichen Rahmen, der nach den Präsidentschaftswahlen 2018 in Kraft trat, werden die Richter des Obersten Gerichtshofs nicht mehr vom Präsidenten, sondern vom Hohen Justizrat ernannt und vom Parlament gebilligt. Ein gerichtliches Selbstverwaltungsorgan wählt die Mehrheit der Mitglieder des Rates (FH 3.3.2021). Bei der Justizreform ist der Ansatz der Behörden fragmentiert und inkonsistent. In bestimmten Fällen diente die Reform nur dazu, die Interessen einer kleinen Gruppe zu stärken (TI 30.10.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Bundesrepublik Deutschland] (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: November 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2041771/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf, Zugriff 14.12.2020

?        EC - Europäische Kommission, Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik [Europäische Union] (5.2.2021): 2021 Association Implementation Report on Georgia | SWD(2021) 18 final, https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2021_association_implementation_report_in_georgia.pdf, Zugriff 25.2.2021

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2021, Zugriff 3.3.2021

?        TI - Transparency International Georgia (30.10.2020): The State of the Judicial System 2016-2020, https://transparency.ge/en/post/state-judicial-system-2016-2020, Zugriff 23.2.2021

?        US DOS - U.S. Department of State [Vereinigte Staaten von Amerika] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2021

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 29.03.2021

Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst (SSSG) tragen die Hauptverantwortung für die Durchsetzung der Gesetze und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Das Ministerium ist die primäre Organisation der Strafverfolgung und umfasst die nationale Polizei, die Grenzsicherheitsdienste und die georgische Küstenwache. Der SSSG ist der Inlandsnachrichtendienst, der für Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung und Korruptionsbekämpfung zuständig ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass die zivilen Behörden zeitweise keine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte ausüben (US DOS 11.3.2020).

Bis zum Regierungswechsel im Oktober 2012 waren Exekutivorgane, z. B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, häufig von der Regierung als Machtinstrument oder von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung u. a. wirtschaftlicher Vorteile missbraucht worden. Seit dem Regierungswechsel hat der Machtmissbrauch in dem Ausmaß aufgehört. Die Regierung behält jedoch einen erheblichen informellen Einfluss auf Politik und Justiz bei. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter von Regeln werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch oft als untätig oder wenig effektiv wahrgenommen. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf, sind jedoch in ihrer Tätigkeit auch im Inneren nicht transparent. NGOs fordern jedoch eine organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium (AA 17.11.2020).

Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte ist begrenzt (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021) und Straffreiheit bei Misshandlungsfällen bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 13.1.2021; vgl. US DOS 11.3.2020, FH 3.3.2021), insbesondere bei Fällen, die vor der Arbeitsaufnahme des Büros der staatlichen Inspektoren (State Inspector‘s Office) am 1.11.2019 geschahen (HRW 13.1.2021). Neben der Beobachtung etwa der gesetzeskonformen Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist eine weitere Hauptaufgabe des State Inspector‘s Service die unparteiische und wirksame Untersuchung schwerer Verbrechen (inklusive Folter), die von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden gegen die Menschenrechte und Freiheiten verübt werden, sowie Untersuchung von Straftaten, die unter Anwendung von Gewalt oder unter Verletzung der persönlichen Würde eines Opfers begangen wurden (SIS o.D.).

Eine laufende Polizeireform zielt auf die Trennung der Rollen zwischen Staatsanwälten und Ermittlern sowie zwischen operativen und investigativen Funktionen verschiedener Polizeibeamter ab. Bürgernahe und nachrichtendienstlich geführte Polizeiarbeit sollen ausgeweitet; die zentralisierte analytische Arbeit verbessert, der Kampf gegen Cyberkriminalität und organisierte Kriminalität intensiviert sowie die internationale Zusammenarbeit ausgebaut werden (EC 5.2.2021).

Im Jahr 2020 erhielt das Büro des State Inspector's Office bis August über 1.300 Berichte über mutmaßliche Misshandlungen durch Strafverfolgungsbehörden und andere Beamte und leitete in 168 Fällen strafrechtliche Ermittlungen ein, meist wegen Amtsmissbrauchs, aber auch wegen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung. Im gleichen Zeitraum erhielt das Büro des Ombudsmannes 68 Beschwerden über Misshandlungen durch Gefängnispersonal oder Polizei (HRW 13.1.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Bundesrepublik Deutschland] (17.11.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: November 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2041771/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_November_2020%29%2C_17.11.2020.pdf, Zugriff 14.12.2020

?        EC - Europäische Kommission, Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik [Europäische Union] (5.2.2021): 2021 Association Implementation Report on Georgia | SWD (2021) 18 final, https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2021_association_implementation_report_in_georgia.pdf, Zugriff 25.2.2021

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2021, Zugriff 3.3.2021

?        HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 – Georgia | Events of 2020, https://www.hrw.org/world-report/2021/country-chapters/georgia, Zugriff 18.1.2021

?        SIS - State Inspector‘s Service [Georgien] (o.D.): Who we are? https://personaldata.ge/en/about-us#, Zugriff 26.2.2021

?        US DOS - U.S. Department of State [Vereinigte Staaten von Amerika] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2021

Korruption

Letzte Änderung: 29.03.2021

Georgien, das früher für die Reformen gelobt wurde, hat seit 2012 kaum Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung gemacht (TI 28.1.2021b; vgl. EC 5.2.2021). Während das Land bei der Bekämpfung der kleinen Korruption erhebliche Fortschritte gemacht hat, bleibt die Korruption innerhalb der Regierung ein Problem (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020; SWP 5.2020, NZZ 30.12.2020). Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen (AA 17.11.2020).

Das politische System zeichnet sich durch ein extrem hohes Maß an Machtkonzentration aus, da eine einzelne politische Gruppe eine unverhältnismäßige Kontrolle über alle wichtigen öffentlichen Institutionen ausübt. Dieselbe dominante Gruppe strebt häufig auch eine unangemessene Beeinflussung nicht staatlicher Akteure an, einschließlich der Medien und des Privatsektors (TI 28.1.2021b). In einigen Fällen hat sie bei der staatlichen Postenbesetzung die Form von Vettern- und Günstlingswirtschaft angenommen. Die wirksame Anwendung von Antikorruptionsgesetzen und -vorschriften wird durch die mangelnde Unabhängigkeit sowohl der Strafverfolgungsbehörden als auch der Justiz beeinträchtigt (FH 3.3.2021; vgl. SWP 5.2020). Erfolgreiche Klagen gegen hochrangige Beamte, die mit der Führung der Regierungspartei „Georgischer Traum“ in gutem Einvernehmen stehen, sind selten (FH 3.3.2021).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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