TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/5 W182 2231664-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.07.2021
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Entscheidungsdatum

05.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W182 2231664-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Klaus KOCHER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2020, Zl. 1073063607/200130497, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I. Nr. 33/2013 (VwGVG) idgF, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der tadschikischen Volksgruppe an, stammte aus Kabul und reiste am 10.06.2015 ins Bundesgebiet ein, wo er am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Nach einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11.06.2015 sowie einer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 03.10.2016 wurd dem Antrag auf internationalen Schutz des BF mit Bescheid der letztgenannten Behörde vom 08.10.2016, Zl. 1073063607 – 150649867/BMI-BFA_STM_AST_01_TEAM_01, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass dem BF kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

In einem Aktenvermerk „betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten“ des Bundeamtes vom 08.10.2016 wurde u.a. zum BF ausgeführt:

„[…] Der Antragsteller hat Kabul verlassen, da er sich davor fürchtet, als Christ in Afghanistan verfolgt zu werden. Sein Interesse für das Christentum und der Konversion erlangte der Ast bereits in Afghanistan, da seine Schwester bereits zum Christentum konvertierte. Aus Angst vor Verfolgung und Diskriminierung hat er jedoch seinen Glauben vorerst geheim gehalten, auch vor seinen Eltern. Der Vater ist XXXX in Kabul und befürchtete der ASt eine Verfolgung der Familie. Die Taufe erfolgte am XXXX in der Türkei (Taufzertifikat der XXXX Evangelischen Kirche, XXXX , Istanbul, Türkei) Die Bedrohung wurde glaubhaft dargelegt. Der ASt hat ebenfalls glaubhaft dargelegt, warum er sich vom islamischen Glauben abgewandt und sich dem Christentum zugewandt hat. Er hat Kenntnisse über das Christentum wie aus der Einvernahme vor dem BFA hervorgeht. Da der ASt selbst in Kabul XXXX studiert hat, ist ihm sehr wohl bewusst, dass die Apostasie auch Konsequenzen nach dem Sharia-Recht nach sich ziehen würde, was sich im Fall einer Rückkehr auf die Familie auswirken würde. Eine Schwester des ASt lebt bereits neun Jahre in XXXX . Die andere Schwester des ASt, XXXX , ist verheiratet, beide Ehepartner sind Christen. Inzwischen ist auch die zweite Schwester in XXXX . Der Ast hat in XXXX einen Zirkel besucht, was auch in einer schwedischen Broschüre über das Christentum dokumentiert ist. […]

Laut den Länderfeststellungen der Staatendokumetation zu Afghanistan wird Konversion als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen, das mit dem Tod bestraft werden könnte, sofern die Konversion nicht widerrufen wird. Bisher wurde zwar niemand vom afghanischen Staat hingerichtet, aber Christen bekennen sich aus Angst vor Diskriminierung, Verfolgung, Verhaftung und Tod nicht öffentlich zu ihrem Glauben. Gefahr droht Konvertiten oft auch aus den familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen mehr gibt. Vom Antragsteller wurde fehlende Rechtsstaatlichkeit vorgebracht. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, die gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Licht des generellen Islamvorbehaltes (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen […]. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist aber die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt. [...] Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen.

[…]

Der ASt konnte eine asylrelevante Verfolgung (aus Gründen der Religion) glaubhaft machen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative liegt nicht vor. […] Zudem brachte der Asylwerber seinen Fluchtgrund, Konversation zum Christentum, glaubhaft vor und belegte dies auch mit unangezweifelten Beweismitteln. Somit konnte die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt werden. Der Antragsteller antwortete auf die ihm gestellten Fragen gewissenhaft und teilweise sehr emotional. Seine Aussagen waren letztendlich nachvollziehbar und plausibel und zu den für seien Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen letztlich nicht im Widerspruch stehend. Im Fall einer Rückkehr ins Heimatland wäre nicht nur er selbst bedroht, sondern auch die Familie. […]“.

2. Am 07.01.2020 langte beim Bundesamt ein Bericht einer Landespoliziedirektion ein, wonach der BF am 22.12.2019 für drei Wochen nach XXXX ausgereist wäre. Dazu wurde der BF am 11.02.2020 beim Bundesamt einvernommen. Der BF brachte dazu im Wesentlichen vor, dass der Zweck der Ausreise eine Eheschließung gewesen sei. Er sei über XXXX nach XXXX geflogen und habe dort bei der afghanischen Botschaft eine afghanische Staatsanghörige, die auch Christin sei, geheiratet. Nachher sei die Eheschließung in einem Hochzeitssaal gefeiert worden. Die eigentliche Trauungszeremonie habe allerdigs am Tag zuvor vor einem Priester im Haus der Gattin stattgefunden. Der Prieser sei aus einer Kirchengemeinde in XXXX gewesen, die seine Gattin besuchen würde. Die afghanische Botschaft habe lediglich die Ehe nach afghanischem Gesetz registriert. Dazu legte der BF u.a. eine bei der afghanischen Botschaft in XXXX ausgestellte Heiratsurkunde vor, in der bestätigt wird, dass der BF am 28.12.2019 in XXXX eine afghanischenStaatsangehörige geheiratet habe.

In einer weiteren Einvernahme beim Bundesamt am 25.02.2020 wurde dem BF im Wesentlichen vorgehalten, dass die Übersetzung der Heiratsurkunde ergeben habe, dass seine Ehe nach den Regeln der Scharia geschlossen worden sei und der BF und seine Gattin mit ihrer Unterschrift u.a. das islamische Bekenntnis bestätigt haben, weshalb auszuschließen sei, dass er seine Ehe nach christlichem Ritus geschlossen habe. So würde jemand, der tatsächlich innerlich und wahrhaftig dem Christentum zugetan sei, niemals nach islamischem Ritus und Regeln der Scharia eine Ehe eingehen. Demgegenüber rechtfertigte sich der BF im Wesentlichen damit, dass es sich bei der Heiratsurkunde um ein einheitliches Formular handle, dass auch von Angehörigen anderer nicht-islamischen Glaubensgemeinschaften unterschrieben werden müsste, wenn sie ihre Ehe registrieren lassen wollen. Der Inhalt decke sich nicht mit seiner Überzeugung. Der BF und seine Frau hätten bei der Botschaft mit Zeugen erklärt, dass sie geheiratet haben. Nach ein paar Tagen habe er dieses Dokument unterschreiben müssen, sonst wäre die Ehe nicht registriert worden. Bevor er dieses Dokument unterschrieben habe, habe er mit seiner Frau die Ehe nach christlichem Ritus geschlossen. Für sie sei es wichtig gewesen, dass ihre Ehe in Afghanistan anerkannt werde, damit sie auch ein Dokument für Österreich vorlegen könne.

