TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/28 W215 2208403-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2021
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Entscheidungsdatum

28.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W215 2208403-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.09.2018, Zahl 731660600-180482263, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), und Abs. 4 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG, § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017,
§ 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018,
§ 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung
BGBl. I Nr. 110/2019, und § 55 FPG, in der Fassung BGBl I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz,
BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren:

Weil dem Vater der Beschwerdeführerin, Herrn XXXX , geb. XXXX , mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , Zahl XXXX der Status des Asylberechtigten zugesprochen worden war, wurde dieser Status auf die damals erst XXXX Beschwerdeführerin mit Bescheid des Bundesasylamts, Zahl XXXX ), erstreckt und ihr damit ebenfalls der Status des Asylberechtigten zuerkannt; ebenso wie ihrer Mutter, Frau XXXX , geb. XXXX , IFA XXXX , sowie ihren minderjährigen Schwestern XXXX , geb. XXXX , IFA XXXX , XXXX , geb. XXXX , IFA XXXX und XXXX , geb. XXXX , IFA XXXX .

Bereits XXXX Jahre danach verließ die gesamte Familie das österreichische Bundesgebiet und war seit spätestens XXXX nicht mehr in Österreich aufhältig.

2. Gegenständliches Verfahren:

1. Nachdem die Beschwerdeführerin wieder jahrelang im Herkunftsstaat lebte bzw. ihr im Jahr XXXX ausgestellter Konventionsreisepass längst abgelaufen war, reiste sie mit ihrem russischen Auslandsreispass und einem darin enthaltenen Schengenvisum, ausgestellt von der XXXX Botschaft in XXXX , problemlos legal aus der Russischen Föderation aus und zuletzt über den Flughafen Schwechat (laut Einreisestempel im russischen Auslandsreisepass) am XXXX in das Bundesgebiet ein. Im russischen Auslandsreisepass der Beschwerdeführerin Nr. XXXX , ausgestellt am XXXX , gültig XXXX , befindet sich ein Schengen Visum Nr. XXXX , ausgestellt von der XXXX Botschaft in XXXX gültig 90 Tage innerhalb des Zeitraums XXXX

XXXX Tage nach der Einreise stellte die Beschwerdeführerin am XXXX in Österreich einen Antrag auf Ausstellung eines neuen Konventionsreisepasses.

Anlässlich ihrer niederschriftlichen Erstbefragung am 17.01.2018 gab die Beschwerdeführerin auf Vorhalt, dass der Antrag auf Ausstellung eines neuen Konventionsreisepasses am XXXX gestellt worden sei, obwohl die Beschwerdeführerin bereits seit XXXX nicht mehr in Österreich aufhältig war, zusammengefasst an, dass ihre Eltern, Herr XXXX und Frau XXXX die Beschwerdeführerin damals zurück nach Tschetschenien gebracht hätten und diese immer noch dort leben, ihren alten österreichischen Konventionsreisepass habe die Beschwerdeführerin verloren. Ihr Vater habe nicht in Österreich bleiben wollen, die Beschwerdeführerin selbst sei unfreiwillig mitgenommen worden, sie habe tun müssen, was ihr Vater gesagt habe. Gefragt, warum die Beschwerdeführerin nunmehr ausreisen habe können, gab diese an, sie sei in Tschetschenien traditionell verheiratet gewesen und mittlerweile vor diesem Mann, von dem sie sich getrennt habe, geflüchtet, da er sie geschlagen und misshandelt habe und die Beschwerdeführerin deshalb nicht dort haben bleiben wollen. Sie könne nicht zurück nach Russland, da sie sich in Österreich sicher fühle.

Mit Aktenvermerk vom 23.05.2018 wurde ein Verfahren zur Aberkennung des mit Bescheid des Bundesasylamts, vom XXXX , Zahl XXXX zuerkannten Status des Asylberechtigten eingeleitet.

Am 05.06.2018 langte eine E-Mail seitens des Arbeitsmarktservice (AMS) XXXX beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein, mit dem Inhalt, dass die Beschwerdeführerin sich bezüglich der Mindestsicherung im AMS XXXX arbeitssuchend gemeldet hat, jedoch keinen Hauptwohnsitz in Österreich hat und lediglich ihren russischen Auslandsreisepass vorgelegt habe.

Anlässlich einer niederschriftlichen Befragung am 25.06.2018 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich des eingeleiteten Asylaberkennungsverfahren aufgrund der Annahme der Unterschutzstellung und der freiwilligen Niederlassung im Herkunftsstaat, gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, muslimischen Glaubens und zuletzt in der Tschetschenischen Republik wohnhaft gewesen zu sein; sie sei gesund, nehme aber das Beruhigungsmittel „ XXXX “, sie sei in XXXX , Republik Tschetschenien geboren und aufgewachsen, und habe in Tschetschenien XXXX Klassen, in Österreich XXXX Klassen und danach wieder von XXXX in Tschetschenien die Schule besucht. Im XXXX habe die Beschwerdeführerin Herrn XXXX geheiratet, und mit ihm vom XXXX XXXX im Dorf XXXX gelebt. Die Ehe sei kinderlos. Am XXXX habe die Beschwerdeführerin die notwendigen Dokumente für das XXXX Visum in der Botschaft in XXXX eingereicht und zehn Tage später ein Visum erhalten. In diesem Zeitraum habe sie alleine in einem Hotel in XXXX gelebt, nach Erhalt des Visums sei die Beschwerdeführerin mit dem Bus nach XXXX gefahren, anschließend mit dem Flugzeug nach XXXX und von dort ebenfalls mit dem Flugzeug nach Schwechat geflogen, wobei sie Geld für diese Reise von ihrer Mutter erhalten habe. Ihre Eltern seien Staatsangehörige der Russischen Föderation, leben in deren Eigentumshaus mit sechs oder sieben Zimmern und eigenem Gemüsegarten in XXXX , wobei der Vater als Automechaniker in XXXX in seiner eigenen XXXX arbeite. Der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin arbeite als XXXX ; dieser Mann habe sie ständig geschlagen, da sie mit ihm lediglich traditionell verheiratet gewesen sei, sei sie einfach vor ihm zu ihrem Vater geflohen, dieser habe die Beschwerdeführerin jedoch jedes Mal zu ihrem Lebensgefährten zurückgeschickt; auch der Vater schlage die Mutter. Befragt zur Situation ihrer Geschwister und weiterer Verwandter in der Russischen Föderation gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, ihre Schwester Frau XXXX , geb. XXXX , lebe bei ihren Eltern und habe die XXXX abgeschlossen. Ihre Schwester Frau XXXX , geb. XXXX sei verheiratet, lebe mit ihrem Mann der als XXXX arbeite in XXXX und diese hätten drei Kinder. Die dritte Schwester, Frau XXXX , geb. XXXX sei ebenfalls verheiratet und lebe mit ihrem Mann, der auf XXXX arbeite, in XXXX und erwartet ein Kind. Ihr Bruder Herr XXXX , Spitzname XXXX , geboren im Jahr XXXX , lebe mit den Eltern in Tschetschenien und besuche dort die Schule. Die restliche Verwandtschaft, Onkel und Tanten väterlicher- und mütterlicherseits seien alle in XXXX aufhältig. Auf die Fragen, wo die Beschwerdeführerin wohne und wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreite, gab diese an, dass sie derzeit obdachlos gemeldet sei und bei zwei, drei tschetschenischen Familien in XXXX übernachte, von diesen habe sie sich Geld geliehen. Derzeit sei die Beschwerdeführerin nicht berufstätig, da das AMS ihr keine Arbeit aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse vermitteln könne, deshalb habe sie einen Antrag auf bedarfsorientierte Mindestsicherung gestellt, einen österreichischen Konventionsreisepass müsse sie zuvor noch als Ausweis besorgen. Derzeit absolviere die Beschwerdeführerin einen AMS Kurs „ XXXX “, dieser dauere drei Jahre und sei eine Ausbildung zur XXXX , darin lerne sie XXXX und Deutsch, dafür erhalte die Beschwerdeführerin Euro 800,- pro Monat. Am Ende der Befragung gab die Beschwerdeführerin an, sie könne wegen ihres Vaters auf keinen Fall nach Hause nach XXXX fahren, sie habe Kontakt zur Mutter, der Vater frage diese ständig, wo die Beschwerdeführerin sei, ihr Vater würde die Beschwerdeführerin bei einem wiedersehen töten wollen, das wisse sie von ihrer Mutter. Der Beschwerdeführerin wurden im Anschluss die von der Behörde herangezogenen Länderberichte ausgehändigt, zu welchem ihr die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme binnen zweiwöchiger Frist gewährt wurde.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2018, Zahl
731660208-180170776, wurde dem Vater der Beschwerdeführerin, Herrn XXXX , geb. XXXX , dessen mit Bescheid vom XXXX XXXX zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG, aberkannt und eine fristgerecht dagegen erhoben Beschwerde wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX XXXX gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4 AsylG, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG, § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG, § 9 BFA-VG, § 46 FPG, § 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9 FPG und § 55 FPG, als unbegründet abgewiesen.

Erst ab XXXX war die Beschwerdeführerin laut Auskunft des Zentralen Melderegisters mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet, als Unterkunftgeber schien Herr XXXX auf.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.09.2018, Zahl 731660600-180482263, wurde der Beschwerdeführerin der ihr zuvor mit Bescheid vom XXXX XXXX zuerkannte Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG, aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG die Feststellung getroffen, dass der Beschwerdeführerin die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt sowie gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen und festgestellt, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Im Bescheid wird zusammengefasst ausgeführt, dass die Identität der Beschwerdeführerin feststehe, ihr Herkunftsstaat die Russische Föderation sei, sie neben der Muttersprache Tschetschenisch auch Russisch, aber nicht Deutsch, spreche und der tschetschenischen Volksgruppe angehöre. Die Beschwerdeführerin sei ledig, sie sei in der Heimat traditionell, aber nie standesamtlich, verheiratet gewesen. Die Beschwerdeführerin sei seit Asylantragstellung wegen ihres Asylverfahrens und nach der Asylgewährung wegen ihres Vaters im Familienverfahren am XXXX ca. drei bis vier Jahre in Österreich aufhältig gewesen, habe sich danach wieder in den Herkunftsstaat begeben, wo sie die Schule absolviert und nach moslemischem Ritus geheiratet habe, bevor sie XXXX wieder nach Österreich einreiste; die restliche Familie lebe nach wie vor in XXXX . Die Beschwerdeführerin leide an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Sie habe keine asylrelevante Verfolgung dargetan, eine Rückkehr in die Russische Föderation sei möglich und zumutbar, für eine Verfolgung im Sinne des § 8 AsylG bestehen keine stichhaltigen Gründe. Die Beschwerdeführerin sei arbeitsfähig aber in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig, sie bestreite den gegenwärtigen Lebensunterhalt ausschließlich von staatlichen Unterstützungen und besuche einen AMS Kurs. Eine über das normale Maß hinausgehende Integration könne nicht festgestellt werden. Einer Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation stehe nichts entgegen.

Mit Verfahrensanordnung vom 17.09.2018 wurde der Beschwerdeführerin gemäß
§ 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.09.2018, Zahl 731660600-180482263, zugestellt am 20.09.2018, erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht am 28.09.2018 gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Der Bescheid wird vollinhaltlich angefochten; der bereits bekannte Sachverhalt auszugsweise wiedergegeben und es werden Berichte zur Sicherheitslage in der Russischen Föderation hinsichtlich der Lage der Volksgruppe der Tschetschenen und der Frauen im Nordkaukasus, sowie zu Ehrenmorden vorgelegt. Inhaltlich wird insbesondere dargelegt, dass die traditionelle Eheschließung der Beschwerdeführerin im Jahr XXXX mit XXXX gegen ihren Willen erfolgt sei, dieser habe sie über Jahre misshandelt, Versuche sich von diesem zu trennen, seien erfolglos gewesen, da der Lebensgefährte gedroht hätte, die Behörden über Kontakte des Vaters der Beschwerdeführerin zu einem in XXXX lebenden XXXX -Kritiker zu informieren. Die Beschwerdeführerin sei immer wieder zu ihrem Vater geflohen, welcher sie wieder zu ihrem Lebensgefährten zurückgeschickt habe. Die Beschwerdeführerin habe keinen anderen Ausweg gesehen, als die Flucht aus ihrem Heimatland nach Österreich, wo sie ihren jetzigen Lebensgefährten Herrn XXXX , mit welchem sie seit XXXX zusammenlebe, nach islamischem Ritus geheiratet habe. Aus diesem Grund sei die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr von der Gefahr Opfer eines Ehrverbrechens zu werden betroffen, da ihre Mutter gesagt hätte, dass ihr Vater die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr töten würde, da diese Schande über ihren (dortigen) Lebensgefährten und ihre Familie gebracht hätte. In der Beschwerde wurde ergänzend ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin nicht selbst unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt habe, sondern als damals Minderjährige dem Willen der Eltern habe folgen müssen, obwohl sie selbst in Österreich habe bleiben wollen, wo sie die eine Zeit lang die Schule besucht habe und bereits gut integriert gewesen sei. In der Heimat hätte die Beschwerdeführerin, nachdem sie dort die Schule abgeschlossen habe, heiraten müssen, obwohl sie selbst eine Ausbildung zur Krankenschwester habe machen wollen, welches ihr von der Familie verwehrt worden wäre. Ihr Lebensgefährte habe ihr verboten, eine Ausbildung zu machen oder zu arbeiten, die Beschwerdeführerin habe auch nicht zu ihren Eltern gehen dürfen und sich auch nicht schminken dürfen. Der Lebensgefährte habe die Beschwerdeführerin geschlagen und vergewaltigt. Die Beschwerdeführerin habe sich wegen dieser Gewalttätigkeiten an die Polizei gewandt, welche gemeint hätte, die Beschwerdeführerin solle sich scheiden lassen. Darüber hinaus wurde hinsichtlich des subsidiären Schutzes ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert und in eine ausweglose Lage gebracht würde, da ihr im gesamten Staatsgebiet aufgrund eines tschetschenischen Ehrbegriffes Verfolgung drohe und eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht gegeben sei, da in der gesamten Russischen Föderation das Gewaltlevel an Frauen sehr hoch sei. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass sie mit dem ihrem Mann, welcher sich derzeit in einer „Arbeitserprobung“ befinde, seit etwa sechs Monaten eine Beziehung führe, und sich um dessen drei Kinder aus einer ersten Ehe sowie dessen Mutter kümmere. Weiters wurden neben einer Vollmachtsbekanntgabe des bereits bestellten Rechtsberaters, nochmals bereits im Akt aufliegende Unterlagen übermittelt, sowie eine Kopie des Konventionsreisepasses von Herrn XXXX XXXX , gültig bis XXXX .

2. Die Beschwerdevorlage vom 24.10.2018 langte am 25.10.2018 im Bundesverwaltungsgericht ein

Mit E-Mail vom 10.01.2019 wurde eine Beschwerdeergänzung eingebracht, wobei ein Dienstzettel bezüglich eines Dienstverhältnisses der Beschwerdeführerin als Arbeiterin vorgelegt wurde, welches ab XXXX über 130 Stunden pro Monat abgeschlossen wurde.

Am 31.01.2019 wurde eine Beschwerdeergänzung eingebracht und als Beweismittel eine Heiratsurkunde der XXXX datiert mit XXXX über die nach islamischem Ritus erfolgte Eheschließung in Österreich am XXXX zwischen der Beschwerdeführerin und Herrn XXXX vorgelegt.

Am 14.04.2020 wurde eine Beschwerdeergänzung eingebracht, wobei vier Seiten Gehaltszetteln auf teilweise unleserlichen Kopien übermittelt wurden.

Mittels Einbringung im elektronischen Rechtsverkehr vom 08.01.2021 wurde eine umfassende Vollmacht vorgelegt.

Für den 08.02.2021 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung im Bundesverwaltungsgericht anberaumt, zu welcher die geladene Beschwerdeführerin, in Begleitung einer zur Vertretung bevollmächtigten Vertreterin, erschien. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erschienen nicht, hatte sich aber davor bereits mit E-Mail vom 27.10.2020 entschuldig. In der Verhandlung wurden die Quellen der zu Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan, auf deren Einsichtnahme und Ausfolgung die Beschwerdeführerin und ihre Vertreterin verzichteten. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien vor Schluss der Verhandlung eine zweiwöchige Frist zur Abgabe von Stellungnahmen ein. Die Beschwerdeführerin legte mehrere Gehaltsnachweise und Abrechnungsbelege betreffend früherer Einkünfte als ungelernten Hilfsarbeiterin (ein Monat Teilzeitarbeit im Jahr 2018, zwei Monate Teilzeitarbeit und drei Monate Vollzeitarbeit im Jahr 2019 sowie zuletzt drei Monate Teilzeitarbeit Mitte 2020) vor.

