TE Bvwg Beschluss 2021/8/9 W146 1307323-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.08.2021
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Entscheidungsdatum

09.08.2021

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W146 1307323-4/5E

BESCHLUSS

In dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2021, Zl. 811389505/211063604, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, beschließt das Bundesverwaltungsgericht durch den Richter Mag. Stefan HUBER:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 Asylgesetz 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-Verfahrensgesetz rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Asylwerber brachte am 16.08.2005 nach illegaler Einreise gemeinsam mit seinem Sohn einen (ersten) Asylantrag in Österreich ein.

Im Zuge der niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an als Grund für das Verlassen seines Herkunftsstaates zusammengefasst an, dass er sich dort immer verstecken hätte müssen. Es habe nächtliche Überfälle durch maskierte Männer gegeben. Es herrsche Krieg in seiner Heimat.

Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 09.09.2005 gab der Asylwerber im Wesentlichen an, seine Heimat deshalb verlassen zu haben, da er vor drei Jahren von maskierten russischen Soldaten verschleppt und einen Monat lang gefangen gehalten und verhört worden sei. In dieser Zeit sei er auch täglich geschlagen worden und hätten seine Verwandten letztlich US-$ 1.000,-- für seine Freilassung bezahlen müssen. Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes habe er danach fünf Monate im Krankenhaus verbringen müssen. Vor sechs Monaten sei er dann ein zweites Mal verschleppt worden. Man habe ihn zwei Tage lang festgehalten und gegen ein Lösegeld von US-$ 500,-- wieder frei gelassen. Eigentlicher Grund für ihn nach Österreich zu gehen, sei aber der Umstand gewesen, dass er seinem Sohn eine bessere Zukunft ermöglichen habe wollen. Zudem habe man, nachdem er nicht mehr zu Hause gewohnt habe, gedroht, seinen Sohn XXXX an seiner Stelle zu entführen.

Der Asylwerber wurde am 10.01.2006 vor dem Bundesasylamt umfassend zu den Gründen für seine Asylantragstellung einvernommen. Dabei brachte dieser kurz zusammengefasst vor, dass es "viele Gründe" gebe, warum er in seiner Heimat nicht in Ruhe gelassen worden sei. Einmal seien Leute in sein Haus eingedrungen und hätten ihn verschleppt, weil er unter Dudajew bei der Polizei gearbeitet habe. Dann seien "die Russen" gekommen, wobei man ihn aber "nur bis zum Auto gezerrt" habe. Verwandte hätten dann Geld für ihn bezahlt. Die Russen würden so ihre Geschäfte machen, um zu Geld zu kommen. Danach habe er nicht mehr zu Hause übernachtet, da er Angst um sein Leben und auch kein Geld mehr gehabt habe. Befragt, wann konkret er verschleppt worden sei, meinte der Asylwerber, dass es schon schlecht um sein Gedächtnis stehe und dies zwei, drei oder vier Jahre her sei. Schon vor seiner Ausreise habe er immer wieder in andere Bezirke ziehen und sogar im Wald übernachten müssen. Seine Frau und zwei weitere Kinder befänden sich zwar noch zu Hause, dies aber nur, weil er nicht genug Geld für die gemeinsame Ausreise aller Familienmitglieder gehabt habe. Anlässlich seiner ersten Festnahme sei er 15 bis 17 Tage lang an einem feuchten Ort gefangen gehalten und "arg geschlagen" worden. Erst als seine Verwandten Geld bezahlt hätten, sei er freigekommen. In seiner Heimat würden keine Terroristen oder Rebellen festgenommen, sondern nur Unschuldige, da man Geld mit den Leuten machen wolle.

Mit Bescheid vom 30.10.2006 wies das Bundesasylamt den Asylantrag vom 16.08.2005 gemäß § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.), stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in die Russische Föderation gemäß § 8 Absatz 1 AsylG 1997 zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wies diesen unter einem gemäß § 8 Absatz 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt III.). In ihrer Entscheidungsbegründung ging die belangte Behörde im Wesentlichen von der Unglaubwürdigkeit des vom Asylwerber erstatteten Vorbringens aus. So habe dieser etwa "immer wieder von einander völlig abweichende bzw. nicht nachvollziehbare Angaben gemacht" und auf die Frage nach seinem Ausreisemotiv in den jeweiligen Einvernahmen "völlig anderwärtige Angaben zu Protokoll" gegeben bzw. sei er überdies bereits als Person unglaubwürdig gewesen. Zusammengefasst müsse daher davon ausgegangen werden, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat keine Verfolgung im Konventionssinn drohe.

