TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/9 W189 2238775-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.08.2021
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Entscheidungsdatum

09.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W189 2238775-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU-GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: der BF), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am Folgetag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu seinem Ausreisegrund gab er an, dass er in Russland als Anwaltsgehilfe gearbeitet und einem Freund geholfen habe, der Probleme gehabt habe. Der BF habe bezüglich seines Freundes Kontakt mit der russischen Staatsanwaltschaft gehabt. Danach sei er von der russischen Polizei vier Tage festgehalten worden und es sei ihm gesagt worden, dass er sich nicht in staatliche Angelegenheiten einmischen solle. Die russische Polizei habe dem BF nahegebracht, sich zu erinnern, warum sein Bruder geflüchtet sei und sein Cousin umgebracht worden sei. Der Bruder des BF sei aus Russland geflüchtet, weil er Probleme mit der russischen Polizei gehabt habe. Sein Cousin sei von der russischen Polizei umgebracht worden, da sie ihn beschuldigt hätten, als Wahhabit gegen den russischen Staat gekämpft zu haben. Weitere Gründe für seine Antragstellung habe der BF nicht. Weiters gab der BF an, dass sein Onkel, welcher in XXXX lebe, ihm erzählt habe, dass er wieder eine Ladung von der russischen Polizei erhalten habe. Im Falle einer Rückkehr befürchte der BF, dass die russische Polizei ihm etwas unterjuble, um einen Grund zu haben, ihn zu inhaftieren. Im Gefängnis befürchte er zu sterben.

Im Zuge der Antragstellung legte der BF eine Kopie seines russischen Inlandspasses vor.

2. Aufgrund einer Anfrage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom XXXX erklärten die polnischen Behörden, dass der BF am XXXX in Polen um Asyl angesucht habe und er letztlich am XXXX abgeschoben worden sei. Der BF habe zwischen dem XXXX erneut versucht, in Polen einzureisen, jedoch seien ihm von der polnischen Grenzpolizei Einreiseverbote erteilt worden.

3. Am XXXX wurde der BF durch das BFA niederschriftlich einvernommen. Zu seinem Fluchtgrund gab er in freier Erzählung im Wesentlichen an, dass er einen Freund namens XXXX habe, welcher mehrmals von den Leuten des Kadyrow verschleppt und misshandelt worden sei. Diese hätten ihm das Geschäft weggenommen und ihn beschuldigt, seinem Bruder, welcher nach Syrien gefahren und dort ums Leben gekommen sei, geholfen zu haben. Der BF kenne seinen Freund seit seiner Kindheit und wisse, dass er Derartiges nicht machen würde, weshalb er ihm als Anwaltsgehilfe helfen habe wollen. Der BF habe im XXXX ein offizielles Papier von der Staatsanwaltschaft verlangt, weshalb sie seinen Freund verschleppt hätten. Der BF habe in der Bezirksstelle ein Schreiben bekommen, wonach jener tatsächlich „in der Wache“ gewesen sei. Der BF habe aber noch nicht die Vollmacht gehabt, um seinem Freund wirklich zu helfen. Die Probleme seines Freundes hätten vor höchstens XXXX begonnen, genau könne der BF das nicht mehr sagen. Sein Freund habe gut verdient und „sie“ hätten seinen Bruder als Vorwand genommen, um an sein Geld zu kommen. Eines Tages seien drei Personen zum BF ins Büro gekommen und hätten ihn gebeten, seine Sachen einzupacken und mit ihnen mitzukommen. Sie hätten ihn in ihre Abteilung in XXXX geführt. Dort hätten sie ihn für vier Tage bzw. jedenfalls drei Nächte festgehalten. Die ersten zwei Nächte sei er in einem Raum eingesperrt worden, den sie „Affenkäfig“ genannt hätten. Niemand habe sich um den BF gekümmert und er sei auch nicht befragt worden. In der dritten Nacht oder am vierten Tag sei der BF zu einem Vorgesetzten dieser Leute geführt worden, welcher ihn verhört habe. Dieser habe wissen wollen, was der BF erreichen wolle. Wenn der BF seinem Freund helfe, störe er ja diese Leute. Der Vorgesetzte habe gesagt, dass der BF in Zukunft für ihn und seine Leute arbeiten solle und ihnen helfen solle. Man werde auch immer gleich als Terrorist oder Wahhabit bezeichnet. Der BF hätte seine Kunden verraten sollen. Sollte er sich weigern, habe der Vorgesetzte auf das Schicksal seines getöteten Cousins verwiesen, welcher die tschetschenischen Widerstandskämpfer unterstützt habe und XXXX getötet worden sei. Der BF habe unter der Bedingung gehen dürfen, dass er mit ihnen zusammenarbeite. Sie würden ihn telefonisch kontaktieren. Der BF habe nur eingewilligt, um von dort entlassen zu werden. Am XXXX sei er freigekommen. Der BF habe seine Sachen und einige Dokumente zusammengepackt und noch mit dem Anwalt, für den er gearbeitet habe, gesprochen. Dieser habe gesagt, dass im Wiederholungsfall weder er noch sonst jemand dem BF helfen können würde. Der BF glaube, dass er am XXXX Tschetschenien verlassen habe.

