TE Vwgh Beschluss 2021/9/2 Ra 2020/21/0364

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Veröffentlicht am 02.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §53 Abs3
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des J N, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 3/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. Juli 2020, I422 2232138-1/4E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines unbefristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1977 geborene Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, stellte im Oktober 2007 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Im März 2008 schloss er die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Dieser Beziehung entstammen eine 2008 geborene Tochter und ein 2010 geborener Sohn. Nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis wurde das Asylverfahren im April 2008 wegen Gegenstandslosigkeit eingestellt, wobei der Revisionswerber seit Mai 2010 über einen mehrmals verlängerten und bis Jänner 2022 gültigen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger verfügte.

2        Mit rechtskräftigem Urteil vom 9. Oktober 2019 verhängte ein Geschworenengericht über den Revisionswerber wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und des Vergehens des unbefugten Besitzes bzw. der Führung von Schusswaffen der Kategorie B nach § 50 Abs. 1 Z 1 WaffG eine (unbedingte) Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe am 23. Februar 2019 einen anderen durch Abgabe eines gezielten Schusses mit einer Faustfeuerwaffe in dessen Oberkörper, wodurch das Opfer einen Durchschuss des Oberbauches und der Leber erlitt, zu töten versucht. Ferner habe er im Zeitraum von zumindest Anfang 2015 bis zum 23. Februar 2019 die erwähnte Schusswaffe - wenn auch nur fahrlässig - unbefugt besessen bzw. geführt.

3        Im Hinblick darauf erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 6. April 2020 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte das BFA fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Kosovo zulässig sei. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt und eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 4 FPG nicht gewährt.

4        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BFA mit Bescheid vom 9. Juni 2020 unter Wiederholung der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Spruchpunkte im Wege einer Beschwerdevorentscheidung ab.

5        Infolge eines fristgerechten Vorlageantrages wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Juli 2020 (nachdem mit Teilerkenntnis vom 25. Juni 2020 der die aufschiebende Wirkung aberkennende Spruchpunkt ersatzlos behoben und die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war) die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt wurde. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Im Rahmen der für das Einreiseverbot anzustellenden Gefährdungsprognose ging das BVwG davon aus, dass es sich bei der vorliegenden Straftat um einen gravierenden Fall eines schweren Verbrechens handle, der eine negative Zukunftsprognose nach sich ziehe. In seiner Interessenabwägung verwies das BVwG dann im Wesentlichen auf den langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet sowie auf die familiären Bindungen des Revisionswerbers zu seinen minderjährigen Kindern und seiner Ehefrau, mit denen er jedoch bereits seit November 2014 in keinem gemeinsamen Haushalt mehr gelebt habe, sowie zu zwei weiteren, mittlerweile volljährigen Kindern aus einer früheren Beziehung, die kosovarische Staatsangehörige seien, vom Mai 2017 bis zu seinem Haftantritt an derselben Wohnadresse wie der Revisionswerber gemeldet gewesen seien und die mit ihm auch während seiner Haft regelmäßig Kontakt hätten. Seine berufliche Integration in Österreich sei dadurch gemindert, dass der Revisionswerber, der sich seit Februar 2019 in Haft befinde und zuvor arbeitslos gewesen sei, nur zeitweise in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden und über die Hälfte seines Aufenthaltes hindurch staatliche Unterstützungsleistungen bezogen habe. Das massive Fehlverhalten des Revisionswerbers bewirke eine so erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, dass das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten jedenfalls höher als das private Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet zu bewerten sei.

7        Die Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine. Selbst bei Berücksichtigung aller zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Fakten könne für ihn kein günstigeres Ergebnis erzielt werden, woran auch ein in einer Verhandlung vom Revisionswerber gewonnener (positiver) persönlicher Eindruck nichts zu ändern vermöge.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

9        Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11       Unter diesem Gesichtspunkt wird in der Revision der Sache nach vorgebracht, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, und zwar sowohl hinsichtlich der Gefährdungsprognose als auch bezüglich der Verhandlungspflicht.

12       Im Hinblick auf die gerügte Unvollständigkeit der Erwägungen des BVwG zur Gefährdungsprognose ist zu entgegnen, dass das BVwG dazu ausreichende Feststellungen getroffen und die Prognosebeurteilung angesichts der Schwere des verübten Verbrechens auch unter Einbeziehung der langjährigen Unbescholtenheit des Revisionswerbers vor der Straftat im Ergebnis jedenfalls zutreffend ist. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat und dass demnach für die Annahme eines Wegfalls der aus dem Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden in erster Linie das - hier beim Revisionswerber noch gar nicht gegebene - Verhalten in Freiheit maßgeblich ist (vgl. VwGH 9.11.2020, Ra 2020/21/0417, Rn. 12, mwN).

13       Was die behauptete Verletzung der Verhandlungspflicht anbelangt, erlaubt - wie auch in der Revision ausgeführt wird - § 21 Abs. 7 BFA-VG das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass die Unterlassung einer Verhandlung nur dann einen relevanten, zur Aufhebung führenden Verfahrensmangel begründet, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig ist; dieser ist in der Revision darzutun. Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 8.6.2021, Ra 2020/21/0211, Rn. 19, mwN).

14       Von einem solchen eindeutigen Fall durfte das BVwG hier in vertretbarer Weise ausgehen, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose nach § 53 Abs. 3 FPG als auch in Bezug auf die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG. Wegen des durch das außerordentlich schwere Verbrechen des versuchten Mordes zum Ausdruck kommenden Gefährdungspotentials und des daraus resultierenden besonders großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung weiterer Straftaten gegen die körperliche Integrität können nämlich die lange Aufenthaltsdauer sowie die privaten und familiären Bindungen, die durch die geminderte berufliche Integration des Revisionswerbers relativiert sind und im Übrigen auch vom BVwG ausreichend berücksichtigt wurden, nicht zu einem Überwiegen des Interesses an einem Verbleib des Revisionswerbers in Österreich führen.

15       Der Revision, in der die unbefristete Dauer des Einreiseverbotes nicht thematisiert wird, gelingt es somit nicht, im vorliegenden Fall maßgebliche grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 2. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210364.L00

Im RIS seit

08.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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