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32 SteuerrechtNorm
AbgÄG 2011Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des F E in T, vertreten durch Dr. Erwin Markl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 30. Jänner 2019, Zl. RS/3100006/2018, betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber wurde mit Bescheid vom 20. Jänner 2006 für das Jahr 1999 und Bescheiden vom 16. Juni 2005 für die Jahre 2000 bis 2003 zur Einkommensteuer verlangt. Neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erzielte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Bei diesen handelte es sich um Gewinntangenten aus der „J & Mitges“. Diese Einkünfte waren mit als Bescheiden intendierten Erledigungen vom 7. Juni 2005 gemäß § 188 BAO festgestellt worden. Die gegen diese „Feststellungsbescheide“ betreffend die Jahre 1999 bis 2003 erhobenen Berufungen wurden vom unabhängigen Finanzsenat mit Entscheidung vom 4. November 2008 als unzulässig zurückgewiesen, weil es sich es sich bei den bekämpften Erledigungen um „Nichtbescheide“ gehandelt hatte.
2 Betreffend die Einkünfte der „J & Mitges“ erließ das Finanzamt in der Folge am 18. Juni 2009 Feststellungsbescheide nach § 188 BAO an die ehemaligen Gesellschafter der „J & Mitges“. Diese Feststellungbescheide für die Jahre 1999 bis 2003 entsprachen hinsichtlich der Höhe und der Verteilung der Einkünfte den als Feststellungsbescheiden intendierten Erledigungen vom 7. Juni 2005. Eine Erlassung neuer Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2003 erfolgte nicht, weil die diesen Bescheiden zugrunde liegenden Gewinntangenten aus der „J & Mitges“ ohnedies jenen entsprachen, die sich nunmehr aus den Feststellungsbescheiden vom 18. Juni 2009 ergaben.
3 Aufgrund einer gegen die Feststellungsbescheide vom 18. Juni 2009 erhobenen Berufung (Beschwerde) hob das Bundesfinanzgericht diese Bescheide mit Erkenntnis vom 7. Mai 2014 ersatzlos auf, weil das Vorliegen einer Mitunternehmerschaft zu verneinen gewesen sei.
4 Mit Eingabe vom 4. November 2014 beantragte der Revisionswerber die Einkommensteuerbescheide vom 20. Jänner 2006 (1999) und 16. Juni 2005 (2000 bis 2003) auf Grundlage des § 295 Abs. 1 BAO abzuändern bzw. aufzuheben.
5 Mit Bescheid vom 20. März 2015 wies das Finanzamt diesen Antrag zurück und führte begründend u.a. aus, hinsichtlich der Einkommensteuer der Jahre 1999 bis 2002 sei bereits Verjährung eingetreten. Für das Jahr 2003 würde ein inhaltlich identer Einkommensteuerbescheid ergehen müssen, weshalb eine Änderung des abgeleiteten Bescheides unterbleibe.
6 Die gegen die Zurückweisung der Anträge auf Änderung nach § 295 Abs. 1 BAO erhobene Beschwerde wies das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom 20. Juni 2018 mit der Begründung ab, dass § 295 Abs. 1 BAO kein Antragsrecht vorsehe. Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts könne der Revisionswerber aber im Falle der Untätigkeit des Finanzamtes eine Säumnisbeschwerde erheben.
7 Gegen dieses abweisende Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 24. September 2018, E 3071/2018, ablehnte.
8 Am 21. August 2018 brachte der Revisionswerber eine Säumnisbeschwerde mit der Begründung ein, das Finanzamt sei der in § 295 Abs. 1 BAO normierten Verpflichtung zur Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2003 seit Jahren nicht nachgekommen; diese Verpflichtung ergebe sich daraus, dass die Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2003 einerseits auf Feststellungsbescheiden beruhen würden, die vom unabhängigen Finanzsenat als Nichtbescheide qualifiziert und zum anderen vom Bundesfinanzgericht rechtskräftig aufgehoben worden seien. In der Stellungnahme an das Bundesfinanzgericht vertrat das Finanzamt die Ansicht, eine Verletzung der Entscheidungspflicht liege nicht vor, weil hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 1999 bis 2002 bereits Verjährung eingetreten sei. Für das Jahr 2003 wäre im Falle der Aufhebung des Einkommensteuerbescheides ein inhaltlich gleichlautender Einkommensteuerbescheid zu erlassen.
9 Das Bundesfinanzgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss die Säumnisbeschwerde als unzulässig zurück. Begründend führte es aus, das Finanzamt habe über den Antrag auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für 1999 bis 2003 gemäß § 295 Abs. 1 BAO bereits mit Bescheid vom 20. März 2015 (im Wege der Zurückweisung) abgesprochen und das Unterbleiben einer Aufhebung begründet. Die gegen die Zurückweisung erhobene Beschwerde sei mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 20. Juni 2018 abgewiesen worden. Eine Verletzung der Entscheidungspflicht sei daher nicht gegeben.
