Entscheidungsdatum
26.05.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
G301 2241351-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Kolumbien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen – BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 09.03.2021, Zl. XXXX , betreffend Einreiseverbot, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides (betreffend Einreiseverbot) teilweise Folge gegeben und dieser Spruchpunkt dahingehend abgeändert, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf fünf (5) Jahre herabgesetzt wird.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Wien, dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) zugestellt am 10.03.2021, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kolumbien festgestellt (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.), gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).
Mit dem am 01.04.2021 beim BFA, RD Wien, eingebrachten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erhob der BF durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid nur im Umfang des Spruchpunktes VI. (Verwaltungsakt, AS 262), wobei jedoch in der Begründung der Beschwerde auch die Rechtswidrigkeit der Rückehrentscheidung ins Treffen geführt wurde und dass die in Spruchpunkt „IV.“ (richtig wohl: Spruchpunkt V.) ausgesprochene Aberkennung der aufschiebenden Wirkung zu Unrecht erfolgt sei.
Mit weiterem und als „Beschwerdeberichtigung“ bezeichneten Schriftsatz vom selben Tag wurde vorgebracht, dass sich die gegenständliche Beschwerde ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides betreffend Einreiseverbot beschränke und alle übrigen Spruchpunkte des Bescheides nicht angefochten werden.
Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 13.04.2021 vom BFA vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist Staatsangehöriger der Republik Kolumbien und im Besitz eines am XXXX 2019 ausgestellten und bis XXXX 2029 gültigen kolumbianischen Reisepasses.
Das genaue Datum der letztmaligen Einreise des BF in Österreich konnte nicht festgestellt werden. Der BF wurde jedenfalls am XXXX 10. 2020 im Zuge einer polizeilichen Amtshandlung wegen des Verdachts der Körperverletzung und weiterer strafbarer Handlungen zum Nachteil seiner Lebensgefährtin festgenommen.
Der BF befand sich im Zeitraum von XXXX 10.2020 bis XXXX 03.2021 durchgehend in Haft (zunächst Verwaltungshaft, sodann Untersuchungshaft und anschließend Strafhaft), die zuletzt in der Justizanstalt XXXX vollzogen wurde.
Der BF weist in Österreich folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung auf:
01) LG F. STRAFS. XXXX vom XXXX 2021 RK XXXX 2021
§ 99 (1) StGB
§ 105 (1) StGB
§ 83 (1) StGB
§ 88 (3, 4) 2. Satz 1. Fall StGB
Datum der (letzten) Tat XXXX 10.2020
Freiheitsstrafe 15 Monate, davon Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
zu LG F.STRAFS. XXXX RK XXXX 2021
Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am XXXX 2021
LG F.STRAFS. XXXX vom XXXX 2021
Festgestellt wird, dass der BF die mit dem oben genannten Urteil festgestellten strafbaren Handlungen begangen und das im Urteil jeweils näher umschriebene strafbare Verhalten gesetzt hat.
Mit dem oben angeführten Urteil wurde der BF wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, wegen des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB und wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 3 und 4 zweiter Satz, erster Fall StGB unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB nach dem Strafsatz des § 99 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Höhe von zehn Monaten unter Setzung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Demnach hat der BF hat am XXXX 10.2020 in XXXX seine Lebensgefährtin vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr mit der Faust ins Gesicht schlug und sie würgte, wodurch sie eine Prellung der linken Schläfe und eine vorübergehende Gehörbeeinträchtigung links erlitt. Anschließend hielt er sie durch eine gefährliche Drohung widerrechtlich gefangen, indem er sie in einem Zimmer der von ihnen gemieteten Ferienwohnung einsperrte. Durch diese Tathandlungen hat der BF seine Lebensgefährtin grob fahrlässig schwer am Körper verletzt, da Sie beim Versuch auch vor weiteren Gewalthandlungen aus dem Fenster zu fliehen, auf den Gehsteig stürzte und sich einen Fersenbeinbruch rechts, eine Fraktur der linken Kniescheibe eine mehrfragmentäre Fraktur des rechten Sprungbeins, eine Fissur am linken Stirnbein und am rechten Innenknöchel, eine Rissquetschwunde an der linken Stirnhälfte und Absprengungen an zwei Fußwurzelknochen, sohin an sich schwere Verletzungen, zuzog. Durch ein Sachverständigengutachten wurden in Bezug auf das Ausmaß und die Dauer folgende Schmerzperioden ermittelt: 3 Tagen starke, 4 Tage mittelstarke und 38 Tage leichte Schmerzen. Außerdem wurde festgestellt, dass der BF für sämtliche Folgeschäden, die seiner Lebensgefährtin aus dem gegenständlichen Vorfall vom XXXX.10.2020 erwachsen seien, hafte.
