TE Vwgh Erkenntnis 1982/1/15 0100/80

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.01.1982
beobachten
merken

Index

Sozialversicherung - ASVG - AlVG
L10018 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Vorarlberg
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §412 Abs1 Satz2
AVG §63 Abs3
GdG Vlbg 1965 §45 Abs1 litb Z18
GdG Vlbg 1965 §60 Abs1 lita
GdG Vlbg 1965 §64
VwGG §23 Abs1
VwGG §23 Abs2
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Jurasek und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Pichler, Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rat im Verwaltungsgerichtshof Dr. Feitzinger und Dr. Davy, über die Beschwerde der Gemeinde A, vertreten durch Dr. Franz Bernhard, Rechtsanwalt in Bregenz, Kirchstraße 25, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 13. November 1979, Zl. 123.013/6-6/79, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1) Vorarlberger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte, Dornbirn, Jahngasse 4, 2) Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Wien II, Friedrich Hillegeiststraße 1, 3) Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Wien XX, Adalbert Stifter-Straße 65, 4) Landesarbeitsamt Vorarlberg, Bregenz, Rheinstraße 32, 5) Schwester BC, L, 6) Schwester DE, L), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 10. März 1977 sprach die mitbeteiligte Vorarlberger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte aus, daß „das Gemeindeamt A“ gemäß § 35 Abs. 1 ASVG als Dienstgeber gelte und gemäß § 58 Abs. 2 ASVG verpflichtet sei, die in der mitfolgenden Feststellungsliste für die darin namentlich angeführten Dienstnehmer und bezeichneten Zeiträume nachverrechneten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von S 59.302,72 binnen elf Tagen nach Erhalt des Bescheides einzuzahlen. In der angeschlossenen Feststellungsliste schienen unter anderem auch die Mitbeteiligten BC und DE als Dienstnehmerinnen für den Zeitraum vom 1. Jänner 1973 bis 30. April 1973 auf.

Mit Bescheid vom selben Tag schrieb die mitbeteiligte Vorarlberger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte dem „Gemeindeamt A“ gemäß § 113 Abs. 1 ASVG wegen Nichteinhaltung der Melde- und Anzeigepflicht einen Beitragszuschlag von S 3.000,-- vor.

Gegen diese beiden als „Beitragsprüfungs-Bescheide“ bezeichneten Bescheide erhob die Beschwerdeführerin Einspruch mit folgendem Inhalt:

„Das Gemeindeamt L erhebt gegen die von Ihnen am 10. März 1977 gemäß § 113 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 ASVG erlassenen und am 14. März 1977 zugestellten Bescheide ... Einspruch in offener Frist mit folgender Begründung:

Die Vorschreibung zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und die Verpflichtung zur Zahlung eines Beitragszuschlages erfolgte zu Unrecht.

Mit sämtlichen bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse berücksichtigten Dienstnehmer wurde ein privatrechtlicher Vertrag abgeschlossen, da diese Dienstnehmer nicht in der Hoheitsverwaltung tätig sind, und daher das Gemeindebediensteten Gesetz nicht anwendbar ist. Eine andere gesetzliche oder kollektivvertragliche Regelung, aus welcher dem Dienstnehmer ein Recht auf die von der Gebietskrankenkassa angerechneten Zahlungen erwachsen wäre, gibt es nicht. Es ist daher von tatsächlich erfolgten Zahlungen auszugehen, welche ordnungsgemäß gemeldet und zur Berechnung der von der Gemeinde bereits bezahlten Sozialversicherungsbeiträge herangezogen worden sind.

Es wird daher der Antrag gestellt, beide Bescheide aufgrund des ob geschilderten Sachverhaltes ersatzlos aufzuheben.“

In ihrer Stellungnahme vom 15. Juni 1978, nach Ablauf der Einspruchsfrist, bestritt die Beschwerdeführerin auch die Versicherungspflicht der Mitbeteiligten BC und DE.