Mit Erkenntnis vom XXXX , wies der Asylgerichtshof die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 7 AsylG, § 8 Abs. 1 AsylG und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG als unbegründet ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht nur die Ausführungen des Asylwerbers zu seinen Ausreisegründen, sondern auch die Angaben zu seinen behaupteten Familienmitgliedern im Ergebnis nicht in Einklang zu bringen bzw. nachweislich unrichtig seien. So ergebe sich etwa aus dem im Zuge der freiwilligen Heimreise seines mit ihm im August 2005 nach Österreich gekommenen behaupteten Sohnes " XXXX , geb. XXXX “ vorgelegten, am 17.07.2006 im tschetschenischen Rajon XXXX ausgestellten Identitätsdokument (russ. Inlandspass), dass dieser in Wirklichkeit XXXX heiße und am XXXX geboren sei. Somit stehe aber nicht nur fest, dass der Asylwerber den österreichischen Asylbehörden mehrmals falsche Identitätsangaben hinsichtlich seines (behaupteten) Sohnes bekannt gegeben bzw. dessen wahre Identität bis zuletzt nicht offengelegt habe, sondern sei in Anbetracht des Vatersnamens (" XXXX ovich") überhaupt das behauptete Vater-Sohn-Verhältnis massiv in Zweifel zu ziehen. Zudem sei anzumerken, dass der Inlandspass zu einem Zeitpunkt ausgestellt worden sei, zu welchem sich der Genannte eigentlich in Österreich befinden hätte müssen, sodass davon auszugehen sei, dass dieser bereits damals zumindest kurzfristig das Bundesgebiet verlassen habe und in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt sei, um sich jenes Dokument ausstellen zu lassen. In Verbindung mit der Tatsache der am 24.02.2011 erfolgten freiwilligen Heimreise des (behaupteten) Sohnes in die Russische Föderation könne somit in weiterer Folge aber auch das vom Asylwerber - unter anderem - genannte Fluchtmotiv, Leute seien in sein Haus in Tschetschenien eingedrungen und hätten sich nach seinem Sohn XXXX erkundigt, den er durch die gemeinsame Ausreise schützen habe wollen, nicht den Tatsachen entsprechen.

Dieses Erkenntnis erwuchs am 20.10.2011 in Rechtskraft.

Am 17.11.2011 brachte der Asylwerber einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz beim Bundesasylamt ein.

Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23.11.2011 gab der Asylwerber im Wesentlichen an, dass sein Sohn in den Herkunftsstaat zurückgekehrt sei. Seine Ehefrau habe ihm während eines Telefonates berichtet, dass sich Polizeibeamte nach dem Sohn erkundigt hätten. Nachdem sie den Beamten mitgeteilt habe, dass ihr dessen Aufenthaltsort unbekannt sei, sei auch nach dem Aufenthaltsort des Asylwerbers gefragt worden. Überdies hätten sich die Beamten erkundigt, ob sich der Sohn "in die Berge begeben" habe. In weiterer Folge gab der Asylwerber zu, dass es sich bei dem von ihm als seinen Sohn Bezeichneten nicht um seinen leiblichen Sohn, sondern den Sohn seines Bruders XXXX , der während des Krieges umgekommen sei, handle. XXXX , der eigentlich XXXX heiße, sei jedoch von ihm aufgezogen worden. Wann genau er von der Rückkehr seines Sohnes in den Herkunftsstaat erfahren habe, könne er nicht angeben. Im Herkunftsstaat werde noch immer nach ihm gesucht. Er habe - wie er von seiner Frau vor drei Wochen erfahren habe - eine Ladung erhalten, die er sich so bald wie möglich schicken lassen werde. Seine Frau habe ihm überdies vor zwei Wochen erzählt, dass Polizeibeamte vor etwa einem Monat nach seinem Sohn XXXX gesucht hätten. Da dessen Aufenthaltsort jedoch unbekannt sei, sei auch nach dem Asylwerber gefragt worden.