Auf weitere Befragung erklärte der BF, noch ein zweites Problem zu haben. Es gebe eine Rechtschutzorganisation namens „ XXXX “, die einen Telegram-Kanal führe. Ein Freund des BF namens XXXX sei entführt worden. Der BF habe zunächst nicht den Grund gekannt. Offensichtlich habe der Freund mit jener Organisation zusammengearbeitet. Es handle sich dabei um eine Gruppe, die über illegale Festnahmen in Tschetschenien berichte und diese verbreite. Während seiner Arbeit habe der BF seinem Freund in einem freundschaftlichen Gespräch erzählt, wie er die Dinge sehe. Der BF habe viele Menschenrechtsverletzungen, sogar im Gericht, gesehen. Im Gericht seien Leute verprügelt worden. Der BF habe nicht gewusst, dass sein Freund solche Informationen sammle und sie öffentlich verbreite. Dann sei bekannt geworden, dass er für diese Organisation arbeite. Er sei vor XXXX entführt worden. Er habe gestanden, dass er vom BF Informationen über das Gerichtssystem erhalten habe. Der BF wisse, dass sein Freund gefoltert worden sei. Aus diesem Grund sei der BF nun ebenfalls zum Feind geworden.

Im Zuge der Einvernahme legte der BF ein Konvolut an Dokumenten über sein Studium und seine Berufstätigkeit, eine Kopie des russischen Inlandspasses seines obig erstgenannten Freundes, Geburtsurkunden des BF und seiner Kinder, eine russische Ladung, einen Screenshot aus der Telegram-Gruppe „ XXXX “, einen weiteren Screenshot einer Instagram-Unterhaltung, Bilder des BF mit seinen Freunden und Bilder über Verletzungen des erstgenannten Freundes vor.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen (Spruchpunkt IV.), die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt (Spruchpunkt V.) und eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).

5. Am XXXX erhob der BF durch seine rechtliche Vertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte nach Wiederholung des Vorbringens im Wesentlichen vor, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde aus näher genannten Gründen mangelhaft sei und der BF in seinem Heimatland aufgrund einer zumindest unterstellten politischen Überzeugung verfolgt werde respektive er zumindest Lebensgefahr oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Der BF führe zudem ein schützenswertes Privat- und Familienleben im Bundesgebiet.

6. Das BFA legte am XXXX eine Kopie des russischen Führerscheins des BF samt Übersetzung vor.

7. Der BF erstattete am XXXX eine Stellungnahme zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über die Russische Föderation.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin der russischen Sprache durch, an welcher der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA bliebt der Verhandlung entschuldigt fern. Der BF wurde ausführlich zu seiner Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen, sich zu seinen Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet zu äußern, sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihm mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Im Rahmen der Verhandlung legte der BF eine russische Ladung (Beilage ./1) und ein Empfehlungsschreiben (Beilage ./2) vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF

Die Identität des BF steht fest.

Er ist ein russischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an und ist muslimischen Glaubens. Er ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Er spricht Tschetschenisch und Russisch. Er hat XXXX Jahre die Schule und XXXX Jahre die Universität besucht, wo er im Jahr XXXX ein Studium der Rechtswissenschaften abschloss. Er arbeitete vom XXXX bis zu seiner Ausreise als Anwaltsgehilfe.

Der BF ist in XXXX , Republik Tschetschenien, geboren und hat dort zuletzt in XXXX gelebt, wo auch seine Eltern, seine Schwester, ein Bruder, seine Ehefrau und seine vier Kinder leben. Seine Ehefrau arbeitet als Lehrerin und bezieht staatliches Familiengeld. Der BF hat zudem zwei Onkel, von denen einer in der Stadt XXXX in Zentralrussland lebt. Der BF hat Kontakt zu seinen Angehörigen in Tschetschenien.

Der BF ist gesund.

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF

Der BF ist keiner konkreten, asylrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat Russische Föderation ausgesetzt.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

1.3.1. Politische Lage in Tschetschenien

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland

?        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation

1.3.2. Sicherheitslage in Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Quellen:

•        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik

•        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus

1.3.3. Rechtschutz und Justizwesen in Tschetschenien

In Tschetschenien herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellen Gewohnheitsrecht (Adat), einschließlich der Tradition der Blutrache, und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 13.2.2019). Somit bewegt sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia (EASO 9.2014). Die Einwohner Tschetscheniens sagen jedoch, dass das fundamentale Gesetz in Tschetschenien „Ramzan sagt“ lautet, was bedeutet, dass Kadyrows gesprochene Aussagen einflussreicher sind als die Rechtssysteme und ihnen möglicherweise sogar widersprechen (CSIS 1.2020).

Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017). So musste zum Beispiel im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in die föderalen Kompetenzen fällt (ÖB Moskau 12.2019).

Die Bekämpfung von Extremisten geht laut glaubwürdigen Aussagen von lokalen NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 13.2.2019, vgl. ÖB Moskau 12.2019, AI 22.2.2018). Es gibt ein Gesetz, das die Verwandten von Terroristen zur Zahlung für erfolgte Schäden bei Angriffen verpflichtet. Menschenrechtsanwälte kritisieren dieses Gesetz als kollektive Bestrafung. Angehörige von Terroristen können auch aus Tschetschenien vertrieben werden (USDOS 11.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Ausgewiesene Familien können sich grundsätzlich in einer anderen Region der Russischen Föderation niederlassen und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken (ÖB Moskau 12.2019). Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz (AA 13.2.2019), hierzu gehören neben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (ÖB Moskau 12.2019) auch Oppositionelle, Regimekritiker und Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, Angehörige der LGBTI-Gemeinde und diejenigen, die sich mit Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. seinem Clan angelegt haben. Auch Künstler können Beeinträchtigungen ausgesetzt sein, wenn ihre Arbeit nicht im Einklang mit Linie oder Geschmack des Republiksoberhaupts steht. Regimekritikern und Menschenrechtsaktivisten droht unter Umständen Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zum Mord. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew, gegen den strafrechtliche Ermittlungen wegen (wahrscheinlich fingierten) Drogenbesitzes laufen, wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 13.2.2019). Titijew wurde nach fast anderthalb Jahren Gefängnis auf Bewährung freigelassen (AI 10.6.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World’s Human Rights - Russian Federation

•        AI Amnesty International (10.6.2019): Oyub Titiev kommt auf Bewährung frei!

•        CSIS – Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus

•        EASO – European Asylum Support Office (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautentführung; Waisenhäuser)

•        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation

•        US DOS – United States Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland

1.3.4. Sicherheitsbehörden in Tschetschenien

Die zivilen Behörden auf nationaler Ebene haben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien, die nur dem Republiksoberhaupt, Kadyrow, unterstellt sind (US DOS 11.3.2020). Kadyrows Macht wiederum gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen „Kadyrowzy“. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet; ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017). Vor allem tschetschenische Sicherheitsbehörden können Menschenrechtsverletzungen straffrei begehen (HRW 7.2018, vgl. AI 22.2.2018). Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ansuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch „ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden ‚unantastbaren Polizeieinheiten‘ zu tun haben“ (EASO 3.2017).

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor Ramzan Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind auch in Moskau präsent (AA 13.2.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World’s Human Rights - Russian Federation

•        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection

•        HRW – Human Rights Watch (7.2018): Human Rights Watch Submission to the United Nations Committee Against Torture on Russia

•        US DOS – United States Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland

1.3.5. Allgemeine Menschenrechtslage in Tschetschenien

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten (ÖB Moskau 12.2019). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 13.2.2019). Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird, und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. BAMF 11.2019).

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Caucasian Knot auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von der unabhängigen Tageszeitung Nowaja Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Nowaja Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht (AI 22.2.2018). Auch 2019 blieben frühere gewalttätige Übergriffe gegen Menschenrechtsverteidiger ungeahndet (AI 16.4.2020). Im Februar 2020 wurde die bekannte Journalistin der Nowaja Gazeta, Jelena Milaschina und eine Menschenrechtsanwältin in Grosny von ca. 15 Frauen und Männern in ihrem Hotel angegriffen und verprügelt. Die Nowaja Gazeta verlangte eine Entschuldigung des Republiksoberhauptes von Tschetschenien. Die Union der russischen Journalisten und das Helsinki Komitee verurteilten diesen Vorfall aufs Schärfste. Auch die OSZE und die russische Menschenrechtsorganisation Komitee gegen Folter verlangen von den russischen Behörden eine Aufklärung des Vorfalls (Moscow Times 7.2.2020).

In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten (ÖB Moskau 12.2019). Der regierungskritische tschetschenische Blogger Tumso Abdurachmanow ist nach eigenen Angaben in seinem polnischen Exil von einem bewaffneten Angreifer attackiert worden. Es sei ihm gelungen, den Angreifer zu überwältigen. Menschenrechtsgruppen verurteilten den Angriff als „Mordversuch“. Abdurachmanow betreibt bei YouTube einen Videokanal, der etwa 75.000 Abonnenten hat. In seinen Videos setzt er sich kritisch mit dem tschetschenischen Regionalpräsidenten Ramsan Kadyrow auseinander. Nach eigenen Angaben wurde er in Tschetschenien mit dem Tode bedroht, seit 2015 lebt er im Exil. Dies war nicht der erste Angriff auf einen Tschetschenen, der von Kadyrow als „störend“ empfunden wird, erklärte die russische Menschenrechtsorganisation Memorial. In den meisten Fällen würden die Ermordungen oder Mordversuche von „aus Tschetschenien entsandten Auftragsmördern“ in Moskau oder anderen russischen Regionen, aber auch in der Ukraine oder anderen europäischen Ländern ausgeführt. 2019 hatte die Ermordung eines Georgiers mit tschetschenischen Wurzeln im Berliner Tiergarten Aufsehen erregt. Das Opfer soll im sogenannten zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft haben. Laut Bundesanwaltschaft wurde der 40-Jährige von russischen Behörden als „Terrorist“ eingestuft und verfolgt. Ein dringend tatverdächtiger russischer Staatsangehöriger sitzt in Untersuchungshaft (AFP 27.2.2020). Anfang 2020 wurde ein anderer politischer Blogger aus Tschetschenien tot in einem Hotel in Frankreich aufgefunden. Imran Aliev (44) habe eine Kopfverletzung erlitten. Nach einem Bericht des kaukasischen Internetportals Kawkaski Usel hatte der Blogger sich in seiner früheren Heimat unbeliebt gemacht. Bei Youtube hatte der Tschetschene unter dem Namen Mansur Staryj Ramsan Kadyrow und dessen Familie scharf kritisiert (Kleine Zeitung 3.2.2020).