Über diesen Einspruch entschied der Landeshauptmann von Vorarlberg mit Bescheid vom 30. Jänner 1979, dessen Spruch lautet:

„Gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 wird dem Einspruch teilweise Folge gegeben und werden die angefochtenen Bescheide dahingehend abgeändert, daß die nachverrechneten Sozialversicherungsbeiträge um S 28.151,80 auf nunmehr zu zahlende S 31.150,92 sowie der verhängte Beitragszuschlag aliquot herabgesetzt werden. Für die Ordensschwestern BC und DE wird für die Zeit vom 1. Jänner 1973 bis 1. Mai 1973 die Vollversicherungspflicht festgestellt.“

Der von der Beschwerdeführerin nur hinsichtlich der Versicherungspflicht der Mitbeteiligten BC und DE erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 keine Folge und bestätigte den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg aus seinen zutreffenden Gründen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Rechtsanwalt Dr. Franz Bernhard namens der Beschwerdeführerin Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Zum Nachweis seines Vertretungsrechtes legte er eine vom Bürgermeister, einem Gemeinderat und zwei Gemeindevertretern der Beschwerdeführerin unterzeichnete Vollmacht vom 4. Jänner 1980 folgenden Inhaltes vor:

„Die Gemeinde A bevollmächtigt hiemit Rechtsanwalt Dr. Franz Bernhard, 6900 Bregenz, Kirchstraße, sie in der Sache ‚Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof - Krankenkassabeiträge‘ zu vertreten.“

Mit Berichterverfügung vom 27. März 1980 wurde der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin gemäß § 34 Abs. 2 VwGG 1965 aufgefordert, binnen drei Wochen, vom Tage der Zustellung dieses Auftrages an gerechnet, den nach § 45 lit. b Z. 18 des Vorarlberger Gemeindegesetzes, LGBl. Nr. 45/1965, zur Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde erforderlichen Beschluß der Gemeindevertretung in achtfacher Ausfertigung vorzulegen.

Innerhalb offener Frist legte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin einen „Auszug aus dem Gemeindevertretungsprotokoll Nr. 3 vom 9. Mai 1980, Punkt 6 der Tagesordnung“ vor, der lautet: „Es wird einstimmig beschlossen, gegen den Bescheid des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 13. November 1979, Zl. 123.013/6-6/1979, Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof einzubringen und Herrn Dr. Franz Bernhard, Rechtsanwalt, 6900 Bregenz, Kirchstraße 25, zum Rechtsvertreter in dieser Angelegenheit zu bestellen“.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte ebenso wie die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, das mitbeteiligte Landesarbeitsamt Vorarlberg die Abweisung der Beschwerde. Die Mitbeteiligte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt sowie die mitbeteiligten BC und DE erstatteten keine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Vorerst war zu prüfen, ob der vorliegenden Beschwerde nicht deshalb, weil die obgenannte Vollmachtsurkunde nur vom Bürgermeister, einem Gemeinderat und zwei Gemeindevertretern der Beschwerdeführerin unterzeichnet ist, der Beschluß der Gemeindevertretung über die Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde jedoch erst nach Ablauf der Beschwerdefrist gefaßt wurde, der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht.

1.2. Gemäß § 23 Abs. 1 VwGG 1965 können die Parteien, soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt, ihre Sache vor dem Verwaltungsgerichtshof selbst führen oder sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Nach § 23 Abs. 2 leg. cit. werden der Bund, die Länder, die Gemeinden und die anderen Selbstverwaltungskörper durch ihre vertretungsbefugten oder bevollmächtigten Organe vertreten. Nach der früheren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde bei der Beschwerdeführung durch juristische Personen des öffentlichen Rechtes verlangt, daß nicht nur die Erteilung der Vollmacht durch das nach außen vertretungsbefugte Organ, sondern auch die auf die Beschwerdeerhebung gerichtete Willensbildung des zuständigen Organes dem Verwaltungsgerichtshof nachgewiesen wurde. Diese Rechtsansicht hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung (Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Mai 1980, Zl. 2671/78, vom 9. September 1980, Zlen. 22, 172/80, und vom 11. Juni 1981, Zl. 684/80) nicht mehr aufrechterhalten, sondern ausgesprochen, daß ordnungsgemäß kundgemachte Organisationsnormen für juristische Personen auch des öffentlichen Rechts zwar nach außen Handlungsbeschränkungen der zur Vertretung berufenen Organe vorsehen können; sprechen die Normen jedoch von einer Vertretung nach außen schlechthin, so kann nicht auf anderweitige, bloß die Willensbildung im Innenverhältnis behandelnde Normen zurückgegriffen werden.

