TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/4 W165 2241886-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2021
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Entscheidungsdatum

04.06.2021

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W165 2241886-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ilse LESNIAK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. Gambia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2021, Zl. 1275081500-210269905, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 idgF und § 61 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Gambias, gelangte illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 24.02.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zuvor hatte der BF Asylanträge Italien (03.09.2014), in Deutschland (25.06.2018) und in den Niederlanden (07.08.2020) gestellt.

In seiner polizeilichen Erstbefragung am 25.02.2021 gab der BF an, dass er seit 2011 HIV-positiv sei. Er habe seinen Herkunftsstaat 2013 verlassen und sei dann über den Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger und Libyen nach Italien gelangt (Einreise: Winter 2014, ca. zweieinhalb Jahre Aufenthalt). Dann sei er nach Deutschland (ca. zweieinhalb Jahre Aufenthalt), nach Holland (vier oder fünf Monate Aufenthalt) und abermals über Deutschland nach Österreich gereist. Er habe in Italien, Deutschland und Holland Asylanträge gestellt. Zu den durchreisten EU-Ländern gab der BF an, dass in Italien eine Zukunft sehr schwierig sei. Er habe auch in Deutschland kein schönes Leben gehabt. Während des dortigen Asylverfahrens habe er die Möglichkeit gehabt, eine Lehre als Altenfachbetreuer zu machen, doch habe er das Land verlassen müssen. Auch in Holland habe er um Asyl angesucht, einen negativen Bescheid erhalten und ebenso das Land verlassen müssen. In den drei Ländern sei er schlecht behandelt worden und habe eine Ausreiseverpflichtung und ein Einreiseverbot erhalten. Er wolle auf keinen Fall in eines dieser Länder zurückkehren. Er habe in keinem anderen Land ein Visum oder einen Aufenthaltstitel erhalten. In Österreich habe er keine Familienangehörigen. Er wolle in Österreich bleiben, da er mit einem Menschenrechtsaktivisten gesprochen habe, der ihm Österreich empfohlen habe.

Am 04.03.2021 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien.

Die italienische Dublin-Behörde lehnte die Wiederaufnahme des BF mit Schreiben an das BFA vom 08.03.2021 ab. Begründend wurde ausgeführt, dass Deutschland am 19.07.2018 ein Rücknahmegesuch gestellt habe, das Italien durch Verschweigung am 02.08.2018 angenommen habe. Innerhalb der Sechsmonatsfrist (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) sei jedoch keine Überstellung erfolgt. Unter einem wies Italien darauf hin, dass der BF am 07.08.2020 im Zusammenhang mit einer Asylantragstellung in den Niederlanden erkennungsdienstlich behandelt worden sei und Italien kein Rücknahmegesuch erhalten habe. Italien sei demnach nicht zuständiger Mitgliedstaat.

Am 08.03.2021 richtete das BFA ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b bzw lit. d Dublin III-VO an Deutschland. Dem Schreiben waren die Erstbefragung des BF und das seine Zuständigkeit ablehnende Antwortschreiben Italiens angeschlossen.

Mit Schreiben vom 11.03.2021 stimmte Deutschland der Wiederaufnahme des BF unter Anführung eines Alias-Namens des BF auf der Grundlage des Art 18. Abs. 1 lit. d Dublin III-VO ausdrücklich zu.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 und § 15 a AsylG 2005 vom 11.03.2021 setzte das BFA den BF darüber in Kenntnis, dass aufgrund der Ermittlungsergebnisse davon auszugehen sei, dass Deutschland für sein Asylverfahren zuständig und die Zurückweisung seines Antrages beabsichtigt sei.

Mit E-Mail vom 17.03.2021 teilte die Betreuungsstelle dem BFA auf Anforderung der medizinischen Unterlagen des BF mit, dass der BF anhand der vorliegenden Befunde als Sonderbetreuungsfall geführt werde. Dem Schreiben der Betreuungsstelle waren eine Medikamentenliste des BF (Genvoya 150/150/200/10 1x1, Tivicay 50mg 1x1) mit dem Vermerk angeschlossen, dass der BF die Medikamente selbst einnehme. Weiters wurden die Befunde eines Röntgens Thorax und einer Computertomographie des Thorax eines Röntgeninstitutes vom 02.03.2021 übermittelt. Röntgenbefund: Ausgedehnte fibröse Residuen in beiden Lungen, rechts ausgeprägter als links. Massive Überblähung des rechten Lungenoberlappens, in erste Linie Ausdruck eines vikariierenden großbullösen Emphysems. Keine frischen Lungeninfiltrate. Unauffälliger Kardiomediastinalschatten. CT-Befund: Ausgeprägtes, OL-betontes gemischtes bullöses Lungenemphysem mit Einzelbullae apical bis 9,2 cm. Kein Nachweis eines raumfordernden Pneumothorax. Verdickung des peribronchovaskulären Interstitiums zentral wie bei chronischer Bronchitis.

