TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/27 W153 2242897-1

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Veröffentlicht am 27.07.2021
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Entscheidungsdatum

27.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W153 2242897-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kasachstan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.04.2021, Zl. 1140318008-210048224, zu Recht erkannt:

A)       

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) ein Staatsangehöriger Kasachstans stellte bei der Österreichischen Botschaft in Astana einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit dem Aufenthaltszweck „Student“. Er reiste im Besitz eines Visums D mit einer Gültigkeitsdauer von 15.01.2017 bis 14.05.2017 in das österreichische Bundesgebiet ein. Im Zentralen Melderegister scheint eine erstmalige Meldung des BF in Österreich am 17.01.2017 auf.

Der BF hielt sich in weiterer Folge mit einem Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck „Student“ gültig von 02.01.2017 bis 02.01.2018 in Österreich auf.

Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel für den Zweck „Schüler“ von 03.01.2018 bis 03.01.2019, 04.01.2019 bis 04.01.2020 und 05.01.2020 bis 05.01.2021 erteilt.

Mit Bescheid der MA 35 vom 07.10.2020 wurde dem BF der Aufenthaltstitel für den Zweck „Schüler“ entzogen. Begründend wurde ausgeführt, dass die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 63 NAG nicht mehr vorliegen würden. Der BF habe eine Inskriptionsbestätigung von einem Konservatorium vorgelegt. Diesem Konservatorium sei am 30.04.2020 das Öffentlichkeitsrecht rechtskräftig entzogen worden.

Mit Mail vom 03.12.2020 übermittelte die MA 35 den Bescheid an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und teilte mit, dass der Bescheid am 11.11.2020 in Rechtskraft erwachsen sei.

Mit der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme des BFA vom 22.03.2021 wurde dem BF mitgeteilt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung beabsichtigt sei. Dem BF sei mit Bescheid der MA 35 der Aufenthaltstitel für den Zweck „Schüler“ entzogen worden. Er befinde sich demnach nunmehr ohne gültigen Aufenthaltstitel und damit unrechtmäßig im Bundesgebiet. Der BF wurde um Beantwortung näher angeführter Fragen und Vorlage entsprechender Belege innerhalb von 14 Tagen gebeten.

Mit Schreiben vom 31.03.2021, beim BFA am 06.04.2021 eingelangt, brachte der BF eine Stellungnahme ein. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der BF zuletzt im August 2019 für zwei Wochen in seinem Heimatland gewesen sei. Er sei zu Studiumszwecken nach Österreich gekommen. Die Eltern des BF würden ihn finanziell unterstützen. Seine monatlichen Kosten würden sich auf EUR 1.000,- bis EUR 1.100,- belaufen. Er könne in seinem Heimatland Unterkunft bei seinen Eltern nehmen. Seine gesamte Familie und auch weitere Verwandte seien in Kasachstan wohnhaft. In Österreich seien keine Familienangehörigen aufhältig. Mit Bescheid der MA 35 vom 08.03.2021 sei dem BF ein Aufenthaltstitel für den Zweck „Schüler“ verwehrt und ihm sein Aufenthaltstitel entzogen worden. Sein (Verlängerungs-)Antrag vom 22.12.2020 sei als Erstantrag gewertet worden. Begründend sei von der MA 35 ausgeführt worden, dass der BF nicht zu einer Antragstellung im Inland berechtigt sei. Gegen diesen Bescheid habe der BF Beschwerde beim LVwG eingebracht. Der BF sei weder postalisch noch per Mail verständigt worden, dass die Behörde seine Aufenthaltsbewilligung entzogen habe. Der Entziehungsbescheid sei an der Poststelle hinterlegt worden. Die Behörde hätte den Bescheid jedoch zu eigenen Handen dem BF persönlich aushändigen müssen. Im Fall eines erfolglosen Zustellversuches hätte das Schriftstück hinterlegt werden müssen. Es habe jedoch keinen Zustellversuch gegeben. Die Zustellung sei daher mangelhaft und unwirksam. Der BF erachte sich in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Der BF sei in Österreich integriert und habe österreichische Freunde. Dem BF sei es aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht möglich, in sein Heimatland zurückzukehren und dort einen Antrag einzubringen. Zudem müsse er dafür sein Studium unterbrechen. Der Stellungnahme waren Unterstützungsschreiben und eine Inskriptionsbestätigung an einem Konservatorium für das Sommersemester 2021 beigelegt.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des BFA wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.) und gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt II.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kasachstan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das BFA aus, dass sich der BF nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Er verfüge weder über familiäre noch berufliche Bindungen zum Bundesgebiet. Es spreche nichts gegen die Rückkehr des BF nach Kasachstan.