1.3. Gemäß § 23 Abs. 1 des (Vorarlberger) Gemeindegesetzes, LGBl. Nr. 45/1965, sind Organe der Gemeinde a) der Gemeinderat, der die Bezeichnung „Gemeindevertretung“ führt, b) der Gemeindevorstand und c) der Bürgermeister. Nach § 45 Abs. 1 leg. cit. bedürfen eines Beschlusses der Gemeindevertretung im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde a) in behördlichen Angelegenheiten: ... b) in anderen Angelegenheiten: ... 18. Anstrengung und Abstehen von Rechtsstreiten, Zustimmung zu gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichen zur Beilegung von Rechtsstreiten sowie Bestellung von Rechtsvertretern hiezu, soweit der Gegenstand die jeweilige bezirksgerichtliche Wertgrenze übersteigt, ...“. Gemäß § 60 Abs. 1 lit. a leg. cit. obliegt dem Bürgermeister im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde die Vertretung der Gemeinde nach außen. Eine Einschränkung dieser Vertretungsmacht des Bürgermeisters nach außen enthält lediglich § 64 leg. cit. hinsichtlich der „Urkundenfertigung“ in folgender Weise: „(1) Urkunden, die privatrechtliche Verpflichtungen gegenüber Dritten beinhalten, bedürfen der Unterschrift des Bürgermeisters und eines Mitgliedes des Gemeindevorstandes. (2) Betrifft die Urkunde eine Angelegenheit, die in die Zuständigkeit der Gemeindevertretung fällt oder für die eine aufsichtsbehördliche Genehmigung erforderlich ist, so muß sie vom Bürgermeister, von einem Mitglied des Gemeindevorstandes und zwei Gemeindevertretern unterfertigt werden. In der Urkunde müssen auch der Beschluß der Gemeindevertretung und die aufsichtsbehördliche Genehmigung angeführt werden. (3) Urkunden, welche die Vergabe von Aufträgen betreffen, bedürfen nur der Unterschrift des Bürgermeisters. (4) Eine Verpflichtung der Gemeinde tritt nur ein, wenn die Vorschriften der Abs. 1 bis 3 eingehalten wurden.“ Aus dem Regelungszusammenhang der Abs. 1 und 2 der zitierten Bestimmung und der Verwendung der Worte „die Urkunde“ im Abs. 2 ergibt sich, daß unter einer „Urkunde“ im Sinne des Abs. 2 nur eine Urkunde im Sinne des Abs. 1, also eine solche, die privatrechtliche Verpflichtungen gegenüber Dritten beinhaltet, zu verstehen ist. Da die im Beschwerdefall vorgelegte Vollmachtsurkunde lediglich die Bevollmächtigung des einschreitenden Rechtsanwaltes zur Vertretung der Beschwerdeführerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, aber keine privatrechtliche Verpflichtungen gegenüber Dritten beinhaltet, unterfällt die Fertigung dieser Urkunde nicht dem § 64 Abs. 2 leg. cit. Daß der Gemeinde aus einem Handeln des bevollmächtigten Vertreters Verpflichtungen erwachsen können, reicht zu einer Subsumtion unter die genannte Bestimmung nicht aus. Dies wird durch die Bestimmung des § 64 Abs. 3 leg. cit. erhärtet, wonach Urkunden, welche die Vergabe von Aufträgen betreffen, nur der Unterschrift des Bürgermeisters bedürfen. Somit war der Bürgermeister der Beschwerdeführerin ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Beschlußfassung des im Innenverhältnis zuständigen Gemeindeorganes zur Bevollmächtigung des einschreitenden Rechtsanwaltes zwecks Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde im Verhältnis nach außen befugt.

2.1. Was die Entscheidung in der Sache selbst betrifft, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem am 3. April 1981 gemäß § 41 VwGG 1965 gefaßten Beschluß folgende vorläufige Rechtsauffassung vertreten:

„Gemäß der auch im Einspruchsverfahren anzuwendenden Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG 1950 hat die Berufungsbehörde - außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall -, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Unzulässig ist ein Einspruch, der keinen begründeten Einspruchsantrag im Sinne des § 412 Abs. 1 ASVG enthält. Besteht eine rechtliche Trennbarkeit des im Bescheid der Unterbehörde enthaltenen Abspruches, so muß nach der vorläufigen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes der den Gesamtbescheid betreffende Antrag hinsichtlich jedes trennbaren Teiles eine Begründung enthalten, um dieser Bestimmung zu entsprechen.

