TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/9 W250 2239323-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.06.2021
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Entscheidungsdatum

09.06.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W250 2239323-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.01.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 05.11.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 06.11.2020 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er Afghanistan wegen der Religion und den Gesellschaftsproblemen verlassen habe. Er habe Angst um sein Leben gehabt. Sonst habe er keine weiteren Fluchtgründe. Er sei von den Taliban festgenommen und bedroht worden. Aus Angst um sein Leben habe er Afghanistan verlassen.

3. Am 26.01.2021 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren bezeichnet als Bundesamt bzw. belangte Behörde) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er im Alter von vier Jahren mit seiner Familie Afghanistan aufgrund des Krieges verlassen und fortan im Iran gelebt habe. Im Jahr 2017 sei die Familie nach Afghanistan zurückgekehrt wo der Beschwerdeführer Probleme mit den Taliban bekommen habe, da er überhaupt kein religiöser Mensch sei. Er sei nicht in die Moschee gegangen und deshalb sei er ca. drei Monate nach der Ankunft in Afghanistan von einem Nachbar - der ein Taliban gewesen sei - darauf angesprochen worden. Der Beschwerdeführer habe dem Nachbarn gesagt er würde nicht beten gehen und den Nachbarn würde das nichts angehen, woraufhin er von den Taliban mitgenommen und sechs Tage lang eingesperrt worden sei. Nachdem seine Mutter bei einem Mullah in der Moschee gewesen sei und darum gebeten habe, den Beschwerdeführer freizulassen, da er der älteste Sohn der Familie sei und diese versorgen müsse, sei er freigelassen worden. Nach der Freilassung seien die Taliban immer wieder vorbeigekommen um nachzusehen, weswegen sich der Beschwerdeführer verfolgt gefühlt habe. Dies sei der Grund gewesen warum er Afghanistan verlassen habe. Er habe sich ca. ein Jahr im Iran bei seinem älteren Bruder, danach ca. ein Jahr in der Türkei bei seinem Cousin und anschließend in Griechenland aufgehalten bis er schließlich drei Jahre nach seiner Ausreise aus Afghanistan in Österreich den gegenständlichen Antrag auf Asyl gestellt habe. Im Iran habe er nicht bleiben können, da er keine Dokumente gehabt habe und illegal aufhältig gewesen sei. Bei einer Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer von den Taliban umgebracht zu werden.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.01.2021, zugestellt am 03.02.2021, wies die belangte Behörde sowohl den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005 – AsylG (Spruchpunkt I.) als auch jenen auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Taliban den Beschwerdeführer nach der Freilassung weiterhin bedrohen sollten. Weitere Vorfälle habe er nicht angegeben. Die Angaben zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers seien vage, nicht plausibel nachvollziehbar und zum Teil widersprüchlich. Eine Bedrohungssituation im Falle der Rückkehr sei ebenso wenig feststellbar. Eine Rückkehr in die Heimatprovinz Kunduz sei zwar nicht möglich, eine innerstaatliche Alternative in Herat oder Balkh stehe dem Beschwerdeführer aber zur Verfügung, obwohl er in Afghanistan keine Familienangehörigen mehr habe. Er sei jung, gesund, arbeitsfähig und eine besondere Gefährdung durch den SARS-COV-2 Erreger könne für ihn nicht angenommen werden. Es sei dem Beschwerdeführer möglich gewesen ein Jahr im Iran und ein Jahr in der Türkei zu leben, und er sei trotz fehlender entsprechender Sprachkenntnisse in der Lage gewesen, sich alleine und vollkommen auf sich gestellt im Ausland zurechtzufinden. In Österreich habe er bisher noch keine Integrationsschritte gesetzt.

5. Mit Schreiben vom 25.02.2021, eingelangt am selben Tag, erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuung und Unterstützungsleistungen GmbH, fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid vom 29.01.2021. Darin beantragte er, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, die Behebung des angefochtenen Bescheides und die Gewährung des Status des Asylberechtigten, in eventu die Behebung des angefochtenen Bescheides bezüglich des Spruchpunktes II. und die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie die Behebung des Bescheides bezüglich der Spruchpunkte III. bis VI. und die Gewährung eines Aufenthaltstitels, in eventu die Zurückverweisung an die belangte Behörde.

In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe sich nicht hinreichend mit den relevanten Länderinformationen und seinem Fluchtvorbringen auseinandergesetzt. Hätte sie dies getan und die persönliche Situation des Beschwerdeführers ausreichend erhoben, hätte sie zum Schluss kommen müssen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Verfolgung drohe, und dass ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe. Der Beschwerdeführer sei von den Taliban gezwungen worden die Moschee zu besuchen und mehrmals von ihnen belästigt und misshandelt worden. Er sei aufgrund seiner religiösen Einstellung asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei ihm nicht zumutbar, da der Beschwerdeführer lange Zeit nicht in Afghanistan gelebt habe und ihm kein Unterstützungsnetzwerk in Afghanistan zur Verfügung stehe. Außerdem betreibe er einen westlichen Lebensstil.