Bei der Strafbemessung wurden vom Strafgericht das teilweise Geständnis und der bislang ordentliche Lebenswandel als mildernd, hingegen das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und das Vorliegen des Erschwerungsgrundes gemäß § 33 Abs. 2 Z 2 StGB (vorsätzlich strafbare Handlung nach dem ersten bis dritten oder zehnten Abschnitt des Besonderen Teils oder eine sonstige strafbare Handlung unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung gegen eine Lebensgefährtin) als erschwerend gewertet.
Der BF wurde am XXXX.04.2021 aus Österreich nach Kolumbien abgeschoben. Der BF hält sich seitdem nicht mehr im österreichischen Bundesgebiet auf.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
In der Beschwerde wird den entscheidungswesentlichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht substanziiert entgegengetreten und auch sonst kein dem festgestellten Sachverhalt entgegenstehendes oder darüber hinaus gehendes Vorbringen in konkreter und substanziierter Weise erstattet. Die auf Grund der vorliegenden Akten in Zusammenschau mit dem Vorbringen der gegenständlichen Beschwerde getroffenen Feststellungen werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.
Das der genaue Zeitpunkt der Einreise des BF in Österreich nicht festgestellt werden konnte, beruht darauf, dass der BF die Frist zur Erstattung einer Stellungnahme im Zuge des ihm von der belangten Behörde schriftlich eingeräumten Parteiengehörs ungenutzt verstreichen ließ. Der BF war jedenfalls spätestens im Zeitpunkt seiner Festnahme am XXXX.10.2020 in Österreich aufhältig.
Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung und zur Haft in Österreich ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt, insbesondere aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Strafurteil sowie aus den Eintragungen im Strafregister und im Zentralen Melderegister (ZMR).
Die Feststellung zur Abschiebung des BF von Österreich nach Kolumbien am XXXX.04.2021 beruht auf der diesbezüglichen Eintragung im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) und auf dem Abschiebebericht der Landespolizeidirektion XXXX (Verwaltungsakt, AS 281).
Insoweit der belangten Behörde in diesem Zusammenhang in der Beschwerde vorgeworfen wird, dass sie den BF im Rahmen einer Einvernahme zu seinem bestehenden Privat- und Familienleben im Schengen-Raum näher hätte befragen und sich überdies einen persönlichen Eindruck von ihm verschaffen hätte müssen, ist entgegenzuhalten, dass dem BF sehr wohl von dieser mittels nachweislich zugestellter Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom XXXX.11.2020 die Möglichkeit eingeräumt worden war, eine Stellungnahme zu erstatten. Dass – wie in der Beschwerde vorgebracht wurde – dieses schriftliche Parteiengehör eine persönliche Einvernahme nicht ersetzen könne und daraus eine Verletzung des Parteiengehörs resultiere, ist nicht zu folgen. Trotz des im Schreiben angeführten Hinweises auf die Folgen einer unterlassenen Stellungnahme hat der BF eine solche nicht erstattet, weshalb auch vor diesem Hintergrund eine der belangten Behörde vorgeworfene Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht nicht vorliegt. Das Vorbringen, wonach ihm das Parteiengehör auf Deutsch übermittelt worden sei, und er in Ermangelung ausreichender Deutschkenntnisse diese nicht verstanden habe und auch nicht in der Lage gewesen sei dazu eine auf Deutsch verfasste Stellungnahme zu erstatten, vermag aufgrund nachfolgend aufgezeigter Erwägungen ebenso wenig ein mangelhaft geführtes Verfahren des BFA aufzuzeigen. Gemäß § 39a AVG besteht ein Rechtsanspruch auf Beistellen eines Dolmetschers oder Übersetzers nur im mündlichen Verkehr zwischen der Behörde und den Parteien; es besteht jedoch kein Anspruch auf Verwendung einer fremden Sprache im schriftlichen Verkehr mit der Behörde, es sei denn es ist eine weitere Sprache als Amtssprache zugelassen, was vorliegend nicht der Fall ist (VwGH 