Im Beschwerdefall enthielt der zunächst genannte Bescheid der mitbeteiligten Vorarlberger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte zwei trennbare Teilabsprüche, nämlich einerseits über die Versicherungspflicht der in der angeschlossenen Feststellungsliste namentlich genannten Dienstnehmer (durch den Ausspruch „gilt gemäß § 35 Abs. 1 ASVG als Dienstgeber“ in Verbindung mit dem Bezug auf die angeschlossene Feststellungsliste) und andererseits über die Beitragspflicht der Beschwerdeführerin und die Beitragshöhe. Im Einspruch beantragte die Beschwerdeführerin zwar, beide Bescheide ersatzlos aufzuheben, die oben angeführte Begründung des Einspruches bezog sich aber - hinsichtlich des erstgenannten Bescheides - nur auf die Vorschreibung zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Daher genügte der Einspruch hinsichtlich des Abspruches der mitbeteiligten Vorarlberger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte über die Versicherungspflicht unter anderem der Mitbeteiligten BC und DE nicht den Mindesterfordernissen, die nach der obgenannten Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes an eine Berufung zu stellen sind. Der Nachtrag der Begründung vermochte den inhaltlichen Mangel des Einspruches nicht zu sanieren. Vielmehr hätte der Landeshauptmann von Vorarlberg den Einspruch, soweit er sich auf die Versicherungspflicht der genannten Mitbeteiligten BC und DE bezog, als verspätet zurückweisen müssen. Die belangte Behörde hätte daher nicht über den allein in der Berufung bekämpften Abspruch des Landeshauptmannes von Vorarlberg über die Versicherungspflicht der Mitbeteiligten BC und DE meritorisch absprechen dürfen, sondern diesen Bescheidteil beheben und den diesbezüglichen Einspruchsteil zurückweisen müssen.“

2.2.1. Die mitbeteiligte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt sowie die mitbeteiligte Vorarlberger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte teilten in ihrer Stellungnahme zum genannten Beschluß die vorläufige Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes; die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten sowie das mitbeteiligte Landesarbeitsamt Vorarlberg sowie die Mitbeteiligten BC und DE erstatteten keine Stellungnahme.

2.2.2. Die belangte Behörde erklärte in ihrer Stellungnahme, sie vermöge sich der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes, der Einspruch der Beschwerdeführerin habe vorerst nur eine Begründung enthalten, nicht anzuschließen, weil in diesem Einspruch bereits auf die Unrechtmäßigkeit (... „erfolgte zu Unrecht“) sowie auf vertragliche Bindungen, die für das Verhältnis Dienstgeber-Dienstnehmer von Bedeutung seien, hingewiesen worden sei. Das nachträgliche ausdrückliche Vorbringen hinsichtlich der Versicherungspflicht stelle daher nach Auffassung der belangten Behörde nur eine zulässige Ergänzung der rechtzeitig erhobenen vollen Berufung dar.

2.2.3. Auch die Beschwerdeführerin schloß sich der vorläufigen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht an. Der Spruch der mitbeteiligten Vorarlberger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte könne nicht in zwei getrennte Tatbestände zerlegt werden. Der Ausspruch über die Dienstgeberqualifikation gemäß § 35 Abs. 1 ASVG sei die Voraussetzung für den Ausspruch über die Zahlungsverpflichtung. Die Vorarlberger Gebietskrankenkasse habe daher richtigerweise diesen Tatbestand in einem einzigen Satz zusammengefaßt. Die Gemeinde A habe ihren Einspruch wie folgt formuliert: „Das Gemeindeamt A erhebt gegen die von Ihnen am 10. März 1977 gemäß ... und § 35 Abs. 1 ASVG erlassenen ... Bescheide .... Einspruch ...“. Der Einspruch habe sich also ausdrücklich auch gegen den Bescheidteil „§ 35 Abs. 1 ASVG“ gerichtet. Die Begründung für diesen Einspruch ergebe sich aus den folgenden beiden Absätzen des Einspruches. Insbesondere der dritte Absatz sei dahin gehend auszulegen, daß eine Dienstgeberqualifikation nicht vorliege. Wäre die Argumentation des Verwaltungsgerichtshofes richtig, so müßte dies zu folgendem Ergebnis führen: „Gemeindeamt A gilt gemäß § 35 Abs. 1 ASVG als Dienstgeber“. Aus diesem Tatbestand wäre jedoch nicht erkennbar gewesen, hinsichtlich welcher Personen die Dienstgeberqualifikation von der Vorarlberger Gebietskrankenkasse angenommen worden sei. Diesem „Spruch“ hätten somit wesentliche Erfordernisse im Sinne des § 59 AVG gefehlt. Auch daraus ergebe sich, daß der Spruch als Einheit aufzufassen sei.