In weiterer Folge übermittelte der Asylwerber eine Ladung im Original, wonach er am 09.11.2011 um 10:30 Uhr im Amt des Innenministeriums, Milizstation des Rayons XXXX , Ministerium für innere Angelegenheiten der Republik Tschetschenien, bei Operationsinspektor XXXX als Zeuge erscheinen müsse. Überdies legte er ein an ihn adressiertes Originalkuvert mit dem Absender XXXX , XXXX Grosny, Russische Föderation, vor, welches mit 02.12.2011 datiert ist.

Im Rahmen einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 22.05.2012 brachte der Asylwerber im Wesentlichen vor, dass "Leute" in seine Wohnung im Herkunftsstaat eingedrungen seien und nach ihm gesucht hätten. Seine Frau sei nach Inguschetien geflüchtet und fahre nur gelegentlich nach Hause, um ihre Mutter zu besuchen. Vor einer Woche habe er neuerlich zu Hause angerufen und erfahren, dass erneut nach ihm gesucht worden sei. Seine Verwandten hätten ihm mitgeteilt, dass "diese Leute" auf ihn warten und regelmäßig kontrollieren würden, ob er zu Hause sei. Überdies sei sein Bruder vorige Woche geflüchtet. Er (selbst) werde gesucht, weil er unter Dudajew (bei der Polizei) gearbeitet habe und sein Sohn "in den Wald geflohen" sei. Überdies könnten XXXX , sein ehemaliger Nachbar, sowie sein im Bundesgebiet als anerkannter Flüchtling lebender Bruder bezeugen, dass er gesucht werde. Die im gegenständlichen Verfahren vorgebrachten Umstände habe er am 10.11.2011 erfahren. Weiters erteilte der Asylwerber seine Zustimmung zur Überprüfung seiner Angaben.

Mit Bescheid vom 25.05.2012 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 17.11.2011 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Asylwerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt II.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es habe kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden können. Die Begründung des neuerlichen Antrages reiche zudem nicht aus, einen neuen, gegenüber dem früheren Antrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen. Der Asylwerber habe sich im nunmehrigen Verfahren hinsichtlich der Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates auf dieselben Beweggründe gestützt, wie im bereits rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren. Indem er weiterhin vorgebracht habe, von russischen Polizeibehörden verfolgt worden zu sein, habe er sich auf einen bereits vorgebrachten Fluchtgrund gestützt, welcher von der Rechtskraft des Erstverfahrens umfasst sei. Sofern der Asylwerber nunmehr "als Neuerung" anführe, dass sein Ziehsohn in die Russische Föderation zurückgekehrt sei und sich den Widerstandskämpfern angeschlossen habe, sei zu berücksichtigen, dass dies nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Person zu werten sei. Hinsichtlich der vorgelegten Ladung der Polizei könne nicht davon ausgegangen werden, dass dem Asylwerber aus diesem Grund tatsächlich Verfolgung drohe. Seine diesbezüglichen Angaben, also eine Bedrohung und Verfolgung durch russische Behörden, sei nicht zu erkennen und stellten diese Angaben einen unveränderten Sachverhalt dar. Überdies sei festzustellen, dass diese weiterhin bestehenden Gründe auch den Grundanforderungen der Glaubhaftmachung nicht genügen würden. Von einer Befragung der angeführten Zeugen sei abzusehen gewesen, da diese den Angaben des Asylwerbers nach ohnehin lediglich zum bereits im Erstverfahren geprüften Sachverhalt Stellung nehmen könnten.

Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX , wurde der Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.05.2012 gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 mit der Begründung behoben, dass die Behörde im fortgesetzten Verfahren Ermittlungen im Hinblick auf die nunmehr vorgelegte Ladung anzustellen und dabei insbesondere durch eine neuerliche Befragung des Asylwerbers und allenfalls auch durch Befassung eines geeigneten Sachverständigen festzustellen haben werde, ob der nunmehr vom Asylwerber in seinem zweiten Asylverfahren vorgelegten Ladung Authentizität zugebilligt werden könne oder nicht. Darüber hinaus werde die belangte Behörde zur Beurteilung des nunmehrigen Vorbringens auch die vom Asylwerber namhaft gemachten Zeugen einzuvernehmen haben.