Am 23.03.2021 fand eine Einvernahme des BF vor dem BFA statt. Der BF gab an, dass er sich geistig und körperlich in der Lage fühle, die Einvernahme durchzuführen. Auf Frage, ob er sich derzeit in ärztlicher Behandlung befinde bzw. an irgendwelchen schwerwiegenden Krankheiten leide, gab der BF zu Protokoll, dass er seit 2011 HIV-positiv sei. Er sei mit sämtlichen ärztlichen Unterlagen aus Deutschland gekommen, hier habe man ihm aber seine Tasche gestohlen. Er habe gesagt, dass er HIV-positiv sei und dann Medikamente erhalten. Die in der Erstbefragung zu seinen persönlichen Daten und seinem Reiseweg gemachten Angaben seien richtig. Er sei etwa zweieinhalb Jahre in Deutschland und hierauf vier bis fünf Monate in Holland gewesen und dann über Deutschland nach Österreich gelangt. In Österreich, im Bereich der EU bzw. Norwegen oder Island habe er keine Verwandten oder sonstigen Angehörigen, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestünde. Auf Hinweis, dass Deutschland seiner Wiederaufnahme zugestimmt habe und die Zurückweisung des gegenständlichen Asylantrages und seine Außerlandesbringung nach Deutschland beabsichtigt seien, erklärte der BF, dass es einen Grund gebe, weshalb er hierhergekommen sei. Er habe in Italien subsidiären Schutz erhalten und sei mit einem dementsprechenden Dokument nach Deutschland gekommen. Man habe jedoch nie versucht, ihn nach Italien zu bringen. Er habe dann in Deutschland ein sechs Monate gültiges Dokument erhalten und sich integrieren und die Schule besuchen wollen. Schließlich habe man ihm gesagt, dass sein Asylantrag abgewiesen worden sei und er seinen Reisepass zwecks Abschiebung nach Gambia vorlegen solle. Er habe dann eine Duldung für drei Monate erhalten und sei aufgefordert worden, mit den Behörden zusammenzuarbeiten und einen Reisepass vorzulegen oder das Land selbständig zu verlassen. Er sei in Deutschland nicht fair behandelt worden. Er habe versucht, sich zu integrieren, habe aber das Land trotzdem verlassen müssen. Er habe entschieden, Deutschland selbständig zu verlassen, bevor er abgeschoben würde. Außerdem sei er bisexuell und habe auch deswegen Probleme in Deutschland mit anderen Gambiern gehabt. Deswegen habe es auch Probleme in Gambia gegeben und habe er seine Frau und seine Kinder verlassen müssen. In Deutschland sei er wegen dieser Probleme nicht bei der Polizei gewesen. Er habe Angst gehabt. Nach weiteren, einer Rückkehr nach Deutschland entgegenstehenden Gründen befragt, erklärte der BF, dass die deutschen Behörden von seinem subsidiären Schutz in Italien wissen würden. Die deutschen Behörden würden solange warten, bis dieser Schutz abgelaufen sei. Nach Beweismitteln dazu befragt, dass er in Italien subsidiären Schutz erhalten hätte, gab der BF zunächst an, dass er in Deutschland ein Dokument gehabt habe, dieses sei ihm aber gestohlen worden. Mit dem nächsten Satz revidierte der BF diese Aussage: „Nein, ich muss mich korrigieren, es befindet sich bei einem Freund. Ich könnte es mir schicken lassen“. Dem BF wurde eine Frist bis 06.04.2021 eingeräumt, um dem BFA das besagte Dokument vorzulegen.

Mit Bescheid vom 07.04.2021 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG gegen den BF die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Deutschland zulässig sei (Spruchpunkt II.).


Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Deutschland wurden im angefochtenen Bescheid wie folgt wiedergegeben (unkorrigiert):

Zur Lage im Mitgliedstaat:

1. Allgemeines zum Asylverfahren

Letzte Änderung: 15.5.2020

In Deutschland existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 3.2019; vgl. BAMF o.D.a, BAMF o.D.b, BR o.D., UNHCR o.D.a, für ausführliche Informationen siehe dieselben Quellen).

Im Berichtsjahr 2019 wurden 142.509 Erstanträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entgegengenommen. Dies bedeutet gegenüber 2018 (161.931 Erstanträge) eine Abnahme der Erstantragszahlen um 12 %. 2019 wurden insgesamt 165.938 Asylanträge (Erstanträge und Folgeanträge) gestellt. Im gesamten Berichtsjahr 2019 wurden insgesamt 183.954 Entscheidungen über Asylanträge getroffen. Im Jahr zuvor waren es 216.873 Entscheidungen; dies bedeutet einen Rückgang um 15,2 %. Dabei lag die Gesamtschutzquote für alle Staatsangehörigkeiten im Berichtsjahr 2019 bei 38,2 % (70.239 positive Entscheidungen von insgesamt 183.954). Im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreswert (35,0 %) stieg die Gesamtschutzquote somit um 3,2 Prozentpunkte an (BAMF 2020). In den ersten vier Monaten 2020 hat die Zahl der Asylanträge im Vergleich zu den entsprechenden Zahlen des Vorjahrs weiter abgenommen.

(BAMF 4.2020)

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (16.4.2019): Country Report: Germany – 2018 Update, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_ 2018update.pdf, Zugriff 4.5.2020

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (o.D.a): Ablauf des Asylverfahrens, https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/AblaufAsylverfahrens/ablaufasylverfahrens-node.html, Zugriff 4.5.2020

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (o.D.b): Ablauf des deutschen Asylverfahrens – Broschüre, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Asyl Fluechtlingsschutz/Asylverfahren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile& v=12, Zugriff 4.5.2020

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2020): Aktuelle Zahlen (Ausgabe: Dezember 2019), https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/ AsylinZahlen/ aktuelle-zahlen-dezember-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 5.5.2020

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (04.2020): Aktuelle Zahlen. April 2020, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-april-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 11.5.2020

2. Dublin-Rückkehrer

Letzte Änderung: 15.5.2020

Es gibt keine Berichte, dass Dublin-Rückkehrer in Deutschland Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren hätten (AIDA 16.4.2019).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (16.4.2019): Country Report: Germany – 2018 Update, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de _2018update.pdf, Zugriff 4.5.2020

3. Unbegleitete minderjährige Asylwerber / Vulnerable

Letzte Änderung: 15.5.2020

Unbegleitete Minderjährige werden zunächst durch das vor Ort zuständige Jugendamt in Obhut genommen. Im Rahmen dieser vorläufigen Inobhutnahme werden sie bei einer geeigneten Person oder in einer geeigneten Einrichtung untergebracht. Geeignete Personen können Verwandte oder Pflegefamilien sein, geeignete Einrichtungen sind in der Regel sogenannte Clearinghäuser, die auf die Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen spezialisiert sind, oder Jugendhilfeeinrichtungen. Im Zuge der vorläufigen Inobhutnahme findet auch das sogenannte Erstscreening statt. Es stellt neben der allgemeinen Prüfung des Gesundheitszustands auch das Alter der Minderjährigen fest. Die dafür verwendeten Methoden reichen von einer reinen Altersschätzung, über körperliche Untersuchungen, bis hin zu radiologischen Untersuchungen. Darüber hinaus schätzt das zuständige Jugendamt ein, ob die Durchführung des späteren Verteilungsverfahrens das Kindeswohl in physischer oder psychischer Hinsicht gefährden könnte. In diesem Zusammenhang wird auch die Möglichkeit einer Familienzusammenführung mit in Deutschland lebenden Verwandten geprüft. Bestehen enge soziale Bindungen zu anderen unbegleiteten Minderjährigen, prüft das Jugendamt, ob eine gemeinsame Unterbringung sinnvoll ist (BAMF 14.11.2019).

Um eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung, Versorgung, Betreuung und Unterstützung der unbegleiteten Minderjährigen sicherzustellen, gibt es ein bundesweites Verteilungsverfahren. Das Verteilungsverfahren wird innerhalb von 14 Tagen durchgeführt. Bei der Durchführung der Verteilung ist sichergestellt, dass die Kinder und Jugendlichen auf dem Weg zum zugewiesenen Jugendamt begleitet und einer Fachkraft dieses Jugendamts übergeben werden. Nach dieser Verteilung ist das Jugendamt, dem die Minderjährigen zugewiesen wurden, für deren weitere Inobhutnahme zuständig. Auch hier werden diese entweder bei einer geeigneten Person – Verwandte oder Pflegefamilien – oder in einer geeigneten Einrichtung – zum Beispiel Clearinghäuser – untergebracht. Im Anschluss daran werden die Beantragung einer Vormundschaft, weitere medizinische Untersuchungen, die Ermittlung des Erziehungsbedarfs sowie eine Klärung des Aufenthaltsstatus veranlasst (BAMF 14.11.2019).

Für unbegleitete Minderjährige muss ein Vormund oder eine Pflegekraft bestellt werden. Wer die Vormundschaft letztendlich übernimmt, wird vom Familiengericht entschieden. Eine Vormundschaft besteht in der Regel bis zur Volljährigkeit. Dabei orientiert sich die Volljährigkeit am Recht im Herkunftsland des Minderjährigen und nicht am deutschen Recht. Tritt also nach diesem Recht die Volljährigkeit erst nach Vollendung des 18. Lebensjahrs ein, wie etwa in Togo (Volljährigkeit mit 21), endet die Vormundschaft auch erst zu diesem Zeitpunkt. Im anschließenden Clearingverfahren werden weitere Schritte im Bereich des Jugendhilferechts oder des Aufenthaltsrechts eingeleitet. Es umfasst unter anderem die Klärung des Aufenthaltsstatus. Auf dessen Basis wird entschieden, ob ein Asylantrag gestellt wird. Ist ein Asylverfahren nicht erfolgversprechend, kann die zuständige Ausländerbehörde auch eine Duldung ausstellen. Kommt auch dies nicht infrage, berät die Ausländerbehörde über andere aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten. Falls ein Asylantrag gestellt werden soll, ist das Bundesamt für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig (BAMF 14.11.2019).

Innerhalb des Asylverfahrens gelten für die Bestimmung der Volljährigkeit die nationalen Vorschriften. Das heißt: Unbegleitete Minderjährige müssen mit Vollendung des 18. Lebensjahrs ihren Asylantrag selbst stellen, denn sie gelten – unabhängig von dem Recht in ihrem Herkunftsland – als volljährig. Der Vormund kann in diesem Fall aber weiterhin das Asylverfahren begleiten. Asylsuchende unter 18 Jahren gelten im Rahmen des Asylverfahrens als nicht handlungsfähig. Das bedeutet, dass unbegleitete Minderjährige nicht allein einen Asylantrag beim Bundesamt stellen können. In diesen Fällen muss der Asylantrag vom Jugendamt oder Vormund schriftlich gestellt werden. Wird er von einem Vormund gestellt, muss eine sogenannte „Bestallungsurkunde“ übersandt werden. Da unbegleitete Minderjährige als besonders schutzbedürftige Personengruppe mit besonderen Garantien für ihr Asylverfahren gelten, werden ihre Asylverfahren von Sonderbeauftragten betreut, die für eine sensibilisierte Herangehensweise geschult wurden (BAMF 14.11.2019).

