TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/20 W117 2242944-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.07.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.07.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z1
BFA-VG §34 Abs3 Z3
BFA-VG §40 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W117 2242944-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. DRUCKENTHANER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, vertreten durch RA Dr. Benno J. WAGENEDER, gegen die Anwendung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form von Festnahme am 30.05.2021 und Anhaltung infolge der Festnahme bis 01.06.2021 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 22a Abs. 1 Z 1 und 2, 40 Abs. 1 Z 1, 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Am 11.05.2021 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) der Landespolizeidirektion Oberösterreich (in der Folge: LPD) den Auftrag, den Beschwerdeführer (in der Folge: BF) zum Zwecke der Abschiebung gemäß §§ 34 Abs. 3 Z 3 iVm § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG festzunehmen („Festnahmeauftrag“) und ins Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel (in der Folge: PAZ) zu überstellen. Die Festnahme solle am 29.05.2021 ab 16 Uhr erfolgen.

Weiters erteilte das BFA der LPD (ebenfalls am 11.05.2021) in Zusammenhang mit dem Festnahmeauftrag einen Durchsuchungsauftrag gemäß § 35 BFA-VG hinsichtlich der Wohnräumlichkeiten an der Meldeadresse des BF.

Am 18.05.2021 erging seitens des BFA ein Abschiebeauftrag betreffend den BF, aus dem hervorgeht, dass eine begleitete Flugabschiebung des BF in den Kosovo für 01.06.2021 geplant war.

Der BF wurde sodann am 30.05.2021 von Organen der LPD in seiner Wohnung festgenommen, wobei ihm sowohl der Festnahme- als auch der Durchsuchungsauftrag des BFA sowie ein „Informationsblatt für Festgenommene“ in deutscher und albanischer Sprache ausgehändigt, er eingehend rechtlich belehrt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, seine persönlichen Gegenstände zu packen. Dem BF wurde seine Aufenthaltskarte abgenommen und diese postalisch an das BFA übermittelt.

Mit E-Mail vom 30.05.2021 (14:28 Uhr) wurde dem BFA von einem Organ der LPD ein Bericht über die erfolgte Festnahme übermittelt.

Mit Schriftsatz vom 31.05.2021 (adressiert an das und eingebracht beim BFA) beantragte der BF beim BFA durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter die „Aufhebung des Festnahmeauftrages“ bzw. die „Aufhebung der Anhaltung“ sowie die „Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes von drei Monaten“.

Begründend führte er dazu aus, aufgrund gesundheitlicher Probleme fluguntauglich zu sein. Darüber hinaus sei die Frist für eine ao. Revision gegen die abweisende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge: BVwG) über die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 30.09.2020, mit dem der Wiedereinsetzungsantrag des BF vom 03.08.2020 (betreffend die versäumte Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 29.05.2020) abgewiesen wurde, noch offen und sei sein Anwalt aktuell mit der Ausarbeitung selbiger beauftragt. Er rechne mit einer Aufhebung der Entscheidung des BVwG, einer Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrages und einer Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG.

Dieser Schriftsatz wurde vom BFA noch am selben Tag an das BVwG weitergeleitet.

Auf Aufforderung des BVwG übermittelte das BFA, einlangend am 01.06.2021, diesem den Verwaltungsakt.

Am 01.06.2021 wurde der BF auf dem Luftweg (von Wien-Schwechat nach Pristina, Kosovo) in seinen Heimatstaat abgeschoben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Sachverhalt:

Zur Person des BF:

Der BF führt die im Spruch angeführte Identität und ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er besitzt weder die österreichische Staatsbürgerschaft, noch ist er asyl- oder subsidiär schutzberechtigt.

Zum bisherigen Verfahren:

Der BF reiste zuletzt – entgegen einem aufrechtem Einreiseverbot – am 08.01.2020 ins österreichische Bundesgebiet ein.

Mit Bescheid vom 29.05.2020, Zl. 274832509-191275760, erließ das BFA gegen den BF gemäß § 67 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.) und erteilte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub in der Dauer von einem Monat ab Durchsetzbarkeit des Bescheides (Spruchpunkt II.).

Dieser Bescheid erwuchs – infolge der verspäteten Einbringung einer dagegen erhobenen Beschwerde sowie weiters der rechtskräftigen Abweisung eines entsprechenden Antrags des BF auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – am 04.07.2020 in Rechtskraft.

Zu den Voraussetzungen der Festnahme und Anhaltung des BF in Verwaltungsverwahrungshaft:

Gegen den BF bestand seit 30.05.2021 ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot.

Am 04.05.2021 prüfte das BFA die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Kosovo (§ 50 FPG) und kam zu dem Ergebnis, dass diese zulässig sei (Aktenvermerk).

Am 07.05.2021 wurde seitens des BFA für den BF ein Flugticket von Wien-Schwechat nach Pristina, Kosovo, für 01.06.2021, 12:35 Uhr, gebucht.

Am 11.05.2021 erteilte das BFA der LPD einen amtssignierten Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG betreffend den BF, da gegen diesen ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden sollte.

Am 18.05.2021 erließ das BFA einen amtssignierten Auftrag zur Abschiebung des BF.

Am 30.05.2021 um 09:25 Uhr wurde der BF von Organen der LPD aufgrund des bestehenden Festnahmeauftrags gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG festgenommen und bis 01.06.2021, 12:46 Uhr, in Verwaltungsverwahrungshaft angehalten.

Zum Zeitpunkt der Festnahme und Anhaltung lag dem BFA ein gültiges Reisedokument des BF (kosovarischer Reisepass, Nr. P01599199, gültig bis 10.10.2029) vor.

Der BF war zum Zeitpunkt der Festnahme und während der Anhaltung hafttauglich. Er hatte während der Anhaltung Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

Am 01.06.2021 um 12:46 Uhr erfolgte die Abschiebung des BF über den Luftweg von Wien-Schwechat nach Pristina, Kosovo.

Sowohl die (Anordnung der) Festnahme als auch die Anhaltung des BF in Verwaltungsverwahrungshaft erfolgten nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit.

Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und in die hg. Gerichtsakten (W159 2233135-2 und G310 2233135-1) betreffend das Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid des BFA vom 29.05.2020 sowie in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das GVS-Betreuungsinformationssystem, in das Zentrale Melderegister und in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

Zum Verfahrensgang, zur Person des BF und zum bisherigen Verfahren:

Der Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person des BF und zum bisherigen Verfahren ergeben sich unstrittig und unzweifelhaft aus dem vorgelegten Verwaltungsakt des BFA und den oben angeführten Gerichtsakten des BVwG.

Zu den Voraussetzungen der Festnahme und Anhaltung des BF in Verwaltungsverwahrungshaft:

Auch die Feststellungen zu den Voraussetzungen der Festnahme und Anhaltung ergeben sich überwiegend unstrittig und unzweifelhaft aus der Aktenlage.

Dass gegen den BF seit 30.05.2021 ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot bestand, ergibt sich aus dem hg. Erkenntnis vom 29.04.2021 (W159 2233135-2/8E), demzufolge der Bescheid des BFA vom 29.05.2020, mit dem über den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt wurde, am 04.07.2020 in Rechtskraft erwuchs und (mangels Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) erst zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich auch durchsetzbar wurde. Mit Bescheid vom 30.09.2020 wies das BFA einen am 03.08.2020 gestellten Antrag des BF auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die versäumte Beschwerdefrist gegen den Bescheid des BFA vom 29.05.2020 ab, erkannte einer Beschwerde hiergegen jedoch die aufschiebende Wirkung zu, sodass das Aufenthaltsverbot erst mit der Entscheidung des BVwG (über die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) vom 29.04.2021 grundsätzlich durchsetzbar wurde. Angesichts des (gleichzeitig mit dem Aufenthaltsverbot) für die Dauer eines Monats ab Durchsetzbarkeit erteilten Durchsetzungsaufschubes verschob sich die tatsächliche Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes jedoch letztlich auf den 30.05.2021. Zwar hat der BF gegen dieses Erkenntnis des BVwG – wie aus dem Gerichtsakt zu W159 2233135-2 ersichtlich ist – am 10.06.2021 eine außerordentliche Revision erhoben, einer solchen kommt jedoch gemäß § 30 Abs. 1 VwGG grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zu und wurde ihr diese im konkreten Fall bislang auch nicht zuerkannt.

Dass der BF im Zeitraum seiner Anhaltung (entgegen den Ausführungen in der Beschwerde) hafttauglich war und Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung hatte, ergibt sich ebenfalls aus der Aktenlage, insbesondere aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres, aus der keine Hinweise auf eine Haftunfähigkeit des BF ersichtlich sind. Die Hafttauglichkeit des BF wird auch durch seine letztlich erfolgte Abschiebung bestätigt, da die Durchführung einer solchen eine eingehende Prüfung des Gesundheitszustandes des Abzuschiebenden voraussetzt.

Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit siehe weiter unten (unter Pkt. 3.).

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Artikel 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) idgF erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde;

4. gegen Weisungen gemäß Art. 81a Abs. 4.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 11 VwGVG sind, soweit in diesem und im vorangehenden Abschnitt nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren nach diesem Abschnitt jene Verfahrensvorschriften anzuwenden, die die Behörde in einem Verfahren anzuwenden hat, das der Beschwerde beim Verwaltungsgericht vorangeht.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in den dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet auszugsweise:

§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

[…]

Zur Qualifikation des Anbringes des BF als Beschwerde und zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts:

Der BF betitelte seine Anbringen als „Antrag auf Aufhebung des Festnahmeauftrags“ bzw. „Antrag auf Aufhebung der Anhaltung“ sowie „Antrag auf Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes (von drei Monaten)“.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (in der Folge: VwGH) zu § 13 AVG (der hier gemäß § 17 VwGVG – ergänzend zu § 9 VwGVG, der den notwendigen Inhalt einer Beschwerde im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten festlegt – zur Anwendung kommt) kommt es bei der Ermittlung von Rechtsqualität und Inhalt eines Anbringens nicht auf die Bezeichnung durch den Einschreiter bzw. auf „zufällige Verbalformen“, sondern auf den Inhalt der Eingabe an, also auf das daraus erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters. Parteienerklärungen (also auch Anbringen) sind im Verfahren ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Entscheidend ist, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der Aktenlage objektiv verstanden werden muss. […] Bei antragsbedürftigen Verwaltungsakten ist es unzulässig, entgegen dem erklärten Willen der Partei ihrem Begehren eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar erschlossen werden kann, auch wenn das Begehren, so wie es gestellt wurde, von vornherein aussichtslos oder gar unzulässig sein mag. […] Besondere Vorsicht ist bei der Auslegung einer Parteienerklärung dahingehend geboten, dass die Partei nicht um ihren Rechtsschutz gebracht wird […]. Diese ist nur dann zulässig, wenn die entsprechenden Erklärungen der Partei keine Zweifel offen lassen. […] Anders gewendet ist es der Behörde (hier: dem BVwG) erst recht nicht gestattet, einem unklaren Antrag von vornherein einen für den Antragsteller ungünstigen Inhalt zu unterstellen. Es darf im Zweifel nicht davon ausgegangen werden, dass eine Partei einen von vornherein sinnlosen oder unzulässigen Antrag gestellt hat oder einen Antrag an eine unzuständige Behörde richtet (vgl. hierzu Hengstschläger/Leeb, AVG § 13 [Stand 1.1.2014, rdb.at], Rz 38 f mwN).

Im Sinne dieser vom VwGH entwickelten Grundsätze für die Auslegung von Partei-Anbringen, ist der Schriftsatz des BF jedenfalls in Bezug auf die Festnahme (infolge des Festnahmeauftrages) sowie in Bezug auf die daran anschließende Anhaltung als Beschwerde zu qualifizieren.

Antrag und Begründung des Anbringens ergeben unzweifelhaft, dass der Anbringer gegenständlich eine Beschwerde gegen die Festnahme nach § 40 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG sowie gegen die darauffolgende Anhaltung, die unter Berufung auf das BFA-VG erfolgte, eingebracht hat.

Das BVwG ist somit gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG iVm § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG für die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung des BF in Verwaltungsverwahrungshaft zuständig.

Der mit „Festnahmeauftrag“ betitelte § 34 des BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

§ 34. (1) Das Bundesamt kann die Festnahme eines Fremden anordnen (Festnahmeauftrag), wenn dieser

1. Auflagen gemäß §§ 56 Abs. 2 oder 71 Abs. 2 FPG verletzt, oder

2. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Das Bundesamt kann die Festnahme eines Fremden auch ohne Erlassung eines Schubhaftbescheides anordnen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorliegen und

1. der Fremde ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, nicht Folge geleistet hat oder

2. der Aufenthalt des Fremden nicht festgestellt werden konnte.

