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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AuslBG §20d Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger sowie Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 23. Juli 2019, VGW-151/084/7623/2019-7, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: D J), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Am 24. April 2018 stellte der Mitbeteiligte, ein serbischer Staatsangehöriger, einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, wobei im Antragsformular die Spalte „Künstler - selbständig“ angekreuzt wurde.
2 Mit Bescheid vom 24. April 2019 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) den Antrag des Mitbeteiligten „auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck ‘NB Künstler (nur selbständige Erwerbstätigkeit)‘ “ gemäß § 43a Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Die belangte Behörde hielt fest, dass bei selbständigen Künstlern der Unterhalt durch das Einkommen gedeckt sein müsse, das sie aus ihrer künstlerischen Tätigkeit bezögen. Die Regelung des § 43a Abs. 1 Z 2 NAG sei keine Unterhaltsregelung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG, sondern eine besondere Erteilungsvoraussetzung. Der Mitbeteiligte habe keine Nachweise über seine künstlerische Befähigung und auch keine Unterlagen vorgelegt, denen entnommen werden könne, dass er einer künstlerischen Tätigkeit in Österreich nachgehe und aus dieser auch seinen Lebensunterhalt bestreite. Mangels Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzung gemäß § 43a Abs. 1 Z 2 NAG sei der Antrag abzuweisen. Es sei auch keine Modifikation des Antrages auf „Niederlassungsbewilligung - Künstler (unselbständig)“ eingelangt.
3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde.
Dem Protokoll über die am 23. Juli 2019 im Beschwerdeverfahren durchgeführte mündliche Verhandlung lässt sich Folgendes entnehmen: Das Verwaltungsgericht erläuterte seine Rechtsansicht, dass die beantragte Niederlassungsbewilligung als selbständiger Künstler mangels eines Nachweises der Deckung des Lebensunterhaltes des Mitbeteiligten aus der selbständigen künstlerischen Tätigkeit nicht zu erteilen sei. Daraufhin brachte der Mitbeteiligte (durch seinen ausgewiesenen Vertreter) vor, einen Aufenthaltstitel als unselbständiger Künstler beantragen zu wollen. Das Verwaltungsgericht stellte klar, dies bedeute, dass der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als unselbständiger (gemeint wohl: selbständiger) Künstler damit als zurückgezogen gelte und der Akt mit dem neuen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für unselbständige Künstler an die Behörde zurückgeschickt werde. Dies nahm der Vertreter des Mitbeteiligten zustimmend zur Kenntnis.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. Juli 2019 hob das Verwaltungsgericht Wien den Bescheid der belangten Behörde ersatzlos auf und sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte habe seinen ursprünglich auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung „Künstler (nur selbständige Erwerbstätigkeit, § 43a Abs. 1 Z 2 NAG)“ lautenden Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung „Künstler (unselbständige Erwerbstätigkeit, § 43a Abs. 1 Z 1 NAG)“ modifiziert. Damit habe er eindeutig zu erkennen gegeben, seinen ursprünglichen Antrag nicht aufrechtzuerhalten. Die Modifizierung des Antrages im Beschwerdeverfahren sei als Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrags zu werten und bewirke den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheides sowie damit (nachträglich) dessen Rechtswidrigkeit. Der Bescheid sei daher ersatzlos zu beheben.
Der in der mündlichen Verhandlung protokollierte Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung „Künstler (unselbständige Erwerbstätigkeit, § 43a Abs. 1 Z 1 NAG)“ werde - so das Verwaltungsgericht weiter - gemäß § 6 AVG der belangten Behörde zuständigkeitshalber weitergeleitet.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.
Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird unter dem Gesichtspunkt eines behaupteten Abweichens von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorgebracht, die Modifizierung eines Antrags führe nur dann zur Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes, wenn dadurch die „Sache“ des Rechtsmittelverfahrens überschritten werde. Hingegen sei das Verwaltungsgericht gehalten, inhaltlich zu entscheiden, wenn eine Modifizierung innerhalb der durch die „Sache“ des Rechtsmittelverfahrens abgesteckten Grenzen erfolge. Da das NAG gemäß § 8 Abs. 1 Z 9 in Verbindung mit § 43a unabhängig davon, ob die künstlerische Tätigkeit selbständig oder unselbständig erfolge, nur eine einheitliche „Niederlassungsbewilligung - Künstler“ kenne, liege im vorliegenden Fall eine zuständigkeitswahrende Antragsänderung vor, sodass das Verwaltungsgericht nicht von seiner Unzuständigkeit hätte ausgehen dürfen. Zudem fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine zuständigkeitswahrende Modifikation vorliege, wenn diese nur innerhalb einer Norm erfolge und der Antrag weiterhin auf den ursprünglich beantragten Zweck gerichtet sei.