Mit Verfahrensanordnung vom 21.04.2021 wurde dem BF ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

Gegen diese Entscheidung erhob der BF am 21.05.2021 fristgerecht Beschwerde. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass der BF seit über viereinhalb Jahren in Österreich lebe und alle seine Freunde im Bundesgebiet aufhältig seien. Er besuche regelmäßig Vereinstreffen in Österreich. Der BF habe sich sprachlich und gesellschaftlich in Österreich integriert. Das BFA bezweifle zu Unrecht, dass der BF keine sozialen Kontakte bzw. kein Privat- und Familienleben in Österreich habe. Dem Bescheid der MA 35 vom 08.03.2021, mit welchem dem BF ein Aufenthaltstitel für den Zweck „Schüler“ verwehrt worden sei und festgestellt worden sei, dass ihm sein Aufenthaltstitel entzogen werde, sei die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden. Dies bedeute, dass der Bescheid der MA 35 bis zur abschließenden Entscheidung nicht vollstreckt werden könne. Aus diesem Grund dürfe gegen den BF keine Rückkehrentscheidung erlassen werden, bis das LVwG in der Sache eine Entscheidung treffe. Unter anderem wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Der Beschwerde war eine Bestätigung über positiv absolvierte Prüfungen an der Universität Wien angeschlossen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger Kasachstan. Seine Identität steht fest. Er ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF reiste 2017 zum Zweck des Besuches der Technischen Universität Wien legal in das Bundesgebiet ein und verfügte von 02.01.2017 bis 02.01.2018 über einen Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck „Student“.

In weiterer Folge besuchte der BF ab 2017 ein Konservatorium in Österreich, welchem mit 30.04.2020 das Öffentlichkeitsrecht entzogen wurde.

Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel für den Zweck „Schüler“ von 03.01.2018 bis 03.01.2019, 04.01.2019 bis 04.01.2020 und 05.01.2020 bis 05.01.2021 erteilt.

Mit Bescheid der MA 35 vom 07.10.2020 wurde dem BF der Aufenthaltstitel für den Zweck „Schüler“ entzogen. Begründend wurde ausgeführt, dass die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 63 NAG nicht mehr vorliegen würden. Der BF habe eine Inskriptionsbestätigung an einem Konservatorium vorgelegt. Diesem Konservatorium sei am 30.04.2020 das Öffentlichkeitsrecht rechtskräftig entzogen worden.

Der Verlängerungsantrag des BF vom 22.12.2020 wurde von der MA 35 als Erstantrag gewertet und ausgesprochen, dass der BF nicht zu einer Inlandsantragstellung berechtigt sei.

Der BF erhob gegen den Bescheid der MA 35 Beschwerde an das LVwG. Das Verfahren ist derzeit am LVwG anhängig.

Der BF ist seit dem 17.01.2017 aufrecht in Österreich gemeldet.

Der BF ist ledig und kinderlos. In Kasachstan leben die Eltern des BF, von welchen er auch während seines Aufenthaltes in Österreich finanziell unterstützt wurde bzw. wird. Überdies lebt die gesamte Familie sowie weitere Verwandte des BF in Kasachstan. Der BF kann bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Unterkunft bei seinen Eltern nehmen.