Im ersten Halbjahr 2019 gab es 1.511 Asylerstanträge von unbegleiteten Minderjährigen, 2018 waren es insgesamt 4.087, 2017 9.084 und 2016 35.939 (BumF 17.12.2019). Im Jahr 2018 wurden 12.201 unbegleitete Minderjährige in (vorläufige) Obhut genommen. 2017 waren es noch 22.492, 2016 44.935 (BAMF 21.8.2019).

Es gibt keine bundesweite gesetzliche Vorschrift zur Identifizierung Vulnerabler, mit Ausnahme von unbegleiteten Minderjährigen. Mit der Änderung des Asylgesetzes im Jahr 2015 wurde ein Konzept betreffend die Identifizierung schutzbedürftiger Asylwerber erstellt, das als interne Richtlinie des BAMF fungiert. Alle Asylwerber werden einer medizinischen Untersuchung unterzogen, die allerdings auf die Diagnose von Ansteckungskrankheiten abzielt und keine Untersuchung im Hinblick auf Vulnerabilität umfasst. Es gibt kein systematisiertes Verfahren zur Feststellung von Traumata bzw. Vulnerabilität, wenngleich das medizinische Personal oder Angestellte der Aufnahmezentren das BAMF allenthalben informieren, falls Anzeichen von Traumata festgestellt werden. Einige Bundesländer haben Pilotprojekte für die Identifizierung vulnerabler Asylwerber eingeführt. Insbesondere unbegleitete Minderjährige (UM), traumatisierte Asylwerber sowie Opfer von Folter oder geschlechtsspezifischer Verfolgung sollen bei Bedarf von speziell ausgebildeten Referenten behandelt werden. In Berlin und einigen Aufnahmezentren in anderen Bundesländern gibt es solche Bemühungen. Es gibt keinen standardisierten Zugang zur Gewährleistung von Sozialleistungen und Beratungsinstitutionen und in vielen Zentren existiert dieser Zugang gar nicht. Nur Rheinland-Pfalz hat scheinbar detaillierte Maßnahmen zur Identifikation und Unterbringung von vulnerablen Personen (AIDA 16.4.2019).

Medizinische Spezialbehandlung für Traumatisierte und Folteropfer kann durch einige Spezialisten und Therapeuten in verschiedenen Behandlungszentren für Folteropfer gewährleistet werden. Da die Plätze in diesen Zentren begrenzt sind, ist der Zugang nicht immer garantiert. Die Behandlungskosten werden von den Behörden nur teilweise übernommen (Übersetzerkosten etwa werden nicht gedeckt). Aus diesem Grund sind die Zentren zu einem gewissen Grad auf Spenden oder andere Einkünfte angewiesen. Große geografische Distanzen zwischen Unterbringung und Behandlungszentrum sind in der Praxis auch oft ein Problem (AIDA 16.4.2019).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (16.4.2019): Country Report: Germany – 2018 Update, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_ 2018update.pdf, Zugriff 5.5.2020

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (14.11.2019): Unbegleitete Minderjährige, https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/ Unbegleitete Minderjaehrige/unbegleiteteminderjaehrige-node.html, Zugriff 5.5.2020

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (21.8.2019): Anteil unbegleiteter geflüchteter Mädchen gestiegen: Inobhutnahmezahlen für 2018 veröffentlicht, https://
b-umf.de/p/inobhut2018/, Zugriff 5.5.2020

-        BumF – Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (17.12.2019): Die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge – Auswertung der Online-Umfrage 2019, https://b-umf.de/src/wp-content/uploads/2020/01/2019_12_17_bumfumfrage2019_ v04.pdf, Zugriff 5.5.2020

4. Non-Refoulement

Letzte Änderung: 15.5.2020

Bei jedem Asylantrag prüft das Bundesamt auf Grundlage des Asylgesetzes, ob eine der vier Schutzformen – Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot – vorliegt. Wird ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt, darf keine Rückführung in den Staat erfolgen, für den dieses Abschiebungsverbot gilt. Den Betroffenen wird dann von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis erteilt (BAMF o.D.b).

Im Jahr 2018 hob die Regierung ihr Abschiebeverbot für Afghanistan auf und im ersten Halbjahr wurden etwa 200 Personen dorthin abgeschoben. Die Praxis erlaubte bis dahin nur Abschiebungen von verurteilten Kriminellen und Personen, die als Sicherheitsrisiko betrachtet wurden. NGOs, darunter auch Amnesty International, kritisierten dies als Verstoß gegen das Refoulement-Prinzip (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (o.D.b): Ablauf des deutschen Asylverfahrens – Broschüre, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Asyl Fluechtlingsschutz/Asylverfahren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile& v=12, Zugriff 8.5.2020

-        USDOS (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Germany, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027519.html, Zugriff 15.5.2020

5.       Versorgung

Letzte Änderung: 15.5.2020

Für Versorgung und Unterkunft der Asylwerber ist die zuständige Aufnahmeeinrichtung verantwortlich. Während ihres Aufenthalts erhalten die Asylwerber existenzsichernde Sachleistungen und einen monatlichen Geldbetrag zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse im Alltag. Art und Höhe der Leistungen sind durch das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Zu ihnen zählen: Grundleistungen für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege, Gebrauchs- und Verbrauchsgüter im Haushalt, Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse, Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt sowie individuelle Leistungen, die vom jeweiligen Einzelfall abhängen (BAMF o.D.b; vgl. AIDA 16.4.2019).

Asylwerberleistungen werden auch in der Anschlussunterbringung (wie etwa einer Gemeinschaftsunterkunft oder auch einer privaten Wohnung) erbracht (BAMF o.D.b). Bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen werden die Grundleistungen als Sachleistungen bereitgestellt. Die Höhe der finanziellen Unterstützung beläuft sich je nach Unterbringung auf:

Für in Aufnahmezentren untergebrachte Asylwerber gilt, dass diese mit Essen, Heizung, Kleidung und sanitären Produkten versorgt werden. Daher sind die Sätze deutlich niedriger (AIDA 16.4.2019).

Asylsuchende werden schon während der Bearbeitung ihres Antrags über die Teilnahme an Integrationskursen des Bundesamtes am jeweiligen Wohnort informiert. Für einen möglichen Arbeitsmarktzugang nehmen Beraterinnen und Berater der Bundesagentur für Arbeit vor Ort in den Ankunftszentren Erstdaten der Antragstellenden auf. Diese stehen dann den Arbeitsagenturen und Jobcentern bundesweit zur Verfügung (BAMF o.D.b).

Beim Arbeitsmarktzugang für Asylwerber und Geduldete gelten die folgenden Regelungen: Asylwerber benötigen grundsätzlich eine Arbeitserlaubnis, die durch die lokale Ausländerbehörde erteilt wird. Im 1. bis zum 3. Monat befinden sich die Personen in der Wartefrist. Ab dem 4. Monat können Asylwerber sowie Geduldete in vielen Teilen Deutschlands (mit Ausnahme einiger Regionen) eine Arbeit aufnehmen. Ab dem 16. Monat ist der Arbeitsmarkt in ganz Deutschland ohne Vorrangprüfung offen. Immer dann, wenn keine Vorrangprüfung erfolgt, ist auch eine Tätigkeit als Leiharbeitnehmer möglich. Ab dem 49. Monat ist keine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit mehr erforderlich; aber weiterhin jene der Ausländerbehörde. Für Fachkräfte und bei Ausbildung gilt ein erleichterter Arbeitsmarktzugang (BMAS 26.3.2020).

Flüchtlinge und Asylsuchende sehen sich bei der Arbeitssuche mit mehreren Hürden konfrontiert, unter anderem langen Überprüfungszeiten für Vorqualifikationen, fehlenden amtlichen Zeugnissen und Abschlüssen sowie eingeschränkten Deutschkenntnissen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (16.4.2019): Country Report: Germany – 2018 Update, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_ 2018update.pdf, Zugriff 11.5.2020

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (o.D.b): Ablauf des deutschen Asylverfahrens – Broschüre, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/AsylFluechtlingsschutz/Asylverfahren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile&v=12, Zugriff 12.5.2020

-        BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales (26.3.2020): Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge, https://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsmarkt/Infos-fuer-Asylsuchende/ arbeitsmarktzugang-asylbewerber-geduldete.html, Zugriff 12.5.2020

-        USDOS (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Germany, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027519.html, Zugriff 12.5.2020

5.1.    Unterbringung

Letzte Änderung: 15.5.2020

Zunächst werden alle Asylsuchenden in den nächstgelegenen Aufnahmeeinrichtungen des jeweiligen Bundeslandes aufgenommen. Eine solche Einrichtung kann für die vorübergehende oder auch für die längerfristige Unterbringung zuständig sein (BAMF o.D.b). In Deutschland gibt es grundsätzlich drei verschiedene Arten der Unterbringung: Erstaufnahmezentren, Gemeinschaftsunterkünfte und dezentralisierte Unterbringung in Wohnungen. 2015 und 2016 waren Notunterkünfte im Betrieb, die bis auf wenige Ausnahmen inzwischen wieder geschlossen wurden (AIDA 16.4.2019).

Asylwerberinnen und Asylwerber werden in der Regel zunächst in einer Erstaufnahmeunterkunft untergebracht. Nach einer Gesetzesreform vom Juli 2017 wurde die maximale Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahmeeinrichtung von sechs auf 24 Monate erhöht. Diese Regelung wurde jedoch bis Ende 2018 nur in Bayern umgesetzt. Wenn die Pflicht zum Aufenthalt im Erstaufnahmezentrum endet, kommen Asylwerber normalerweise in Gemeinschaftsunterkünften unter, wobei es sich um Unterbringungszentren im selben Bundesland handelt. Asylwerber müssen während des gesamten Asylverfahrens in der Gemeinde aufhältig sein, die von der Behörde festgelegt wurde. Die Verantwortung für diese Art der Unterbringung wurde von den Bundesländern oftmals den Gemeinden und von diesen wiederum auf NGOs oder Privatunternehmen übertragen. Manche Gemeinden bevorzugen eine dezentralisierte Unterbringung in Wohnungen. Die Standards und die Lebensbedingungen in Gemeinschaftsunterkünften unterscheiden sich nicht nur regional, sondern auch oft innerhalb bestimmter Regionen stark, daher kann nur schwerlich eine allgemeingültige Aussage über die Lebensbedingungen in solchen Einrichtungen getroffen werden (AIDA 16.4.2019).

Die Ankunftszentren sind der zentrale Zugangspunkt zum Asylverfahren. In diesen Zentren werden alle für das Asylverfahren erforderlichen Schritte durchgeführt. Dies beinhaltet die ärztliche Untersuchung durch die Länder, die Erfassung der persönlichen Daten und die Identitätsprüfung, die Antragstellung, Anhörung und Entscheidung über den Asylantrag sowie erste Integrationsmaßnahmen, wie etwa die sogenannten Erstorientierungskurse durch das Bundesamt. Darüber hinaus findet eine Erstberatung zum Arbeitsmarktzugang durch die örtliche Arbeitsagentur statt (BAMF o.D.b).

Mit den neuen Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückkehr-Einrichtungen (AnkER-Einrichtungen) wurde die Grundidee der Ankunftszentren weiterentwickelt. Das zentrale Element des AnkER-Konzepts ist die Bündelung aller Funktionen und Zuständigkeiten: von Ankunft über Asylantragstellung und Entscheidung bis zur kommunalen Verteilung, ersten integrationsvorbereitenden Maßnahmen bzw. der Rückkehr von Asylantragstellenden. Alle direkt am Asylprozess beteiligten Akteure sind vor Ort in den AnkER-Einrichtungen vertreten. Dies sind in der Regel die Aufnahmeeinrichtungen des Landes, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Ausländerbehörden, Verwaltungsgerichte, Jugendämter und die Bundesagentur für Arbeit. Für die Ausgestaltung der Zentren wird dabei kein starres Konzept vorgegeben – die Länder können hier die Schwerpunkte setzen, die ihnen besonders wichtig sind (BAMF o.D.b).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (16.4.2019): Country Report: Germany – 2018 Update, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_ 2018update.pdf, Zugriff 8.5.2020

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (o.D.b): Ablauf des deutschen Asylverfahrens – Broschüre, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/AsylFluechtlingsschutz/Asylverfahren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile&v=12, Zugriff 11.5.2020

5.2. Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 15.5.2020

Asylwerber sind grundsätzlich nicht gesetzlich krankenversichert, sondern haben im Krankheitsfall Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). In Abhängigkeit von Aufenthaltsdauer und -status definiert das Gesetz unterschiedliche Leistungsniveaus (GKV 6.11.2019).

Die Gesetze sehen medizinische Versorgung für Asylwerber in Fällen akuter Erkrankung oder bei Schmerzen vor. Hierbei werden beispielsweise auch Zahnbehandlung und Medikation umfasst. Sonstige, darüberhinausgehende Leistungen liegen im Ermessen der Sozialbehörden und können gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich sind. Schwangere und Wöchnerinnen sind eigens im Gesetz erwähnt. Unabdingbare medizinische Behandlung steht auch Personen zu, die – aus welchen Gründen auch immer – kein Recht auf Sozialunterstützung mehr haben. Deutsche Gerichte haben sich in verschiedenen Fällen der Sichtweise angeschlossen, dass von diesen Bestimmungen auch chronische Erkrankungen abgedeckt werden, da auch diese Schmerzen verursachen können. Berichten zufolge werden jedoch notwendige, aber kostspielige diagnostische Maßnahmen oder Therapien von den lokalen Behörden nicht immer bewilligt (AIDA16.4.2019; vgl. GKV 6.11.2019).

Zuständig für die Umsetzung dieses Leistungsanspruchs sind die Länder bzw. die von ihnen per Landesgesetz bestimmten Behörden. Innerhalb der ersten 15 Monate des Aufenthalts in Deutschland (sogenannte Wartezeit) wird dies in der Regel über die Ausgabe von speziellen Behandlungsscheinen (Krankenscheinen) durch die Sozialämter sichergestellt (GKV 6.11.2019). Bei letzteren wird von Problemen aufgrund von Inkompetenz des Personals berichtet (AIDA 16.4.2019). Die Leistungsgewährung nach dem AsylbLG liegt demnach im Ermessen der kommunalen Leistungsträger. Nach der Wartezeit werden die Asylwerber gemäß § 264 Abs. 2 SGBV auftragsweise von den gesetzlichen Krankenkassen betreut. Sie erhalten eine elektronische Gesundheitskarte (eGK), mit der Sie nahezu dieselben Leistungen erhalten wie gesetzlich Krankenversicherte. Die Krankenkassen erhalten die Aufwendungen und einen Verwaltungskostenanteil von den Trägern der Sozialhilfe erstattet (GKV 6.11.2019).

Es wird kritisiert, dass auch Asylwerber, die eine Gesundheitskarte besitzen, immer noch lediglich Zugang zu einer Notfallbehandlung hätten. Einige Gemeinden und private Gruppen sorgten für eine zusätzliche Gesundheitsversorgung (USDOS 13.3.2020).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (16.4.2019): Country Report: Germany – 2018 Update, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_ 2018update.pdf, Zugriff 11.5.2020

-        GKV – GKV-Spitzenverband (6.11.2019): Fokus: Asylsuchende/ Flüchtlinge, https://www.gkv-spitzenverband.de/presse/themen/fluechtlinge_asylbewerber/fluechtlinge.jsp, Zugriff 12.5.2020

-        USDOS (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Germany, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027519.html, Zugriff 12.5.2020

Im Bescheid wurde ausgeführt, dass die Identität des BF nicht feststehe. Der BF leide an keinem akut existenzbedrohenden Krankheitszustand. Es gebe keine Angehörigen oder sonstigen Verwandten, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestünde. Der BF habe keine sozialen Kontakte, die ihn an Österreich binden würden. Eine besondere Integrationsverfestigung sei nicht vorhanden und stelle die Außerlandesbringung keinen Eingriff in das Grundrecht nach Art. 8 EMRK dar. Es könne nicht festgestellt werden, dass der BF in Deutschland systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen wäre oder solche zu erwarten hätte. Ein real risk einer Verletzung des Art. 3 EMRK würde auch im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie nicht drohen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 sei nicht erschüttert worden und habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine bevollmächtigte Vertretung am 23.04.2021 fristgerecht Beschwerde und brachte vor, dass er in Deutschland keinen ausreichenden und dauerhaften Schutz finden habe können, da er von anderen Afrikanern aufgrund seiner Sexualität angefeindet worden sei. Er habe vorgebracht, dass er in Italien subsidiären Schutz mit entsprechender Karte erhalten habe. Anstatt subsidiären Schutz auch in Deutschland auszustellen bzw. ihm die Rückreise nach Italien zu ermöglichen, sei ein mit einer Ausweisungsentscheidung endendes inhaltliches Verfahren geführt worden. Er sei in Deutschland bedroht worden. Es sei wahrscheinlich, dass er im Falle einer Rückkehr nach Deutschland dort neuerlich mit einer unmenschlichen Situation rechnen müsse. Als Bisexueller angefeindet zu werden, sei zweifellos ein Angriff auf grundlegendste Rechte. Die Achtung der privaten Rechte des BF würde dafür sprechen, in Österreich bleiben zu können. Des Weiteren habe der BF in Deutschland eine Ausbildung in der Altenbetreuung gemacht. Er könnte in diesem Mangelberuf schnell am Arbeitsmarkt Fuß fassen und würde zum wirtschaftlichen und sozialen Wohl in Österreich beitragen. Soziale und wirtschaftliche Interessen würden daher dafür sprechen, dass Österreich vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch mache. Der BF habe in Italien unbestritten subsidiären Schutz gehabt. Eine Auseinandersetzung mit diesem zentralen Punkt fehle. Es seien Gründe vorhanden, die darauf schließen ließen, dass der BF in Deutschland nicht ausreichend sicher vor einer Kettenabschiebung wäre. Im Bescheid werde vom Gesundheitszustand des BF gesprochen und dass dieser kein Hindernis für eine Abschiebung sei. Doch der BF habe gar nicht viel über seine Gesundheit gesprochen. Die Behörde begründe mit Begründungen, die gar nicht zum gegenständlichen Fall passen würden. Es erscheine daher unvermeidlich, dass der Fall zur nochmaligen Bearbeitung an das BFA zurückverwiesen werde. Im Falle einer negativen Entscheidung des BVwG werde beantragt, aus Gründen der Berufsqualifikation in einem Mangelberuf die ordentliche Revision zuzulassen.

Am 28.04.2021 langte eine Beschwerdeergänzung beim BVwG ein, in der auf eine Stellungnahme zur Situation sexueller Minderheiten in Gambia und einen deutschen Artikel über die oft prekäre Situation von LGBT-Flüchtlingen innerhalb der Community Bezug genommen wurde. Hiezu wurde angemerkt, dass diese Artikel die subjektive Angst, die der BF in Deutschland verspürt habe und die objektive Gefährdung durch Anfeindungen in Deutschland bestätigen würden. Es sei somit glaubwürdig, dass der BF in Deutschland durch andere Afrikaner bzw. Landsleute bedroht worden sei.

Mit Schriftsatz vom 25.05.2021, beim BVwG eingelangt am 26.05.2021, wurde die Beschwerdeergänzung vom 28.04.2021 abermals übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der unter I. dargestellte Verfahrensgang.

Der BF, ein Staatsangehöriger Gambias, stellte nach illegaler Einreise am 24.02.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Zuvor hatte der BF bereits am 03.09.2014 in Italien, am 25.06.2018 in Deutschland und am 07.08.2020 in den Niederlanden um internationalen Schutz angesucht.

Das BFA richtete am 04.03.2021 ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO an Italien, welches unter Hinweis auf die Zuständigkeit Deutschlands abgelehnt wurde. Begründend wurde angegeben, dass Italien einem Rücknahmegesuch Deutschlands vom 19.07.2018 durch Verschweigung am 02.08.2018 zugestimmt habe, jedoch innerhalb der Sechsmonatsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO keine Überstellung nach Deutschland erfolgt sei.

Am 08.03.2021 richtete das BFA ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b bzw. lit. d Dublin III-VO an Deutschland, welchem Deutschland mit Schreiben vom 11.03.2021 auf der Grundlage des Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO ausdrücklich zustimmte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF in Italien der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden wäre.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Deutschland an.

Der BF läuft im Falle einer Überstellung nach Deutschland nicht Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Konkrete, in der Person des BF gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im zuständigen Mitgliedstaat sprechen würden, liegen nicht vor. Im zuständigen Mitgliedstaat herrschen keine systemischen Mängel in Verfahren wegen internationalen Schutzes.

Es wurde kein Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren.

Ein überstellungshinderlicher Gesundheitszustand des BF liegt nicht vor. Der BF ist HIV-positiv (laut eigener unbelegter Angabe seit elf Jahren) und nimmt einschlägige Medikamente ein. Weiters liegt ein Lungenemphysem vor. Ein Pneumothorax konnte ausgeschlossen werden.

Die aktuelle Situation hinsichtlich der Covid-19-Pandemie begründet keine Unmöglichkeit einer Rückkehr des BF nach Deutschland.

Bei Covid-19 handelt es sich um eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Das aktuelle Infektionsgeschehen ist in Österreich wie auch in Deutschland stark rückläufig und ist die Zahl der gegen das Corona-Virus geimpften Personen stetig im Steigen begriffen.

In Österreich bestehen keinerlei verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte des BF.

Sonstige private oder berufliche Bindungen des BF in Österreich sind nicht vorhanden.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise und der Asylantragstellungen in Italien, Deutschland und den Niederlanden ergeben sich aus den Angaben des BF im Rahmen seiner Einvernahmen im Zusammenhalt mit den aufliegenden EURODAC-Treffermeldungen.