Der vorgelegten (mehrseitigen) Heiratsurkunde ist zu entnehmen, dass diese die Formulierungen „Ich respektiere weiterhin die ehelichen Angelegenheiten in Überweinstimmungen mit den Bestimmungen und das Gesetz der Scharia“ und „Ich bestätige feierlich meine Konfession“ enthält und eine Eheschließung am 28.12.2019 bestätigt. Die Urkunde wurde am 02.01.2020 ausgestellt.

Weiters wurden mit Schreiben vom 20.05.2020 u.a. eine von der „ XXXX ausgestellte Heiratsurkunde über die am 27.12.2019 geschlossene Ehe sowie diverse Fotos zur behaupteten kirchliche Trauung nachgereicht.

3. Mit dem im Spruch genannten, angefochtenen Bescheid vom 24.04.2020 erkannte das Bundesamt dem BF den mit Bescheid vom 08.10.2016 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte das Bundesamt dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG), wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Dazu wurde im Wesentlichen festgestellt, dass dem BF der Status des Asylberechtigten aufgrund seiner Konversion zum Christentum und der daraus resultierenden befürchteten Verfolgung im Herkunftsland zugesprochen worden sei. Der BF habe in XXXX eine Ehe nach der Scharia geschlossen, wofür er der Behörde auch eine an der afghanischen Botschaft in XXXX ausgestellte Heiratsurkunde vorgelegt habe, worin bestätigt werde, dass die Ehe am 28.12.2019 an der afghanischen Botschaft geschlossen worden sei. Zudem habe er vor der Botschaft auch – wie in der Eheschließungsurkunde festgehalten – bekräftigt und mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er die Ehe nach der Scharia und den Regeln des Islam führen werde. Nicht festgestellt werden habe können, dass er seine Ehe nach einem christlichen Ritus geschlossen habe, der christliche Glaube fester Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden sei bzw. er diesen verinnerlicht habe. Er lebe den christlichen Glauben schon länger nicht mehr und nehme nicht am Leben einer christlichen Glaubensgemeinschaft teil. Auch seine Ehefrau sei Muslima und es habe nicht festgestellt werden können, dass diese ebenfalls Christin wäre, wie der BF behauptete. Nicht festgestellt werden habe können, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der lediglich behaupteten Konversion bzw. seinem Interesse am Christentum ins Visier der Behörden oder radikal islamischer Gruppen geraten könnte. Auch eine Bedrohung seitens seiner Familie könne nicht festgestellt werden. Er sei jung und gesund und im Stande auch in Afghanistan einer Beschäftigung nachzugehen. Außerdem würden Familienangehörige nach wie vor in Kabul leben. Er habe den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan zugebracht und sei mit den gesellschaftlichen Gepflogenheiten seines Heimatlandes vertraut. Er könne nicht zuletzt auch aufgrund der in Afghanistan als auch in Österreich genossenen Ausbildung in seiner Heimat eine Arbeit aufnehmen.

Beweiswürdigend wurde dazu u.a. ausgeführt:

„[…] Die Feststellung, dass Sie den Status des Asylberechtigten unter anderem deshalb erhielten, da die Behörde damals davon ausging, dass Sie sich aufrichtig und nachhaltig zum Christentum hingewendet und einen Glaubenswechsel vollzogen hätten und deshalb im Falle eine Rückkehr nach Afghanistan mit asylrelevanten Verfolgungshandlungen seitens der afghanischen Behörden zu rechnen hätten, ergibt sich aus dem vorliegenden Verwaltungsverfahren. Aus heutiger Sicht ist davon auszugehen, dass es sich dabei offensichtlich um eine Scheinkonversion handelte, da Sie bewusst nach XXXX gereist sind und dort aus freien Stücken an der afghanischen Botschaft nach der Scharia geheiratet haben, obwohl Ihnen auch andere Möglichkeiten der Eheschließung offenstanden. Zudem ergibt sich die Ansicht einer Scheinkonversion auch dadurch, dass Sie, trotz Ihrer angeblichen aufrichtigen und nachhaltigen Hinwendung zum Christentum, nicht zu Ihrem Glauben als Christ stehen und nicht nur bewusst und freiwillig nach islamischem Recht eine Ehe geschlossen, sondern Ihre Zugehörigkeit zum Islam auch mit Ihrer Unterschrift bekräftigt haben. Daraus ist zu schließen, dass Sie Ihren christlichen Glauben nicht verinnerlicht haben und dieser nicht Bestandteil Ihrer Persönlichkeit geworden ist. Niemand der sich aufrichtig und innerlich überzeugt dem Christentum zugewandt hat, hätte eine Ehe nach der Scharia geschlossen. Es ist nicht zu prognostizieren, dass Sie Ihren Religionsübertritt, der nach Ansicht der ho. Behörde aus heutiger Sicht nur äußerlich erfolgte, in Afghanistan nach außen tragen und/oder auffällig islamkritisch leben oder sich äußern würden. In weiterer Folge kann nicht davon ausgegangen werden, dass nunmehr staatliche Behörden in Afghanistan oder auch radikale Gruppen von Ihrer behaupteten Konversion Kenntnis erlangt haben oder erlangen werden bzw. womöglich Familienangehörige eine Bedrohung für Sie darstellen würden.