14.05.2014, Zl. 2012/06/0226). Die Amtssprache in Österreich ist Deutsch und ist eine Übersetzung derartiger Schriftstücke nach den Verfahrensgesetzen (BFA- VG oder AVG) nicht vorgesehen, außerdem hätte sich der BF im Falle tatsächlicher Verständigungsschwierigkeiten auch an den Sozialen Dienst in der Strafvollzugsanstalt wenden können. Letztlich hatte der BF ohnedies im Rahmen der Beschwerde eine ausreichende Äußerungsmöglichkeit. Der von einer gesetzlichen Rechtsberatungseinrichtung vertretene BF brachte in seiner Beschwerde dahingehend aber auch nur vor, dass seine Mutter und Schwester in Spanien leben würden und er zu ihnen in regelmäßigem Kontakt, auch in Form von Besuchen, stehe.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Prozessgegenstand und Prüfungsumfang:
Mit der gegenständlichen Beschwerde in Zusammenschau mit der am selben Tag eingebrachten „Beschwerdeberichtigung“ wurde ausdrücklich nur der Spruchpunkt VI. des im Spruch angeführten Bescheides (betreffend Erlassung eines auf die Dauer von acht Jahren befristeten Einreiseverbotes) angefochten. Die übrigen unangefochten gebliebenen Spruchpunkte sind somit in Rechtskraft erwachsen.
Gemäß § 27 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) beschränkt sich die Prüfung der vorliegenden Beschwerde somit auf den Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides.
3.2. Zum Einreiseverbot:
Die belangte Behörde hat das gegenständliche – auf die Dauer von acht Jahren befristete – Einreiseverbot im Spruch des Bescheides auf § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, gestützt und im Wesentlichen mit dem Umstand begründet, dass der BF auf Grund der von ihm begangenen Straftaten (vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsentziehung) und seines bisherigen Fehlverhaltens eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann vom Bundesamt mit Bescheid mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 1).
Gemäß § 53 Abs. 4 FPG beginnt die Frist des Einreiseverbotes mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
Gemäß § 53 Abs. 5 FPG liegt eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.
Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:
Der BF begründet die Beschwerde – auf das Wesentliche zusammengefasst – damit, dass die belangte Behörde das Vorliegen der Voraussetzungen für das Einreiseverbot ausschließlich mit der Erfüllung des Tatbestandes des § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Z 1 FPG begründet habe, ohne eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen. Die Behörde habe sich weder einen persönlichen Eindruck vom BF verschafft, noch über sonstige Informationen verfügt, welche eine Prognose erlaubt hätten. So sei auch das Privat- und Familienleben des BF in Spanien unzureichend berücksichtigt worden. Das Einreiseverbot stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in das gemäß Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des BF dar. Der BF stellte den Antrag auf Aufhebung des Einreiseverbotes, in eventu auf Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes.
Bei der Stellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 3 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 19.02.2013, Zl. 2012/18/0230).
Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat unter anderem nach § 53 Abs. 3 Z 1 FPG zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten oder zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der BF ist Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Er wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX 2021 wegen der Vergehen der Körperverletzung, der Nötigung, der Freiheitsentziehung und der fahrlässigen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Höhe von zehn Monaten unter Setzung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren vorläufig bedingt nachgesehen wurde. Diese Strafe ist noch nicht vollstreckt und folglich auch nicht getilgt (§ 53 Abs. 5 FPG).