2.3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hält aus folgenden Gründen an seiner im obgenannten Beschluß vertretenen vorläufigen Rechtsauffassung fest:

2.3.2. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat die mitbeteiligte Vorarlberger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte im Spruch ihres Bescheides über zwei im Sinne des § 59 AVG 1950, § 357 Abs. 1 ASVG trennbare Hauptfragen, nämlich die Versicherungspflicht bestimmter Dienstnehmer für bestimmte Zeiträume einerseits und die Beitragspflicht und Beitragshöhe dieser Dienstnehmer andererseits, abgesprochen. Denn dadurch, daß sie sich im Spruch des Bescheides auf eine dem Bescheid angeschlossene „Feststellungsliste“ bezog, ist der Spruch - anders als in den dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. November 1978, Slg. N.F. Nr. 9689/A, zugrunde liegenden Fall - so zu verstehen, daß damit einerseits ausgesprochen wurde, daß die Beschwerdeführerin als Dienstgeberin konkreter Dienstnehmer in konkreten Zeiträumen (laut angeschlossener Feststellungsliste) gelte, und andererseits festgestellt wurde, daß die Beschwerdeführerin Beiträge in bestimmter Höhe nachzuzahlen habe (vgl. Erkenntnis vom 14. November 1980, Zl. 753/78). Träfe die Meinung der Beschwerdeführerin zu, daß der Ausspruch „über die Dienstgeberqualifikation gemäß § 35 Abs. 1 ASVG“ nur eine allgemeine Voraussetzung für den Ausspruch über die Zahlungsverpflichtung gewesen sei, ohne daß daraus erkennbar gewesen sei, hinsichtlich welcher Personen die Dienstgeberqualifikation angenommen worden sei, so hätte dies zur Konsequenz, daß dieser Ausspruch lediglich ein in den Spruch aufgenommenes Begründungselement hinsichtlich des alleinigen Spruchinhaltes, nämlich der Beitragshöhe, darstellte und die Einspruchsbehörde schon deshalb gehindert gewesen wäre, über die Versicherungspflicht der Mitbeteiligten BC und DE im Spruch des Bescheides abzusprechen.

2.3.3. Gemäß § 412 Abs. 1 zweiter Satz ASVG hat der Einspruch den Bescheid zu bezeichnen, gegen der er sich richtet, und einen begründeten Entscheidungsantrag zu enthalten. Im Hinblick auf die Gleichartigkeit der Regelung mit jener des § 63 Abs. 3 AVG, wonach die Berufung unter anderem einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten hat, können für die Beurteilung der Frage, ob ein Einspruch einen begründeten Antrag enthält, die im Bereich des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes von der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgesichtspunkte herangezogen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt dargetan, daß in dem Mangel eines begründeten Berufungsantrages nicht ein bloßes Formgebrechen gelegen ist, sondern ein Mangel des durch Gesetz geforderten Inhaltes, demgegenüber die Behörde nicht gehalten ist, verbessernd einzugreifen. Das Fehlen eines begründeten Berufungsantrages bedeutet das Fehlen eines der Mindesterfordernisse, die an eine Berufung zu stellen sind. Eine solche Berufung ist als unzulässig zurückzuweisen. Wenn der begründete Antrag erst nach Ablauf der Berufungsfrist nachgetragen wird, ist die Berufung verspätet. Zwar ist bei der Beurteilung der für ein zur meritorischen Behandlung geeignetes Rechtsmittel im Gesetz aufgestellten Voraussetzungen eine streng formalistische Auslegung nicht vorzunehmen. Gleichwohl muß aus der Berufung zumindest erkennbar sein, aus welchen - wenn auch vielleicht nicht stichhältigen - Gründen der angefochtene Bescheid bekämpft wird. Was § 63 Abs. 3 AVG 1950 will, ist, daß die Berufungsbehörde der Eingabe, mit der gegen die Entscheidung der Unterbehörde ein Rechtsmittel erhoben wird, entnehmen können soll, was mit dem Verfahrensschritt nach Absicht der Partei bezweckt wird (vgl. die beiden Erkenntnisse vom 27. Juni 1980, Zl. 2834/79 und Zl. 1244/80, mit weiteren Belegstellen). Besteht eine rechtliche Trennbarkeit des im Bescheid der Unterbehörde enthaltenen Abspruches, so muß nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes im Sinne der dargelegten Grundsätze ein den Gesamtbescheid betreffender Berufungsantrag hinsichtlich jedes trennbaren Teiles eine Begründung enthalten, um der Bestimmung des § 63 Abs. 3 AVG 1950 (bezogen auf einen Einspruch: der Bestimmung des § 412 Abs. 1 zweiter Satz ASVG) zu entsprechen.