6. Am 03.03.2021 langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Am 12.04.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi bzw. Persisch, sowie der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers statt, bei welcher der Beschwerdeführer einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern.

Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer insbesondere ausführlich zu seiner Identität, seiner Herkunft, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen Familienverhältnissen und seinem Leben in Afghanistan und Pakistan, seinen Fluchtgründen sowie seinem Leben in Österreich befragt. Das erkennende Gericht brachte neben dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren ein.

Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, dass er seit seinem Aufenthalt im Iran vom islamischen Glauben abgefallen sei und bei seiner Rückkehr nach Afghanistan im Jahr 2017 aufgrund dessen in das Visier der Taliban geraten und von diesen verfolgt worden sei. Er sei von einem Nachbarn und weiteren Männern im Dorf, die Mitglieder der Taliban seien, drei Monate nach seiner Ankunft in Afghanistan festgenommen und sechs Tage lang angehalten worden. Nach Intervention durch seine Mutter bei dem Mullah im Dorf sei er freigelassen worden und habe fortan die Moschee besucht. Als einige Zeit später erneut Taliban im Familienhaus nach dem Beschwerdeführer gesucht hätten, habe er das Land verlassen. Aus den Länderberichten gehe eindeutig hervor, dass Apostasie in Afghanistan ein Verbrechen sei und dafür die Todesstrafe drohe. Es gebe für den Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative und ihm drohe asylrelevante Verfolgung. Den Länderberichten sei ebenso zu entnehmen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan äußerst volatil sei. Der Beschwerdeführer habe den Großteil seines Lebens im Iran verbracht und es drohe ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine ausweglose Situation.

In Ergänzung zu den bereits vorgelegten Unterlagen legte der Beschwerdeführer Unterlagen über seine Integrationsbemühungen, eine Deutschkursbestätigung vom 02.04.2021 und ein Empfehlungsschreiben der Unterkunft vom 07.04.2021, vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zum Beschwerdeführer:

1.1.1. Zu seiner Person:

Der ledige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Usbeken an. Der Beschwerdeführer war ursprünglich Moslem, er ist ca. im Jahr 2017 vom Islam abgefallen und bekennt sich seither zu keiner Religionsgemeinschaft. Der Beschwerdeführer spricht Usbekisch als Muttersprache, er spricht außerdem noch Farsi, Türkisch und etwas Englisch (AS 29, OZ 4 Verhandlungsprotokoll vom 12.04.2021; S. 2, 5, 6).

Der Beschwerdeführer wurde im Ort XXXX in der Provinz Kunduz in Afghanistan geboren. Im Alter von vier Jahren verließ er mit seiner Familie Afghanistan und lebte fortan im Iran in XXXX . Der Beschwerdeführer lebte 13 Jahre lang im Iran und verbrachte nur seine ersten vier Lebensjahre und später sechs Monate in Afghanistan. Im Jahr 2017 kehrte der Beschwerdeführer mit seiner Familie nach Afghanistan in den Heimatort zurück. Die Familie des Beschwerdeführers hat ein Haus und ein Grundstück im Heimatort. Dort arbeiteten sie und betrieben Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer hielt sich im Jahr 2017 ca. sechs Monate im Heimatort auf, bevor er Afghanistan in Richtung Europa verließ (AS 29, AS 59, OZ 4; S. 5, 6, 7, 8).

Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seinem kranken Vater, seiner Mutter, seinen fünf Brüdern und einer Schwester. Bis auf einen Bruder sind alle Geschwister jünger als der Beschwerdeführer. Die Familie lebt momentan illegal, seit mindestens einem halben Jahr wieder im Iran, in XXXX . Die Familie lebt vom Einkommen zweier Brüder des Beschwerdeführers die als Hilfsarbeiter arbeiten. Die finanzielle Situation der Familie ist schlecht. Ein Onkel väterlicherseits kümmert sich um das Haus und die Grundstücke der Familie im Heimatort in Afghanistan. Der Beschwerdeführer kennt diesen Onkel nicht. Außerdem hat der Beschwerdeführer noch eine Großmutter und einen Onkel mütterlicherseits im Geburtsort in Afghanistan. Er hat keinen Kontakt zu diesen Familienangehörigen in Afghanistan. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig, bis zu zweimal pro Woche, Kontakt mit seiner Familie im Iran. Der Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr nicht finanziell von seiner Familie im Iran unterstützt werden. (AS 33, AS 61, OZ 4; S. 8, 9,11).

Der Beschwerdeführer besuchte im Iran ein Jahr lang eine afghanische Schule und ca. vier Jahre lang eine iranische Schule. Er kann rechnen und Dari bzw. Farsi lesen, selber schreiben kann er nur am Computer. Der Vater des Beschwerdeführers versorgte im Iran als Hilfsarbeiter die Familie. Nach dessen Erkrankung XXXX arbeitete der Beschwerdeführer selbst als Hilfsarbeiter in Geschäften, als Steinmetz und auf Baustellen als Tagelöhner. Er hat keinen Beruf erlernt (AS 31, AS 61., OZ 4; S. 7).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer ist gesund (AS 59, OZ 4; S.6).

Der Beschwerdeführer bemühte sich während seines kurzen Aufenthaltes um seine Integration. Der Beschwerdeführer besucht seit vier Monaten einen Deutschkurs. Obwohl er erst seit kurzem in Österreich ist, kann er bereits Fragen in einfachem Deutsch verstehen und beantworten. Der Cousin seines Vaters lebt in Österreich und unterstützt den Beschwerdeführer unter anderem finanziell, sie sehen einander regelmäßig ca. drei Tage im Monat (OZ 4; S.11).

1.1.2. Zur befürchteten Verfolgung in Afghanistan:

1.1.2.1. Zur vorgebrachten Verfolgung: Abfall vom Islam

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan im Alter von vier Jahren mit seiner Familie aufgrund des Krieges im Jahr 2004 und lebte fortan 13 Jahre lang im Iran. Sein Vater war streng gläubig. Im Alter von 17 Jahren wandte sich der Beschwerdeführer vom Islamischen Glauben ab und verweigerte es zu beten oder eine Moschee zu besuchen. Er kehrte im Jahr 2017 mit seiner Familie nach Afghanistan in den Heimatort zurück. Ein Nachbar, der ein Mitglied der Taliban war, wurde ca. drei Monate nach der Ankunft im Heimatort darauf aufmerksam, dass der Beschwerdeführer die Moschee nicht besuchte und stellte ihn zur Rede. Der Beschwerdeführer sagte er sei nicht gläubig, bete nicht und möchte ein selbstbestimmtes Leben führen, woraufhin der Nachbar mit weiteren Mitgliedern der Taliban aus dem Dorf den Beschwerdeführer festgenommen und sechs Tage festgehalten hat. Die Mutter des Beschwerdeführers bat bei dem Mullah im Dorf um Freilassung des Beschwerdeführers, und versprach, dass er fortan beten und die Moschee besuchen werde. Da der Vater erkrankt war brauchte sie den Beschwerdeführer um für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin freigelassen und besuchte fortan ab und zu die Moschee. Einige Zeit später suchten erneut Taliban im Familienhaus nach dem Beschwerdeführer um ihn für seinen Abfall vom Islam zu bestrafen, als dieser gerade am Feld arbeitete. Als er davon erfuhr verließ er umgehend das Land und reiste in den Iran wo er ein Jahr bei seinem älteren Bruder lebte und von diesem versorgt wurde. Dieser bezahlte ihm die Weiterreise in die Türkei wo er ein Jahr bei seinem Cousin lebte. Danach reiste er in Richtung Europa (OZ 4; S.13), wo er am 05.11.2020 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf Asyl stellte.

Der Beschwerdeführer ist aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen. Er versteht seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal, die er auch bei einer Rückkehr in seinem Heimatstaat Afghanistan leben wird.

Dem Beschwerdeführer droht Lebensgefahr durch die Taliban im Herkunftsort aufgrund seines Abfalles vom Islam. Der Beschwerdeführer ist den Taliban im Herkunftsort bekannt.

1.1.2.2. Zum Leben des Beschwerdeführers im Iran

Der Beschwerdeführer verbrachte den Großteil seines Lebens nicht in seinem Heimatland Afghanistan, sondern im Iran. Im Iran hielt er sich 13 Jahre auf, in Afghanistan insgesamt viereinhalb Jahre (OZ 4; S.13).

In einem anderen Landesteil als seiner Herkunftsprovinz in Afghanistan war er noch nie.

1.1.2.3. Zur Bedrohung bei einer Rückkehr

Der Beschwerdeführer befürchtet im Fall einer Rückkehr in sein Heimatdorf nach Afghanistan aufgrund seines Abfalls vom Islam und der Drohungen der Taliban gegen ihn verfolgt zu werden.

Bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf in Afghanistan läuft der Beschwerdeführer Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in seine Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch die Taliban ausgesetzt zu sein. Der afghanische Staat ist derzeit nicht in der Lage, den Beschwerdeführer in seinem Heimatdorf im Heimatland hinreichend vor diesen Bedrohungen zu schützen.

Die Bedrohung des Beschwerdeführers ist aktuell.

Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative nicht zur Verfügung. Der Beschwerdeführer verbrachte den Großteil seines Lebens im Iran. Er hat keinen Kontakt zu Verwandten in Afghanistan, seine Familie lebt im Iran und könnte ihn von dort aus nicht finanziell unterstützen (OZ 4; S.9). Der Beschwerdeführer verfügt nur über eine geringe Schulbildung und keine Berufsausbildung. Seine Berufserfahrung sammelte er als Minderjähriger im Alter von ca. 16 bis 17 Jahren, diese beschränkt sich auf kurzfristige Hilfsarbeiten (OZ 4; S.8).