Im fortgesetzten Verfahren wurde der Asylwerber in Anwesenheit seines bevollmächtigten Vertreters am 04.09.2012 beim Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen, wobei er angab, dass er verheiratet sei, seine Frau habe ständig in der Russischen Föderation gelebt. Seit November 2011 lebe sie mit den beiden gemeinsamen Kindern (Tochter und Sohn) bei der Mutter in Inguschetien. Er habe zu allen Kontakt. Der mit ihm in Österreich eingereiste junge Mann namens XXXX sei sein Neffe, dessen Vater im Krieg umgekommen sei und den der Asylwerber großgezogen habe. Er glaube, dass sein Neffe im November 2011 freiwillig nach Russland zurückgekehrt sei. Angeblich lebe er im „Wald“. Befragt, warum seine Frau im November 2011 nach Inguschetien gezogen sei, gab er an, dass im Mai 2011 Behördenorgane zu ihr gekommen und nach ihm und seinen Neffen gefragt hätten, auch ein zweites Mal sei seine Familie behelligt worden und alles sei durcheinandergeworfen worden. Aus Angst um die Kinder sei seine Frau dann nach Inguschetien gezogen.

Bis heute werde nach ihm gefragt. Die Behörden wüssten von ihren Informanten, dass XXXX wieder in Tschetschenien sei. Zur vorgelegten behördlichen Ladung als Zeuge gab er auf Befragen an, dass er aus eigener Erfahrung wisse, dass solche Ladungen entgegen den wahren Tatsachen verschickt würden oder sie auch ganz ohne Ladung in der Nacht kommen und jemanden mitnehmen könnten.

Außerdem brachte der Asylwerber vor, an Depressionen zu leiden; er könne nicht arbeiten und habe Probleme mit dem Gedächtnis. Er werde in Österreich von seinem hier aufhältigen Bruder und Verwandten unterstützt und stehe wegen seiner Lunge und den Nieren in ärztlicher Behandlung. Er sei bereits vorbestraft.

Nach dem am 13.02.2014 vorgelegten klinisch-psychologischen Befundbericht vom 12.01.2014 bestand beim Asylwerber eine medikamentös behandelte psychische Erkrankung (posttraumatische Belastungsstörung, mittelgradige depressive Episode) sowie die Gefahr einer Retraumatisierung und eines erhöhten Suizidrisikos im Fall von Zwangsmaßnahmen. Der Asylwerber sei infolge seines schlechten psychischen Zustandes zur Psychotherapie angemeldet worden.

Am 07.04.2016 langte eine Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein.

Der Akt wurde schließlich am 21.10.2016 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet, wo er am selben Tag einlangte. Mit Schreiben vom 28.10.2016 beauftragte das Bundesverwaltungsgericht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 19 Abs. 6 AsylG 2005 umgehend mit der Einvernahme des Asylwerbers binnen 8 Wochen.

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 29.12.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Asylwerber zusammengefasst an, sich seit 11 Jahren im Bundesgebiet aufzuhalten und an Depressionen gelitten zu haben; nun gehe es ihm aber besser und er könne die Fragen beantworten. Als Grund für seinen zweiten Asylantrag brachte der Asylwerber im Wesentlichen vor, er werde von den regierungstreuen Kräften in Tschetschenien bezichtigt, so wie seine drei auf der Seite der aufständischen tschetschenischen Kämpfer ums Leben gekommenen Brüder auf der Seite der Aufständischen mitgewirkt zu haben. Zwar habe er selbst nicht gekämpft, sie aber unterstüzt. Er befürchte daher im Fall der Rückkehr verschleppt, gefoltert zu werden und womöglich zu verschwinden. Auf Nachfrage brachte er vor, im Ort XXXX in Inguschetien auf der Straße auf ein Taxi gewartet zu haben, als er von zwei Maskierten entführt worden sei. Er habe einen neuen Antrag gestellt, weil die Gefahr noch immer vorhanden sei. Seine Frau warne ihn am Telefon zurückzukehren. Sie hätte ihm berichtet, dass sie einige Male von Untersuchungsbeamten in Zivil zu Hause aufgesucht worden sei, welche sich nach seinem Aufenthalt erkundigt und auch in der Nachbarschaft nach ihm gefragt hätten.

Er könne aus Angst um sein Leben nicht zurückkehren. In Österreich besuche er einen Deutschkurs, früher habe er sich wegen der Depression nichts merken können. Jetzt fühle er sich besser und bemühe sich, sich in die Gesellschaft zu integrieren und den Mitmenschen zu helfen, etwa indem er beim Deutschkurs beim Aufräumen helfe.