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 13.2.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        AFP – Agence France Presse (27.2.2020): Bewaffneter Angreifer attackiert tschetschenischen Exil-Blogger

•        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World’s Human Rights - Russian Federation

•        AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019)

•        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (11.2019): Länderreport 21 Russische Föderation, LGBTI in Tschetschenien

•        Kleine Zeitung (3.2.2020): Gewalttat vermutet Blogger aus Tschetschenien lag tot in Hotelzimmer

•        Moscow Times (7.2.2020): Prominent Russian Journalist, Lawyer Attacked in Chechnya

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation

1.3.6. Bewegungsfreiheit

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 13.3.2019).

Quellen:

•        US DOS – United States Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland

1.3.7. Grundversorgung im Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 7.2020a; vgl. ÖB Moskau 12.2018), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Dennoch hat sich die wirtschaftliche Lage im Nordkaukasus in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Wenngleich die föderalen Transferzahlungen wichtig bleiben, konnten in den vergangenen Jahren dank des massiven Engagements der Föderalen Behörden, insbesondere des Nordkaukasus-Ministeriums, signifikante Fortschritte bei der sozio-ökonomischen Entwicklung der Region erzielt werden (ÖB Moskau 12.2019). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung. Die Bevölkerungspyramide ähnelt derjenigen eines klassischen Entwicklungslandes mit hohen Geburtenraten und niedrigem Durchschnittsalter, und unterscheidet sich damit stark von der gesamtrussischen Altersstruktur (AA 13.2.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat

•        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation

1.3.8. Sozialbeihilfen

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab; eine finanzielle Beteiligung der Profitierenden ist nicht notwendig. Alle Leistungen stehen auch Rückkehrern offen (IOM 2018). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds (GIZ 7.2020c).

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2020c)

Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017). Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitee Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

• Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);

• Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);

• Familien mit geringem Einkommen;

• Studenten, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).

Familienbeihilfe: Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.120 Rubel (ca. 44 €). Bei einem zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.131 Rubel (ca. 87 €). Der maximale Betrag liegt bei 22.120 Rubel (ca. 313 €) (IOM 2018). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums. Ab 2020 soll der Kreis der berechtigten Familien erweitert werden (Russland Analysen 21.2.2020a).

Arbeitslosenunterstützung: Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Die Mindesthöhe pro Monat beträgt 850 Rubel (12 €) und die Maximalhöhe 4.900 Rubel (70 €). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2018).

Quellen:

•        BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

•        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft

•        IOM – International Organisation of Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation

•        Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382

1.3.9. Rückkehr

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung von Problemen zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Im Normalfall sind Rückkehrer aber nicht immer mit Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert (ÖB Moskau 12.2019).

Es besteht keine allgemeine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit von Rückkehrern in den Nordkaukasus. Vereinzelt gibt es Fälle von Tschetschenen, die im Ausland einen negativen Asylbescheid erhalten haben, in ihre Heimat zurückgekehrt sind und nach ihrer Ankunft unrechtmäßig verfolgt worden sind. Das unabhängige Informationsportal Caucasian Knot schreibt in einem Bericht vom April 2016 von einigen wenigen Fällen, in denen Tschetschenen, denen im Ausland kein Asyl gewährt worden ist, nach ihrer Abschiebung drangsaliert worden wären (ÖB Moskau 12.2019). Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für jene ergeben, die schon vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 12.2019).

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Polizei gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 13.2.2019).

Neben der allgemeinen Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr haben Rückkehrer die Möglichkeit, eines der vom österreichischen Innenministerium unterstützten Reintegrationsprogramme in ihrem Heimatland in Anspruch zu nehmen. Diese freiwilligen Rückkehrer erhalten eine umfassende Beratung und eine Reintegrationsleistung vor Ort (besteht im Wesentlichen aus einer Sachleistung), welche eine erneute Existenzgrundlage im Herkunftsland ermöglichen und somit eine Nachhaltigkeit der Rückkehr fördern soll (ÖB Moskau 12.2019).


Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation

1.3.10. Dokumente

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden (AA 13.2.2019). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, wobei die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einen zeitaufwändigen Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte „Vorladungen“ zur Polizei geben (DIS 1.2015).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

•        DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014

1.4. Zur Situation des BF im Falle einer Rückkehr

Dem BF ist die Rückkehr in die Russische Föderation, nämlich zu seiner Familie in XXXX , möglich und zumutbar.

Im Falle einer Rückkehr würde er in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Er läuft nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat ist der BF nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

1.5. Zur Situation des BF in Österreich

Der BF stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und ist seither als Asylwerber in Österreich aufhältig.

Er hat bislang keinen Deutschkurs besucht und keine Deutsch- bzw. Integrationsprüfung absolviert. Der BF verfügt über elementare Kenntnisse der deutschen Sprache, mit denen er noch keine Alltagssituationen bewältigen kann.

Der BF ging bislang keiner bezahlten Arbeit oder freiwilligen, gemeinnützigen Tätigkeit nach. Er ist nicht Mitglied in einem Verein und hat auch keine sonstigen Kurse besucht.

