TE Vwgh Erkenntnis 1997/1/16 96/18/0488

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Veröffentlicht am 16.01.1997
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Index

19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
StGB §142 Abs1;
StGB §143;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Neumair, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. Juli 1996, Zl. SD 538/96, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 25. Juli 1996 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 3. Jänner 1996 wegen des Verbrechens des schweren Raubes (§§ 142 Abs. 1, 143 dritter Fall StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Aus dem Urteil ergebe sich, daß der Beschwerdeführer gemeinsam mit Göksan A. das Opfer getreten und geschlagen habe, sodaß dieses schwere Verletzungen erlitten habe. Aufgrund dieser Verurteilung sei eine bestimmte Tatsache i. S. des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG gegeben; ebenso lägen die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 leg. cit. vor.

Der durch das Aufenthaltsverbot bewirkte Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers - er lebe mit seinen Eltern und seinen jüngeren Geschwistern im gemeinsamen Haushalt - sei im Hinblick auf die Ziele des Art. 8 Abs. 2 MRK (hier: Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere der Gewaltkriminalität, die in der Tat zum Ausdruck komme, sowie Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten und daher im Grunde des § 19 FrG zulässig.

Nach § 20 Abs. 1 FrG sei zu berücksichtigen gewesen, daß der Beschwerdeführer als Fünfjähriger nach Österreich gekommen sei und hier die Pflichtschule besucht habe. Nach Abschluß der Pflichtschule habe der Beschwerdeführer bis 1995 in der Türkei gelebt. Nach eigenen Angaben besuche er derzeit einen Hauptschulexternistenkurs, da er nur bis zur zweiten Klasse der Hauptschule gekommen sei. Das Ausmaß der Integration sei daher nicht sehr hoch zu veranschlagen. Bei Abwägung dieser Umstände sei die belangte Behörde der Ansicht, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht so schwer wögen wie die besonders nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von seiner Erlassung.

Mit dem Hinweis auf die vom Gericht bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe vermöge der Beschwerdeführer nicht durchzudringen, da die zum Vollzug des Fremdengesetzes berufene Behörde andere Kriterien anzuwenden habe als das Gericht.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Dieser Gerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluß vom 9. Oktober 1996, B 2866/96).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die - auf den unbestrittenen maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen beruhende - Ansicht der belangten Behörde, daß der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 (dritter Fall) FrG verwirklicht und die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, unbekämpft. Der Verwaltungsgerichtshof hegt gegen diese rechtliche Beurteilung keine Bedenken.

2.1. Erkennbar aus dem Blickwinkel des § 19 FrG hält die Beschwerde den angefochtenen Bescheid für rechtswidrig, weil die belangte Behörde die in der vom Gericht ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht zum Ausdruck gekommene günstige Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer unbeachtet gelassen habe.

2.2. Ebenso wie die Frage des Gerechtfertigtseins der im § 18 Abs. 1 FrG umschriebenen Annahme haben die für die Vollziehung des Fremdengesetzes zuständigen Behörden auch die Frage, ob die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes ungeachtet eines damit verbundenen relevanten Eingriffes in das Privatund/oder Familienlebens des Fremden i.S. des § 19 FrG zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten und damit nach § 19 leg. cit. zulässig ist, ohne Bindung an die für die Gewährung der bedingten Strafnachsicht maßgeblichen Erwägungen des Gerichtes eigenständig und ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Fremdenrechtes zu beurteilen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. April 1995, Zl. 93/18/0148), ist doch die "Sache", über die einerseits das Strafgericht und andererseits die Fremdenbehörde zu befinden hat, eine gänzlich verschiedene (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. September 1995, Zl. 95/18/1170).

3.1. Nach Meinung der Beschwerde ist überdies die für das Dringend-geboten-sein des Aufenthaltsverbotes gegebene Begründung der belangten Behörde nicht ausreichend, da sie sich auf das "bloße Wiederholen der verba legalia" beschränke.

3.2. Demgegenüber ist festzuhalten, daß die belangte Behörde unter der - zutreffenden - Annahme eines relevanten Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch das Aufenthaltsverbot zu dem Ergebnis gelangte, daß die Verhängung dieser Maßnahme aus den im Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen der Verhinderung von strafbaren Handlungen und des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer dringend geboten und demnach gemäß § 19 FrG zulässig sei. Diese - hinreichend begründete - Beurteilung stößt auf keinen Einwand. Dem zweifelsohne gewichtigen persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleiben im Bundesgebiet waren die durch die Art der Tat (schwerer Raub) und den dadurch herbeigeführten Erfolg (schwere Verletzung des Opfers) in gravierender Weise beeinträchtigten maßgeblichen gegenläufigen Interessen der Allgemeinheit gegenüberzustellen. Wenn die belangte Behörde hiebei zur Annahme eines Überwiegens der zuletzt genannten Interessen kam und die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes mit Rücksicht auf die öffentlichen Interessen der Verhinderung strafbarer Handlungen (durch den Beschwerdeführer) und des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer für notwendig erachtete, kann darin keine Rechtswidrigkeit erblickt werden.

4.1. Die Beschwerde vertritt schließlich die Auffassung, daß die belangte Behörde die nach § 20 Abs. 1 FrG gebotene Interessenabwägung unrichtig vorgenommen habe. Sie habe aus der bloßen Tatsache eines mäßigen Schulerfolges und eines vorübergehenden Aufenthaltes in der Türkei gefolgert, daß das Ausmaß der Integration nicht sehr hoch anzusetzen sei. Die belangte Behörde hätte aber darauf Bedacht nehmen müssen, daß der Beschwerdeführer bereits vor 13 Jahren nach Österreich gekommen sei, daß sich seine Eltern und Geschwister hier aufhielten und er in der Türkei keine nahen Angehörigen mehr habe, daß er seinen Freundes- und Bekanntenkreis einzig im Inland habe, und daß er bemüht sei, den Hauptschulabschluß nachzuholen und einen Beruf zu erlernen.

4.2. Auch dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Die belangte Behörde berücksichtigte die private und familiäre Situation des Beschwerdeführers zu seinen Gunsten. Wenn sie hiebei das Gewicht derselben vor allem in Ansehung des gemäß § 20 Abs. 1 Z. 1 FrG relevanten Kriteriums der Integration des Beschwerdeführers relativierte, so ist dies angesichts seines von der belangten Behörde unwidersprochen festgestellten etwa sechsjährigen Aufenthaltes in der Türkei (1989 bis 1995), also seines erst sehr kurzen neuerlichen Aufenthaltes in Österreich durchaus nachvollziehbar und keineswegs rechtsirrig, tritt doch von daher gesehen die Bedeutung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet in der Zeit von 1983 bis 1989 und die Tatsache seines in diesem Zeitraum absolvierten Schulbesuches aus dem Blickwinkel der "Dauer des Aufenthaltes" und des "Ausmaßes der Integration" (§ 20 Abs. 1 Z. 1 FrG) deutlich in den Hintergrund, sodaß - unbeschadet des Gewichtes des Aufenthaltes der Familienangehörigen in Österreich und allfälliger sonstiger Bindungen - die persönliche Interessenlage des Beschwerdeführers insgesamt nicht so schwer wiegt, wie dies die Beschwerde vermeint, jedenfalls aber nicht als gewichtiger zu werten ist als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes und damit das in der Wahrung der öffentlichen Sicherheit begründete nachhaltige Interesse an der Ausreise des Beschwerdeführers.

5. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Beschwerdeinhalt erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996180488.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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