Gründe, nach denen ein Ausschluss des Beschwerdeführers hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, liegen im Verfahren nicht vor.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:

?        Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 01.04.2021

?        UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018

?        EASO Country Guidance Afghanistan, Dezember 2020

?        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage von Personen, die vom islamischen Glauben abgefallen sind, von KonvertitInnen, von Personen, die sich nicht an islamische Regeln halten und von Personen, die öffentlich Kritik am Islam üben: Behandlung durch Gesellschaft und Staat; Möglichkeiten zur Ausübungen christlicher Religion; Veränderungen hinsichtlich der Lage von ChristInnen; Gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa, 15.06.2020

1.2.1. Zur Herkunftsprovinz Kunduz aus dem Länderinformationsblatt

„Die Provinz Kunduz liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Tadschikistan, im Osten an die Provinz Takhar, im Süden an die Provinz Baghlan und im Westen an die Provinz Balkh (UNOCHA Kunduz 4.2014). Die Provinzhauptstadt ist Kunduz (Stadt) (OP Kunduz 01.02.1017). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Ali Abad, Chahar Darah (Chardarah), Dasht-e-Archi, (Hazrati) Imam Sahib, Khan Abad, Kunduz und Qala-e-Zal (NSIA 01.06.2020; cf. IEC Kunduz 2019), sowie die temporären Distrikte Aqtash, Calbad (Gulbad) und Gultipa (NSIA 01.06.2020). Ihre Schaffung wurde vom Präsidenten nach Inkrafttreten der Verfassung von 2004 aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, während das Parlament seine Zustimmung (noch) nicht erteilt hat (AAN 16.08.2018).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Kunduz im Zeitraum 2020-21 auf 1.136.677 Personen, 365.529 davon in der Provinzhauptstadt (NSIA 01.06.2020). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara, Aymaq und Pashai (NPS Kunduz o.D.; vgl. OP Kunduz 01.02.2017).

Strategisch wurde Kunduz als „Tor im Norden“ zu den bodenschatzreichen Provinzen und nach Zentralasien bezeichnet. Es ist ein Knotenpunkt für Transport (REU 14.09.2020) und Drogenschmuggel (REU 14.09.2020; vgl. UNSC 27.05.2020). Ein Abschnitt des asiatischen Highway AH7 führt von Kabul aus durch die Provinzen Parwan und Baghlan und verbindet die Hauptstadt mit der Provinz Kunduz und dem Grenzübergang nach Tadschikistan beim Hafen von Sher Khan (auch Sher Khan Bandar) (MoPW 16.10.2015; vgl. LCA 24.04.2019, RFE/RL 26.08.2007). Der National Highway 93 (NH93) verläuft von Kunduz ostwärts durch den Distrikt Khanabad nach Takhar und Badakhshan (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA Kunduz 4.2014, AAN 12.10.2016). In Richtung Khulm in der Provinz Balkh im Westen befindet sich ein National Highway derzeit in Bau. Es wird erwartet, dass die Wegstrecke und -zeit zwischen Kunduz und Khulm durch seine Fertigstellung erheblich verkürzt wird (GAFG 23.08.2020, GIZ 7.2019).

Laut Bewohnern von Kunduz stellt die Unsicherheit auf den Landrouten in der Provinz eine große Herausforderung dar (FRP 30.09.2020; vgl. PAJ 22.06.2020). Die Strecke von Kunduz in Richtung Süden nach Baghlan wurde im Juni 2020 als „gut gepflastert und ruhig“ beschrieben, wiewohl sie teilweise durch Taliban-Territorium führt (TEL 10.06.2020). Aufständische errichten dort (TEL 10.06.2020, PAJ 22.06.2020) wie auch auf der Strecke Takhar-Kunduz Kontrollpunkte (PAJ 22.06.2020, ST 08.06.2020, AAN 21.03.2020). Der NH93 zwischen Takhar und Kunduz war zudem im Jahr 2020 wegen Kämpfen vorübergehend gesperrt (XI 06.10.2020, MENAFN 15.08.2020, ST 08.06.2020).

Mit Stand November 2020 gibt es Linienflugverbindungen zwischen Kabul und Kunduz (Kam Air Kunduz o.D., FRP 30.09.2020).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteuren

Kunduz war die letzte Taliban-Hochburg vor deren Sturz 2001 (RFE/RL o.D.). Sowohl 2015 als auch 2016 kam es zu einer kurzfristigen Einnahme der Provinzhauptstadt Kunduz City durch die Taliban (UNAMA 24.02.2019), und auch Ende August 2019 nahmen die Taliban kurzzeitig Teile der Stadt ein (BAMF 02.09.2019): Keine andere Provinzhauptstadt ist von allen Seiten so nachhaltig unter Druck geraten. Die Taliban infiltrieren weiterhin ihre Außenbezirke (AAN 12.10.2020). Laut einer Quelle vom Oktober 2019 versuchen die Taliban, Kunduz-Stadt jährlich anzugreifen, um zu zeigen, dass sie dazu fähig sind (STDOK 21.07.2020). Im November 2020 schätzte das Long War Journal (LWJ) die Distrikte Aqtash, Calbad, Dasht-e-Archi, Gultipa und Khan Abad im Osten sowie Qala-e-Zal im Westen als unter Talibankontrolle stehend ein. Die übrigen Distrikte galten als umstritten (LWJ o.D.), während eine andere Quelle schätzte, dass im Oktober 2019 ganz Kunduz abseits seiner Verwaltungszentren unter der Kontrolle der Taliban stand (STDOK 21.07.2020).