Der BF verfügt in Österreich über keine sonstigen familiären Anknüpfungspunkte oder maßgebliche private Beziehungen.

Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer außergewöhnlichen Integration des BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden. Der BF war in Österreich nie erwerbstätig. Im Zeitraum 01.02.2021 bis 29.04.2021 bestand der BF als ordentlicher Studierender fünf Prüfungen an der Universität Wien.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der BF verfügt über keinen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet. Festgestellt wird, dass sich der BF illegal in Österreich aufhält.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen bezüglich die Identität sowie die Staatsangehörigkeit des BF ergeben sich insbesondere aufgrund der Erteilung eines Aufenthaltstitels durch die MA 35.

Die getroffenen Feststellungen zum Aufenthalt in Österreich ergeben sich insbesondere aus der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister sowie das Zentrale Fremdenregister, aus dem Verwaltungsakt, der Stellungnahme und Beschwerde des BF sowie den vorgelegten Unterlagen.

Das Bundesverwaltungsgericht folgt bei den maßgeblichen Feststellungen der schlüssigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides. Seitens des BFA wurde zu Recht festgestellt, dass der BF über keinen gültigen Aufenthaltstitel für das österreichische Bundegebiet verfügt und sich nicht rechtmäßig in Österreich aufhält.

Die festgestellten familiären und persönlichen Verhältnisse des BF in Kasachstan und in Österreich ergeben sich aus der Aktenlage.

Die Feststellung, dass der BF in Österreich nicht straffällig geworden ist, ergibt sich aus der Strafregisterauskunft zum Zeitpunkt der Entscheidung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

Vorerst wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 nicht vorliegen, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der BF Opfer von Gewalt wurde.

Die Beschwerde ist zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides daher als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

§ 10 Abs. 2 AsylG lautet:

„Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10. (2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.“

§ 52 FPG lautet auszugsweise:

„Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.“

§ 9 BFA-VG lautet auszugsweise:

„Schutz des Privat- und Familienlebens (BFA-VG)

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

…“

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien vorzunehmen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalles unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Da der BF über keine Familienangehörigen oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich verfügt, ist ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd Art. 8 EMRK auszuschließen. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls in das Privatleben des BF eingreifen.

Unter „Privatleben“ im Sinne von Art. 8 EMRK sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554).

Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt zudem die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zu (VwGH vom 25.04.2018, Ra 2018/18/0187). Liegt eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so muss die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich sein, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (VwGH vom 18.09.2019). Die Kombination aus Fleiß, Arbeitswille, Unbescholtenheit, dem Bestehen sozialer Kontakte in Österreich, dem verhältnismäßig guten Erlernen der deutschen Sprache sowie dem Ausüben einer Erwerbstätigkeit stellt bei einem Aufenthalt von knapp vier Jahren im Zusammenhang mit der relativ kurzen Aufenthaltsdauer keine außergewöhnliche Integration dar (VwGH vom 18.09.2019, Ra 2019/18/0212). Es ist im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH vom 28.02.2019, Ro 2019/01/003).

Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu.

Im gegenständlichen Fall ist der BF im Jänner 2017 legal nach Österreich eingereist und verfügte von 02.01.2017 bis 02.01.2018 über einen Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck „Student“. Von 03.01.2018 bis 03.01.2019, 04.01.2019 bis 04.01.2020 und 05.01.2020 bis 05.01.2021 verfügte der BF über BF einen Aufenthaltstitel für den Zweck „Schüler“.

Mit Bescheid der MA 35 vom 07.10.2020 wurde dem BF der Aufenthaltstitel für den Zweck „Schüler“ entzogen.

Der Verlängerungsantrag des BF vom 22.12.2020 wurde von der MA 35 als Erstantrag gewertet und ausgesprochen, dass der BF nicht zu einer Inlandsantragstellung berechtigt sei.

Der BF hat sich in weiterer Folge illegal im Bundesgebiet aufgehalten.

Der BF ist ab dem 17.01.2017 im Bundesgebiet gemeldet. Er hat während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Konservatorium besucht, welchem mit 30.04.2020 das Öffentlichkeitsrecht entzogen wurde. Im Zeitraum 01.02.2021 bis 29.04.2021 bestand der BF als ordentlicher Studierender fünf Prüfungen an der Universität Wien.

Der BF geht in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach. Seine Eltern aus Kasachstan kommen für seinen Unterhalt aus.

Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen.

Im vorliegenden Fall ergaben sich keine entscheidungsrelevanten Hinweise auf eine bereits fortgeschrittene Integration des BF in Österreich. Der BF hat sein gesamtes Leben bis zur Ausreise in Kasachstan verbracht und dort seine Sozialisation erfahren. Er spricht auch eine Amtssprache als Muttersprache. Hinzu kommt, dass er familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Eltern, welche den BF auch während seines Aufenthaltes in Österreich finanziell unterstützen und weiterer Verwandte hat.

Den privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Auch wenn der BF während seines Aufenthalts Integrationsschritte gesetzt hat, liegen jedoch keine außergewöhnlichen Umstände vor.

Bei Gesamtbetrachtung all der oben behandelten Umstände und der Abwägung dieser im Sinne des § 9 BFA-VG ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des BF in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig machen würden oder die die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG erforderlich machen würden.

Dem BF kann zugemutet werden, den Wunsch nach einem weiteren Aufenthalt in Österreich als Schüler/Student im Einklang mit den einschlägigen unionsrechtlichen und österreichischen Rechtsvorschriften zu verwirklichen.

Die Erlassung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig.

Betreffend das Vorbringen des BF in der Beschwerde, wonach der Beschwerde des BF gegen den Bescheid der MA 35 die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden sei und eine Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung des LVwG nicht erlassen werden könne, ist nur ergänzend auszuführen, dass gemäß § 21 Abs. 6 NAG eine Inlandsantragstellung nach Abs. 2 Z 1, Z 4 bis 9, Abs. 3 und 5 NAG kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht schafft. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.

Die Beschwerde ist zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides daher als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist.

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entgegensteht.

Im gegenständlichen Fall ist die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in seinen Heimatstaat gegeben, weil aus den Feststellungen im Bescheid und aus den obigen Erwägungen keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 Abs. 1 und 2 FPG ergeben würde.

Es besteht auch keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, welche eine Abschiebung nach Kasachstan für unzulässig erklärt. Eine Abschiebung des BF nach Kasachstan ist daher zulässig.

Die Beschwerde ist zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides daher als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Besondere Umstände im Sinne des § 55 Abs. 2 FPG sind im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht worden, weshalb die vom BFA gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise den gesetzlichen Bestimmungen entspricht.

Die Beschwerde ist zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides daher als unbegründet abzuweisen.

Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Den Umfang der Verhandlungspflicht aufgrund dieser Bestimmung umschrieb der Verwaltungsgerichtshof in seinem grundlegenden Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, worin die Kriterien für die Annahme eines geklärten Sachverhaltes folgendermaßen zusammengefasst wurden (vgl. zum grundrechtlichen Gesichtspunkt auch VfGH 14.03.2012, U 466/11, U 1836/11, betreffend die inhaltsgleiche Bestimmung des § 41 Abs. 7 AsylG 2005): „Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.“

Angesichts der Tatsache, dass der maßgebende Sachverhalt vom BFA abschließend ermittelt wurde und der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war, Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen, sowie eine initiative Darlegung für die Entscheidungsfindung relevanten Umstände, die durch die weitere Hinterfragung zu klären gewesen wären, nicht erforderlich war, ist der Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-Verfahrensgesetz aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte somit gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der eine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

individuelle Verhältnisse Interessenabwägung öffentliche Interessen Pandemie Resozialisierung Rückkehrentscheidung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W153.2242897.1.00

Im RIS seit

08.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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