Die belangte Behörde hat das Einreiseverbot daher zutreffend auf § 53 Abs. 3 Z 1 FPG (Verurteilung zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten) gestützt.
Die strafgerichtliche Verurteilung des BF wegen der oben angeführten Straftaten, die Verurteilung zu einer nur teilweise bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Monaten (davon fünf Monate unbedingt), die im Strafurteil vom XXXX 2021 festgestellten Milderungs- und Erschwerungsgründe sowie die Art und Schwere der von ihm begangenen Straftaten, insbesondere die vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzung seiner Lebensgefährtin, die derart massiv ausgefallen ist, dass sie dadurch drei Tage starke, vier Tage mittelstarke und 38 Tage leichte Schmerzen hatte und auch Folgeschäden – aufgrund der im Strafurteil festgestellten Haftung des BF für solche – nicht ausgeschlossen sein dürften sowie der Umstand, dass er die verletzte Lebensgefährtin im Anschluss daran widerrechtlich gefangen hielt, zeigen, dass das persönliche Verhalten des BF eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, zumal die Straftaten noch nicht lange zurückliegen und somit der seither verstrichene Zeitraum als zu kurz anzusehen ist, um gänzlich von einem Wegfall der Gefährdung zu sprechen, zumal auch der Vollzug der bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehenen Freiheitsstrafe noch andauert. Die Strafe ist daher weder vollzogen noch getilgt. Dabei kann zur Begründung einer Gefährdung auch das einer bereits getilgten Verurteilung zugrundeliegende Verhalten herangezogen werden (VwGH 20.08.2013, Zl. 2013/22/0113).
Die soeben aufgezeigte Gewaltbereitschaft des BF gegenüber seiner Lebensgefährtin und die daraus resultierte Gefährlichkeit des BF lassen unter Berücksichtigung des Umstandes, dass gerade auch bei „häuslicher Gewalt“ ein hohes Rückfallsrisiko gegeben ist, eine Prognose für eine Tatwiederholungsgefahr jedenfalls nicht als unbegründet erscheinen. Überdies wird diese Prognose durch die im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am XXXX.03.2021 erstatteten Angaben des BF insofern verstärkt, dass diese nicht den Schluss einer ernsthaften Reue zulassen. Der BF gab zwar zu, einen Fehler begangen zu haben, bezeichnete sich selbst jedoch nicht als Verbrecher und rechtfertigte seine Handlungen (fahrlässige und vorsätzliche Körperverletzung, Nötigung, Freiheitsentziehung) als Reaktion darauf, dass er von seiner Lebensgefährtin geschlagen worden sei. Das deutet auf ein von fehlender Einsichtsfähigkeit und ohne Unrechtsbewusstsein für das Handeln geprägtes Persönlichkeitsbild des BF hin. Aufgrund dieser fehlenden Einsicht und ohne das Vorbringen einer Besserungsabsicht in der Beschwerde, z.B. in der Form, dass er sich einer Therapie unterziehen werde, kann eine (erneute) Rückfälligkeit nicht ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass ein Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Die in Haft verbrachte Zeit hat bei der Berechnung des Zeitraumes eines behaupteten Wohlverhaltens außer Betracht zu bleiben (VwGH 21.01.2010, Zl. 2009/18/0485).
All die aufgezeigen Umstände weisen insgesamt auf eine beträchtliche kriminelle Energie und auf ein schwerwiegendes persönliches Fehlverhalten des BF hin, was wiederum unter Bedachtnahme auf die Gefährdung von Menschen durch Gewaltverbrechen eine Erheblichkeit der Gefahr annehmen lässt.
Die Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere von Verbrechen gegen Leib und Leben und gegen die Freiheit, stellen – gerade auch vor dem Hintergrund der Bekämpfung jeder Form von häuslicher Gewalt – ein Grundinteresse der Gesellschaft dar. Zudem kommt den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH 09.03.2003, Zl. 2002/18/0293).