Al Qaida ist in der Provinz verdeckt aktiv. Darüber hinaus operiert das unter dem Kommando und der finanziellen Kontrolle der Taliban stehende Islamic Movement of Uzbekistan (IMU, manchmal auch Jundullah genannt) und auch das Eastern Turkestan Islamic Movement (ETIM) in Kunduz (UNSC 27.05.2020). Nach afghanischen Militäroperationen in Kunduz in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 zerstreuten sich ausländische terroristische Kämpfer aus China, Pakistan, Tadschikistan, Usbekistan und anderswo in kleine Gruppen und flüchteten in andere Provinzen (UN-Sicherheitsrat 20.01.2020). 2019 wurde berichtet, dass Zellen des Islamischen Staates in Kunduz aufgetaucht seien (NYT 14.06.2019; vgl. JF 06.04.2018) [zu einer Präsenz des ISKP in Kunduz konnten jedoch keine aktuellen Informationen gefunden werden, Anm.].

Auf Regierungsseite befindet sich Kunduz im Verantwortungsbereich des 217. Afghan National Army (ANA) „Pamir“ Corps (USDOD 01.07.2020, TST 17.06.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, die von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Ende November zog die Bundeswehr aus ihrem Stützpunkt in Kunduz ab. Die Soldaten wurden nach Mazar-e Sharif verlegt (BAMF 30.11.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[...] Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 444 zivile Opfer (194 Tote und 250 Verletzte) in der Provinz Kunduz. Dies entspricht einem Rückgang von 11% gegenüber 2019. Die Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2021).

Ende August und im Mai 2020 starteten die Taliban Offensiven gegen die Stadt Kunduz, wobei sie im August mehrere Kontrollpunkte und zwei Stützpunkte an den Hauptverkehrsstraßen in die Stadt einnahmen und im Mai Außenposten im Sicherheitsgürtel um die Stadt aus mehreren Richtungen angriffen. Unterstützt von der afghanischen Luftwaffe konnten beide Offensiven schließlich abgewehrt werden (REU 14.09.2020, NYT 19.05.2020, FR24 19.05.2020, WP 19.05.2020). Weitere Taliban-Angriffe auf Distriktzentren (XI 08.09.2020, NYTM 30.04.2020) und Sicherheitsposten in verschiedenen Distrikten wurden gemeldet (GW 03.11.2020, NYTM 29.10.2020, XI 28.09.2020), PT 20.09.2020, NYTM 28.08.2020, VOA 20.07.2020, TST 17.06.2020, NYTM 30.04.2020, NYTM 27.02.2020, GW 16.01.2020) und die Regierungstruppen führten in Kunduz Operationen und Vergeltungsschläge aus der Luft durch (XI 06.10.2020, PT 20.09.2020, MENAFN 21.08.2020, KP 17.12.2019).

Es wurde über Vorfälle mit IEDs berichtet, wie z.B. Detonationen von Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 29.10.2020, NYTM 01.10.2020, AJ 02.06.2020, NYTM 27.02.2020, PAJ 14.02.2020) und eines an einem Fahrzeug befestigten IEDs (vehicle-borne IED, VBIED) in Kunduz-Stadt (FR24 19.05.2020). Auch fand ein Angriff auf Sicherheitspersonal auf dem Gelände des Gouverneursgebäudes in Kunduz-Stadt statt, bei dem möglicherweise ein an einer kleinen Drohne befestigter Sprengsatz verwendet wurde (NYT 01.11.2020b; vgl. TRT 24.11.2020). Weiters wurde auch über Entführungen und Tötungen in der Provinz berichtet (NYTM 29.10.2020, NYTM 27.02.2020). […]“

1.2.2. Regierungsfeindliche Gruppierungen, Taliban aus dem Länderinformationsblatt

„Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.02.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019).

Taliban

Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.05.2020). Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt (EASO 8.2020c; vgl. USIP 11.2019), und haben sich zu einem lokalen Regierungsakteur im Land entwickelt, indem sie Territorium halten und damit eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften übernehmen (EASO 8.2020c; vgl. USIP 4.2020). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.05.2020).

Das wichtigste offizielle politische Büro der Taliban befindet sich in Katar (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020). Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.08.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.05.2020, AnA 28.07.2020) - Stellvertreter sind der Erste Stellvertreter Sirajuddin Jalaluddin Haqqani (Leiter des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] (EASO 8.2020c; vgl. FP 09.06.2020) und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020).

Mitte Juni 2020 berichtete das Magazin Foreign Policy, dass Akhundzada und Jalaluddin Haqqani und andere hochrangige Taliban-Führer sich mit dem COVID-19-Virus angesteckt hätten und dass einige von ihnen möglicherweise sogar gestorben seien sowie dass Mullah Mohammad Yaqoob Taliban- und Haqqani-Operationen leiten würde. Die Taliban dementierten diese Berichte (EASO 8.2020c; vgl. FP 09.06.2020, RFE/RL 02.06.2020).

Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 04.07.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 06.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.04.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 05.03.2020). Während der US-Taliban-Verhandlungen war die Führung der Taliban in der Lage, die Einheit innerhalb der Basis aufrechtzuerhalten, obwohl sich Spaltungen wegen des Abbruchs der Beziehungen zu Al-Qaida vertieft haben (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020). Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban-Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami (Islamische Gouverneurspartei oder Islamische Vormundschaftspartei) bekannt ist (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020). Die Gruppe ist gegen den US-Taliban-Vertrag und hat Verbindungen in den Iran (EASO 8.2020c; vgl. RFE/RL 09.06.2020). Eine gespaltene Führung bei der Umsetzung des US-Taliban-Abkommens und Machtkämpfe innerhalb der Organisation könnten den möglichen Friedensprozess beeinträchtigen (EASO 8.2020c; vgl. FP 09.06.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.06.2017).

Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen absolviert haben und ethnische Paschtunen sind (EASO 8.2020c; vgl. Osman 01.06.2020). Schätzungen der aktiven Kämpfer der Taliban reichen von 40.000 bis 80.000 (EASO 8.2020c; vgl. NYT 12.09.2019) oder 55.000 bis 85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf bis zu 100.000 ansteigt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.05.2020, UNSC 27.05.2020). Obwohl die Mehrheit der Taliban immer noch Paschtunen sind, gibt es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) innerhalb der Taliban (LI 23.08.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.08.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll zwölf Ableger in acht Provinzen haben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Sar-e Pul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig, und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.08.2019).

Nach Erkenntnissen von AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) sind die durch Taliban-Angriffe verursachten zivilen Opfer im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 um 40% zurückgegangen. Der Hauptgrund für diesen Rückgang könnte sein, dass keine komplexen und Selbstmordattentate in den großen Städten des Landes durchgeführt werden. Im Jahr 2020 wurden in Afghanistan insgesamt 4.567 Zivilisten durch Taliban-Angriffe getötet oder verletzt, während im gleichen Zeitraum 2019 die Gesamtzahl der durch Taliban-Angriffe verursachten zivilen Opfer bei 7.727 lag (AIHRC 28.01.2021).“

1.2.3. Interne Schutzalternative aus den UNHCR Richtlinien

„1. Analyse der Relevanz

I. Gebiete in Afghanistan, die keine interne Schutzalternative bieten Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz vor derartigen Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist UNHCR der Ansicht, dass eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben ist, es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragstellende über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative auch in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben ist.

II. Prüfung, ob der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet der ursprünglichen Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre Ein als interne Schutzalternative vorgeschlagenes Gebiet wäre nicht relevant, wenn der Antragsteller in diesem Gebiet der ursprünglichen Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre.

1. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung durch den Staat oder in dessen Auftrag handelnde Stellen, ist davon auszugehen, dass Überlegungen hinsichtlich einer internen Schutzalternative nicht relevant sind.

2. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung, die von Mitgliedern der Gesellschaft aufgrund schädlicher traditioneller Bräuche und religiöser Normen ausgeht, die Verfolgungscharakter aufweisen, so muss die Akzeptanz solcher Normen und Bräuche in weiten Teilen der Gesellschaft und die einflussreichen konservativen Elemente auf allen Ebenen der Regierung als ein Faktor in Betracht gezogen werden, der gegen die Relevanz einer internen Schutzalternative spricht. UNHCR vertritt den Standpunkt, dass – verbunden mit den Nachweisen in Abschnitt II.C betreffend die eingeschränkte Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten, – davon auszugehen ist, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative in diesen Fällen nicht relevant ist.

3. In Fällen, in denen die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, muss die Relevanz einer vorgeschlagenen Schutzalternative unter Berücksichtigung einer Reihe verschiedener Elemente beurteilt werden.

(i) Geht die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften aus, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban und des Islamischen Staates, existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative.

(ii) Ferner müssen die Nachweise in Abschnitt II.C hinsichtlich der aufgrund ineffektiver Regierungsführung und weit verbreiteter Korruption eingeschränkten Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu bieten, berücksichtigt werden.

III. Prüfung, ob der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet neuen Gefahren der Verfolgung oder anderen Form ernsthaften Schadens ausgesetzt wäre Neben den oben genannten Überlegungen zur ursprünglichen Form der Verfolgung im Heimatgebiet des Antragstellers muss der Entscheidungsträger auch nachweisen, dass der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet keiner neuen Form der Verfolgung und keinem anderen ernsthaften Schaden – etwa infolge willkürlicher Gewalt – ausgesetzt wäre.

IV. Prüfung, ob das als interne Schutzalternative vorgeschlagene Gebiet praktisch, sicher und auf legalem Weg erreichbar ist.“

1.2.4. Religionsfreiheit, Apostasie, Blasphemie, Konversion aus dem Länderinformationsblatt

„Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 06.10.2020; vgl. AA 16.07.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha‘i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus (AA 16.07.2020; vgl. CIA 06.10.2020, USDOS 10.06.2020). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 10.06.2020). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.08.2019; vgl. BBC 11.04.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (USDOS 10.6.2020).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 10.06.2020; vgl. FH 04.03.2020). Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 10.06.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.07.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 10.06.2020), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 10.06.2020). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 08.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 10.06.2020). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.06.2020).

Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 10.06.2020). Das neue Strafgesetzbuch 2017, das im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 10.06.2020; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 10.06.2020).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 10.06.2020).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 04.03.2020; vgl. USDOS 10.06.2020).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 04.03.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 10.06.2020; vgl. FH 04.03.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 10.06.2020).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 10.06.2020). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 10.06.2020).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 10.06.2020).

(…)

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (FH 04.03.2020; vgl AA 16.07.2020, USDOS 10.06.2020).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 16.07.2020). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 10.06.2020) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.05.2017: Art. 323).

Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020); jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.06.2020) Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen (LIFOS 21.12.2017; vgl. RA KBL 10.06.2020) - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen, und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird (AA 16.07.2020). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 04.03.2020). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 04.03.2020).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 10.06.2020).“

1.2.5. Actors of persecution or serious harm, aus der EASO Country Guidance Afghanistan

“Anti-government elements:

The Taliban are considered as the most powerful anti-government group and control large parts of Afghanistan. They position themselves as the shadow government of Afghanistan, and their commission and governing bodies replicate the administrative offices and duties of a typical government. Regarding militant operations, it is a networked insurgency, with strong leadership at the top and decentralised local commanders who can mobilise resources at the district level. The Taliban are accused of targeted killings, they have also been involved in deliberate targeting of civilians and in both indiscriminate and targeted attacks against civilian objects. They continue to operate parallel justice mechanisms, based on a strict interpretation of the Sharia, leading to executions by shadow courts and punishments deemed to be cruel, inhuman, and degrading. The Taliban have also been reported to use torture against detainees.

Anti-Government Elements A number of armed insurgent groups, or Anti-Government Elements (AGEs) are operating on the territory of Afghanistan. The groups are responsible for a wide range of human rights violations. Their targets differ, often depending on the political or military objectives of the respective group. The most significant groups are listed in this section. a. Taliban The Taliban are considered as the most powerful group and control large parts of Afghanistan (see Overview: areas of control). They position themselves as the shadow government of Afghanistan, and their commission and governing bodies replicate the administrative offices and duties of a typical government. The Taliban have become an organised political movement and have evolved to become a local governance actor in the country by gaining and holding territory and thereby undertaking some responsibility for the well-being of local communities. Regarding militant operations, it is a networked insurgency, with strong leadership at the top and decentralised local commanders who can mobilise resources at the district level [Anti-government elements, 2.1]. Throughout the US-Taliban negotiations, and despite the reshuffling of its provincial appointments, the Taliban leadership has been able to maintain unity within the rank and file, although there are deepening divisions around cutting ties with Al Qaeda. For the most part, the leadership has been united in favour of pursuing the talks with the US. However, some splinter groups of the Taliban are opposing the US deal and possible leadership divisions could impact the potential peace process [Anti-government elements, 2.1]. The Taliban are accused of targeted killings and have also been involved in deliberate targeting of civilians and in both indiscriminate and targeted attacks against civilian objects. They continued to operate parallel justice mechanisms, based on a strict interpretation of the Sharia, leading to executions by shadow courts and punishments deemed to be cruel, inhumane and degrading. The Taliban have also been reported to use torture against detainees [Anti-government elements, 2.5; Criminal law and customary justice, 1.8].”

1.2.6. Risikoprofil: Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Internationaler Schutzbedarf aus den UNHCR Richtlinien

„Die Verfassung sieht vor, dass Anhänger anderer Religionen als dem Islam „innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte“. Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist und „kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf”. Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitisch-islamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist. Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen, in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.

a) Religiöse Minderheiten

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin im geltenden Recht diskriminiert. Wie oben dargestellt gilt gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch das kodifizierte Recht Afghanistans entsprechende Bestimmungen enthalten, die sunnitische Hanafi-Rechtsprechung. Dies gilt für alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion. Die einzige Ausnahme bilden personenstandsrechtliche Angelegenheiten, bei denen alle Parteien Schiiten sind. In diesem Fall wird das schiitische Personenstandsrecht angewendet. Für andere religiöse Minderheiten gibt es kein eigenes Recht.

Das Strafgesetzbuch von 2017 enthält Bestimmungen hinsichtlich „Straftaten, die eine Beleidigung einer Religion darstellen“, denen zufolge die vorsätzliche Beleidigung einer Religion oder die Störung ihrer Zeremonien oder die Zerstörung ihrer genehmigten Gebetsstätten oder Symbole, die den Anhängern einer Religion heilig sind, strafbar ist. Ebenfalls strafbar ist der Angriff auf einen Anhänger einer Religion, der in der Öffentlichkeit rechtmäßig religiöse Rituale vollzieht oder die Herabwürdigung oder Verzerrung des Glaubens oder der Bestimmungen des Islams. Ferner steht auch die Anstiftung zur Diskriminierung aufgrund der Religion unter Strafe.