Die Revision erweist sich im Hinblick auf das zuletzt dargestellte Vorbringen als zulässig, aus den nachstehenden Erwägungen jedoch als nicht begründet.
7 Nach § 43a Abs. 1 NAG kann Drittstaatsangehörigen eine „Niederlassungsbewilligung - Künstler“ ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG erfüllen und (Z 1:) im Fall der Unselbständigkeit eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20d Abs. 1 Z 6 AuslBG vorliegt oder (Z 2:) im Fall der Selbständigkeit deren Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist, sofern ihr Unterhalt durch das Einkommen gedeckt wird, das sie aus ihrer künstlerischen Tätigkeit beziehen.
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 9 NAG berechtigt ein Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung - Künstler“ zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung gemäß § 20d Abs. 1 Z 6 AuslBG erstellt wurde, oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit.
8 Das Verwaltungsgericht spricht im angefochtenen Erkenntnis von einer Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrags sowie einem Wegfall der Zuständigkeit der belangten Behörde und geht somit offenbar vom Vorliegen einer wesentlichen Änderung (im Sinn des § 13 Abs. 8 AVG) aus. Demgegenüber bezieht sich das Vorbringen des Revisionswerbers auf die - seiner Ansicht nach nicht vorliegende - Überschreitung der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens.
9 Zur Frage der Antragsänderung nach § 13 Abs. 8 AVG sowie zu den Grenzen der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens hat der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit Verfahren nach dem NAG Folgendes festgehalten:
Die Beurteilung, wie weit eine Antragsänderung konkret gehen darf, hängt auch entscheidend davon ab, ob die Änderung vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheids oder erst im Rechtsmittelverfahren erfolgt. Zwar ist auch dort eine Antragsänderung grundsätzlich (mit der Verpflichtung zur Entscheidung über den geänderten Antrag) zulässig, allerdings zieht § 66 Abs. 4 AVG für derartige Modifikationen engere Grenzen als der bloß auf das Wesen der Sache abstellende § 13 Abs. 8 AVG. So ist die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG auf die „Sache“ des erstinstanzlichen Verfahrens beschränkt. Da die Verwaltungsgerichte funktionell an die Stelle der Berufungsbehörde getreten sind, die sie insofern abgelöst haben, gilt dies gleichermaßen für Antragsänderungen im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht (siehe VwGH 31.1.2019, Ra 2018/22/0086, Pkt. 6.2., mwN).
Diese (angesprochenen) Grenzen bestehen darin, dass die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichts auf die „Sache“ des erstinstanzlichen Verfahrens, die den Inhalt des bescheidmäßigen Spruchs der belangten Behörde gebildet hat, beschränkt ist. Die „Sache“ des behördlichen Verfahrens wird, weil sie durch die jeweils zur Anwendung kommende Verwaltungsvorschrift bestimmt wird, jedenfalls durch Antragsänderungen verlassen, welche die Anwendbarkeit einer anderen Norm zur Folge haben (vgl. VwGH 28.5.2019, Ra 2016/22/0011, Pkt. 5.3.). Eine Überschreitung der „Sache“ durch die dort gegenständliche Antragsänderung wurde in diesem Erkenntnis angenommen, weil die in Rede stehenden Aufenthaltstitel auf verschiedenen Gesetzesbestimmungen mit (zumindest partiell) unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen gründeten.
10 Im vorliegenden Fall beantragte der Mitbeteiligte bei der belangten Behörde zunächst eine zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit berechtigende Niederlassungsbewilligung - Künstler nach § 43a Abs. 1 Z 2 NAG. Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Zweck „Künstler (nur selbständige Erwerbstätigkeit)“ ab. „Sache“ des Beschwerdeverfahrens war daher nur diese den Spruch des bekämpften Bescheides bildende Angelegenheit. Im Beschwerdeverfahren änderte der Mitbeteiligte seinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als unselbständiger Künstler.
11 Der Revision ist zwar zuzustimmen, dass das NAG nur den in § 8 Abs. 1 Z 9 genannten einheitlichen Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung - Künstler“ kennt. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof (im bereits zitierten Erkenntnis Ra 2018/22/0086) eine - nach der Abweisung eines Antrags nach § 56 AsylG 2005 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erfolgte - erstmalige Entscheidung des Verwaltungsgerichtes betreffend einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 als eine Überschreitung der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens erachtet, und zwar ungeachtet dessen, dass nach beiden Bestimmungen jeweils gleichlautende Aufenthaltstitel zu erteilen sind (nämlich entweder eine „Aufenthaltsberechtigung“ oder eine „Aufenthaltsberechtigung plus“).
12 Schließlich ergibt sich aus § 8 Abs. 1 Z 9 NAG, dass eine „Niederlassungsbewilligung - Künstler“ nur entweder zu einer unselbständigen oder zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt. Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers handelt es sich bei der Entscheidung, ob eine Niederlassungsbewilligung - Künstler für eine unselbständige oder eine selbständige Tätigkeit erteilt werden soll, auch nicht um eine von der Behörde bzw. vom Verwaltungsgericht - losgelöst vom Antragsinhalt - vorzunehmende rechtliche Würdigung eines pauschal auf die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung - Künstler gerichteten Antrags.
13 Dass im vorliegenden Fall die besonderen Erteilungsvoraussetzungen sowohl für die selbständige als auch für die unselbständige künstlerische Tätigkeit gleichermaßen in § 43a NAG geregelt sind, führt zu keinem anderen Ergebnis, weil die beiden Fälle angesichts der in den Z 1 und 2 des § 43a Abs. 1 NAG enthaltenen Vorgaben unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen unterliegen. Während im Fall der Selbständigkeit nach Z 2 leg. cit. die (vom Antragsteller nachzuweisende) Deckung des Unterhalts durch Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit sowie die überwiegende Bestimmtheit der Tätigkeit durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung gefordert ist, setzt der in Z 1 leg. cit. geregelte Fall der Unselbständigkeit das Vorliegen einer schriftlichen Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20d Abs. 1 Z 6 AuslBG voraus. Die schriftliche Mitteilung des Arbeitsmarktservice hat dabei als Teil der Prüfung der besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach dem in § 20d Abs. 1 AuslBG vorgezeichneten Verfahren vor Erteilung eines Aufenthaltstitels zu erfolgen (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation betreffend § 41 Abs. 2 Z 2 NAG VwGH 26.3.2015, Ra 2014/22/0179 und 0180). Da die beiden Aufenthaltstitel somit auf jeweils (zumindest partiell) unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen gründen (vgl. dazu erneut VwGH Ra 2016/22/0011, Pkt. 5.4.), lag die durch den Mitbeteiligten vorgenommene Antragsänderung nicht mehr innerhalb der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens und war daher insoweit unzulässig.
14 Das Verwaltungsgericht hat daher im Ergebnis zu Recht seine Zuständigkeit zur erstmaligen inhaltlichen Entscheidung über den geänderten Antrag verneint. Ausgehend davon ist es auch nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den bekämpften Bescheid ersatzlos behoben hat, weil dem Bescheid infolge der mit Zustimmung des Mitbeteiligten erfolgten Deutung dieser Antragsänderung als Zurückziehung des ursprünglichen Antrags kein Antrag mehr zugrunde lag, über den das Verwaltungsgericht innerhalb der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens hätte absprechen können. Ob es sich bei der vorliegenden Antragsänderung um eine Änderung der Sache ihrem Wesen nach im Sinn des § 13 Abs. 8 AVG gehandelt hat, kann vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben.
15 Aus den dargestellten Erwägungen war die Revision daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 9. September 2021
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020220112.L00Im RIS seit
09.10.2021Zuletzt aktualisiert am
20.10.2021