Bei einer Gesamtbetrachtung aller aufgezeigten Umstände, des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes und in Ansehung der auf Grund des persönlichen Fehlverhaltens getroffenen Gefährdungsprognose kann daher eine Gefährdung von öffentlichen Interessen, insbesondere an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (Verhinderung von Gewaltverbrechen und Einhaltung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften), als gegeben angenommen werden (vgl. VwGH 19.05.2004, Zl. 2001/18/0074).
Angesichts dessen sind letztlich auch Schwierigkeiten bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse, die infolge der Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat auftreten können, im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und insgesamt an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen (vgl. VwGH 15.03.2016, Zl. Ra 2015/21/0180).
Es kann daher der belangten Behörde nicht vorgeworfen werden, wenn sie im vorliegenden Fall von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausging, welche die Anordnung eines Einreiseverbotes erforderlich machen würde, zumal diese Maßnahme angesichts der vorliegenden Schwere des Verstoßes gegen österreichische Rechtsnormen und des zum Ausdruck gekommenen persönlichen Fehlverhaltens zur Verwirklichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele unbedingt geboten erscheint.
Was den räumlichen Geltungsbereich des Einreiseverbotes anbelangt, ist festzuhalten, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union außer Irland, sowie die assoziierten Schengen-Staaten Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein an die Rückführungsrichtlinie gebunden sind (vgl. die Pressemitteilung der Europäischen Kommission IP/11/1097 vom 29.09.2011). Daraus folgt, dass sich der räumliche Umfang der in § 53 Abs. 1 FPG idF FrÄG 2011 festgelegten Anweisung schon aus den gesetzlichen in Verbindung mit den unionsrechtlichen Bestimmungen ergibt und somit die Staaten erfasst, für die die Rückführungsrichtlinie gilt. Dieses Gebiet ist nicht deckungsgleich mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ausgenommen ist Irland und es kommen Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein dazu. In diesem Sinn ist der in § 53 Abs. 1 FPG idF FrÄG 2011 verwendete, offenbar aus der Rückführungsrichtlinie übernommene Begriff „Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten“ auszulegen. Es ist somit nicht erforderlich, im Spruch eines Bescheides, mit dem gemäß § 53 Abs. 1 FPG idF FrÄG 2011, somit iSd. Art. 11 Abs. 1 iVm. Art. 3 Z 6 Rückführungsrichtlinie ein Einreiseverbot erlassen wird, jene Staaten, für die das Verbot der Einreise und des Aufenthaltes ausgesprochen wird, noch einmal konkret zu nennen, sofern deutlich wird, dass es sich um ein Einreiseverbot handelt (VwGH 22.05.2013, Zl. 2013/18/0021). Für die Einschränkung des räumlichen Geltungsbereiches des Einreiseverbotes auf Österreich gibt es keine gesetzliche Grundlage (VwGH 28.05.2015, Ra 2014/22/0037).
Da sich das angeordnete Einreiseverbot als rechtmäßig erwiesen hat, war die Beschwerde insoweit gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Z 1 FPG als unbegründet abzuweisen.
Im gegenständlichen Fall erweist sich allerdings die von der belangten Behörde verhängte Dauer des Einreiseverbotes von acht Jahren als nicht angemessen:
Ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG kann für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes sind das konkrete Fehlverhalten und der Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten unter Berücksichtigung aller Milderungs- und Erschwerungsgründen, aber auch die familiären und privaten Umstände des Betroffenen maßgeblich zu berücksichtigen.
Das dargestellte persönliche Fehlverhalten des BF ist jedenfalls Grundinteressen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere an der Verhinderung von Straftaten gegen Leib und Leben, massiv zuwidergelaufen.