Ihrer Beteuerung, dass Ihre Ehe lediglich an der afghanischen Botschaft eingetragen wurde, wie Sie zunächst behaupteten, bzw. Ihnen nichts anderes übrig geblieben ist, als Ihre Ehe dort zu schließen, ist entgegenzuhalten, dass Ihre Ehe an der Botschaft nicht nur eingetragen, sondern auch tatsächlich geschlossen wurde. Ihnen war es offensichtlich wichtig, dass die Ehe in Afghanistan anerkannt wird, wie Sie vor ho. Behörde aussagten, obwohl Sie in XXXX andere Möglichkeiten einer rechtsgültigen Eheschließung gehabt hätten, wie z.B. vor einem Standesamt.

Als Sie vor dem BFA gefragt wurden, nach welchem Ritus die Ehe geschlossen worden wäre, gaben Sie an, dass dies nach afghanischem Ritus geschehen wäre. Von einer Eheschließung nach christlichem Ritus haben Sie zunächst nichts erzählt, was Sie sicherlich getan hätten, würde dies den Tatsachen entsprechen.

Erst auf weitere Nachfrage seitens der Behörde gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten auch einen Tag vor Ihrer Eheschließung nach der Scharia nach christlichem Ritus im Haus Ihrer Ehefrau geheiratet. Dies widerspricht jedoch dem Inhalt der von Ihnen bei der Behörde innerhalb vorgegebener Frist persönlich eingebrachten Heiratsurkunde (Marriage Certificate) der XXXX , in welcher angeführt wird, die von Ihnen behauptete Eheschließung hätte in der Kirche der XXXX stattgefunden. Auch haben Sie im Rahmen Ihrer ersten Einvernahme vor dem BFA auch den Namen der Kirchengemeinschaft, von der Sie angeblich getraut worden wären, nicht angeben können. Auch die von Ihnen der Behörde vorgelegten Fotos, die angeblich eine christliche Zeremonie bezeugen sollen, können Ihr Vorbringen nicht stützen, da sie keinerlei christliche Symbolik aufweisen und daher auch keiner bestimmten Glaubensrichtung zugeordnet werden können. Es kann nicht festgestellt werden, dass diese tatsächlich die von Ihnen behauptete Eheschließung darstellen. Außerdem ist festzuhalten, dass einige Personen auf den Fotos in Straßenkleidung abgebildet sind.

Darüber hinaus konnten Sie auch zum Ablauf der angeblichen Predigt im Rahmen Ihrer behaupteten Eheschließung keine konkreten Angaben machen oder wichen den Fragen der Behörde überhaupt aus. Fragen nach dem Thema der Predigt oder den Aufgaben der Trauzeugen konnten Sie nicht beantworten. Auch aus diesem Grund ist Ihr diesbezügliches Vorbringen absolut nicht glaubhaft.

Sie haben offensichtlich nicht damit gerechnet, dass die österreichischen Behörden von Ihrer Eheschließung nach der Scharia Kenntnis erlangen. Als Ihnen dies im Rahmen Ihrer ersten Einvernahme im Rahmen der Befragung zu einer Reisebewegung vor dem BFA bewusst wurde, haben Sie alles daran gesetzt, den Schein zu erwecken, als hätten Sie vor Ihrer Heirat nach der Scharia eine christliche Ehe geschlossen. Dies ist Ihnen jedoch allein schon aufgrund der oben geschilderten Faktenlage nicht gelungen.

Zudem geht aus dem Einreiseakt Ihrer Ehefrau auch nicht hervor, dass diese Christin wäre oder eine christliche Ehe mit Ihnen geschlossen hätte. Ganz im Gegenteil: Aus den der österreichischen Botschaft in XXXX vorgelegten Unterlagen geht eindeutig hervor, dass Ihre Ehefrau Muslimin ist und dies darüber hinaus auch in ihrem Eheversprechen in der Heiratsurkunde bekräftigt und mit ihrer Unterschrift bestätigt hat. Eine Bestätigung oder Bescheinigung, dass Ihre Ehefrau nach christlichem Ritus getraut worden wäre, liegt dem Akt hingegen nicht bei.

Außerdem wäre, selbst unter Zugrundelegung Ihrer Angaben – was die Behörde jedoch keinesfalls tut – Ihre angebliche christliche Eheschließung ohnedies obsolet, da Sie nur einen Tag später die Ehe nach der Scharia geschlossen und ein Bekenntnis zum Islam abgegeben haben. Darüber hinaus haben Sie auch angegeben, in Österreich schon länger keine Kirche mehr zu besuchen, da Sie arbeiten würden. Der Frage, warum Sie dann nicht am Wochenende in die Kirche gehen, wichen Sie aus. Dass Sie Ihren Glauben in Österreich leben, konnte daher nicht festgestellt werden.

In Anbetracht dieser Umstände kann nach Auffassung der Behörde in diesem konkreten Fall nicht davon ausgegangen werden, dass Sie den christlichen Glauben in einer Weise verinnerlicht hätten, dass dieser ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Identität geworden ist. Insgesamt kann nicht davon ausgegangen werden, dass Sie sich tatsächlich aus freier, persönlicher Überzeugung vom Islam abgewandt und innerlich nachhaltig dem christlichen Glauben zugewandt haben. Es war daher festzustellen, dass der christliche Glaube kein wesentlicher Bestandteil Ihrer Identität geworden ist […].“