Am 19.02.2021 langte eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin im Bundesverwaltungsgericht ein, worin Teile des bisherigen Vorbringens wiederholt wurden. So wurde hinsichtlich der asylrelevanten Verfolgung erneut auf die durch die frühere Zwangsverheiratung und anschließende Scheidung von ihrem (ersten) Lebensgefährten und die dadurch erfolge Ehrverletzung Bezug genommen; die Beschwerdeführerin werde am XXXX zu einer A2 Deutschprüfung antreten; in Österreich lebe die Beschwerdeführerin einen westlichen Lebensstil; die Beschwerdeführerin sei gegen die Gewalt und Misshandlungen des Vaters in der gesamten Russischen Föderation schutzlos, dies sei zwar ein nicht-staatliches Risiko, aber den Länderfeststellungen sei zu entnehmen, dass es gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt in der Russischen Föderation „keine effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten, geschweige denn tatsächliche Schutz- und Zufluchtsmöglichkeiten, etwa in Form von Frauenhäuser, gibt“. Darüber hinaus würde die innere Einstellung der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr ernsthafte Folgen in sämtlichen Lebenslagen nach sich ziehen und der Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt des offensichtlich mangelnden familiären Rückhalts eine Wiedereingliederung in die traditionell geprägte Gesellschaft des Herkunftslandes unmöglich machen, weshalb ihr Asyl auf Grund der „Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie als Folge geschlechtsspezifischer Verfolgung durch ihren Vater und ihren Ex-Mann“ zuzuerkennen sei. Es bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative, die Beschwerdeführerin habe keine Fachausbildung, keine finanziellen Mittel und kein familiäres Auffangbecken in der Russischen Föderation, weshalb nicht auszuschließen sei, dass die Beschwerdeführerin außerhalb Tschetscheniens ohne Familienanschluss in eine Notlage geraten würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

a) Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest, sie ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an und ist moslemischen Glaubens. Die Beschwerdeführerin hat die ersten XXXX Lebensjahre, bzw. mit XXXX Unterbrechung in Österreich, ab dem XXXX wieder im Herkunftsstaat gelebt. Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist Tschetschenisch, darüber hinaus spricht sie sehr gut Russisch, aber nur rudimentär Deutsch.

b) Zum bisherigen Verfahrensverlauf:

1. Die Familie der damals XXXX Beschwerdeführerin reiste mit ihr im Jahr XXXX illegal nach Österreich und es wurden Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Weil dem Vater der Beschwerdeführerin, Herrn XXXX , geb. XXXX , mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , Zahl XXXX der Status des Asylberechtigten zugesprochen worden war, wurde in Folge auch der XXXX Beschwerdeführerin, für die keine Asylgründe vorgebracht wurden, gemäß Asylgesetz 1997 durch „Erstreckung“ mit Bescheid des Bundesasylamts, Zahl XXXX ), der Status des Asylberechtigten zuerkannt; ebenso ihrer Mutter, Frau XXXX , geb. XXXX , IFA XXXX , sowie ihren minderjährigen Schwestern XXXX , geb. XXXX , IFA XXXX , XXXX , geb. XXXX , IFA XXXX und XXXX , geb. XXXX , IFA XXXX .

Schon XXXX Jahre danach verließ die damals XXXX Beschwerdeführerin mit ihrer Familie das österreichische Bundesgebiet bzw. war seit spätestens XXXX nicht mehr in Österreich aufhältig, sondern lebte wieder im Herkunftsstaat.

2. Die Beschwerdeführerin lebte XXXX im Herkunftsstaat, reiste quer durch die Russische Föderation ca. XXXX bis nach XXXX , wo sie am XXXX in der XXXX Botschaft ein Visum beantraget und zehn Tage später erhielt. Während dieser Zeit lebte sie alleine in einem Hotel in XXXX , reiste später mit ihrem russischen Auslandsreispass und dem darin enthaltenen Schengenvisum, der XXXX Botschaft in XXXX , problemlos legal aus der Russischen Föderation aus und zuletzt über den Flughafen Schwechat laut Einreisestempel im russischen Auslandsreisepass am XXXX in das Bundesgebiet ein. Im russischen Auslandsreisepass der Beschwerdeführerin Nr. XXXX , ausgestellt am XXXX , gültig XXXX , befindet sich ein Schengen Visum Nr. XXXX , ausgestellt von der XXXX Botschaft in XXXX gültig 90 Tage innerhalb des Zeitraums XXXX .

XXXX Tage nach der Einreise stellte die Beschwerdeführerin am XXXX in Österreich einen Antrag auf Ausstellung eines neuen Konventionsreisepasses. Nach Befragung der Beschwerdeführerin am 17.01.2018 und 23.05.2018 wurde ein Verfahren zur Aberkennung des mit Bescheid des Bundesasylamts, vom XXXX , Zahl XXXX ) zuerkannten Status der Asylberechtigten eingeleitet.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2018, Zahl
731660208-180170776, wurde dem Vater der Beschwerdeführerin, Herrn XXXX , geb. XXXX , dessen mit Bescheid vom XXXX XXXX zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG, aberkannt und eine fristgerecht dagegen erhoben Beschwerde wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX XXXX gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4 AsylG, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG, § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG, § 9 BFA-VG,
§ 46 FPG, § 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9 FPG und § 55 FPG, als unbegründet abgewiesen.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.09.2018, Zahl 731660600-180482263, wurde der Beschwerdeführerin der ihr zuvor mit Bescheid vom XXXX XXXX zuerkannte Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG, aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG die Feststellung getroffen, dass der Beschwerdeführerin die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt sowie gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen und festgestellt, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.09.2018, Zahl 731660600-180482263, erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht am 28.09.2018 gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Für den 08.02.2021 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt.

c) Zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

Wie bereits oben 1. Feststellungen b zum bisherigen Verfahrensverlauf ausführlich dargestellt, wurden von den Eltern der Beschwerdeführerin nach deren Einreise für diese keine Asylgründe vorgebracht, vielmehr war der damals minderjährigen Beschwerdeführerin ausschließlich wegen ihres Vaters, dem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , Zahl XXXX der Status des Asylberechtigten zugesprochen worden war, im Familienverfahren (bzw. damals laut Asylgesetzt 1997 durch „Erstreckung“) mit Bescheid des Bundesasylamts vom selben Tag, Zahl XXXX ), der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Bereits XXXX Jahre danach bzw. spätestens seit XXXX war die gesamte Familie in den Herkunftsstaat zurückgekehrt und in Folge dem Vater der Beschwerdeführerin mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2018, Zahl 731660208-180170776, dessen mit Bescheid vom XXXX XXXX zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß
§ 7 Abs. 1 Z 2 AsylG, aberkannt bzw. eine fristgerecht dagegen erhoben Beschwerde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX
XXXX gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4 AsylG, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG,
§ 10 Abs. 1 Z 4 AsylG, § 9 BFA-VG, § 46 FPG, § 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9 FPG und § 55 FPG, als unbegründet abgewiesen worden.