Betrachtet man nun die vom BF begangenen Straftaten, so sieht der gemäß § 28 Abs. 1 StGB für die Bestimmung des Strafrahmens maßgebliche Strafsatz des § 99 Abs. 1 StGB einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vor. Dieser Strafrahmen wurde vom Strafgericht allerdings nicht zur Gänze ausgeschöpft, sondern es hat den BF zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von insgesamt 15 Monaten verurteilt und damit im unteren Bereich des Strafrahmens angesetzt. Überdies wurden von dieser Freiheitsstrafe zehn Monate – somit zwei Drittel der Strafe – auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Der BF konnte im Bundesgebiet weder familiäre noch maßgebliche private Bindungen geltend machen. Jedoch leben eigenen Angaben in der Beschwerde zufolge die Mutter und Schwester des BF in Spanien, zu denen er auch regelmäßig Kontakt habe und sie bislang auch besucht habe. Es wurden jedoch keine Umstände vorgebracht, die auf Grund ihrer tatsächlichen Intensität für das Vorliegen eines aufrechten Familienlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK zwischen dem erwachsenen BF und seiner in Spanien lebenden Mutter und Schwester sprechen würden, etwa in Gestalt eines persönlichen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Abhängigkeitsverhältnisses. Dem Vorbringen in der Beschwerde, wonach das Einreiseverbot einen ungerechtfertigten Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF darstelle, war daher nicht zu folgen. Außerdem war dem BF die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zum Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung jedenfalls bewusst und musste er das Risiko einer Trennung im Falle einer Festnahme bewusst in Kauf genommen haben.
Die Erlassung eines auf die Dauer von acht Jahren befristeten Einreiseverbotes durch die belangte Behörde steht jedoch bei Abwägung aller dargelegten Umstände nicht in angemessener Relation. Zu berücksichtigen ist, dass der BF in Österreich erstmals strafgerichtlich verurteilt wurde und dem Erstvollzug im Allgemeinen eine erhöhte spezialpräventive Wirkung zukommt. Allerdings erweist sich im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des Gesamtfehlverhaltens des BF eine Herabsetzung des Einreiseverbotes auf weniger als fünf Jahre als nicht angemessen, zumal das persönliche Fehlverhalten des BF in schweren Vergehen bestand, die eine hohe Gewaltbereitschaft des BF aufzeigen. Eine weitere Reduktion scheitert daher an der Schwere der vom BF begangenen Straftaten. Auch im Hinblick auf die nach wie vor aufrechte Probezeit nach der bedingten Entlassung aus der Haft erscheint dieser Zeitraum von fünf Jahren angemessen, sodass der BF die Zeit zur nachhaltigen Besserung seines Verhaltens nutzen kann.
Eine weitere Reduktion war somit – selbst bei Berücksichtigung der privaten und familiären Interessen des BF in Spanien – nicht möglich. Die mit dem Einreiseverbot einhergehende zeitweilige Unmöglichkeit, Familienmitglieder (Mutter und Schwester des BF) in Spanien zu besuchen, ist im öffentlichen Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben, die Freiheit und einem geordneten Fremdenwesen in Kauf zu nehmen.
Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung der auf Grund des Fehlverhaltens und der sonstigen persönlichen Umstände des BF getroffenen Gefährlichkeitsprognose war die Dauer des Einreiseverbots daher spruchgemäß in angemessener Weise auf fünf (5) Jahre herabzusetzen und der Beschwerde nur insoweit Folge zu geben.
3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Im gegenständlichen Fall wurde der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substanziierter Weise behauptet (siehe VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018-9).
Ein in der Beschwerde der belangten Behörde vorgeworfenes mangelhaftes Ermittlungsverfahren hat sich – wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt – nicht bestätigt.
Es konnte daher – trotz eines entsprechenden Antrages in der Beschwerde – gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG sowie gemäß § 9 Abs. 5 FPG eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und der BF, der sich nicht mehr im Bundesgebiet befindet, nicht zur Einreise in Österreich berechtigt ist.
3.4. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß § Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist teilweise zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Einreiseverbot Herabsetzung individuelle Verhältnisse Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen Pandemie Privat- und Familienleben Resozialisierung Rückkehrentscheidung strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G301.2241351.1.00Im RIS seit
08.10.2021Zuletzt aktualisiert am
08.10.2021