Die rechtliche Begründung wurde im Wesentlichen auf die Einschätzung der Behörde gestützt, dass „im Nachhinein angenommen werden“ müsse, dass der BF „ zum Schein konvertiert ist“. Der Tatbestand einer Scheinkonversion sei allein schon durch die erfolgte Heirat nach der Scharia und durch das in der Heiratsurkunde mit seiner Unterschrift bestätigte Bekenntnis zum Islam vorgelegen. Im Lichte der in das Verfahren integrierten Länderinformationen und auch der aktuellen deutschen und schweizerischen Judikatur sei der Schluss zu ziehen, dass aus der lediglich formalen, bzw. zum Schein erfolgten Konversion zum christlichen Glauben - wie sie in casu vorliege – und auch ohne dem Vorliegen einer exponierten Tätigkeit wie etwa missionarischer Aktivitäten, keine asylrechtlich relevante Gefährdung resultiere. Auch sei im Lichte der Scheinkonversion nicht davon auszugehen, dass der BF das Bedürfnis oder die Fähigkeit habe, im Rückkehrfall die christliche Religion zu praktizieren, nach Außen zu tragen oder gar missionarisch tätig zu sein. Dass der BF in Österreich zu einer christlichen Gemeinde Kontakt hätte und ihm dies im Rückkehrfall in asylrelevanter Weise zum Nachteil gereiche, könne aufgrund der bereits getroffenen Ausführungen, wonach nicht davon auszugehen sei, dass der BF tatsächlich nach dem Christentum lebe und sich tatsächlich und nachhaltig dem Christentum zugewandt habe, nicht ausgegangen werden. Aus diesem Grund würde Art. 1 Abschnitt C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention auf den BF zutreffen, wonach die Gründe, weshalb ihm Asyl gewährt wurde, weggefallen sind.

Mit Verfahrensanordnung vom 27.04.2020 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

4. Gegen den Bescheid wurde für den BF durch seine rechtsfreundliche Vertretung binnen offener Frist im vollen Umfang Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensschvorschriften sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhoben. Dazu wurde vorweg darauf hingewiesen, dass das Bundesamt ausgeführt habe, dass der BF bloß zum Schein konvertiert wäre und deshalb ein Aberkennungstatbestand verwirklicht hätte. Damit habe das Bundesamt den bekämpften Bescheid mit neuen Tatsachen, die die ursprüngliche Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als ex tunc rechtswidrig erscheinen lassen, begründet. Somit habe die belangte Behörde kein Aberkennungsverfahren wegen eines Verlusttatbestandes, sondern ein Wiederaufnahmeverfahren geführt, welches jedoch nach drei Jahren nach Zuerkennung des Status nicht mehr zulässig sei. Weiters habe es aber das Bundesamt zudem verabsäumt, sich mit den rechtlichen Grundlagen der Eheschließung nach afghanischen Recht auseinander zusetzen. So sei eine Eheschließung afghanischer Staatsangehöriger nur nach den Gesetzen der Scharia möglich. Demgemäß sei der Unterfertigung von vorgefertigten Dokumenten keinesfalls der Bedeutungsinhalt zu unterstellen, ein bekennender Muslim zu sein. In concreto sei dies seitens des BF und seiner Ehegattin lediglich als formales Erfordernis dafür verstanden worden, eine Heiratsurkunde, die den formalen Erfordernissen entspreche, zu erlangen. Die Heiratsurkunde sei auch unabdingbare Voraussetzung für den geplanten Nachzug der Ehegattin des BF nach Österreich. Bei einem Aberkennungsverfahren sei zudem auch darauf Rücksicht zu nehmen, ob allenfalls „neue Umstände“ hinzugetreten seien, welche eine Verfolgungsgefahr indizieren. Dies sei beim BF augenfällig der Fall, zumal er starke Tätowierungen aufweise, welche auch bei normaler Kleidung erkennbar seien und welche nicht nur gegen kulturelle, sondern auch religiöse Gepflogenheiten seines streng muslimisch geprägten Landes verstoßen. Alleine diese Tatsache würde für sich einerseits eine neue Verfolgungsgefahr indizieren, spreche aber auch für die auf Basis der Konversion zum Christentum in Anspruch genommene individuelle Freiheit, sein Leben nach seiner eigenen Fasson gestalten zu können und sich nicht dem Diktat einer Religion bzw. deren Repräsentanten unterwerfen zu wollen. Im Übrigen habe die Behörde es aus unrichtiger rechtlicher Beurteilung unterlassen, festzustellen, ob afghanische Staatsangehörige überhaupt in XXXX rechtswirksam heiraten dürfen, wenn ja, welche Hürden dabei zu überwinden seien, wobei dies noch dadurch erschwert sei, dass der BF überhaupt keinen Bezug zu XXXX besitze, also weder durch seinen Status noch seinen Aufenthalt. Der BF habe dazu ausgesagt, es wäre alles vor Ort von der Familie der Braut organisiert worden, welche afghanischer Herkunft, jedoch christlichen Glaubens sei. Der BF habe 2018 seine Gattin, eine Afghanin und konvertierte Christin, über das Internet kennengelernt. Als der Kontakt immer enger geworden sei, habe sich der BF 2019 zu einer Ehe entschlossen. Er sei Ende Dezember 2019 nach XXXX gereist und habe dort am 27.12.2019 zuerst nach christlichen Ritus geheiratet. Von der christlichen Hochzeitszeremonie in XXXX gebe es zahlreiche Lichtbilder und auch eine Trauungsbescheinigung. Am Tag darauf sei der BF mit seiner Frau zur afghanischen Botschaft gegangen, um dort die Hochzeit offiziell zu machen. Dabei sei ihnen ein vorbereitetes Formular vorgelegt worden, welches sie unterschreiben und ihren Fingerabdruck darauf abgeben hätten müssen. Der BF habe das Formular gar nicht durchgelesen. Nach dem Wissensstand des BF sei dies die übliche Vorgehensweise, eine Eheschließung nach afghanischem Recht registrieren zu lassen. Eine religiöse Zeremonie sei in diesem Kontext nicht vorgesehen. Aus der geschilderten Vorgangsweise lasse sich keinesfalls ein innerer Entschluss, wieder Muslim zu sein, ableiten. Am selben Tag habe dann eine große Hochzeitsfeier stattgefunden, zu welcher vor allem Mitglieder der christlichen Gemeinde in XXXX eingeladen worden seien, wobei sich auf der aufwendig gestalteten Hochzeitseinladung zudem ein Zitat aus dem Neuen Testament befunden habe. Damit sei wohl die christliche Gesinnung zum Zeitpunkt der Eheschließung eindeutig dokumentiert. Diese Feier sei kein religiöses Fest gewesen, doch gebe es auch von dieser Feier Lichtbilder, aus denen nicht abzuleiten sei, dass die abgebildeten Frauen Muslima wären, zumal keine einzige eine Burka oder auch nur ein Kopftuch trage. Der BF habe schon in XXXX in einem interview, wo er mit seinem Lichtbild aufscheine, festgehalten, dass er zum Christentum konvertiert sei. Dazu wurde in der Beschwerde auf einen entsprechenden Link verwiesen.

Weiters wurden mit der Beschwerdeschrift u.a. eine Taufurkunde der Gattin des BF vom 23.08.2016, eine Einladung zur Hochzeitsfeier am 28.12.2019 mit einem Zitat aus dem Mätthäus-Evangelium (Mt 19, 6) sowie diverse Fotografien von den Hochzeitsfeierlichkeiten nachgereicht.

5. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 10.06.2021 wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des BF sowie seines Vaters als Zeugen in Anwesenheit eines Vertreters des BF sowie weiters durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der BF brachte im Wesentlichen wie bisher vor, dass er am Tag vor der Registrierung seiner Ehe bei der afghanischen Botschaft in XXXX seine Gattin in einer christlichen Zeremonie geheiratet habe. Die Zeremonie habe auf Wunsch der Familie seiner Gattin ohne besonderen feierlichen Rahmen in ihrem Haus stattgefunden, da in ihrer Nachbarschaft viele muslimische Flüchtlinge leben würden und man kein Aufsehen erregen bzw. nicht provozieren habe wollen. Seine Gattin und deren Familie seien protestantische Christen, die vor etwa zehn Jahren aus religiösen Gründen aus Afghanistan geflüchtet seien. Bei der afghanischen Botschaft habe es sich um einen reinen Formalakt gehandelt, bei welcher der BF seine Verehlichung gegen Gebühr und Bestätigung von zwei Zeugen, seinem Vater sowie seinem Schwager, beurkunden habe lassen. An der Botschaft gebe es dafür nur ein einheitliches Formular für Heirtasurkunden, die unabhängig von der Glaubenszugehörigkeit der betroffenen Ehepaare verwendet werde. Man habe ihnen gezeigt, wo sie überall unterschreiben bzw. ihre Fingerabdrücke abgeben hätten sollen. Der Mann von der Botschaft habe einfach immer wieder die jeweiligen Seiten hingeblättert und der BF und seine Gattin hätten die Fingerabdrücke abgegeben. Sie hätten dabei gar nicht gelesen, was dort gestanden sei.

Vom BF wurden u.a. Fotografien, die seine Gattin bei ihrer Taufe bzw. bei einem Gottesdienst zeigen, vorgelegt.

In der Beschwerdeverhandlung wurden den Parteien weiters aktuelle Feststellungen zur aktuellen Situation in Afghanistan zu Kenntnis gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan, stammt aus Kabul, gehört der Volksgruppe der Tadschicken an und ist seit Juni 2015 in Östereich aufhältig. Seine Identität steht fest.

Ihm wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 08.10.2016, Zl. 1073063607 – 150649867/BMI-BFA_STM_AST_01_TEAM_01, in Österreich der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Die Behörde ging bei der Entscheidung im Wesentlichen davon aus, dass der BF aus religiöser innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert ist und unter Zugrundelegung der Verhältnisse im Herkunftsstaat wegen seines Glaubens Verfolgung zu befürchten hat.

Der BF hat im Dezember 2019 während eines etwa dreiwöchigen Aufenthalts in XXXX eine afghanische Staatsangehörige geheiratet. Er ist kinderlos. In Kabul halten sich zwei verheiratete Schwestern des BF auf. Seine bereits im Ruhestand befindlichen Eltern wohnen abwechselnd in Kabul und der Türkei. Zwei Schwestern und zwei Brüder des BF leben in XXXX , ein Bruder ist in Deutschland wohnhaft. In Östereich halten sich keine Familienangehörige oder Verwandte auf.

Der BF spricht Dari und - zumindest auf Niveau A2 – Deutsch. Er ist gesund sowie arbeitsfähig und bestreitet seinen Lebensunterhalt in Österreich durch unselbstständige Erwerbstätigkeit. Er ist (auch) an sichtbaren Stelle ( XXXX ) tätowiert, wober XXXX zu sehen ist.

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF seine religiöse Überzeugung bzw. seinen Glauben seit der Asylzuerkennung im Oktober 2016 gewechselt hat.

1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zu Afghanistan ausgegangen:

Familienrecht

Nach Art. 3 der Verfassung darf kein Gesetz des Landes gegen die Lehren und Vorschriften der „Religion des Islams“ verstoßen (CoA 26.1.2004; vgl. AA 16.7.2020; vgl. EASO 7.2020). Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze stehen damit unter Islam-Vorbehalt. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits, zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen teilweise zur willkürlichen Rechtsanwendung (AA 16.7.2020; vgl. EASO 7.2020).

Artikel 54 der Verfassung Afghanistans besagt, dass die Familie der Grundpfeiler der Gesellschaft ist und vom Staat geschützt werden soll. Er verpflichtet den Staat, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die körperliche und geistige Gesundheit der Familie, insbesondere des Kindes und der Mutter, die Erziehung der Kinder sowie die Beseitigung damit verbundener Traditionen, die den Prinzipien des Islam widersprechen, zu erreichen (Musawah 11.2019; vgl. CoA 26.1.2004).

Die Regelungen zum afghanischen Familienrecht für die sunnitische Mehrheit sind im afghanischen Zivilgesetzbuch von 1977 festgeschrieben (VfSt 31.10.1990; vgl. MPI-AoRuVR 7.2012, Musawah 2.2020, ACCORD 22.1.2021, ZGB-AFGH 5.1.1977). Für die schiitische Minderheit in Afghanistan gilt seit 2009 das schiitische Personenstandsrecht (Musawah 2.2020; vgl. SPSL 2009).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.7.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035827/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_16.07.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020

?        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (22.1.2021): Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Obsorge: Reihenfolge nach Tod der Eltern, Kriterien, Verfahren zur Klärung, Sorgerecht und Vormundschaft in der rechtlichen und informellen Praxis, https://www.ecoi.net/en/document/2043997.html, Zugriff 1.2.2021

?        CoA - Constitution of Afghanistan [Afghanistan] (26.1.2004): The Constitution of Afghanistan, http://www.afghanembassy.com.pl/afg/images/pliki/TheConstitution.pdf, Zugriff 16.10.2020

?        EASO - European Asylum Support Office (7.2020): Afghanistan - Criminal law, customary justice and informal dispute resolution, https://www.ecoi.net/en/document/2034456.html#alert, Zugriff 16.10.2020

?        MPI-AoRuVR - Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (12.7.2012): Max Plack Manual on Family Law in Afghanistan, https://www.mpipriv.de/1187062/max_planck_manual_on_afghan_family_law_english.pdf, Zugriff 2.2.2021

?        Musawah - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (11.2019): THEMATIC REPORT ON ARTICLE 16, MUSLIM FAMILY LAW AND MUSLIM WOMEN’S RIGHTS IN Afghanistan; 74th CEDAW Session, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared%20Documents/AFG/INT_CEDAW_CSS_AFG_41112_E.docx, Zugriff 2.2.2021

?        SPSL - Schiitisches Personenstandsgesetz (2009), www.refworld.org/pdfid/4a24ed5b2.pdf, Zugriff 2.2.2021

?        VfSt - Verlag für Standesamtswesen (31.10.1990): Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht mit Staatsangehörigkeitsrecht: Länderbericht Afghanistan, https://www.vfst.de/apps/elbib/IEK_AFG_EUKRECHT, Zugriff 2.2.2021

?        ZGB-AFGH - Zivilgesetzbuch [Afghanistan] (5.1.1977), inoffizielle englische Übersetzung von 2004, https://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?page=search&docid=5a6f2bce4&skip=0&query=civil%20law&coi=AFG, Zugriff 2.2.2021

Eheschließung und Registrierung der Ehe

Laut afghanischem Zivilgesetzbuch ist eine Ehe ein rechtsgültiger Vertrag, wenn alle rechtlichen Bedingungen und Bestimmungen erfüllt sind. Dies sind:

(1) die Willenserklärung beider Parteien (Mann und Frau) entweder persönlich oder vertreten durch einen Rechtsanwalt oder einen Vormund - in fast allen Fällen wird die Frau durch einen Vertreter repräsentiert.

(2) die Anwesenheit zweier erwachsener Zeugen.

(3) das Fehlen eines dauerhaften oder vorübergehenden rechtlichen Hindernisses zwischen den heiratenden Parteien.

Diese drei Bedingungen gelten für alle Ehen – ganz gleich ob sie registriert sind oder nicht (RA KBL 3.1.2018; vgl. ZGB-AFGH 5.1.1977).

Das Registrieren einer Ehe ist keine rechtliche Voraussetzung für deren Gültigkeit (RA KBL 3.1.2018; vgl. ACCORD 17.5.2019, MPI-PRIV 7.2012). Die meisten Ehen sind nicht registriert und werden nur vor einem Geistlichen (Mullah) geschlossen (RA KBL 3.1.2018). Nur jene Ehepartner, die ihre Ehe für offizielle Zwecke beglaubigen müssen, suchen um die Registrierung derselben an. Selbst vor kurzem geschlossene Ehen sind nicht registriert, außer dies wird von einer Behörde, oder anderen Organisationen für offizielle Zwecke, wie z.B. Migration, Erbschaft etc. benötigt (RA KBL 20.12.2020). Auch kann eine Ehe zu einem späteren Zeitpunkt offiziell registriert werden. Es existieren Fälle, in denen die Parteien ihre Ehen erst nach vielen Jahrzehnten registriert haben (RA KBL 3.1.2018; vgl. LI 10.5.2019). Jedoch ist es nicht immer einfach, eine religiös geschlossene Heirat im Nachhinein bei der afghanischen Botschaft bestätigt zu bekommen, insbesondere dann, wenn die Zeremonie bereits vor längerer Zeit stattgefunden hat und es kein Dokument gibt, das diese belegt (LIFOS 18.2.2019; vgl. ACCORD 17.5.2019).

Für die Registrierung der Ehe werden ein schriftliches Ansuchen zur Registrierung der Ehe, Ausweisdokumente (Tazkira) von Ehemann, Ehefrau und den zwei Zeugen sowie Fotos der Ehepartner und der Zeugen benötigt. Es ist notwendig für die Eheparteien und die Zeugen, vor dem Urkundengericht zu erscheinen, auch muss eine offizielle Gebühr bezahlt werden. Sollte eine der Parteien durch einen Anwalt vertreten sein, ist außerdem eine entsprechende ordnungsgemäße Vollmacht vorzulegen. Damit eine vor einem Mullah geschlossene Ehe gültig ist, werden keine Dokumente benötigt (RA KBL 3.1.2018; vgl. ZGB-AFGH 5.1.1977).

Die Ausstellung einer offiziellen Heiratsurkunde bzw. Registrierung der Ehe kann auch erfolgen, wenn einer der Ehepartner nicht anwesend ist und sich beispielsweise im Ausland befindet, jedoch ist dann eine ordnungsgemäße und beglaubigte Vollmacht erforderlich, um einen Anwalt/Vertreter zu bestellen, der die Ausstellung der Heiratsurkunde abwickelt (RA KBL 20.10.2020).

Im Falle von „Mischehen“ - zwischen Schiiten und Sunniten - sind rechtliche Bestimmungen für die offizielle Registrierung der Ehe, dem afghanischen Zivilgesetzbuch folgend, dieselben (RA KBL 3.1.2018).

Alle religiösen Minderheiten sind frei, ihre Ehen gemäß ihren traditionellen und religiösen Regeln durchzuführen. Für die offizielle Registrierung sind die erwähnten Bedingungen und Bestimmungen anzuwenden (RA KBL 3.1.2018).

Im Falle einer Heirat zweier afghanischer Staatsbürger im Ausland wäre diese Ehe in Afghanistan gültig, sofern fundamentale rechtliche Ehebestimmungen nicht gegensätzlich zu den afghanischen Gesetzen sind und die Ehe dem jeweiligen Gesetz im Ausland folgend registriert wurde. Die Formalitäten einer Eheschließung in Afghanistan sind streng religiös; sollte eine standesamtliche Trauung im Ausland vollzogen worden sein, deren Elemente gegen das afghanische Zivilrecht oder die islamische Scharia verstoßen (beide enthalten die gleichen Bedingungen), dann wird diese Ehe als ungültig erachtet. Sollte eine Ehe außerhalb Afghanistans im Rahmen der islamischen Scharia-Formalitäten vollzogen worden sein, ist sie - unabhängig davon ob sie auch registriert ist - in Afghanistan gültig (RA KBL 3.1.2018). Für im Iran religiös geschlossene Ehen zweier Afghanen kann durch die afghanische Botschaft im Iran eine Heiratsurkunde ausgestellt werden, die auch in Kabul registriert wird (LI 28.9.2020; vgl. ACCORD 17.5.2019).

Quellen:

?        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.5.2019): Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Rechtsvorschriften zu Eheschließungen, Gültigkeit des Zivilgesetzbuchs vom 5. Jänner 1977, Anwendbarkeit auf im Jahr 2010 geschlossene und im Jahr 2016 registrierte Ehen; Eheschließung und -Registrierung im Ausland; Personenstandsregister, Nachweis der Ehe; Erfordernis einer Hochzeitsfeier für die Gültigkeit einer Ehe (2010 und aktuell), https://www.ecoi.net/en/document/2008898.html, Zugriff 9.2.2021

?        LI - Landinfo, Utlendingsforvaltningens fagenhet for landinformasjon [Norwegen] (10.5.2019): Afghanistan: Ekteskap, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008199/Temanotat-Afghanistan-Ekteskap-10052019.pdf, Zugriff 9.2.2021

?        LI - Landinfo, Utlendingsforvaltningens fagenhet for landinformasjon [Norwegen] (28.9.2018): Iran/Afghanistan: Formelle forhold knyttet til ekteskap og skilsmisse blant afghanske borgere i Iran, 28.September 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1446632/1788_1539604875_2809.pdf, Zugriff 9.2.2021

?        LIFOS - Migrationsverket, Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet [Schweden] (18.2.2019): Afghaner i Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004934/190225202.pdf, Zugriff 9.2.2021

?        MPI-PRIV - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (7.2012): Max Planck Manual on Family Law in Afghanistan (Autorinnen: Kabeh Rastin-Tehrani und Nadjma Yassari), abgeänderte zweite Version, http://www.mpipriv.de/files/pdf3/max_planck_manual_on_afghan_family_law_english.pdf, Zugriff 9.2.2021

?        RA KBL - Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (20.10.2020): Auskunft per E-Mail

?        RA KBL - Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (3.1.2018): Auskunft per E-Mail

?        SPSL - Schiitisches Personenstandsgesetz [Afghanistan] (2009), www.refworld.org/pdfid/4a24ed5b2.pdf, Zugriff 2.2.2021

?        ZGB-AFGH - Zivilgesetzbuch [Afghanistan] (5.1.1977), inoffizielle englische Übersetzung von 2004, https://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?page=search&docid=5a6f2bce4&skip=0&query=civil%20law&coi=AFG, Zugriff 2.2.2021

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 6.10.2020; vgl. AA 16.7.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus (AA 16.7.2020; vgl. CIA 6.10.2020, USDOS 10.6.2020). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 10.6.2020). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (USDOS 10.6.2020).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 10.6.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.7.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 10.6.2020), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 10.6.2020). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 10.6.2020). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020). Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 10.6.2020). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 10.6.2020; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 10.6.2020). Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hana-fitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 10.6.2020).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 10.6.2020). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 10.6.2020).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 10.6.2020). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 10.6.2020). Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. FürNicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 10.6.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.7.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035827/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_16.07.2020.pdf , Zugriff 12.10.2020

?        BBC (11.4.2019): Afghanistan’s one and only Jew, https://www.bbc.com/news/av/world-asia-47885738/afghanistan-s-one-and-only-jew , Zugriff 12.10.2020

?        CIA - Central Intelligence Agency [USA] (6.10.2020): The World Factbook - Afghanistan, https: //www.cia.gov/the-world-factbook/countries/afghanistan/ , Zugriff 12.10.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2030803.html , Zugriff 12.10.2020

?        ICRC - International Committee of the Red Cross (o.D.): National Implementation of IHL, https: //ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihlnat.nsf/implementingLaws.xsp?documentId=598034855221CE85C12582480054D831&action=openDocument&xp_countrySelected=AF&xp_topicSelected=GVAL-992BU6&from=state&SessionID=DNMSXFGMJQ, Zugriff 12.10.2020

?        KatM KBL - Vertreter der katholischen Mission in Afghanistan mit Sitz in Kabul (8.11.2017): Informationen zur katholischen Mission in Afghanistan. Antwortschreiben, liegt bei der Staatendokumentation auf.

?        RA KBL - Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (10.6.2020): Auskunft per E-Mail.

?        UP - Urdu Point (16.8.2019): Afghanistan’s Only Jew Has No Plans To Emigrate, Says Lives ’Like A Lion Here’, https://www.urdupoint.com/en/world/afghanistans-only-jew-has-no-plans-to-emigra-691600.html , Zugriff 2.9.2019

?        USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020 Annual Report; Country Reports:Tier 2 Countries: Afghanistan, https://www.uscirf.gov/sites/default/files/Afghanistan.pdf , Zugriff 12.10.2020

?        USDOS - United States Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/06/AFGHANISTAN-2019-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 12.10.2020

?        USE - United States Embassy in Afghanistan [USA] (o.D.): Marriage, https://af.usembassy.gov/u-s-citizen-services/local-resources-of-u-s-citizens/marriage/ , Zugriff 12.10.2020

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (FH 4.3.2020; vgl AA 16.7.2020, USDOS 10.6.2020). Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 16.7.2020). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der

Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 10.6.2020) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020); jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020) Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen (LIFOS 21.12.2017; vgl. RA KBL 10.6.2020) - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017). Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017). Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird (AA 16.7.2020). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020). Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 10.6.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.7.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035827/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_16.07.2020.pdf , Zugriff 27.8.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2030803.html , Zugriff 6.8.2020

?        LIFOS - Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet [Schweden] (21.12.2017): Temarapport: Afghanistan -Kristna, apostater och ateister, https://www.ecoi.net/en/file/local/1420820/1226_1515061800_171221551.pdf , Zugriff 27.8.2020

?        MoJ - Ministry of Justice [Afghanistan] (15.5.2017): Strafgesetz, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf•

?        RA KBL - Lokaler Rechtsanwalt in Kabul (10.6.2020): Auskunft per E-Mail.

?        USDOS - United States Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/06/AFGHANISTAN-2019-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 27.8.2020

Im Übrigen wird der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang der Entscheidung zugrundgelegt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang sowie die getroffenen Feststellungen zur Person des BF (Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit), zu seiner Herkunft, zu seinen Familienverhältnissen im In- und Herkunftsland, zu seinem Leben und zu seinen familiären bzw. sozialen Kontakten in Österreich sowie zu seiner Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, ergeben sich aus dem diesbezüglich unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur im Spruch genannten Zahl sowie den Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung. Das Bundesamt ging vom Feststehen der Identität des BF aus und ist bisher kein Umstand hervorgekommen, der geeignet erscheint, diese Feststellung der Behörde anzuzweifeln.

Das Bundesamt ging in der bekämpften Entscheidung davon aus, dass die Ehe des BF im Dezember 2019 an der afghanischen Botschaft in XXXX unter Anwendung der Scharia geschlossen wurde und leitete daraus ab, dass es sich bei der Taufe des BF in der Türkei im Februar 2015 „offensichtlich um eine Scheinkonversion“ gehandelt und der BF den christlichen Glauben nicht verinnerlicht habe. Weites schenkte es dem BF keinen Glauben, in XXXX in einer christlichen Zeremonie geheiratet zu haben.

Der BF konnte inzwischen für seine christliche Trauung insofern Beweismittel nachreichen, als er dazu Fotos und eine von der „ XXXX ausgestellte Heiratsurkunde über eine am 27.12.2019 geschlossene Ehe nachreichen konnte. Zu den vorgelegten Fotos von der Trauung ist zwar anzumerken, dass diese keine christlichen Symbole erkennen lassen, welche den eindeutigen Schluss zulassen, dass es sich hierbei um eine christliche Zeremonie handelt. Andererseits besteht kein Zweifel, dass es sich um eine Ehezeremonie handelt. Dafür spricht schon der Umstand, dass das Ehepaar erkennbar Ringe austauscht. Letzteres spricht aber eher für eine christliche Hochzeit, zumal dort der Ringtausch ein fester Bestandteil der Ehe-Zeremonie ist, wohingegen dieses Ritual bei einer muslimischen Trauung grundsätzlich keine Rolle spielt. Die Person, die auf den Fotos die Trauung vollzieht, ist auf einem weiteren vom BF vorgelegten Foto vor einem christlichen Kreuz zu sehen. Der BF konnte auch Fotos nachreichen, die seine Gattin bei einem Gottesdienst bzw. ihrer Taufe zeigen. Weiters konnte er auch einene Taufschein seiner Gattin vorlegen. Letzlich weist auch die nachgereichte Einladung zur Hochzeitsfeier mit einem – zwar nicht als solchen ausgewiesenen - Zitat aus dem Mätthäus-Evangelium ebenso einen christlichen Bezug auf. Die vom Bundesamt aufgezeigte Diskrepanz, wonach die Ehezeremonie laut ausgestellter Heiratsurkunde in der Kirche – und nicht wie vom BF behauptet in der Wohnung der Familie seiner Gattin - vorgenommen worden wäre, tritt gegenüber den bereits Ausgeführten in den Hintergrund, zumal diese sich letztlich auch stimmig mit der Verwendung einer Formularvorlage auflösen lässt. Dem Argument im bekämpften Bescheid, wonach aus den der östereichischen Botschaft vorgelegten Urkunden zufolge die Gattin des BF Muslimin wäre, kommt insofern kaum Bedeutung zu, als es sich dabei offenbar um ein afghanisches Personaldokument aus dem Jahr 2003 handelt (vgl. AS 545). Somit erscheint aber das bislang gleichbleibende Vorbringen des BF, dass er sich vor der offiziellen Eheregistrierung bei der afghanischen Botschaft christlich trauen hat lassen, in Summe letztlich durchaus plausibel.

Was die vorgelegte von der afghanischen Botschaft in XXXX ausgestellte Heiratsurkunde betrifft, lässt sich nicht eindeutig erruieren, ob der Eheschluss (auch dort) ofiziell vollzogen wurde oder- wie vom BF behauptet - eine (bereits geschlossene) Ehe lediglich registriert wurde. Letzteres steht zwar im Einklang mit den getroffenen Länderfeststellungen, spricht aber wiederum gegen den Umstand, dass laut vorgelegter Heiratsurkunde vom 02.01.2021 die Ehe am 28.12. geschlossen wurde. Der BF konnte jedenfalls glaubhaft dartun, dass es sich bei dem Vorgang auf der Botschaft lediglich um einen Formalakt gehandelt hat. Dies steht im Einklang mit den getroffenen Ländefeststellungen und dem auch im afghanischen Familienrecht geltenden Islam-Vorbehalt. Im Lichte von letzterem erscheint es auch plausibel, dass die Botschaft diesbezüglich nur Formularvorlagen verwendet, die sich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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