Am 03.11.2020 fand beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Russisch statt, an welcher der Asylwerber sowie sein anwaltlicher Vertreter sowie zwei Zeugen und ein Vertreter der Behörde teilnahmen.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , wurde der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Bundesasylamt gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG stattgegeben (Spruchpunkt I.), der Antrag auf internationalen Schutz vom 17.11.2011 wurde gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 57 AsylG wurde dem Asylwerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, § 9 BFA-VG und §§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG wurde gegen den Asylwerber eine Rückkehrentscheidung in die Russische Föderation erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 und 46 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist, sowie dem Asylwerber gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt. (Spruchpunkt III.). Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Begründend wurde ausgeführt, dass die Behörde seit der Einvernahme am 04.09.2012 bzw. auch nach dem Antrag auf Sachentscheidung vom 06.07.2015 völlig untätig gewesen, sodass jedenfalls von einem überwiegenden Verschulden der Behörde auszugehen sei, auch wenn der Asylwerber das Verfahren anfangs möglichst verzögerte und zu verschleppen suchte.

Es könne nicht festgestellt werden, dass der Asylwerber einen neuen maßgeblichen Sachverhalt seit der ersten rechtskräftigen Entscheidung geltend gemacht habe und diesem ein glaubhafter Kern zukomme.

Es sei anzumerken, dass auch kein Grund erkannt werden könne, wonach der Asylwerber, welcher im Herkunftsstaat über mehrere Familienangehörige (Frau, Geschwister) - auch außerhalb Tschetscheniens - verfüge, dort in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse in eine ausweglose Situation geraten würde. Bezüglich seiner Depression seien nach den Länderfeststellungen psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger sei in der Verfassung verankert. Für die Dauer einer Behinderung bestehe außerdem Anspruch auf eine Behindertenrente oder Arbeitslosengeld und die Möglichkeit, eine kostenfreie Wohnung zu erhalten. Außerdem könne er von seiner als Erzieherin tätigen Frau oder seinen Geschwistern finanzielle oder sonstige Unterstützung (zB. Unterkunft, Verpflegung) erlangen. Eine Rückkehr an einen Ort außerhalb Tschetscheniens bzw. des Nordkaukasus sei dem Asylwerber daher ebenfalls zumutbar.

Es liege nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK im Bundesgebiet vor.

Der Asylwerber habe während seines bisher 15-jährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet als Asylwerber bislang die staatliche Grundversorgung bezogen und laufend medizinische Behandlungen in Anspruch genommen. Er habe auch bereits mehrere Deutschkurse besucht, könne jedoch bislang kein entsprechendes Zertifikat vorlegen. Er sei bisher auch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Weiters sei die wiederholte unbegründete Antragstellung sowie das beharrliche, zeitweilige illegale Verbleiben im Bundesgebiet trotz rechtskräftiger Ausweisung vom Oktober 2011 zu Lasten des Asylwerbers zu werten. Somit könne nicht festgestellt werden, dass dem subjektiven Interesse des Asylwerbers am Verbleib im Inland Vorzug gegenüber dem maßgeblichen öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme, zu geben sei. Dieses Erkenntnis erwuchs am 14.12.2020 in Rechtskraft.

Am 06.07.2021 stellte der Asylwerber den gegenständlichen - dritten - Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab der Asylwerber im Wesentlichen an, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht seien. Vor zwei Wochen sei eine Person in Zivil an seine Heimatadresse in Tschetschenien gekommen und habe seinen Sohn nach dem Aufenthaltsort des Asylwerbers befragt. Der Asylwerber befürchte, dass er in seiner Heimat immer noch gesucht und verfolgt würde. Er habe auch in Österreich gegen Kadyrow und Putin demonstriert. Er glaube, es gebe Fotos, die ihm dabei zeigen würden. Eine andere Person aus seinem Dorf sei vor zwei Wochen aus Griechenland in sein Dorf zurückgekehrt und sei nun verschwunden und verschollen.

Anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 03.08.2021 gab der Asylwerber an, dass ihm derzeit psychotherapeutische Medikamente wegen Schlaflosigkeit, Depressionen und auch für sein Gedächtnis, weil er immer viel vergesse, verschrieben würden. Einen aktuellen Befund habe er nicht mit.

Die im Erstverfahren angegebenen Fluchtgründe seien immer noch aufrecht, aber jetzt habe er noch mehr Schwierigkeiten, weil er bei Demonstrationen gegen Russland teilgenommen habe und es davon Videos und Fotos geben würde. Dies seien alle seine Fluchtgründe.

Man habe dem Asylwerber gesagt, sei vorsichtig, meide die Öffentlichkeit und spreche nicht mit anderen Menschen. Auf Nachfrage gab er an, dies hätten ihm Tschetschenen geraten; mit diesen habe der Asylwerber in einem Park über Meetings geredet. Auf Nachfrage gab der Asylwerber an, es gebe Meetings gegen Russland, gegen Folter, die dort durchgeführt werde. Er sei 2019 und 2020 auf diesen Meetings gewesen. Er kenne diese Personen aber nicht, es gebe immer neue Leute, die dazu kommen würden und er frage nicht jeden, wie er heiße.

Mehrmals wird der Asylwerber befragt, ob es stimme, dass, wie in der Erstbefragung behauptet, eine Person den Sohn des Asylwerbers an seiner Heimatadresse aufgesucht und nach dem Asylwerber gefragt habe. Schließlich gab der Asylwerber an, er vergesse immer wieder mal alles. Schlussendlich gab er an, ja, diese Person sei bei seinem Sohn gewesen. Dies sei vor ca. einem Jahr gewesen.

Die Meetings würden hauptsächlich am 23. Februar stattfinden und er glaube, das sei 2020 gewesen, aber er sei auch 2019 und Jahre zuvor dabei gewesen.

Der Asylwerber legte im Zuge der Befragung ein verschwommenes Foto vor, auf welchem eine Menschenmenge vor einem Denkmal abgebildet ist.

Auf Vorhalt, das vorgelegte Foto beweise nicht die Teilnahme des Asylwerbers an einer Demonstration, gab der Asylwerber an, er habe auch ein Schreiben des Abgeordneten des Vereins XXXX , dass er politisch aktiv sei.

Mit dem im Anschluss an diese Einvernahme mündlich verkündeten Bescheid vom selben Tag hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegenüber dem Asylwerber den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt sich seit Rechtskraft des ersten Asylantrages des Asylwerbers nicht geändert habe. Das nunmehrige ergänzende Vorbringen sei nicht glaubwürdig. Der neue Antrag des Asylwerbers auf internationalen Schutz werde voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.

Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände habe nicht festgestellt werden können, dass die Abschiebung des Asylwerbers in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Unter Beachtung sämtlicher bekannter Tatsachen könne kein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 3 und Art. 8 EMRK erkannt werden.

Die Lage im Herkunftsstaat des Asylwerbers sei seit der Entscheidung über den vorigen Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen unverändert.

Im gegenständlichen Fall liege ein Folgeantrag vor. Das Vorverfahren des Asylwerbers unter der AIS-Zahl 05 12.592 (VZ 2817879) sei rechtskräftig. Die gegen den Asylwerber ausgesprochene Rückkehrentscheidung sei aufrecht, zumal er zwischenzeitlich das Bundesgebiet nicht verlassen habe. Der Asylwerber verfüge über kein sonstiges Aufenthaltsrecht. Sein nunmehriger Antrag auf internationalen Schutz sei voraussichtlich zurückzuweisen, da er keinen neuen Sachverhalt vorgebracht habe und sich auf seine schon behandelten Fluchtgründe beziehe bzw. das Vorbringen jeglicher Glaubwürdigkeit entbehre. Die Erlangung der faktischen Notwendigkeiten für eine Abschiebung, z.B. Reisedokument, sei bereits gegeben. Bereits im Vorverfahren sei festgestellt worden, dass dem Asylwerber bei der Rückkehr in sein Herkunftsland keine Verletzung seiner Integrität drohe. Auch bezüglich der persönlichen Verhältnisse sei keine Veränderung im Hinblick auf die vorherige Entscheidung eingetreten. Es würden somit alle Voraussetzungen für eine Aufhebung des Abschiebeschutzes vorliegen, sodass spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Das Bundesamt legte den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes vor. Der Akt langte am 05.08.2021 bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichts ein.

Der Asylwerber bezieht sich im gegenständlichen Verfahren auf Gründe, die bereits im Zeitpunkt des Vorverfahrens bestanden haben. Das betrifft auch die erstmals im gegenständlichen Verfahren angeblichen Demonstrationsteilnahmen des Asylwerbers bei „Meetings“ am 23.02.2019 und 23.02.2020. Die nunmehr ins Treffen geführten Umstände lagen bereits vor Eintritt der Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX vor und stellen somit keine neu hervorgekommenen Tatsachen dar.

Das neu erstattete Vorbringen, wonach eine Person in Zivil an seine Heimatadresse in Tschetschenien gekommen sei und seinen Sohn nach dem Aufenthaltsort des Asylwerbers befragt habe, ist nicht glaubhaft.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der Situation im Herkunftsstaat des Asylwerbers ist zwischenzeitlich nicht eingetreten.

Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation droht dem Asylwerber keine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Er läuft dabei nicht real Gefahr, eine Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder 8 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

Der Asylwerber hat keine Verwandten im Bundesgebiet, noch lebt er in einer Lebensgemeinschaft. Seine Frau und die Kinder sind in Inguschetien.

Der Asylwerber übt in Österreich keine erlaubte Beschäftigung aus und lebt seit seiner Einreise aus der Grundversorgung. Eine Integration ist in wirtschaftlicher Hinsicht nicht erreicht worden, da der Asylwerber nicht selbsterhaltungsfähig ist.

Der Asylwerber verfügt über kein Sprachzertifikat oder eine Einstellungszusage.

2. Beweiswürdigung:

Dass es bei den im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten Behauptungen und vorgebrachten Rückkehrbefürchtungen des Asylwerbers nicht um einen Sachverhalt handelt, der erst nach Beendigung des vorangegangenen Aberkennungsverfahren verwirklicht wurde, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Asylwerbers im Verfahren, der selbst angibt, dass die im Erstverfahren angegebenen Fluchtgründe immer noch aufrecht seien.

Das neu erstattete Vorbringen, wonach eine Person in Zivil an seine Heimatadresse in Tschetschenien gekommen sei und seinen Sohn nach dem Aufenthaltsort des Asylwerbers befragt habe, fußt auf den bereits in den Vorverfahren geltend gemachten Fluchtgründen und stellt somit lediglich eine Bekräftigung dieser dar. Darüber hinaus enthält dieses Vorbringen auch keinen glaubwürdigen Kern, da der Asylwerber bei der Erstbefragung meinte, er sei vor 2 Wochen – also Ende Juni 2021 – gesucht worden und vor dem BFA gab er an, dies sei vor einem Jahr gewesen – also im Sommer 2020.

Dass sich die Lage im Herkunftsstaat des Asylwerbers zwischenzeitig nicht wesentlich geändert hat, ergibt sich aus einer Zusammenschau des dem im Vorverfahren erlassenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX zugrundeliegenden (damals aktuellen) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit dem im gegenständlichen Verfahren zugrundeliegenden Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 10.06.2021. Der Asylwerber ist diesen Länderfeststellungen auch nicht substantiiert entgegengetreten.

Dass dem Asylwerber bei einer Rückkehr in die Russische Föderation keine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK droht und er insbesondere dabei nicht real Gefahr läuft, eine Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr.13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden, sodass dem Asylwerber eine Rückkehr zumutbar ist, hat bereits das Vorverfahren ergeben. Entscheidungsrelevante Änderungen sind im gegenständlichen Verfahren nicht hervorgekommen und wurden insbesondere auch vom Asylwerber nicht vorgebracht.

Hinsichtlich der familiären und privaten Situation ist keine entscheidungsrelevante Änderung zum Vorverfahren eingetreten, wie sich aus den Angaben des Asylwerbers ergibt bzw. kann keinerlei nähere Bindung zu Österreich festgestellt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes:

Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das Bundesamt, wenn der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt hat und kein Fall des Abs. 1 vorliegt, den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Ein Folgeantrag im Sinne von § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 ist jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgende weitere Antrag.

Die Z 2 des § 12a AsylG 2005 verlangt, dass der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen sein wird, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhaltes eingetreten ist. Aus den erläuternden Bemerkungen zum mit BGBl. 122/2009 eingefügten § 12a AsylG 2005 geht hervor, dass die Z 2 des § 12a eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Folgeantrages verlangt.

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

"Entschiedene Sache" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

Behauptet die Partei in einem neuen Antrag (z.B. Asylantrag), dass in den für die Beurteilung ihres Begehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist, so muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz für das Verfahren zukommt und an den die Prognose anknüpfen kann, dass eine andere Beurteilung des Antrages und ein anderes Verfahrensergebnis nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen (grundlegend VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391; vgl. auch VwGH 22.11.2005, 2005/01/0626; 21.03.2006, 2006/01/0028). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der neuerliche Antrag zulässig oder wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen ist, mit der Glaubwürdigkeit des neuen Vorbringens betreffend die Änderung des Sachverhaltes "beweiswürdigend" auseinander zu setzen (VwGH 22.12.2005, 2005/20/0556; 15.03.2006, 2006/17/0020).

Jedoch berechtigt nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art. 41 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU - etwa auch die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich sind aber auch andere Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451).

§ 22 BFA-VG lautet auszugsweise:

"(1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."

Zu prüfen ist sohin, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 im gegenständlichen Fall vorliegen.

Gegen den Asylwerber liegt eine rechtskräftige aufrechte Rückkehrentscheidung vor.

Eine Prognoseentscheidung ergibt, dass der gegenständliche Antrag des Asylwerbers vom 06.07.2021 voraussichtlich zurückzuweisen sein wird, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts in substantiierter Weise dargelegt wurde bzw. eingetreten ist: Wie bereits oben dargestellt, hat der Asylwerber das Vorliegen eines neuen asylrelevanten Sachverhaltes nicht glaubhaft behauptet und haben sich auch keine Hinweise darauf ergeben, dass ein neuer asylrelevanter Sachverhalt tatsächlich vorliegt. Über die vom Asylwerber vorgebrachten Fluchtgründe wurde bereits rechtskräftig abgesprochen bzw. lagen diese zum Entscheidungszeitpunkt bereits vor. Aus dem Vorbringen zum Folgeantrag ergibt sich daher in einer Gesamtbetrachtung - wie auch in der Beweiswürdigung aufgezeigt - kein entscheidungswesentlicher neuer Sachverhalt.

Auch die für den Asylwerber hinsichtlich der Frage der Zuerkennung von Asyl bzw. subsidiärem Schutz maßgebliche Ländersituation in der Russischen Föderation ist seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX im Wesentlichen gleich geblieben und wurde Gegenteiliges auch nicht substantiiert behauptet.

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern, für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status, auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus. Auch diesbezüglich wurden keine entscheidungswesentlichen Sachverhaltsänderungen vorgebracht.

Im Vorverfahren wurde ausgesprochen, dass der Asylwerber bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

Auch im gegenständlichen Asylverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sind keine Risiken für den Asylwerber im Sinne des § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 hervorgekommen oder substantiiert behauptet worden. Es sind weiters keine erheblichen in der Person des Asylwerbers liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in seinen Herkunftsstaat stellt - nach einer Grobprüfung des Aktes - für den Asylwerber somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 und 3 oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention dar. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Das Bundesverwaltungsgericht teilt aufgrund der obigen Feststellungen auch die Ansicht der belangten Behörde, dass sich seit Rechtskraft des Vorverfahrens das Privat- und Familienleben des Asylwerbers nicht geändert hat.

Der Asylwerber übt in Österreich keine erlaubte Beschäftigung aus und lebt seit seiner Einreise aus der Grundversorgung. Er ist somit nicht selbsterhaltungsfähig. Der Asylwerber verfügt nach 16 Jahren Aufenthalt im Bundesgebiet über kein Sprachzertifikat oder eine Einstellungszusage.

Eine gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung fällt zu Lasten des Asylwerbers aus. Dass sich an seinem Privatleben in Österreich etwas Entscheidungswesentliches geändert hätte, ergibt sich aus den Einvernahmen im gegenständlichen Verfahren nicht. Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen des Asylwerbers am Verbleib in Österreich.

Im Verfahren zur Aberkennung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durch das Bundesamt ist ein Ermittlungsverfahren durchzuführen (vgl. § 18 AsylG 2005), wobei auch der Grundsatz der Einräumung von rechtlichem Gehör (§§ 37, 45 Abs. 3 AVG) zu beachten ist. Ein solches Ermittlungsverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Es wurde dem Asylwerber Parteiengehör eingeräumt, er wurde am 03.08.2021 niederschriftlich einvernommen und es wurde ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zu den maßgeblichen Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat eingeräumt. Dem Asylwerber wurde weiters mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufzuheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Gemäß § 22 Abs. 1 2. Satz BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

Schlagworte

faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Familienverfahren Folgeantrag individuelle Verhältnisse Rechtskraft Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W146.1307323.4.00

Im RIS seit

08.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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