Der BF lebt in einem Flüchtlingsquartier der Grundversorgung in XXXX . Ein Bruder, zwei Cousins und die Stiefmutter des BF leben in XXXX . Er steht in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen und wird von ihnen nicht unterstützt. Der BF hat Kontakt zu den Freunden seines Bruders. Darüber hinaus konnten keine weiteren, familiären oder sonstig verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen im Bundesgebiet festgestellt werden.

Es bestehen keine weiteren, substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens in Österreich.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des BF

Die Identität des BF steht, wie auch schon von der belangten Behörde festgestellt, aufgrund der vorgelegten russischen Dokumente – Kopie des Inlandspasses (AS 45), Geburtsurkunde im Original (AS 114) und russischer Führerschein (OZ 5) – fest.

Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF, seinen Sprachkenntnissen, seiner schulischen und universitären Bildung sowie seinem Beruf folgen den gleichbleibenden, plausiblen und daher glaubhaften Angaben des BF im Verfahren sowie den in der Einvernahme durch das BFA vorgelegten Dokumenten über seine Ausbildung (AS 101 bis 107, 115 und 132).

Ebenso glaubhaft sind die Angaben des BF zu seinem Geburts- und Wohnort sowie zum Aufenthaltsort seiner Eltern, seiner Schwester und eines Bruders. Nicht glaubhaft ist hingegen das Vorbringen des BF, dass seine Ehefrau und seine Kinder seit seiner Ausreise im XXXX bei seinen Schwiegereltern in XXXX in der Republik Dagestan leben würden und seither nicht mehr nach XXXX zurückgekehrt seien (Verhandlungsprotokoll S. 4 f). Dies folgt zum einen daraus, dass der BF selbst eine ihn betreffende polizeiliche Ladung vom XXXX vorlegte, die ihm nach seiner Ausreise an seinen letzten Wohnort zugestellt worden sei und welche von seiner Ehefrau übernommen worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 8; Beilage ./1). Den Vorhalt des sich daraus ergebenden Widerspruchs zum Aufenthaltsort seiner Ehefrau konnte der BF in der Folge in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar entkräften. Zum anderen ergibt sich dies aber auch daraus, dass das Fluchtvorbringen des BF nicht glaubhaft ist, somit auch kein Grund ersichtlich ist, aus dem seine Ehefrau und seine Kinder ihren bisherigen Wohnort verlassen hätten müssen (s. dazu noch unter Punkt II.2.2.). Folglich war festzustellen, dass diese weiterhin in XXXX leben. Dass seine Ehefrau als Lehrerin arbeitet und staatliches Familiengeld bezieht, hat der BF selbst angegeben bzw. bestätigt (AS 87; Verhandlungsprotokoll S. 5 und 17). Ebenso hat der BF glaubhaft vorgebracht, zwei Onkel zu haben, von denen einer in XXXX außerhalb des Nordkaukasus lebt (AS 83, 85, 95), und mit seinen Angehörigen in Tschetschenien in Kontakt zu stehen (AS 85, 93; Verhandlungsprotokoll S. 5).

Der BF hat zuletzt in der mündlichen Verhandlung vorgebracht gesund zu sein.

Dass der BF in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, beruht auf einem aktuellen Strafregisterauszug.

2.2. Zum Fluchtvorbringen

Der BF brachte im Wesentlichen vor, von Kadyrow bzw. dem tschetschenischen Sicherheitsapparat zum einen bedroht worden zu sein, da er sich für einen Freund einsetzen habe wollen, sowie zum anderen nun – nach seiner Flucht – einer weiteren Bedrohung durch diese ausgesetzt zu sein, da ein weiterer Freund den tschetschenischen Behörden gestanden habe, dass der BF ihm über sodann veröffentlichte Menschenrechtsverletzungen im tschetschenischen Gerichtssystem erzählt habe. Dieses Fluchtvorbringen ist aus den folgenden Gründen nicht glaubhaft:

Hinsichtlich des erstgenannten Fluchtvorbringens verwickelte sich der BF im Laufe des Verfahrens in grobe Widersprüche zum Kern seiner Angaben. Zunächst ist zu bemerken, dass der BF in der Einvernahme durch das BFA aussagte, dass er keine Vollmacht von seinem Freund gehabt habe (AS 87), in der mündlichen Verhandlung jedoch im Widerspruch dazu implizit ausführte, dass eine solche Vollmacht bestanden hätte (Verhandlungsprotokoll S. 13: „Die Anwälte haben das Recht, wenn sie einen Klienten haben[,] den sie verteidigen müssen, über ihn eine Akte beim Innenministerium anzufragen.“). Weiters gab der BF zwar in der Einvernahme durch das BFA an, dass er nicht nur ein offizielles Schreiben der Staatsanwaltschaft zur Begründung der Verschleppung seines Freundes verlangt habe, sondern in der Folge tatsächlich ein solches Schreiben erhalten habe (AS 87: „Ich habe in der Bezirksstelle ein Schreiben bekommen. In dem Schreiben stand, […]“), negierte letzteres jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht kategorisch (Verhandlungsprotokoll S. 9). Die folgende Rechtfertigung des BF, in der Einvernahme durch das BFA nicht behauptet zu haben, dass er ein Schreiben bekommen habe, ist vor dem Hintergrund des eindeutigen Protokolls jener Einvernahme als untaugliche Schutzbehauptung anzusehen, zumal dem BF das Protokoll rückübersetzt wurde und er mit seiner Unterschrift dessen Richtigkeit bestätigte (AS 97). Ebenso gab der BF in der Einvernahme durch das BFA noch an, dass man ihn unter der Bedingung freigelassen habe, dass er die Klienten der Anwaltskanzlei bzw. deren Anliegen verraten würde und man ihn hierfür telefonisch kontaktieren würde (AS 89: „Sie hätten mich telefonisch kontaktiert.“). Auch hieran vermochte der BF sich in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht mehr zu erinnern (Verhandlungsprotokoll S. 8). Auch gab der BF in der Einvernahme an, dass er nach seiner Freilassung mit seinem Chef gesprochen habe und dieser ihm gesagt habe, dass weder er noch sonst jemand dem BF helfen können werde, wenn „wieder“ (!) so etwas passiere (AS 89). In der mündlichen Verhandlung dagegen erwähnte der BF nicht nur kein solches Gespräch, sondern gab vielmehr im Widerspruch an, dass ein Mitarbeiter in einer Situation wie jener des BF rückwirkend entlassen werden würde (Verhandlungsprotokoll S. 10). Zudem sagte der BF aus, dass sein Chef „vielleicht“ gewusst habe, dass der Dienstlaptop des BF beschlagnahmt worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 13), was ebenso im Widerspruch zum in der Einvernahme erwähnten Gespräch mit seinem Chef steht. Dies umso mehr, da der BF aus seinem Büro mitgenommen und vier Tage lang festgehalten worden sei. Desweiteren legte der BF eine polizeiliche Ladung vor, welche ihm nach seiner Flucht nach XXXX zugestellt worden sei (Beilage ./1) und die – nach Übersetzung durch die beigezogene Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung – von seiner Ehefrau übernommen worden sei, wie dies auch der BF bestätigte (Verhandlungsprotokoll S. 8). Dies widerspricht aber wiederum klar der Aussage des BF, dass er seine Ehefrau noch am Tag seiner Flucht aus Tschetschenien zur ihren Eltern nach XXXX gebracht habe und sie seither nicht mehr nach XXXX zurückgekehrt sei (Verhandlungsprotokoll S. 4 f). Obwohl der BF an jener Stelle ebenso angab, regelmäßigen Kontakt mit seiner Ehefrau zu halten, konnte er in der mündlichen Verhandlung diesen Widerspruch nicht aufklären, sondern gab vielmehr selbst an, dass er sich das nicht erklären könne (Verhandlungsprotokoll S. 8). Dies ist umso erstaunlicher, hätte der BF doch bei Wahrunterstellung des Vorbringens mit Sicherheit seine Ehefrau gefragt, weshalb sie diese Ladung übernommen hat. Im Übrigen erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass gerade an jenem Tag, an dem seine Ehefrau „vielleicht“ dorthin zurückgefahren sei, um „ihre Sachen“ zu holen (ibid.), diese Ladung zugestellt worden wäre. Im Ergebnis muss somit davon ausgegangen werden, dass die vom BF vorgelegte Ladung gefälscht ist oder gekauft wurde (s. dazu auch Punkt II.1.3.10). Widersprüchlich respektive nicht nachvollziehbar ist schließlich, dass der BF beim BFA zwar einerseits angab, dass er erst vier Tage nach seiner Freilassung Tschetschenien verlassen habe (AS 89), er aber andererseits auf Nachfrage, weshalb er seine Familie nicht mitgenommen habe, antwortete, dass er dafür keine Zeit gehabt habe (AS 91). Zudem ist anzuführen, dass der BF zwar noch in der Einvernahme durch das BFA das Datum seiner Ausreise aus Tschetschenien nennen, aber bereits ein halbes Jahr später in der mündlichen Verhandlung nicht mehr korrekt angeben konnte (Verhandlungsprotokoll S. 4).

