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Arbeitsrecht - AZGNorm
AZG §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Mai 1988, Zl. MA 63-T 7/87/Str., betreffend Übertretung des Arbeitszeitgesetzes (mitbeteiligte Partei: ET in W, vertreten durch Dr. Ernst Grubeck, Rechtsanwalt in Wien I, Himmelpfortgasse 13), zu Recht erkannt:
Spruch
Punkt A des Bescheides des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Mai 1988 wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Punkt II des Straferkenntnisses vom 8. April 1987 sprach das Magistratische Bezirksamt der Stadt Wien für den 10. Bezirk aus, der Mitbeteiligte als der zur Vertretung einer näher bezeichneten Kommanditgesellschaft nach außen Berufene habe es zu vertreten, daß am 19. November 1985 in einer näher umschriebenden Betriebsanlage der genannten Kommanditgesellschaft § 26 Abs. 1 AZG insofern nicht erfüllt worden sei, als in bezug auf (im Straferkenntnis namentlich genannte 60) Arbeitnehmer nur Aufzeichnungen über Summenarbeitszeiten geführt worden seien, aus denen die Einhaltung der Bestimmungen über die Ruhepausen nicht ersichtlich sei; der Mitbeteiligte habe dadurch „ad 1 - 60) je eine Verwaltungsübertretung“ nach § 26 Abs. 1 AZG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 VStG 1950 begangen; gemäß § 28 Abs. 1 AZG werde über ihn je eine Geldstrafe von S500,--, insgesamt S 30.000,-- (Ersatzarrest je 3 Tage, insgesamt 180 Tage) verhängt; ferner habe er gemäß § 64 VStG 1950 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens 10 % der Geldstrafe zu zahlen. Begründend wurde ausgeführt, es sei dem Mitbeteiligten insoweit beizupflichten, daß der Aufzeichnungspflicht nach § 26 Abs. 1 AZG Genüge getan sei, wenn die notwendigen Angaben erschließbar seien (das Gesetz schreibe keine bestimmte Form der Aufzeichnungen vor), doch sei die Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften nur dann möglich, wenn alle Teilinformationen vorhanden seien. Die im Betrieb zum Einsatz gelangende Stechuhr drucke ein tägliches Protokoll aus, aus dem sich für jeden einzelnen Arbeitnehmer Beginn und Ende der jeweiligen Arbeits- und Ruhezeit sowie auch geleistete Überstunden ergeben. Ob und wie lange bzw. wann die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen gewährt würden, sei dieser Aufzeichnung hingegen nicht zu entnehmen.
In der unter anderem gegen Punkt II des genannten Straferkenntnisses erhobenen Berufung wandte der Mitbeteiligte ein, § 26 Abs. 1 AZG schreibe nur vor, daß der Arbeitgeber Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung zu führen habe; Aufzeichnungen über die Dauer von Ruhepausen seien nicht erforderlich. Es werde auch völlig verkannt, daß die Kommanditgesellschaft mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung dahingehend getroffen habe, daß in Abänderung des § 2 Abs. 1 Z. 1 AZG Ruhepausen als Arbeitszeit gewertet würden. Deshalb seien sie für die Verrechnung und die Entlohnung nicht gesondert auszuwerfen. Dem § 11 AZG werde völlig Genüge getan, wenn sichergestellt sei, daß die Arbeitnehmer ihre Pausen halten könnten und der Betriebsrat darüber wache, was auch geschehe. Unrichtig sei auch, daß hinsichtlich jedes einzelnen Arbeitnehmers eine Verwaltungsübertretung begangen worden sei. Wenn dem Mitbeteiligten überhaupt eine Verwaltungsübertretung zur Last gelegt werden könne, so nur jene, daß er in Befolgung des § 26 AZG keine ausreichende Stechuhr angeschafft habe. Dies sei jedoch eine einzige Handlung und könnte daher nur in einem einzigen Fall als Verwaltungsübertretung geahndet werden.
Mit Punkt A des Bescheides vom 9. Mai 1988 behob die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 Punkt II des obgenannten Straferkenntnisses und stellte das Verfahren in dieser Hinsicht gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 ein. Dies wurde damit begründet, daß § 26 Abs. 1 AZG eine bestimmte Form der Aufzeichnungen nicht vorsehe; es genüge jede Art, die eine Kontrolle der Arbeitsstunden und der Entlohnung ermögliche, auch wenn die Aufzeichnung primär andere Zwecke verfolge. Deshalb kämen „Stempelkarten“ ebenso in Betracht wie Unterlagen auf Grund EDV-mäßiger Arbeitszeiterfassung oder Lohnkontoblätter. Aus den im erstinstanzlichen Verfahren vom Beschwerdeführer vorgelegten „Streifen der Stechzeit“ gehe eindeutig der Beginn und das Ende der geleisteten Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers hervor; das Fehlen von Aufzeichnungen über die Entlohnung sei dem Beschwerdeführer nicht angelastet worden. Daß gesonderte Aufzeichnungen über die Ruhepausen geführt werden müssen, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen.
In der gegen diesen Ausspruch wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobenen Beschwerde wendet der Beschwerdeführer ein, es sei der belangten Behörde zwar insofern zuzustimmen, als § 26 Abs. 1 AZG expressis verbis keine bestimmte Formvorschrift für die zu führenden Aufzeichnungen enthalte. Die Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Einhaltung seien aber so zu führen, daß eine Überwachung der Einhaltung der im Arbeitszeitgesetz geregelten Angelegenheiten ermöglicht werde. Die „im Arbeitszeitgesetz geregelten Angelegenheiten“ umfaßten im wesentlichen einerseits eine Gruppe von Normen betreffend die Arbeitszeit, andererseits den Regelungsbereich der Ruhepausen und Ruhezeiten. Da demgemäß die Arbeitgeber zur Überwachung dieser Angelegenheiten, also auch zur Kontrolle der Ruhepausen und Ruhezeiten, Aufzeichnungen zu führen hätten, genüge es nicht, wenn aus den Aufzeichnungen nur Beginn und Ende der Betriebsanwesenheit der einzelnen Dienstnehmer, nicht jedoch auch die Gewährung von Ruhepausen, die nicht zur Arbeitszeit zählten, ersichtlich sei. Diese Ansicht werde auch durch den Wortlaut des § 26 Abs. 1 AZG gestützt, wonach Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden zu führen seien, also detaillierte Aufzeichnungen, gegliedert in Arbeitszeit und Ruhepausen, gefordert würden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete ebenso wie der Mitbeteiligte eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 26 Abs. 1 AZG haben die Arbeitgeber zur Überwachung der Einhaltung der in diesem Bundesgesetz geregelten Angelegenheiten Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung zu führen.
Gemäß § 11 Abs. 1 AZG ist dann, wenn die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als sechs Stunden beträgt, die Arbeitszeit durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen. Wenn es im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes gelegen oder aus betrieblichen Gründen notwendig ist, können anstelle einer halbstündigen Ruhepause zwei Ruhepausen von je einer Viertelstunde oder drei Ruhepausen von je zehn Minuten gewährt werden. Nach § 11 Abs. 2 leg. cit. kann eine Pausenregelung gemäß Abs. 1 zweiter Satz, sofern eine gesetzliche Betriebsvertretung besteht, nur mit deren Zustimmung getroffen werden. Nach § 11 Abs. 6 leg. cit. kann das Arbeitsinspektorat, wenn es im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes gelegen oder aus betrieblichen Gründen notwendig ist, eine von Abs. 1 abweichende Pausenregelung zulassen. Die übrigen Absätze des § 11 enthalten für den Beschwerdefall nicht relevante Sonderbestimmungen.
Entgegen der Auffassung der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei, zählen zu den „in diesem Bundesgesetz geregelten Angelegenheiten“, zu deren Überwachung der Arbeitgeber „Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung“ zu führen hat, auch die Bestimmungen des § 11 AZG über Ruhepausen.
Denn, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29. Juni 1987, Slg. Nr. 12.494/A, dargelegt hat, bezwecken die im § 11 AZG vorgeschriebenen Unterbrechungen der Arbeitszeit durch eine oder mehrere Ruhepausen die Erholung der Arbeitnehmer, also die Regenerierung ihrer durch die Beschäftigung beanspruchten körperlichen und geistigen Kräfte im Interesse einer Erhaltung dieser Kräfte bzw. der Verhinderung ihrer vorzeitigen Abnutzung. Beträgt die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als sechs Stunden, so erachtet der Gesetzgeber zu einer solchen Regenerierung jedenfalls die im Abs. 1 verfügte (nach Abs. 6 modifizierbare) Pausenregelung für notwendig. Wegen dieses Zweckes besteht sowohl die Verpflichtung zur Gewährung von Pausen als auch die zur Überwachung ihrer Einhaltung normierte Aufzeichnungspflicht nach § 26 Abs. 1 AZG unabhängig davon, ob die Pausen kraft Gesetzes (§ 11 Abs. 7 AZG), auf Grund von Betriebsvereinbarungen (wie im Beschwerdefall) oder auf Grund von Einzelvereinbarungen als Arbeitszeit gelten, und ob, wie die mitbeteiligte Partei vorbringt, im Betrieb eine Gleitzeitarbeit eingeführt ist.
Entgegen der Meinung der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei wird die Verpflichtung des Arbeitgebers, entsprechend dem § 26 Abs. 1 AZG solche Aufzeichnungen zu führen, die auch die Überwachung der Einhaltung der Ruhepausen ermöglichen, nicht durch die Wendung „Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung“ eingeschränkt. Denn darin werden nicht Aufzeichnungen über die Entlohnung geleisteter Arbeitsstunden, sondern „über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung“ gefordert, weshalb der Zweck dieser Bestimmung - entgegen der Auffassung der mitbeteiligten Partei - nicht nur darin besteht, eine „Dokumentation für die Entlohnung“ zu sein, und wird nicht auf als Arbeitszeit geltende Betriebsanwesenheitszeiten, sondern auf „geleistete Arbeitsstunden“ abgestellt. Deren Aufzeichnung (hinsichtlich Dauer und zeitlicher Lagerung) muß so beschaffen sein, daß dadurch eine Überwachung der Einhaltung der im AZG geregelten Angelegenheiten, also auch jener über die Ruhepausen, möglich ist. Beträgt freilich die Gesamtdauer der Arbeitszeit nicht mehr als sechs Stunden, so bedarf es (dies zum Einwand der belangten Behörde in der Gegenschrift) deshalb keiner Aufzeichnungen über die Ruhepausen, weil dann - in den Normalfällen - keine Verpflichtung zur Gewährung von Ruhepausen besteht; in diesen Fällen genügen Aufzeichnungen, aus denen sich ergibt, daß die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit nicht mehr als sechs Stunden beträgt.
Was die Einwände der mitbeteiligten Partei zur schwierigen Überwachbarkeit der Ruhepausen und der Einhaltung der Aufzeichnungsverpflichtung nach § 26 Abs. 1 AZG bei bestehender Gleitzeitarbeit in einem Betrieb betrifft, so ist dazu zu bemerken, daß der Arbeitgeber auch in solchen Fällen mangels diesbezüglicher Ausnahmen zu einer den bestehenden Arbeitszeitvorschriften entsprechenden Organisierung der Arbeit und ihrer Überwachbarkeit verpflichtet ist; die Aufzeichnungen, aus denen sich die Gewährung der Ruhepausen ergibt, müssen aber nicht Stempelkarten sein.
Zum Einwand schließlich, daß der Betriebsrat die Einhaltung der Ruhepausen überwache, genügt es auf § 26 Abs. 2 AZG zu verweisen, wonach die Arbeitgeber der Arbeitsinspektion und deren Organen die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und auf Verlangen Einsicht in die Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung zu geben haben.
Punkt A des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Für das gemäß § 63 Abs. 1 VwGG fortzusetzende Verfahren wird (zum Berufungseinwand der mitbeteiligten Partei zu § 28 in Verbindung mit § 26 Abs. 1 AZG) auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. März 1988, Zl. 88/08/0087, verwiesen, wonach ein Verstoß gegen § 26 Abs. 1 AZG auch dann, wenn davon mehrere Arbeitnehmer betroffen sind, grundsätzlich nur eine Verwaltungsübertretung darstellt.
Wien, am 30. Mai 1989
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1989:1988080191.X00Im RIS seit
08.10.2021Zuletzt aktualisiert am
08.10.2021