Die Umstände bzw. Grundlage, weshalb die Beschwerdeführerin im Familienverfahren als Flüchtling anerkannt worden war, bestehen somit nicht mehr und es kann keine aktuelle Gefährdung der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation festgestellt werden.

d) Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat:

Die Beschwerdeführerin lebte seit ihrer Geburt bis zum XXXX bis zu ihrer erneuten Ausreise im Alter von XXXX Jahren in der Tschetschenischen Republik.

Es kann weder festgestellt werden, dass die kinderlose Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat jemals geheiratet hat, noch, dass sie von XXXX mit Herrn XXXX nach moslemischen Ritus verheiratet war. Die Kernfamilie der Beschwerdeführerin sowie sämtliche Verwandte sind nach wie vor in XXXX , in der Tschetschenischen Republik, aufhältig.

Derzeit herrscht eine als COVID-19 bezeichnete weltweite Pandemie, die junge Beschwerdeführerin ist daran nicht erkrankt und leidet derzeit nicht an schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen.

Die Beschwerdeführerin hat in der Russischen Föderation zunächst bis XXXX sowie nach ihrer Rückkehr aus Österreich von XXXX die Schule besucht. Sie verfügt somit über ausreichend Schulbildung (Grundschule) und hat nach wie vor zahlreiche enge Familienangehörige in der Tschetschenischen Republik, darunter ihre Eltern und Geschwister, vor allem aber auch ihre Mutter, welche die Beschwerdeführerin schon vor ihrer Ausreise finanziell unterstützt hat, weshalb ihr vor allem durch ihre Mutter ein familiäres Netzwerk zur Verfügung steht, welches Unterstützung bei einer Wiedereingliederung bietet. Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr wieder bei der Familie Unterkunft finden kann und sie diese beim Aufbau einer Existenz unterstützen werden. Sollte sie es wünschen, könnte sich die Beschwerdeführerin, welche zur Teilnahme am Erwerbsleben fähig ist, auch außerhalb Tschetscheniens niederlassen, zumal es der XXXX Beschwerdeführerin durchaus möglich und zumutbar ist, den Lebensunterhalt für sich zu bestreiten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in die Russische Föderation Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

e) Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich:

Die in Österreich unbescholtene Beschwerdeführerin hält sich seit XXXX im Bundesgebiet auf, ist nach wie vor mit Herrn XXXX XXXX nach islamischer Ritus verheiratet, lebt mit diesem aber seit XXXX nicht mehr im gemeinsamen Haushalt.

Die Beschwerdeführerin hat während ihres mehr als dreijährigen Aufenthalts im Bundesgebiet als ungelernten Hilfsarbeiterin einen Monat Teilzeit im Jahr 2018, zwei Monate Teilzeit und drei Monate Vollzeit im Jahr 2019 sowie drei Monate Teilzeit im Jahr 2020 gearbeitet, ist derzeit jedoch arbeitslos und bezieht laufend Leistungen aus der Mindestsicherung. Die Beschwerdeführerin hat immer noch keine Deutschprüfung bestanden.

f) Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin wird festgestellt:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat mehr als 142,3 Millionen Einwohner und ist schätzungsweis ca. 1,8 Mal so groß wie die die U.S.A. (CIA Factbook letzte Aktualisierung 16.02.2021, abgefragt am 18.02.2021).

Wladimir Putin ist das Staatsoberhaupt, Michail Mischustin Regierungschef. Die dritte Präsidentschaft Putins zeichnete sich durch politische Kontinuität aus. Die Modernisierungsagenda von Medwedew wurde weiterverfolgt. Gleichzeitig hat Putin den Sozialstaat weiter ausgebaut und den Verteidigungssektor gestärkt. Im 2013 vom Kabinett beschlossenen Haushaltsplan für 2014 bis 2016 wurde dem Ziel, die Haushaltsdefizite durch Ausgabeneinsparungen eng zu begrenzen, jedoch weiterhin Priorität gegeben. Am 15.01.2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Der Ministerpräsident und die Kabinettsmitglieder bekommen per Verfassungsänderung künftig mehr Macht. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Die für das 12.04.2020 geplante Abstimmung wurde wegen Ausbreitung der Atemwegserkrankung COVID-19 verschoben. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 01.07.2020 statt. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65 Prozent der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78 Prozent für und mehr als 21 Prozent gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993. Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie. Das Zweikammerparlament besteht aus Staatsduma und Föderationsrat. Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (LIPortal Geschichte und Staat letzte Aktualisierung Jänner 2021, abgefragt am 18.02.2021).

Die Russische Föderation ist der Staat mit der weltweit größten Fläche. Sie ist Atommacht und Ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Russland besteht aus 83 Föderationssubjekten. Die 2014 erfolgte Annexion der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol durch Russland ist international nicht anerkannt. Föderationssubjekte verfügen über eine eigene Legislative und Exekutive, sind aber weitgehend vom föderalen Zentrum abhängig. Die Föderationsversammlung besteht aus zwei Kammern. Im Föderationsrat sitzen je zwei Vertreter jedes Föderationssubjekts. Dazu kommen vom Staatspräsidenten ernannte Vertreter der Russischen Föderation, deren Anteil nicht mehr als zehn Prozent betragen darf. Die Staatsduma besteht aus 450 Abgeordneten, die in Wahlen bestimmt werden. OSZE-Wahlbeobachter bestätigten mehrfach Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung von Wahlen. Der in der Verfassung vorgesehenen Gewaltenteilung steht die de-facto alle Bereiche dominierende zentrale Rolle des Staatspräsidenten gegenüber. Er kann die Regierung entlassen und hat weitreichende Vollmachten in der Außen- und Sicherheitspolitik (AA politisches Porträt Stand 21.10.2020, abgefragt am 18.02.2021).

In Russland hat eine deutliche Mehrheit für die von Präsident Wladimir Putin vorgeschlagene Verfassungsreform gestimmt. Wie die zentrale Wahlkommission mitteilte, stimmten laut vorläufigem Endergebnis 77,9 % für die umfangreichen Änderungen bei einer Wahlbeteiligung von 68 %. Sie sehen unter anderem erweiterte Vollmachten für den Präsidenten vor und ermöglichen es Putin, bei der nächsten Präsidentschaftswahl erneut zu kandidieren. Bislang sind dem Staatsoberhaupt nur zwei Amtszeiten in Folge erlaubt, womit Putin nach den bislang geltenden Regelungen 2024 aus dem Amt scheiden müsste. Mit Inkrafttreten der neuen Verfassung werden Putins bisherige Amtszeiten nicht mehr gezählt. Da die Amtszeiten jeweils sechs Jahre betragen, könnte er theoretisch bis 2036 im Amt bleiben. Der Kreml wertete das Ergebnis als Triumph für Putin. Die hohe Zustimmung für die neue Verfassung zeuge vom großen Vertrauen der Bevölkerung in den Präsidenten, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Demgegenüber äußerten Kremlkritiker Zweifel an den offiziellen Zahlen. Die unabhängige Wahlbeobachtungsgruppe Golos und Oppositionspolitiker berichteten von Hunderten Beschwerden über Verstöße gegen die Wahlfreiheit und bezeichneten die veröffentlichten Ergebnisse als „allgemein verdächtig“. Die eine Woche dauernde Abstimmung war rechtlich nicht nötig. Die Reform war bereits vom Parlament beschlossen, vom Verfassungsgericht bestätigt und von Putin unterzeichnet worden. Die landesweite Volksbefragung fußt auf dem Versprechen Putins, dass die gut 170 Änderungen nur mit Zustimmung des russischen Volkes in Kraft treten würden. Teil der Verfassungsänderungen sind auch weitreichende Sozialreformen, darunter Garantien für bessere Mindestlöhne und Renten. Zudem soll eine Reihe konservativer Werte verankert werden, darunter die Ehe ausschließlich als Bund zwischen Mann und Frau. Die Bürger werden die Neuerungen nicht sofort zu spüren bekommen, doch werden sie die Politik des Landes zukünftig prägen. Die Macht seines Amtes wird durch die Reform weiter gestärkt. Russisches Recht gilt nun vor internationalem Recht. Und die Unteilbarkeit des russischen Territoriums wird ebenfalls in der Verfassung verankert, wozu - aus Sicht des Kreml - auch die annektierte Halbinsel Krim gehört (BAMF 06.07.2020).

Überschattet vom Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny und der Corona-Krise haben in Russland Regionalwahlen stattgefunden. Am Hauptwahltag des 13.09.2020 gaben Bürger in 41 Regionen des Landes ihre Stimme ab, in vier Nachwahlen wurde außerdem über die Vergabe von Sitzen im russischen Parlament abgestimmt. Insgesamt gab es mehr als 9.000 verschiedene Wahlen auf unterschiedlichen Ebenen. Die Abstimmung zog sich dabei seit 11.09.2020 teilweise über drei Tage hin. Nach den ersten Ergebnissen in der Nacht zum 14.09.2020 deutete sich an, dass die Partei von Präsident Putin, Einiges Russland, ihre Mehrheit erwartungsgemäß behauptet hat. In einigen Regionen wie in Tscheljabinsk am Ural zeichnete sich ab, dass künftig mehr Parteien in örtlichen Parlamenten sitzen könnten. Nach vorläufigen Angaben haben zwei Mitarbeiter des russischen Oppositionspolitikers Nawalny in der sibirischen Großstadt Tomsk zwei Stadtratsmandate errungen, während die Kremlpartei Einiges Russland in Tomsk Verluste hinnehmen musste und nur noch knapp 25 % der Stimmen erreichte. Beobachtern zufolge gab es in vielen Wahllokalen Unregelmäßigkeiten. Laut der unabhängigen Wahlbeobachtungsgruppe Golos seien bereits mehr als 1.000 Meldungen über mögliche Verstöße eingegangen. Wahlbeobachter hätten über Behinderungen ihrer Arbeit und Wahlfälschungen berichtet. Es sei dabei auch Gewalt angewendet worden und es gebe Berichte über Wahlzwang und Bestechung aus vielen Regionen (BAMF 14.09.2020).

Durch Präsidialdekret vom Juli 2000 wurden die zunächst sieben, ab Februar 2010 acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.03.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt (LIPortal Geschichte und Staat letzte Aktualisierung Jänner 2021, abgefragt am 18.02.2021).

Der prominente Oppositionspolitiker und Putin-Gegner Alexej Nawalny ist am Abend des 17.01.2021 unmittelbar nach seiner Landung auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo festgenommen worden. Nawalny wurde an der Passkontrolle abgeführt und in eine nahe gelegene Polizeistation gebracht. Nach der Festnahme von Nawalny wächst der Druck auf Russland. Politiker der EU und USA forderten die russischen Behörden zur sofortigen Freilassung des 44-Jährigen auf (BAMF 18.01.2021). In Russland sind am 23.01.2021 landesweit zehntausende Menschen trotz Druck seitens der Behörden und großer Polizeiaufgebote einem Protestaufruf von Oppositionspolitiker Alexej Nawalny gefolgt. Bei Kundgebungen in mehr als 100 Städten sind Bürgerrechtlern zufolge mehr als 3.500 Menschen festgenommen worden. Die Sicherheitskräfte gingen dabei teils mit massiver Gewalt vor. Die russischen Behörden warfen Demonstrierende vor, Polizisten angegriffen zu haben. Allein in Moskau wurden mindestens 1.360 Demonstrierende festgesetzt und 523 weitere Festnahmen gab es demnach in St. Petersburg. Angaben von Russlands Kinderrechts-Beauftragten zufolge wurden auch rund 300 Minderjährige in Gewahrsam genommen. Die Demonstrierenden protestierten gegen Präsident Wladimir Putin und forderten die Freilassung Nawalnys (BAMF 25.01.2021). In Russland folgten am 31.01.2021 landesweit wieder zehntausende Menschen einem Protestaufruf von Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. Die Demonstrierenden protestierten gegen Präsident Wladimir Putin und forderten die Freilassung Nawalnys. Bei Kundgebungen in rund 100 Städten sind Bürgerrechtlern und dem Portal Owd-Info zufolge mehr als 5.100 Menschen festgenommen worden, deutlich mehr als bei den Protesten eine Woche zuvor. Die meisten Festnahmen, mit mehr als 1.600, gab es demnach in der Hauptstadt Moskau. Zudem kamen mehr als 60 Journalisten vorübergehend in Gewahrsam. Die Sicherheitskräfte sollen mit massiver Gewaltgegen die Demonstrierenden in Moskau und St. Petersburg vorgegangen sein. So stießen in St. Petersburg Demonstrierende mit der Sonderpolizei OMON zusammen, die mit Tränengas und Elektroschockern die Protestierenden attackierte. Unter den Festgenommenen war auch die Frau des Putin-Kritikers, Julia Nawalnaja, die am Abend des 31.01.2021 wieder auf freien Fuß kam. Medienberichten zufolge muss Julia Nawalnaja aber am 01.02.2021 wegen Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen vor Gericht. Ihr drohen demnach eine Geldstrafe oder bis zu 15 Tage Haft. Schon zuvor waren im Laufe der letzten Woche zahlreiche Mitstreiter und Nawalnys Bruder Oleg festgenommen und zu Hausarrest verurteilt worden, wohl in der Absicht, die geplanten Protestkundgebungen entscheidend schwächen zu können (BAMF 01.02.2021).

Der russische Oppositionelle und schärfste Kritiker von Präsident Putin, Alexej Nawalny, ist von einem Moskauer Gericht am 02.02.2021 zu dreieinhalb Jahren Haft in einem Straflager verurteilt worden. Der 44-Jährige habe gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren von 2014 verstoßen, so die zuständige Richterin. Deshalb sei eine frühere Bewährungsstrafe nun in eine echte Haftstrafe umgewandelt worden. Damals war Nawalny bereits zu dreieinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Davon dürften nun die zehn Monate abgezogen werden, die Nawalny noch während des damals laufenden Verfahrens unter Hausarrest verbringen musste. Seine verbleibende Haftstrafe betrüge damit zwei Jahre und acht Monate. Nawalny hatte in der Gerichtsverhandlung in einer emotionalen Rede eine unrechtmäßige Verfolgung durch die russischen Behörden beklagt und darauf verwiesen, dass er sich in Deutschland in medizinischer Behandlung befunden und sich dort fünf Monate lang von einem Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok erholt habe. Seine Verteidiger kündigten nach dem Urteil umgehend an, in Berufung gehen zu wollen. Zahlreiche Demonstrierende verhaftet Rund um den Prozess gegen Nawalny sind die russischen Sicherheitskräfte wieder massiv gegen Demonstrierende in mehreren Städten vorgegangen. Nach Angaben von Menschenrechtlern wurden insgesamt rund 1.400 Menschen festgenommen. Allein in Moskau nahm die Polizei nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OVD-Info 1.116 Protestierende fest, in St. Petersburg gab es demnach 246 Festnahmen. Auch in anderen russischen Städten fanden Proteste statt und wurden Menschen in Gewahrsam genommen (BAMF 08.02.2021).

(CIA, The World Factbook, Russland, letzte Aktualisierung am 16.02.2021, abgefragt am 28.02.2021, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/russia/

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 14.09.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037644/briefingnotes-kw38-2020.pdf

AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Politisches Porträt, Stand 21.10.2020, abgefragt am 18.02.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 06.07.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2033953/briefingnotes-kw28-2020.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 18.01.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw03-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 25.01.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw04-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4

LIPortal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Russland, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung Jänner 2021, abgefragt am 18.02.2021, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 01.02.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw05-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 08.02.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw06-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3)

Politische Lage in Tschetschenien

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019; AA 13.02.2019; FH 04.03.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019; AA 13.02.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 04.03.2020; AA 13.02.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 04.03.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 03.2018). Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.01.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junusbek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.06.2019).

(FH, Freedom House, Freedom in the World 2020, Russland, 04.03.2020, https://freedomhouse.org/country/russia/freedom-world/2020

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2018, 13.02.2019, https://www.ecoi.net

ÖB, Österreichische Botschaft Moskau, Asylländerbericht Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_ÖB_Bericht_2019_12.pdf

SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik, Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, März 2018, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf

NZZ, Neue Zürcher Zeitung, Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, 29.06.2019, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435

HRW, Human Rights Watch, World Report 2020, Russia, 14.01.2020, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/russia)

Sicherheitslage

Bei der Einreise in die Russische Föderation besteht bis zur Stabilisierung der COVID-19 Situation ein Einreiseverbot für Ausländer mit wenigen Ausnahmen (ausländische Staatsangehörige, welche Maschinen und technisches Equipment in Russland warten; Ehepartner/Ehepartnerinnen von russischen Bürgerinnen/Bürgern; Diplomatinnen/Diplomaten [BMEIA Stand 18.02.2021]).

Präsident Putin verkündete am 25.03.2020 die Verschiebung des für den 22.04.2020 geplanten Referendums über weitreichende Verfassungsänderungen. Um eine Gefährdung von Wählern durch das Coronavirus zu vermeiden, werde ein neuer Termin gemäß der Expertise von Gesundheitsexperten bestimmt werden. Stimmen bei dem Referendum mehr als die Hälfte der Wähler den Verfassungsänderungen zu, sollen diese in Kraft treten. Putin könnte dann 2024 erneut als Kandidat antreten und bei einer Wiederwahl bis 2036 im Präsidentenamt bleiben (BAMF 30.03.2020).

In Wladikawkas versammelten sich am 20.04.2020 ca. 2.000 Menschen bei einer Demonstration gegen Ausgangsbeschränkungen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus und forderten den Rücktritt des Gouverneurs der Teilrepublik Nordossetien-Alanien. Die Polizei trieb die Teilnehmer gewaltsam auseinander und nahm Dutzende von ihnen fest. Am 21.04.2020 befand ein Gericht der Stadt 13 Personen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration, des Widerstands gegen Polizisten sowie der Organisierung eines öffentlichen Ereignisses, das zur Störung der öffentlichen Ordnung geführt habe, für schuldig und verurteilte sie zu Gefängnisstrafen zwischen drei und 15 Tagen. Der Opernsänger Vadim Cheldiyev hatte im Internet zu der Kundgebung aufgerufen. Cheldiyev, der den Behördenleitern der Region eine Übertreibung der Virusgefahren zum Zweck der Selbstbereicherung vorgeworfen hatte, wurde am 21.04.2020 zu einer Geldstrafe von umgerechnet 928 Euro wegen der Verbreitung falscher Informationen über das Virus verurteilt (BAMF 27.04.2020).

Überschattet vom Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny und der Corona-Krise haben in Russland Regionalwahlen stattgefunden. Am Hauptwahltag des 13.09.2020 gaben Bürger in 41 Regionen des Landes ihre Stimme ab, in vier Nachwahlen wurde außerdem über die Vergabe von Sitzen im russischen Parlament abgestimmt. Laut der unabhängigen Wahlbeobachtungsgruppe Golos seien bereits mehr als 1.000 Meldungen über mögliche Verstöße eingegangen. Wahlbeobachter hätten über Behinderungen ihrer Arbeit und Wahlfälschungen berichtet. Es sei dabei auch Gewalt angewendet worden und es gebe Berichte über Wahlzwang und Bestechung aus vielen Regionen (BAMF 14.09.2020).

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf. Seien Sie weiterhin insbesondere an belebten Orten, bei Menschenansammlungen und bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel besonders aufmerksam (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 18.02.2021).

(BMEIA, Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten, Reiseinformation Russische Föderation, unverändert gültig seit 09.02.2021, Stand 18.02.2021, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 30.03.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027826/briefingnotes-kw14-2020.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 27.04.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029418/briefingnotes-kw18-2020.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 14.09.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037644/briefingnotes-kw38-2020.pdf

AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 15.02.2021, Stand 18.02.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536)

Sicherheitslage im Nordkaukasus

Von nicht erforderlichen Reisen nach Inguschetien, Tschetschenien und Dagestan wird abgeraten. Es besteht bei Reisen in den Föderalbezirk Nordkaukasus sowie angrenzende Regionen eine erhöhte Sicherheitsgefährdung durch mögliche Anschläge mit terroristischem Hintergrund, bewaffnete Auseinandersetzungen und Entführungen. Zudem gilt für bestimmte Streckenabschnitte einiger Verkehrsstraßen im Nordkaukasus nur beschränkter Zutritt für Ausländer (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 18.02.2021).

Weiterhin angespannt bleibt die Menschenrechtslage im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien unter dem Regime von Ramsan Kadyrow. Dagegen hat sich die Sicherheitslage insgesamt betrachtet wesentlich verbessert und stabilisiert. Seit 2013 ist die Zahl der Toten durch Anschläge und Kämpfe im Nordkaukasus stark rückläufig. So starben im Jahr 2017 bei Anschlägen und Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und separatistischen bzw. islamistischen Aufständischen nach offiziellen Angaben 134 Personen (2016: 202; 2015: 208; 2014: 341; 2013: 529; 2012: 700). Im Jahr 2018 fiel die Zahl der Todesopfer zum ersten Mal unter 100. 2018 starben nach Angaben der russischen Internetzeitung Caucasian Knot insgesamt 82 Personen im Nordkaukasus. Nach ersten vorliegenden Informationen derselben Quelle von Anfang Februar 2020 sank die Zahl der Todesopfer im Jahr 2019 auf insgesamt 31. Die Hauptursache für den im Vergleich zu dem Jahr 2012 erheblichen Rückgang der Zahl der getöteten Personen in den vergangenen Jahren dürfte sein, dass sich seit Ende 2014 vermehrt Kämpfer aus dem Nordkaukasus der Terrormiliz IS in Syrien und im Irak angeschlossen hatten und dort viele den Tod fanden (BAMF 10.02.2020).

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend „Aufständische“ und Sicherheitskräfte (AA 13.02.2019).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23.06.2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Die Nachrichten-Website Caucasian Knot berichtete, dass gewalttätige Konfrontationen mit Sicherheitskräften, in der ersten Hälfte des Jahres 2019, zu mindestens 31 Toten führten. die am stärksten betroffene Region war Kabardino-Balkarien mit 10 Todesfällen in der ersten Hälfte des Jahres 2019, gefolgt von Dagestan, wo neun Menschen getötet wurden. Das gewaltsame Verschwinden von Personen aus politischen oder finanziellen Gründen setzte sich im Nordkaukasus fort. Es gab immer wieder Ber

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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