Neben diesen Widersprüchen ist das Vorbringen des BF zu diesem Fluchtgrund auch nicht nachvollziehbar. Auf der einen Seite wies der BF auf die Gefährlichkeit hin, einer Person zu helfen, die mit Kadyrow bzw. dem tschetschenischen Sicherheitsapparat in Konflikt gekommen ist (AS 93), dass sein Freund bereits früher Probleme bekommen habe (AS 87), der BF schon früher mit den Konsequenzen einer Anzeige Erfahrung gemacht habe (AS 95), er bereits als Student gelernt habe, dass die Gesetze in Tschetschenien in Wahrheit nicht angewendet werden würden und er schon damals gewusst habe, dass er keine Chance gegen „Verbrecher“ (offenkundig gemeint: den tschetschenischen Sicherheitsapparat) habe (Verhandlungsprotokoll S. 11) und welche beruflichen Konsequenzen es haben könne, mit diesem Apparat in Konflikt zu geraten (Verhandlungsprotokoll S. 10). Auf der anderen Seite habe der BF sich aber über all diese Gefahren hinweggesetzt, um ein offizielles Schreiben zu erhalten, weshalb sein Freund verschleppt worden sei. Dieses Vorgehen erscheint umso unplausibler, meinte der BF letztlich in der mündlichen Verhandlung doch selbst, dass es sich um ein aussichtsloses Unterfangen gehandelt habe (Verhandlungsprotokoll S. 9 und 12). Der BF vermochte auch nicht nachvollziehbar darzulegen, welchem Zweck ein Antwortschreiben der Staatsanwaltschaft gedient hätte. Meinte er zunächst, dass er gehofft habe, dass die Antwort zum Inhalt haben würde, dass gegen seinen Freund nichts vorliegen würde, womit er diesen in der Folge verteidigen hätte können, gab er sodann auf Vorhalt der eigenen Aussage des BF, wonach die Leute des Kadyrow sich ohnehin nicht der offiziellen Strukturen bedienen bzw. diese und die Gesetze achten würden, völlig konträr an, dass sein Freund mit einer solchen Bestätigung in eine andere Region Russlands übersiedeln hätte können, um dies wiederum sogleich insoweit abzuschwächen, dass dies nicht bedeuten würde, dass ihm dann dort keine Gefahr drohen würde (Verhandlungsprotokoll S. 12 f). Es blieb damit unklar, zu welchem genauen Zweck der BF dieses vorgeblich gravierende Risiko eingegangen sei. Schlussendlich ist es nicht nachzuvollziehen, dass der BF als ausgebildeter Jurist und Anwaltsgehilfe – abgesehen von der genannten Ladung – keinerlei Bestätigungen über die von ihm behaupteten Geschehnisse in Vorlage brachte. Bemerkenswerterweise legte der BF zwar wohl eine Arbeitsbestätigung seiner Anwaltskanzlei vor, nicht aber eine Bestätigung über sein Vorbringen, obwohl es wohl ein Leichtes gewesen wäre, sich eine solche von seinem (ehemaligen) Arbeitgeber ausstellen zu lassen, zumal dieser kein Interesse daran haben kann, dass seine Mitarbeiter erpresst und Arbeitsgeräte beschlagnahmt werden. Gegenteilig wehrte der BF in der mündlichen Verhandlung vehement, aber völlig unplausibel den Vorhalt ab, mit seiner ehemaligen Kanzlei überhaupt in Kontakt treten zu können (Verhandlungsprotokoll S. 10).

In Bezug auf den zweitgenannten Fluchtgrund wiederum brachte der BF in der Einvernahme durch das BFA vor, dass er seinem Freund XXXX über Menschenrechtsverletzungen im Gericht erzählt habe. Der BF habe viele Menschenrechtsverletzungen gesehen, Leute seien im Gericht verprügelt worden (AS 91). In der mündlichen Verhandlung dazu befragt, nannte der BF jedoch keinen einzigen Vorfall, den er erlebt hätte, sondern schwächte sein Vorbringen ab, dass er lediglich sehr viel gehört habe – wiederum ohne dies näher zu konkretisieren (Verhandlungsprotokoll S. 16). Der BF legte auch nicht die vorgeblich von seinem Freund auf Basis dieser Informationen veröffentlichten Berichte oder sonstige Aufzeichnungen vor. Es blieb somit zum einen unklar, welche konkreten Informationen der BF seinem Freund gegeben hätte, als auch zum anderen, was konkret veröffentlicht worden wäre. Desweiteren gab der BF zwar an, dass er nun in Gefahr sei, weil sein Freund verschleppt worden sei und gestanden habe, dass er diese Informationen vom BF habe (AS 91), befragt, woher er das wisse, sagte der BF aber nur äußerst vage und wenig nachvollziehbar aus, dass sein Vater „Bekannte in diesen Strukturen“ habe, die dem BF zwar nicht helfen könnten, aber seinem Vater erzählt hätten, dass sein Freund gegen ihn ausgesagt habe. Er habe dies dann am Telefon von seinem Vater erfahren (Verhandlungsprotokoll S. 15). Der BF trat auch nicht mit der Organisation „ XXXX “ oder einer anderen NGO, welche die Menschenrechte in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien verteidigt, in Kontakt, um von seinem Wissen um die Folterung seines Freundes zu berichten, um den Fall an die Öffentlichkeit zu bringen. Insgesamt blieb dieses Vorbringen des BF somit äußerst vage und kaum nachvollziehbar.

Der BF gab zu keinem Zeitpunkt an, dass seine Angehörigen im Herkunftsstaat Sanktionen ausgesetzt wären, sondern erklärte in der mündlichen Verhandlung, dass die Situation ruhig sei. Seiner Ehefrau werde auch weiterhin Familiengeld ausgezahlt (Verhandlungsprotokoll S. 5). Entgegen der allgemeinen Behauptungen des BF (AS 93) und den Länderberichten (Punkt II.1.3.3. bzw. II.1.3.5.) sind die Angehörigen des BF somit keiner Sippenhaft aufgrund der behaupteten Tätigkeit des BF ausgesetzt.