(3) Ein Festnahmeauftrag kann gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,

1. wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor das Bundesamt erfolgt;

2. wenn er seiner Verpflichtung zur Ausreise (§§ 52 Abs. 8 und 70 Abs. 1 FPG) nicht nachgekommen ist;

3. wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll oder

4. wenn eine aufgrund eines Bescheides gemäß § 46 Abs. 2b FPG erlassene Vollstreckungsverfügung nicht vollzogen werden konnte oder der Fremde ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung gemäß § 46 Abs. 2b FPG, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, zur Befragung zur Klärung seiner Identität und Herkunft, insbesondere zum Zweck der Einholung einer Bewilligung gemäß § 46 Abs. 2a FPG bei der zuständigen ausländischen Behörde durch die Behörde, nicht Folge geleistet hat.

(4) Das Bundesamt kann die Festnahme eines Asylwerbers anordnen, wenn er sich dem Verfahren entzogen hat (§ 24 Abs. 1 AsylG 2005).

(5) Der Festnahmeauftrag ergeht in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt; er ist aktenkundig zu machen. Die Anhaltung auf Grund eines Festnahmeauftrages darf 72 Stunden nicht übersteigen und ist nach Durchführung der erforderlichen Verfahrenshandlungen zu beenden.

(6) In den Fällen der Abs. 1 bis 4 ist dem Beteiligten auf sein Verlangen sogleich oder binnen der nächsten 24 Stunden eine Durchschrift des Festnahmeauftrages zuzustellen.

(7) Die Anhaltung eines Fremden, gegen den ein Festnahmeauftrag erlassen wurde, ist dem Bundesamt unverzüglich anzuzeigen. Dieses hat mitzuteilen, ob der Fremde in eine Erstaufnahmestelle oder Regionaldirektion vorzuführen ist.

(8) Ein Festnahmeauftrag ist zu widerrufen, wenn

1. das Verfahren zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten eingestellt wurde und die Fortsetzung des Verfahrens nicht mehr zulässig ist (§ 24 Abs. 2 AsylG 2005) oder

2. der Asylwerber aus eigenem dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht seinen Aufenthaltsort bekannt gibt und nicht auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, er werde sich wieder dem Verfahren entziehen.

(Anm.: Z 3 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2015)

(9) Das Bundesamt hat die Erlassung und den Widerruf eines Festnahmeauftrags den Landespolizeidirektionen bekannt zu geben.

Der mit „Festnahme“ betitelte § 40 des BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet auszugsweise:

§ 40. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen,

1. gegen den ein Festnahmeauftrag (§ 34) besteht,

2. wenn dieser Auflagen gemäß §§ 56 Abs. 2 oder 71 Abs. 2 FPG verletzt oder

3. der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

[…]

(3) In den Fällen der Abs. 1 und 2 kann die Festnahme unterbleiben, wenn gewährleistet ist, dass der Fremde das Bundesgebiet unverzüglich über eine Außengrenze verlässt.

(4) Das Bundesamt ist ohne unnötigen Aufschub über die erfolgte Festnahme zu verständigen. Die Anhaltung eines Fremden ist in den Fällen der Abs. 1 Z 2 und 3 und Abs. 2 bis zu 48 Stunden und in den Fällen des Abs. 1 Z 1 bis zu 72 Stunden zulässig; darüber hinaus ist Freiheitsentziehung nur gemäß § 77 Abs. 5 FPG oder in Schubhaft gemäß § 76 FPG möglich. Dem festgenommenen Fremden ist die Vornahme der Festnahme über sein Verlangen schriftlich zu bestätigen.

[…]

Zur Judikatur:

Die gesonderte Anfechtung eines Festnahmeauftrages kommt jedenfalls nach vollzogener Festnahme schon zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten nicht in Betracht (VwGH 03.09.2015, Ro 2015/21/0025); bei der Überprüfung der Festnahme ist allerdings zu prüfen, ob die Festnahme rechtswidrig war, weil der zugrundeliegende Festnahmeauftrag nicht hätte ergehen dürfen oder weil er jedenfalls vor seinem Vollzug zu widerrufen gewesen wäre (VwGH 25.10.2012, 2010/21/0378).

Die Anhaltung eines Fremden ist in den Fällen der § 40 Abs. 1 Z 1 gemäß Abs. 4 BFA-VG bis zu 72 Stunden zulässig. Dabei handelt es sich aber – wie bei § 39 FPG (vgl. VwGH 12.09.2013, 2012/21/0204) – um eine Maximalfrist. Auch im Bereich fremdenpolizeilicher Festnahmen ist die Behörde schon aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet, die Anhaltedauer so kurz als möglich zu halten und im Interesse einer kurzen Haftdauer die dafür notwendigen und ihr zumutbaren organisatorischen und personellen Maßnahmen zu treffen.