Ungeachtet dessen werden nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftlich schikaniert und in manchen Fällen tätlich angegriffen. Es heißt, dass Angehörige religiöser Minderheiten wie Baha’i und Christen es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung vermeiden, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln. Es wird berichtet, dass sich nicht-muslimische Frauen genötigt sehen, eine Burka oder andere Gesichtsschleier zu tragen, um sich sicherer in der Öffentlichkeit bewegen zu können und den gesellschaftlichen Druck zu verringern.

Im Zeitraum vom 1. Januar bis 7. November 2017 „dokumentierte [UNAMA] 51 – hauptsächlich auf regierungsfeindliche Kräfte zurückzuführende – Fälle gezielter Tötungen, Entführungen, und Einschüchterungen von Religionsgelehrten und religiösen Führern, sowie Anschlägen auf Gebetsstätten und Personen, die ihr Recht auf Religionsausübung durch Gottesdienst, Bräuche und Riten wahrnahmen. Diese Zwischenfälle forderten 850 Opfer unter der Zivilbevölkerung (273 getötete und 577 verletzte Personen), was fast eine Verdoppelung der zivilen Opferzahlen derartiger Angriffe im gesamten zurückliegenden Siebenjahreszeitraum von 2009 bis 2015 darstellt.” 2016 und 2017 wurden religiöse Führer Berichten zufolge in fortlaufendem und steigendem Maße zum Ziel von Tötung, Entführung, Bedrohung und Einschüchterung – hauptsächlich ausgeübt durch regierungsfeindliche Kräfte. Ferner wird berichtet, dass auch religiöse Gelehrte mehrmals durch regierungsfeindliche Kräfte angegriffen wurden, während regierungsnahe Kräfte gezielt gegen Imame von Moscheen, die angeblich regierungsfeindliche Kräfte unterstützten, vorgingen.

Analysten äußerten ihre Besorgnis, dass gewisse Bestimmungen eines neuen Gesetzesentwurfs zur Versammlungsfreiheit ganz besonders die Rechte religiöser Minderheiten einschränken würden. Der Gesetzesentwurf stellt Berichten zufolge „Ansammlungen, Streiks, Demonstrationen, Sitzstreiks zur Durchsetzung ethnischer, religiöser und regionaler Forderungen” als gesetzwidrige Proteste unter Strafe.

(…)

b) Konversion vom Islam

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie, also als Glaubensabfall betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tode bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, sie fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten „ungeheuerlichen Straftaten“, die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grund und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen Berichten zufolge um ihre persönliche Sicherheit fürchten.

Bekehrungsversuche, um Personen zum Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion zu bewegen, sind Berichten zufolge laut der Hanafi Rechtslehre ebenfalls rechtswidrig und es stehen darauf dieselben Strafen wie für Apostasie. Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können, so wird berichtet, selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. In der Regel haben Beschuldigte laut Berichten indes keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien.

c) Andere Handlungen, die gegen die Scharia verstoßen

Neben den Bestimmungen des Strafgesetzbuches von 2017, die die Beleidigung oder Verzerrung der religiösen Überzeugungen des Islams unter Strafe stellen, stützen sich afghanische Gerichte auch in Bezug auf Blasphemie auf islamisches Recht. Gemäß der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte stellt Blasphemie ein Kapitalverbrechen dar. Geistig zurechnungsfähige Männer über 18 Jahren und Frauen über 16 Jahren, die der Blasphemie bezichtigt werden, kann daher die Todesstrafe drohen. Wie auch bei Apostasie haben die Beschuldigten drei Tage Zeit, um ihre Handlungen zu widerrufen, wobei es laut Berichten unter Scharia-Recht kein eindeutiges Verfahren für den Widerruf gibt.

Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs).

d) Zusammenfassung UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass für Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, einschließlich Personen, die der Blasphemie oder der Konversion vom Islam bezichtigt werden, sowie für Angehörige religiöser Minderheiten abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu bieten.“

1.2.7. Risikoprofil: Personen, die vermeintlich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen, Internationaler Schutzbedarf aus den UNHCR Richtlinien

„Die Taliban haben Berichten zufolge Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht, die in der Wahrnehmung der Taliban gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen haben.

In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters tätig sind ,in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder Tabak konsumieren. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft, ja sogar getötet. In Gebieten, die von mit dem Islamischen Staat verbundenen Gruppen kontrolliert werden, wird Berichten zufolge ein sittenstrenger Lebensstil durch strikte Vorschriften und Bestrafungen durchgesetzt. Es wird berichtet, dass Frauen strenge Regeln, einschließlich Kleidungsvorschriften, und eingeschränkte Bewegungsfreiheit auferlegt wurden.

UNHCR ist auf Grundlage der oben dargelegten
Begründung der Ansicht, dass für Personen, die in der Wahrnehmung regierungsfeindlicher Kräfte gegen deren Auslegung islamischer Grundsätze, Normen und Werte verstoßen, – abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles – ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion, der ihnen zugeschriebenen politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen Verfolgung zu bieten, bestehen kann.“

1.2.8. Ethnische Gruppen: Usbeken aus dem Länderinformationsblatt

„In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 36 Mio. Menschen (NSIA 6.2020; vgl. CIA 16.02.2021). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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