TE Vfgh Erkenntnis 1995/3/3 B816/94

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Veröffentlicht am 03.03.1995
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
AlVG §26 Abs1 Z3
ABGB §145

Leitsatz

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Abweisung eines Antrags der Großmutter auf Karenzurlaubsgeld mangels Adoptionsabsicht hinsichtlich des in Pflege genommenen Enkelkindes

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem angefochtenen Bescheid des Landesarbeitsamtes wird die Abweisung eines Antrages der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung von Karenzurlaubsgeld wegen Fehlens der Voraussetzung nach §26 Abs1 Z3 Arbeitslosenversicherungsgesetz bestätigt. Als Vertragsbedienstete hat sie mit dem Dienstgeber für die Zeit vom 8. Juni 1993 bis 8. Jänner 1995 einen Karenzurlaub vereinbart, weil sie ihre Enkelin in Pflege genommen hat. Mit Beschluß des Pflegschaftsgerichtes vom 18. Juni 1993 wurde ihrer Tochter, die seit 12. Mai 1993 unbekannten Aufenthaltes ist, die Obsorge über die Enkelin entzogen und den Großeltern übertragen. Auch der Vater kümmert sich nicht um das Kind. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 29. Juli 1993 wurde den Großeltern zur Erleichterung der mit der Pflege und Erziehung verbundenen Lasten ab 29. Juni 1993 ein Pflegebeitrag von monatlich 3.500,-- S gewährt. Eine Adoption ist im Hinblick auf die Möglichkeit der Rückkehr der Kindesmutter oder der Unterhaltsleistung des Vaters nicht beabsichtigt.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung des Gleichheitssatzes und die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes gerügt wird.

Die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich als nunmehr belangte Behörde verteidigt die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung.

Über Einladung des Verfassungsgerichtshofes haben sich auch der Bundesminister für Arbeit und Soziales und die Bundesministerin für Umwelt, Jugend und Familie zur Beschwerde geäußert. Sie treten den gegen das Gesetz geäußerten Bedenken entgegen.

II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Nach §26 Abs1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 idF BGBl. 408/1990 (AlVG), haben Anspruch auf Karenzurlaubsgeld

"1. Mütter ...

2.

Mütter ...

3.

Frauen, die allein oder mit ihrem Ehegatten ein Kind, welches das zweite Lebensjahr noch nicht vollendet hat, an Kindes Statt angenommen oder in der Absicht, dieses Kind an Kindes Statt anzunehmen, in unentgeltliche Pflege genommen haben, die Anwartschaft erfüllen, mit dem Kind im selben Haushalt leben und dieses überwiegend selbst pflegen...".

(§26a umschreibt den Kreis der anspruchsberechtigten Väter.)

Im vorliegenden Fall haben die Behörden die Gewährung von Karenzurlaubsgeld im Hinblick darauf versagt, daß die antragstellende Großmutter nicht die nach §26 Abs1 Z3 AlVG erforderliche Absicht hat, das in Pflege genommene Enkelkind an Kindes Statt anzunehmen.

Die Beschwerde meint dagegen, in verfassungskonformer Auslegung sei der Begriff "Mütter" in §26 Abs1 Z1 und 2 AlVG im weiteren Sinn des §42 ABGB zu verstehen (wonach unter Eltern in der Regel ohne Unterschied des Grades alle Verwandte in der aufsteigenden Linie begriffen werden); er schlösse daher die kraft Gesetzes unterhaltspflichtige Großmutter ein, wenn sie das Enkelkind in Pflege und Erziehung zu nehmen habe. Andernfalls sei §26 Abs1 AlVG wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig, weil die schon kraft Gesetzes gegebene (obsorgepflichtig machende) Verwandtschaft nicht schlechter gestellt sein dürfe als jene, die erst durch Rechtsgeschäft begründet werden müsse.

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales rechtfertigt das Erfordernis der Adoptionsabsicht für die Gewährung von Karenzurlaubsgeld von Pflegeeltern und versucht darzutun, daß unter "Müttern" im Sinne der einschlägigen Gesetze nur leibliche Mütter (und Adoptivmütter), nicht aber Großmütter zu verstehen seien. Die subsidiäre Unterhaltspflicht der Großeltern trete nur bei Unfähigkeit der Eltern (zur Unterhaltsleistung), nicht schon dann ein, wenn sie unbekannten Aufenthaltes seien, und die finanzielle Leistungskraft der Großeltern dürfe auch nicht bis zur Höchstgrenze ausgeschöpft werden.

Die für Familienangelegenheiten zuständige Bundesministerin weist insbesondere auf den Unterschied zwischen einer Eltern-Kind-Beziehung und dem Verhältnis zwischen Großeltern und Enkeln hin; der Gesetzgeber habe zulässigerweise an die typische Beziehungslage angeknüpft.

2. Nach §144 ABGB haben die Eltern das minderjährige Kind zu pflegen und zu erziehen. Sind beide Eltern oder ist jener Elternteil, dem die Obsorge allein zukommt, gestorben oder sein Aufenthalt seit mindestens sechs Monaten unbekannt, kann die Verbindung mit ihm nicht oder nur mit unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten hergestellt werden oder ist ihm die Obsorge ganz oder teilweise entzogen, so hat das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes zu entscheiden, welchem Großelternpaar (Großelternteil) sie zukommen soll; die Regelungen über die Obsorge gelten dann für dieses Großelternpaar (diesen Großelternteil; §145 ABGB). Eine Obsorgepflicht für die Enkel - und um diese, nicht um die Unterhaltspflicht geht es im vorliegenden Zusammenhang - trifft die Großeltern kraft Gesetzes also nur unter besonderen Umständen, die außerdem teilweise - nämlich betreffs des Aufenthaltes, der Erreichbarkeit und der Pflichterfüllung - durch das Verhalten der Eltern bedingt ist; der Anlaß für das Eingreifen der Obsorgepflicht der Großeltern kann in solchen Fällen durch die Eltern bewußt herbeigeführt werden.

Der Gerichtshof geht davon aus, daß der Anspruch auf Karenzurlaub und Gewährung von Karenzurlaubsgeld in erster Linie dem Interesse des Kleinkindes an der persönlichen Betreuung durch seine Eltern Rechnung trägt. Angesichts des Unterschiedes zwischen der Mutter-(Vater-)Kind-Beziehung und dem Verhältnis von (berufstätigen) Großeltern zu ihrem Enkelkind und des öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Manipulationen mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme von (Karenzurlaub und) Karenzurlaubsgeld durch mangelnde Bereitschaft der Eltern, ihren Obsorgepflichten nachzukommen, ist die Beschränkung auf Mütter (Väter) keine unsachliche Differenzierung. Daß sich auch Großeltern ihrer Obsorgepflicht gegebenenfalls nicht entziehen können, ändert daran nichts. Das Interesse der Sorgepflichtigen ist nicht der einzige Gesichtspunkt für den Gesetzgeber.

Der Verfassungsgerichtshof sieht daher aus dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles keinen Anlaß, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes einzuleiten.

Da sich auch sonst kein Anhaltspunkt für die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte oder die Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm ergeben haben, ist die Beschwerde abzuweisen.

Dies kann, da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten ist, auch ohne mündliche Verhandlung geschehen (§19 Abs4 VerfGG).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Der von der belangten Behörde begehrte Schriftsatzaufwand ist nicht zuzusprechen, weil im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof eine sinngemäße Anwendung der für den Verwaltungsgerichtshof geltenden Kostenbestimmungen nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg. 7315/1974 und die dort angeführte Vorjudikatur).

Schlagworte

Arbeitslosenversicherung, Karenzurlaub

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B816.1994

Dokumentnummer

JFT_10049697_94B00816_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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