Im Verfahren gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG ist die Frage der Rechtmäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme keiner Prüfung zu unterziehen (VwGH 27.03.2007, 2007/21/0019; 31.08.2006, 2004/21/0138), ebenso wenig die Rechtmäßigkeit der Abschiebung. Beachtlich ist vielmehr im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit von Festnahme und Anhaltung, ob die belangte Behörde bei Setzung dieser Maßnahme realistischer Weise mit der tatsächlichen Durchführung der Abschiebung rechnen durfte.

Zur Festnahme und Anhaltung des BF in Verwaltungsverwahrungshaft:

Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asyl- noch subsidiär Schutzberechtigter.

Der BF wurde am 30.05.2021 auf Basis eines bestehenden Festnahmeauftrages gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG festgenommen und bis zu seiner Abschiebung für die Dauer von insgesamt knapp 52 Stunden in Verwaltungsverwahrungshaft angehalten.

Gemäß § 40 Abs. 4 BFA-VG ist das Bundesamt ohne unnötigen Aufschub über die erfolgte Festnahme zu verständigen und ist die Anhaltung eines Fremden in den Fällen des Abs. 1 Z 1 (also bei Vorliegen eines Festnahmegrundes) bis zu 72 Stunden zulässig.

Gegen den BF bestand ein aufrechter und auf einen Festnahmegrund gestützter Festnahmeauftrag und wurde die Festnahme des BF seitens der Organe der LPD unverzüglich dem BFA angezeigt. Die Anhaltung dauerte nicht länger als 72 Stunden an, womit die höchstzulässige Dauer einer Anhaltung aufgrund eines Festnahmeauftrages (vgl. auch § 34 Abs. 5 BFA-VG) nicht überschritten wurde. Die Anhaltung lag daher innerhalb des gesetzlich normierten Rahmens.

Die Anhaltung in der Dauer von 52 Stunden stellt sich – insbesondere vor dem Hintergrund, dass zum Zeitpunkt der Festnahme einerseits bereits ein Flugticket für den BF für den übernächsten Tag gebucht war und die Organe der LPD andererseits davon ausgehen mussten, den BF nicht beim ersten Versuch an seiner Meldeadresse anzutreffen – in zeitlicher Hinsicht jedenfalls als verhältnismäßig dar.

Wie festgestellt und bereits beweiswürdigend dargelegt, war der BF während seiner Anhaltung auch durchgehend haftfähig.

Die Anhaltung des BF hält darüber hinaus auch einer formalen Prüfung stand, da die Festnahme aufgrund eines Festnahmeauftrages erfolgte, der auf keine Bedenken stößt:

Im Hinblick auf die bereits geplante Abschiebung – sowohl die Buchung des Flugtickets als auch die Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung durch das BFA waren zum Zeitpunkt der Erlassung des Festnahmeauftrages bereits erfolgt – und auf das vorliegende gültige Reisedokument (gültiger kosovarischer Reisepass des BF) konnte das Bundesamt auch mit der alsbaldigen Durchsetzung der Abschiebung rechnen. Die Anordnung der Festnahme und, in der Folge, die Dauer der Anhaltung von der Festnahme am 30.05.2021, 09:25 Uhr, bis zur Abschiebung des BF am 01.06.2021, 12:46 Uhr, waren damit nicht unverhältnismäßig. Der BF kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, die Festnahme des BF war daher auch notwendig. Es liegen auch keine Hinweise dafür vor, dass der Festnahmeauftrag von der Behörde zu widerrufen gewesen wäre.

Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG waren somit erfüllt.

In diesem Sinne war auch dem Begehren auf Aufhebung des rechtskonform erlassenen Festnahmeauftrages nicht näher zu treten.

Hinsichtlich der Beschwerde gegen die Festnahme und die darauf gestützte Anhaltung war somit spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Zum Antrag auf Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes:

Ein Eingehen auf die Frage des Durchsetzungsaufschubes ist insofern obsolet, als dass der BF bereits abgeschoben wurde.

Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage geklärt war, Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen und der BF weiters die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragte.

Zu B)

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Anhaltung Ausreiseverpflichtung Befehls- und Zwangsgewalt Festnahme Festnahmeauftrag Haftfähigkeit Maßnahmenbeschwerde Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W117.2242944.1.00

Im RIS seit

08.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten