Entscheidungsdatum
05.08.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W226 2229740-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , vormals XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Johannes HÄUSLE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.02.2020, Zl. 1200701410/191297127 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, heiratete am XXXX standesamtlich einen deutschen Staatsbürger. In weiterer Folge beantragte sie als Angehörige eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers bei der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch (im Folgenden: BH Feldkirch) die Ausstellung einer Aufenthaltskarte. Mit 31.08.2018 wurde der BF die Aufenthaltskarte (Angehörige eines EWR-Bürgers), gültig bis 31.08.2023, ausgefolgt.
2. Am 12.12.2019 gab die BF bei der BH Feldkirch persönlich bekannt, dass sie am XXXX die Scheidung eingereicht habe. Mit Schreiben der BH Feldkirch vom 13.12.2019 wurde der BF Parteiengehör gewährt. Ihr wurde mitgeteilt, es werde davon ausgegangen, dass ihr Aufenthaltsrecht gemäß § 55 Abs. 3 NAG nicht mehr bestehe und wurde sie dazu aufgefordert dazu Stellung zu nehmen, ob ihrerseits eine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt sei.
3. In weiterer Folge wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) über den Sachverhalt informiert und ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme/Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet eingeleitet. Der BF wurde mit Schreiben vom 19.12.2019 auch vom BFA Parteiengehör gewährt und sie dazu aufgefordert diverse Fragen zu beantworten und binnen 14 Tagen eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.
4. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte sie Gebrauch und beantwortete sie die Fragen der belangten Behörde zusammengefasst wie folgt:
Sie sei am XXXX als Ehefrau eines deutschen Staatsangehörigen, welchen sie am XXXX in der Russischen Föderation geheiratet habe, nach Österreich gekommen und lebe sie seither durchgehend hier. Sie habe Deutschkurse besucht und arbeite seit dem 19.06.2019 in einem Hotel im Housekeeping, wo sie ca. 1.300 EUR netto verdiene. Sie könne daher alleine für ihren Lebensunterhalt aufkommen und benötige keine Unterstützung der öffentlichen Hand. Sie habe in Österreich keine Familienangehörigen. Ihr Mann habe sich im Mai 2018 von ihr getrennt und sei aus der ehelichen Mietwohnung ausgezogen. Die BF sei zunächst alleine in der Mietwohnung verblieben, dies sei aber wegen der Schwiegereltern, die in der Nachbarwohnung gelebt hätte, sehr belastend für sie gewesen. Am 29.07.2019 habe ihr Gatte - ohne ihre Zustimmung - die Ehewohnung aufgekündigt. Im August 2019 habe die BF ihren jetzigen Lebensgefährten kennengelernt, Mitte Oktober 2019 sei sie in die Wohnung ihres jetzigen Lebensgefährten gezogen, wo sie auch angemeldet sei. Sie verbringe ihre gesamte Freizeit mit ihrem Lebensgefährten und habe ein sehr inniges, vertrauensvolles Verhältnis zu ihm entwickelt. Auch ihre soziale und kulturelle Bindung zu Österreich habe sich durch ihre Beziehung weiterentwickelt und habe sie auch zu einheimischen Leuten einen Freundeskreis entwickelt. Zu ihrer Familie in Russland (Eltern, Bruder und volljährige Tochter) stehe sie in Kontakt, gesundheitlich gehe es ihr gut, zumal sie regelmäßig Sport betreibe. Sie wolle auch nach der Beendigung der Ehe mit dem deutschen Staatsangehörigen in Österreich bleiben, hier arbeiten und ihr Leben an der Seite ihres neuen Lebensgefährten verbringen. Eine Ausweisung würde eine besondere Härte darstellen, da ihr ein Festhalten an der Ehe, aus welcher sie ihr bisheriges Aufenthaltsrecht abgleitet habe, nicht zugemutet werden könne. Sie sei in der Ehe ständiger psychischer und letztlich auch körperlicher Gewalt ausgesetzt gewesen. Ihr Ehemann habe sich ihr gegenüber aggressiv verhalten und ihr auch Körperverletzungen zugefügt. Die BF habe sich ihrer Deutschlehrerin anvertraut, welche ihr zu einer Anzeigenerstattung geraten habe. Nach dem letzten Vorfall im Mai 2019 sei ihr Mann dann zu seiner neuen Frau in die Schweiz gezogen. Ihr Mann habe alles unternommen, um die BF loszuwerden und habe ihr immer wieder gedroht, er werde dafür sorgen, dass sie ihren Aufenthaltstitel verliere und sie nach Russland zurückkehren müsse. Sie erhalte aus dem Umfeld ihres Mannes noch immer Nachrichten, die sie einschüchtern bzw. zur freiwilligen Ausreise nach Russland bewegen sollen. Aus diesen Gründen habe sie sich entschlossen am 23.07.2019 bei der Polizei eine umfassende Aussage zu machen und eine Anzeige gegen ihren Mann wegen diverser Körperverletzungen zu erstatten. Das Verfahren sei von der Staatsanwaltschaft inzwischen eingestellt worden, bei ihrem Mann sei aber ein Teleskopschlagstock gefunden und eingezogen worden. Die BF hab dann am XXXX eine Scheidungsklage eingebracht, wobei ihr Mann in der ersten Verhandlung am 04.10.2019 behauptet habe, bereits in Russland ein Scheidungsurteil gegen die BF erwirkt zu haben und ein diesbezügliches Dokument in russischer Sprache vorgelegt habe. Die BF habe bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis davon gehabt. Ihrem Mann sei vom Bezirksgericht aufgetragen worden, bis zur nächsten Verhandlung (17.01.2020) eine beglaubigte Übersetzung des russischen Scheidungsurteiles samt Rechtskraftbestätigung vorzulegen. Sollte dies vorgelegt werden, sei die von der BF eingebrachte Scheidungsklage wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wogegen sich die BF nicht zur Wehr setzen werde. Weiters wurde die Einvernahme des Lebensgefährten der BF beantragt.
Mit der Stellungnahme legte die BF unter anderem folgende Unterlagen vor:
- Kopie ihres russischen Reisepasses;
- russische Geburtsurkunde;
- österreichische Aufenthaltskarte, gültig bis 31.08.2023;
- österreichische Meldebestätigung;
- Lebenslauf;
- russische Arbeitsnachweise und diverse Diplome;
- Bestätigung eines Hotels betreffend die Beschäftigung der BF sowie Lohnzettel;
- diverse Bestätigungen betreffend den Besuch von Deutschkursen in Österreich und Russland;
- Schreiben betreffend die Kündigung der Mietwohnung.
5. In weiterer Folge wurde die beglaubigte Übersetzung eines russischen Gerichtsbeschlusses vom XXXX vorgelegt, wonach der Antrag auf Aufhebung des am XXXX in Abwesenheit ergangenen Scheidungsurteiles gegen die BF abgewiesen worden sei.
6. Ohne die BF persönlich einvernommen zu haben, wurde die BF mit Bescheid des BFA vom 11.02.2020 gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihr ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung gewährt (Spruchpunkt II.).
Begründend führte die Behörde aus, dass der BF das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht mehr zukomme, da sie von ihrem Ehemann, von welchem sie ihr Bleiberecht ableite, geschieden sei und mit ihm auch kein gemeinsames Familienleben mehr führe. Vielmehr lebe sie mit diesem seit spätestens 16.10.2019 nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt und sei sie mit Beschluss eines russischen Gerichtes vom XXXX geschieden worden. Auch eine Abwägung der Interessen der BF würde ergeben, dass ein Verlassen des Bundesgebietes notwendig und geboten sei.
7. Gegen diesen Bescheid brachte die BF fristgerecht eine Beschwerde ein, in welcher nach Wiederholung des Verfahrensganges ausgeführt wurde, dass die BF – trotz rechtskräftiger Scheidung von ihrem Ehemann - von der Sonderregelung des § 54 Abs. 5 Z 4 NAG erfasst sei, zumal der BF ein Festhalten an der Ehe aufgrund schutzwürdiger Interessen nicht zugemutet werden habe können, da die BF während ihrer Ehe häuslicher Gewalt ausgesetzt gewesen sei und stetig von ihrem Ehemann gedemütigt und unterdrückt worden sei. Momentan befinde sich die BF in einer neuen Lebensgemeinschaft, verbringe ihre gesamte Freizeit mit ihrem Lebensgefährten und habe sie einen privaten Freundeskreis zu einheimischen Leuten geknüpft. Auch zu den Familienmitgliedern ihres Lebensgefährten habe die BF ein sehr enges Verhältnis entwickelt. Sie stehe mit ihrer Familie in Russland XXXX in Kontakt, gesundheitlich gehe es ihr gut. Die BF wolle in Österreich bleiben, hier arbeiten und ihr weiteres Leben an der Seite ihres Lebensgefährten verbringen. Abschließend wurden erneut die Einvernahme des Lebensgefährten sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
8. Während des Beschwerdeverfahrens langten durch die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vorerst Unterlagen betreffend das anhängige Scheidungsverfahren der BF im Bundesgebiet sowie am 26.06.2020 die Mitteilung, dass die BF nunmehr einen österreichischen Staatsbürger geheiratet habe und einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ eingebracht habe, ein.
Die BH Dornbirn übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht darüber hinaus am 19. Juli 2021 Teile der fremdenrechtlichen Unterlagen, die zur Erteilung von Aufenthaltstiteln „Familienangehöriger“ mit einer Gültigkeit vom 23.07.2020 bis 23.07.2021 und in der Folge von 24.07.2021 bis 24.07.2022 geführt haben.
Demzufolge hat die BF in der Zwischenzeit im Bundesgebiet den österreichischen Staatsbürger XXXX geehelicht, mit welchem sie seit längerer Zeit an der gleichen Adresse polizeilich gemeldet zusammenlebt. Die BF hat im Verfahren vor der BH Dornbirn darüber hinaus den Nachweis eines gültigen Reisedokumentes und Nachweise erbracht, dass sie ebenso wie ihr Ehegatte beim XXXX beschäftigt ist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zum Verfahrensgang und zur aufrechten nunmehrigen Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger, zum gemeinsamen Wohnsitz und zum aufrechten Dienstverhältnis gründen sich auf die im Beschwerdeverfahren von der BH Dornbirn übermittelten fremdenrechtlichen Unterlagen. Die BF führt den im Spruch angeführten Namen, ist Angehörige der russischen Föderation und ist seit XXXX im Bundesgebiet legal aufhältig. Die BF ehelichte während des anhängigen Beschwerdeverfahrens den österreichischen Staatsbürger XXXX , geboren XXXX , sie lebt mit diesem seit längerer Zeit an einer gemeinsamen Wohnadresse und ist bei diesem polizeilich gemeldet. Die BF und ihr Ehegatte sind in einem aufrechten Dienstverhältnis beim XXXX beschäftigt, die BF zudem seit ca. acht Monaten in einem zahntechnischen Labor. Angesichts der Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger wurden wie dargestellt der BF durch die BH Dornbirn Aufenthaltstitel mit dem Zweck „Familienangehöriger“ erteilt, der nunmehrige Aufenthaltstitel hat eine Gültigkeit bis 24.07.2022. Die BF ist strafrechtlich unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsaktes des BVwG, die Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger sowie die in der Folge erteilten Aufenthaltstitel durch die BH Dornbirn ergeben sich aus den von der BH Dornbirn übermittelten fremdenrechtlichen Unterlagen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu Spruchteil A)
Gemäß § 2 Abs. 4 FPG gilt als Fremder, jeder der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt (Z 1 leg. cit.) und als Drittstaatsangehöriger ein Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist (Z 10 leg. cit).
Die Beschwerdeführerin war als Staatsangehörige der Russischen Föderation grundsätzlich Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Durch ihre Ehe mit einem EWR-Bürger, der sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat, erlangte sie den Status eines begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG.
Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft gemäß § 54 Abs. 5 NAG erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG erfüllen und die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 1); die eingetragene Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Auflösungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 2); ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird (Z 3); es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann (Z 4) oder ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang – solange er für nötig erachtet wird – ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf ( Z 5).
Die entsprechende Bestimmung im NAG lautet:
„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs 3 und 54 Abs 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs 2 oder § 54 Abs 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.
(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“
Bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, welches eine Aufenthaltskarte dokumentieren soll, ist nicht automatisch auch der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet beendet. Ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, bleibt selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig. Es soll ihm möglich sein, trotz des Wegfalls der Voraussetzungen für ein aus dem Unionsrecht abgeleitetes Aufenthaltsrecht während seines Aufenthalts im Inland auf einen für seinen künftigen Aufenthaltszweck passenden Aufenthaltstitel "umzusteigen", ohne dass dies zur Folge hätte, dass während dieses Verfahrens sein Aufenthalt unrechtmäßig wäre (VwGH 18.06.2013, 2012/18/0005; siehe auch Abermann et al, Kommentar NAG 2016, § 55 Rz 7 ff).
Kommt die Niederlassungsbehörde – wie hier – bei der Prüfung des Fortbestands der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen, hat sie die in § 55 Abs. 3 NAG vorgesehenen Verfahrensschritte (Befassung des BFA und Information des Betroffenen) zu setzen.
Die Frage des Bestehens des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts und der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung hat dann das BFA zu beurteilen (vgl VwGH 17.11.2011, 2009/21/0378). Diese Frage ist anhand des § 66 FPG zu prüfen, ohne dass es auf das Vorliegen einer Eigenschaft des Fremden als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ankommt. Die Erteilung des von einem Fremden angestrebten Aufenthaltstitels setzt voraus, dass eine Aufenthaltsbeendigung im Verfahren vor dem BFA unterbleibt.
Im vorliegendem Fall wurde die zwischen der BF und ihrem (Ex-)Ehegatten, einem freizügigkeitsbeanspruchenden EWR-Bürger, bestehende Ehe am XXXX geschieden. Die Voraussetzungen für den weiteren Bestand eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes gemäß § 54 Abs. 5 NAG sind – in Ermangelung einer mindestens drei jährigen Dauer der Ehe – nicht erfüllt.
Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Wenn sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben, ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG sind bei einer Ausweisung insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter des Betroffenen, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist gemäß § 66 Abs. 3 FPG zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
Gemäß § 9 BFA-VG ist ua eine Ausweisung gemäß § 66 FPG, die in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingreift, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.
Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen (vgl. VwGH 15.01.2020, Ra 2017/22/0047). Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. VwGH 26.02.2015, Ra 2015/22/0025; 19.11.2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. VwGH 16.12.2014, 2012/22/0169; 09.09.2014, 2013/22/0247; 30.07.2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. 26.03.2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082).
Aufgrund der festgestellten Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger, der Erteilung von durchgehenden Aufenthaltstiteln durch die BH Dornbirn und die im fremdenrechtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen betreffend gesicherten Unterhalt etc. ergibt sich, dass die von der belangten Behörde noch angenommenen fehlenden Anhaltspunkte einer hinreichenden Integration in Österreich in beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht nunmehr jedenfalls vorliegen. Angesichts der Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger und angesichts des legalen Aufenthaltes durch Erteilung von Aufenthaltstiteln ergibt die Abwägung der privaten Interessen der BF in familiärer und privater Hinsicht gegenüber den Interessen des Staates, dass die angefochtene Entscheidung ersatzlos zu beheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich zudem als klar und eindeutig. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ehe Voraussetzungen Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W226.2229740.1.00Im RIS seit
08.10.2021Zuletzt aktualisiert am
08.10.2021