Die Feststellung der Zustimmung zur Wiederaufnahme des BF seitens Deutschlands leitet sich aus dem durchgeführten Konsultationsverfahren - der diesbezügliche Schriftwechsel liegt dem Verwaltungsakt ein - zwischen der österreichischen und der deutschen Dublin-Behörde ab.

Die Feststellung, dass der BF in Italien keinen Status als subsidiär Schutzberechtigter erhalten hat, gründet sich auf den Umstand, dass Italien dem seinerzeitigen Rücknahmegesuch Deutschlands auf der Grundlage der Dublin III-VO durch Verschweigung zugestimmt hat. Hätte der BF in Italien den Status eines subsidiär Schutzberechtigten erhalten, wäre die Dublin III-VO nicht anwendbar und hätte Italien dem Wiederaufnahmegesuch Deutschlands nicht zugestimmt, sondern dieses mangels Anwendbarkeit der Dublin III-VO abgelehnt. Hinzu kommt, dass der BF, nach Beweismitteln zur Belegung seines Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Italien befragt, keine solchen vorlegen konnte und sich diesbezüglich auch noch in Widersprüche verwickelte. So gab der BF in seiner Einvernahme an, dass er zwar ein solches Dokument in Deutschland gehabt hätte, ihm dieses jedoch gestohlen worden sei. Im nächstfolgenden Satz revidierte der BF dies jedoch dahingehend, dass er sich korrigieren müsse, sich dieses Dokument bei einem Freund befinden würde und er sich dieses schicken lassen könne. Ein entsprechendes Dokument wurde jedoch niemals vorgelegt.

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen. Das BFA hat in seinen Entscheidungen neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Deutschland auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer nach der Dublin III-VO) samt dem jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelweg getroffen.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus dessen Angaben, aus der aufliegenden Medikamentenliste und den vorliegenden Befunden, die ebenfalls keinen Hinweis auf einen überstellungshinderlichen Gesundheitszustand des BF zu geben vermögen. Der BF ist HIV-positiv und dies laut eigener (unbelegter) Angabe - auch die medizinischen Unterlagen seien ihm gestohlen worden - bereits seit elf Jahren. Aus der bei der Betreuungsstelle aufliegenden Medikamentenliste geht hervor, dass der BF Medikamente einnimmt, die bei HIV-Infektionen zum Einsatz gelangen. Der Infektionszustand dürfte stabil sein, da es andernfalls wohl nicht mit der bloßen Gabe von Medikamenten das Bewenden haben hätte können, sondern weitergehende medizinische Maßnahmen ergriffen worden wären. Weiters geht aus einem Thorax-Röntgen und einer ergänzenden Thorax-Computertomographie hervor, dass ein Lungenemphysem besteht. Der BF weiß von keinen Krankenhausaufenthalten zu berichten und sind solche ebenso der Aktenlage nicht zu entnehmen. Zudem ist laut Länderberichten die medizinische Grundversorgung in Deutschland gesichert und ist nicht ersichtlich, dass dem von der Betreuungsstelle im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand als sonderbetreuungsbedürftig eingestuften BF in Deutschland nicht die entsprechende Behandlung zukommen könnte bzw. verwehrt würde.

Die Feststellung, dass der BF in Österreich über keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte verfügt, ergibt sich aus den eigenen Angaben und der Aktenlage.

Die Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus beruhen auf unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen. Es ist notorisch, dass die Mitgliedstaaten allesamt - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - vom Ausbruch der Pandemie betroffen sind und hier vor großen Herausforderungen im Gesundheitsbereich stehen. Diesbezüglich wurden in den einzelnen Ländern tagesaktuell entsprechende Maßnahmen gesetzt (beispielsweise die Verhängung von Ausgangsbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen sowie teilweise die Vornahme von Grenzschließungen und Einschränkungen im Personen- und Warenverkehr), welche die Ausbreitung von Covid-19 hintanhalten und gleichzeitig die medizinische Versorgung der Bevölkerung - seien es nun eigene Staatsbürger oder dort ansässige Fremde - möglichst sicherstellen sollen. Die Mitgliedstaaten stehen diesbezüglich aufgrund der dynamischen Entwicklung der Situation in engem Austausch miteinander, ebenso mit der Europäischen Kommission. Es ist davon auszugehen, dass Überstellungen nur dann durchgeführt werden, wenn sich die einzelnen Mitgliedstaaten dazu im Stande sehen, die von ihnen übernommenen Dublin-Rückkehrer potentiell auch medizinisch zu versorgen, sodass insofern insgesamt eine Situation gegeben ist, die jener vor Ausbruch der Pandemie nahekommt. Allfällige Überstellungshindernisse bzw -einschränkungen sind aus heutiger Sicht - aller Wahrscheinlichkeit nach - zeitlich begrenzt. Es ist davon auszugehen, dass Reisebewegungen jedenfalls in den Maximalfristen der Verordnung (Art. 29 Dublin III-VO) erfolgen können.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist die Heranziehung der Länderfeststellungen zu Deutschland nicht zu beanstanden, zumal davon auszugehen ist, dass Überstellungen nur durchgeführt werden, wenn Deutschland für die Einhaltung der einschlägigen asyl- und fremdenrechtlichen Standards nach den Länderfeststellungen garantieren kann.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, unberührt.

Nach § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl. § 75 Abs. 17 AsylG 2005 idgF).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. ...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet:

§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) lauten:

Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 12 Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Art. 13 Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Art. 16 Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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