2.3.4. Die Beschwerdeführerin beantragte nun zwar im Einspruch gegen die beiden Bescheide der mitbeteiligten Vorarlberger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte „beide Bescheide ... ersatzlos aufzuheben“, die oben wiedergegebene Begründung des Einspruches bezog sich aber - hinsichtlich des die Versicherungs- und Beitragspflicht aussprechenden Bescheides - nur auf die Vorschreibung zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Denn durch die Wendung im Einspruchsantrag, die Bescheide „auf Grund des obgeschilderten Sachverhaltes“ ersatzlos aufzuheben, wurde ein klarer Bezug des Einspruchsantrages zum Einspruchsvorbringen hergestellt. Darnach erachtete die Beschwerdeführerin „die Vorschreibung zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und die Verpflichtung zur Zahlung eines Beitragszuschlages“ zu Unrecht erfolgt, weil „mit sämtlichen bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse berücksichtigten Dienstnehmern ... ein privatrechtlicher Vertrag abgeschlossen“ worden sei, und folgerte daraus, daß „daher von tatsächlich erfolgten Zahlungen auszugehen“ sei, „welche ordnungsgemäß gemeldet und zur Berechnung der von der Gemeinde bereits bezahlten Sozialversicherungsbeiträge herangezogen worden“ seien. Aus diesem Vorbringen konnte die Einspruchsbehörde entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und auch der belangten Behörde in ihren Stellungnahmen zum obgenannten Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes keineswegs entnehmen, daß das Bestehen eines Dienstverhältnisses im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG zwischen allen oder doch einigen der in der „Feststellungsliste“ genannten Personen bestritten werde; sie konnte vielmehr davon ausgehen, daß der Bestand eines solchen Verhältnisses ausdrücklich zugestanden werde. Sowohl die Verwendung der Worte „erfolgte zu Unrecht“ als auch der Hinweis „auf vertragliche Bindungen“ bezogen sich - entgegen der Auffassung der belangten Behörde in ihrer Stellungnahme - nach dem klaren Wortlaut des Einspruches nur auf die Beitragsfragen, aber nicht auf die Versicherungspflicht der in der Feststellungsliste genannten Dienstnehmer. Durch die bloße Anführung des § 35 Abs. 1 ASVG im Einspruch genügte die Beschwerdeführerin - entgegen ihrer Auffassung in der Stellungnahme - nicht der Begründungspflicht im oben dargestellten Sinn hinsichtlich der später behaupteten Unrechtmäßigkeit des Ausspruches der mitbeteiligten Vorarlberger Gebietskrankenkasse über die Versicherungspflicht der Mitbeteiligten BC und DE. Diese Begründung wurde vielmehr erstmals in der Stellungnahme vom 15. Juni 1978, also nach Ablauf der Einspruchsfrist, und daher nach den obigen Darlegungen verspätet nachgetragen.

2.3.5. Da dieser Nachtrag den inhaltlichen Mangel des Einspruches nicht zu sanieren vermochte, hätte der Landeshauptmann von Vorarlberg den Einspruch, soweit er sich auf die Versicherungspflicht der genannten Mitbeteiligten BC und DE bezog, als verspätet zurückweisen müssen. Die belangte Behörde hätte demgemäß nicht über den allein in der Berufung bekämpften Abspruch des Landeshauptmannes von Vorarlberg über die Versicherungspflicht der genannten Mitbeteiligten meritorisch absprechen dürfen, sondern diesen Bescheidteil beheben und den diesbezüglichen Einspruchsteil zurückweisen müssen. Da sie dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

3. Soweit in diesem Erkenntnis Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 im Zusammenhalt mit Art. I lit. A Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221. Das Begehren um Ersatz der Stempelgebühren war im Hinblick auf die bestehende sachliche Gebührenfreiheit (§ 110 Abs. 1 ASVG) abzuweisen.

Wien, am 15. Jänner 1982

Schlagworte

Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATION

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1982:1980000100.X00

Im RIS seit

11.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten