TE Vwgh Beschluss 2021/9/9 Ra 2020/22/0100

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Veröffentlicht am 09.09.2021
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Index

E2D Assoziierung Türkei
E2D E02401013
E2D E05204000
E2D E11401020
E3R E11401020
E3R E11402000
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

ARB1/80 Art13
B-VG Art133 Abs4
FrG 1997 §47
FrG 1997 §47 Abs3
FrG 1997 §48
FrG 1997 §49 Abs1
MRK Art8
NAG 2005 §2 Abs1 Z9 idF 2009/I/135
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
31972R2760 ZusProt FinanzProt AssAbk Türkei Art41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, Hofrat Dr. Schwarz sowie Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der S Ö, vertreten durch Mag. Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 10, gegen das am 24. Februar 2020 mündlich verkündete und am 25. März 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/007/16284/2019-22, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde der Revisionswerberin, einer türkischen Staatsangehörigen, gegen den abweisenden Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. November 2019 betreffend ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ mit ihrer die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden eingetragenen Partnerin als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

2        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Aufenthalt der Revisionswerberin widerstreite den öffentlichen Interessen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit Abs. 4 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), weil er die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Die Revisionswerberin habe von Dezember 2011 bis Dezember 2018 einen gefälschten, auf ihren Namen ausgestellten ungarischen Personalausweis wiederholt als Identitäts- und Herkunftsnachweis verwendet. Das diesbezüglich eingeleitete Strafverfahren gemäß §§ 223 Abs. 2, 224 StGB sei mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11. Februar 2019 eingestellt worden, weil die Revisionswerberin das Diversionsangebot gemäß § 203 StPO angenommen habe. Im Rahmen der Gefährdungsprognose kam das Verwaltungsgericht - mit ausführlicher Begründung - zum Ergebnis, die Revisionswerberin zeige ein völlig unzureichendes Schuld- und Unrechtsbewusstsein und - trotz des strafgerichtlichen Verfahrens und einer Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Juli 2019 - keine Bereitschaft, österreichische Rechtsvorschriften einzuhalten. Auch die Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG falle nicht zu ihren Gunsten aus.

3        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        In der Zulässigkeitsbegründung wird - unter Berufung auf die Stillhalteklauseln nach Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG-Türkei sowie nach Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 - ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung (Hinweis auf VwGH 15.12.2011, 2007/18/0430; 26.1.2012, 2008/21/0304) und jener des EuGH (Hinweis auf EuGH 21.10.2003, Abatay ua, C-317/01 und C-369/01; 15.11.2011, Dereci ua, C-256/11) betreffend die Frage, unter welchen Voraussetzungen einem türkischen Staatsangehörigen mit Erwerbsabsichten und einem nachweislich bestehenden Familienleben mit einer österreichischen Staatsbürgerin ein Aufenthaltstitel als Familienangehöriger zu erteilen sei, geltend gemacht.

8        Aus den genannten Stillhalteklauseln ist für die Revisionswerberin jedoch nichts zu gewinnen, weil das Fremdengesetz 1997 (FrG) - insbesondere dessen §§ 47 ff. - (ebenso wie die zuvor maßgeblichen fremdenrechtlichen Bestimmungen) keine (und somit auch keine im Vergleich zur aktuellen Rechtslage nach dem NAG günstigeren) Regelungen für eingetragene Partner(innen) von österreichischen Staatsbürgern enthielt (zu mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Konstellationen, in denen auch nach früheren Rechtslagen der beantragte Aufenthaltstitel nicht zu erteilen gewesen wäre bzw. mit dem NAG eine neue Rechtsstellung erst eingeführt wurde, VwGH 18.1.2017, Ra 2016/22/0021, Rn. 10 und 11; 23.2.2021, Ro 2020/22/0007, Rn. 15 - 17). Die Möglichkeit, eine eingetragene Partnerschaft einzugehen, wurde durch den österreichischen Gesetzgeber erstmals mit dem Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft, BGBl. I Nr. 135/2009, geschaffen; im Hinblick darauf erfolgten (ebenfalls mit BGBl. I Nr. 135/2009) die entsprechenden Adaptierungen im NAG, insbesondere dessen § 2 Abs. 1 Z 9. Eine zu den assoziationsrechtlichen Stillhalteklauseln im Widerspruch stehende Schlechterstellung der Revisionswerberin durch die Anwendung des NAG an Stelle der §§ 47 ff. FrG liegt folglich, da diese nicht als Angehörige im Sinn von § 47 Abs. 3 FrG zu betrachten ist (vgl. den ausdrücklichen Verweis auf die Angehörigendefinition des § 47 Abs. 3 FrG in § 49 Abs. 1 FrG) und Regelungen für die Familienzusammenführung von eingetragenen Partner(inne)n im Jahr 2010 erstmals getroffen wurden, nicht vor (anders im Zusammenhang mit der durch das FrÄG 2009 bewirkten Verschiebung der Altersgrenze in § 2 Abs. 1 Z 9 NAG auf 21 Jahre und der Familienzusammenführung von Ehegatten VwGH 31.5.2017, Ra 2016/22/0089, Rn. 21).

9        Soweit die Revision in der Zulässigkeitsbegründung auch die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Gefährdungsprognose sowie die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK rügt, ist ihr zu entgegnen, dass sowohl die Gefährdungsprognose als auch die Interessenabwägung unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen sind. Sie sind daher im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgten und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurden - nicht revisibel (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0055, Rn. 13, mwN). Eine solche Unvertretbarkeit der ausführlich begründeten und nach Durchführung einer Verhandlung erfolgten Beurteilung des Verwaltungsgerichts zeigt die Revisionswerberin nicht auf.

10       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 9. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020220100.L00

Im RIS seit

09.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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