Schließlich legte der BF zwar in der Einvernahme durch das BFA diverse Fotos vor, die den BF und seine beiden Freunde zeigen würden, sowie einen Screenshot des Telegram-Kanals der Organisation „ XXXX “ über XXXX und einen Screenshot eines Chats auf Instagram mit dessen (vorgeblichen) Bruder (AS 118 ff). Hierzu ist jedoch auszuführen, dass zunächst aufgrund dieser Fotos nicht festgestellt werden kann, dass es sich beim Bild des XXXX im Telegram-Kanal von „ XXXX “ und den weiteren Fotos, die ihn zusammen mit dem BF zeigen würden, tatsächlich um dieselbe Person handelt. Aber auch wenn man dies unterstellt, belegt dies keine Verstrickung des BF in die Verschleppung des XXXX , sondern lediglich, dass sie sich kennen würden. Durchsucht man den vorgelegten Telegram-Kanal von „ XXXX “, so geht aus einem zweiten Eintrag der Organisation hervor, dass XXXX zuvor für das tschetschenische Innenministerium gearbeitet und weiterhin Kontakt mit Personen aus dem Umfeld von Kadyrow gehalten hätte (s. XXXX mittels Google Translate: „[…] XXXX is a former employee of the Ministry of Internal Affairs of Chechnya, who resigned at his own request. At the same time, he continued to maintain ties with prominent Kadyrov criminals […]“). Dies lässt es umso unplausibler erscheinen, dass der BF gerade jener Person über Menschenrechtsverletzungen erzählt hätte. Ebenso wenig kann mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es sich beim vorgelegten Screenshot eines Instagram-Chats tatsächlich um den Bruder des XXXX handelt, da notorisch jede beliebige Person jedes beliebige Konto erstellen kann. Bei Betrachtung des Instagram-Kontos jener Person fallen im Übrigen zahlreiche offenkundig verherrlichende Bilder und Videos von Ramzan Kadyrow auf (s. XXXX wovon im Falle einer Verschleppung des eigenen Bruders kaum auszugehen wäre. Aus dem vorgelegten Gesprächsinhalt geht zudem nicht hervor, aus welchem Grund eine Kontaktaufnahme nicht erwünscht sei. Zuletzt kann auch aus den vorgelegten Fotos, die den XXXX zeigen würden, erstens nicht festgestellt werden, dass es sich tatsächlich um jene Person handelt, zweitens kann nicht auf den Ursprung der gezeigten Verletzungen geschlossen werden und wiederum ist drittens ein Zusammenhang mit dem BF bzw. dessen Vorbringen aus den vorgelegten Fotos nicht ersichtlich.

In Gesamtbetrachtung des vagen, widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Vorbringens des BF ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dessen Fluchtgründe nicht der Wahrheit entsprechen. Andere Fluchtgründe wurden vom BF nicht vorgebracht und sind auch vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht hervorgekommen.

2.3. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus dem im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation vom XXXX wiedergegebenen und zitierten Länderberichten, welche im Wesentlichen keine rechtlichen Abänderungen durch den aktualisierten Länderbericht der Staatendokumentation vom 10.06.2021 beinhalten. Diese gründen sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter Punkt II.1.3. zitiert.

2.4. Zur Rückkehrsituation des BF

Im Verfahren sind keine Gründe dafür hervorgekommen, dass dem BF – ein junger und gesunder Mann, der über eine schulische und akademische Bildung sowie Arbeitserfahrung verfügt und arbeitsfähig ist – eine Rückkehr in seinen Heimatort, wo seine Angehörigen wohnen und wo er demnach eine Unterkunft hätte, nicht möglich wäre. Der BF hat sowohl in der Einvernahme durch das BFA als auch in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben, dass er keine finanziellen Probleme in seiner Heimat hatte, sodass auch zukünftig solche nicht ersichtlich sind, zumal seine Ehefrau weiterhin einer Arbeit als Lehrerin nachgeht und für die Kinder Familiengeld bezieht. Der BF hat bereits vor seiner Ausreise als Anwaltsgehilfe gearbeitet und könnte auch nach seiner Rückkehr wieder einer Tätigkeit in seinem Berufsfeld nachgehen. Darüber hinaus ist den Länderberichten zu entnehmen, dass es in Russland eine staatliche Arbeitslosenunterstützung gibt, die den BF sowohl bei der Arbeitssuche als auch bei der finanziellen Überbrückung der Arbeitslosigkeit unterstützen kann. Es sind vor diesem Hintergrund keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass der BF im Falle einer Rückkehr nicht in der Lage sein würde, erneut für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Dies gilt auch in Betrachtung einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten, allfälligen schwierigeren wirtschaftlichen Gesamtlage, da damit nicht derartige Einschränkungen einhergehen, dass einer Person in der Ausgangslage des BF jegliche Existenzgrundlage entzogen wäre. Dies, zumal in Russland bereits Impfstoffe zur Verfügung stehen, sodass mittelfristig mit einem Wegfall derartiger Einschränkungen zu rechnen ist.

Dass im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat der BF in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre, ist anhand der Länderberichte nicht objektivierbar.

Sonstige außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen, hat der BF nicht angegeben und sind auch vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nicht hervorgekommen.

2.5. Zur Situation des BF in Österreich

Die Feststellung über den asylrechtlichen Aufenthalt des BF im Bundesgebiet beruht auf dem unstrittigen Akteninhalt.

In der mündlichen Verhandlung hat er selbst vorgebracht, bislang keinen Deutschkurs besucht zu haben, keine Arbeit oder gemeinnützigen Tätigkeit nachgegangen zu sein, nicht Mitglied in einem Verein zu s

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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