10 Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, die vom Revisionswerber erhobene Säumnisbeschwerde sei zulässig, weil die Abgabenbehörde ihrer Verpflichtung nach § 295 Abs. 1 BAO zur Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2003 nicht nachgekommen sei. Die Einkommensteuerbescheide würden auf Feststellungbescheiden beruhen, welche zum einen vom unabhängigen Finanzsenat als „Nichtbescheide“ qualifiziert und zum anderen vom Bundesfinanzgericht rechtskräftig aufgehoben worden seien. Weiters sei die Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichts, wonach es ihm verwehrt wäre, über die rechtskräftig entschiedene Sache ein weiteres Mal abzusprechen, verfehlt, weil keine res iudicata vorliege.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Der Revision ist zunächst zuzustimmen, dass die Ansicht des Bundesfinanzgerichts verfehlt ist, dass im vorliegenden Fall res iudicata vorliege. Der Revisionswerber hatte mit Eingabe vom 4. November 2014 die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide vom 20. Jänner 2006 (betreffend das Jahr 1999) und 16. Juni 2005 (betreffend die Jahre 2000 bis 2003) auf der Grundlage des § 295 Abs. 1 BAO beantragt. Das Finanzamt hat diesen „Antrag“ des Revisionswerbers zurückgewiesen; das Bundesfinanzgericht hat in seiner Abweisung der dagegen erhobenen Beschwerde die Bestätigung der Zurückweisung damit begründet, dass ein Antragsrecht des Revisionswerbers auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide gemäß § 295 Abs. 1 BAO nicht bestehe. Eine inhaltliche normative Entscheidung darüber, ob das Finanzamt von Amts wegen verpflichtet gewesen ist, gemäß § 295 Abs. 1 BAO die Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2003 aufzuheben, ist nicht ergangen, weshalb keine entschiedene Sache vorliegt.
15 Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt allerdings nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 18.2.2021, Ra 2021/10/0007).
16 Eine solche Rechtsfrage wird in der Revision nicht aufgeworfen, weil von der Fehlbeurteilung des Bundesfinanzgerichts, dass res iudicata vorliege, das Schicksal der Revision nicht abhängt. Der Revision gelingt es mit ihrem Vorbringen nämlich nicht, eine Verletzung der Entscheidungspflicht und damit eine Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Bundesfinanzgerichts aufzuzeigen.
17 § 295 Abs. 1 BAO lautet:
„(1) Ist ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abzuleiten, so ist er ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, im Fall der nachträglichen Abänderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen oder, wenn die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr vorliegen, aufzuheben. Mit der Änderung oder Aufhebung des abgeleiteten Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der nachträglich erlassene Feststellungsbescheid rechtskräftig geworden ist.“
18 Gemäß § 295 Abs. 1 BAO hat das Finanzamt von Amts wegen im Fall einer nachträglichen Änderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides einen abgeleiteten Bescheid zu ersetzen oder gegebenenfalls aufzuheben. Dies ist gemäß § 302 BAO - sofern nicht der Ausnahmefall des § 209a BAO vorliegt - nur innerhalb der Festsetzungsverjährung zulässig (vgl. VwGH 2.9.2009, 2008/15/0216).
19 Im gegenständlichen Fall ist für die Jahre 1999 bis 2003 erstmals durch die Feststellungsbescheide vom 18. Juni 2009 eine rechtswirksame Feststellung nach § 188 BAO erfolgt. Da die Feststellungsbescheide vom 18. Juni 2009 die dem Revisionswerber zugewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb („Gewinntangente“) mit exakt jenen Werten ausgewiesen haben, die den an den Revisionswerber schon früher ergangenen Einkommensteuerbescheiden vom 20. Jänner 2006 (für das Jahr 1999) und vom 16. Juni 2005 (für die Jahre 2000 bis 2003) zugrunde liegen, konnten die Feststellungsbescheide vom 18. Juni 2009 zu keiner Änderung nach § 295 Abs. 1 BAO führen (vgl Ritz, BAO6, § 295 Tz 9); zu Recht hat das Finanzamt die Feststellungsbescheide vom 18. Juni 2009 daher nicht zum Anlass für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide vom 20. Jänner 2006 und vom 16. Juni 2005 genommen. Damit erweisen sich die genannten Einkommensteuerbescheide vom 20. Jänner 2006 und vom 16. Juni 2005 nicht als vom Feststellungsbescheid vom 18. Juni 2009 abgeleitet, weshalb die Aufhebung dieser bescheidmäßigen Feststellung vom 18. Juni 2009 mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom Erkenntnis vom 7. Mai 2014 nicht die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 295 Abs. 1 BAO für eine Änderung bzw. Aufhebung der Einkommensteuerbescheide vom 20. Jänner 2006 und vom 16. Juni 2005 erfüllt.
20 Bei der Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 4. November 2008 handelte es sich um eine Zurückweisung der Berufung gegen die als Bescheid intendierten Erledigungen wegen des Vorliegens von Nichtbescheiden. Auch diese Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates hatte nicht die Anwendbarkeit des § 295 Abs. 1 BAO zur Folge, weil es zu keiner Änderung oder Aufhebung der „Feststellungsbescheide“ gekommen ist.
21 Der Gesetzgeber hat für solche Fälle mit dem Abgabenänderungsgesetz 2011, BGBl. I 2011/76, die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO geschaffen, um die Aufhebung abgeleiteter Bescheide im Fall des Vorliegens von Nichtbescheiden zu ermöglichen.
22 Der Revisionswerber hat seinem Vorbringen in der Revision und den Ausführungen im angefochtenen Beschluss zufolge keinen Antrag gemäß § 295 Abs. 4 BAO gestellt. Die Revision bringt in ihrem Zulässigkeitsvorbringen auch nicht vor, dass im vorliegenden Fall aufgrund dieser Bestimmung die Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2003 aufzuheben gewesen wären, sondern geht davon aus, dass § 295 Abs. 4 BAO gar nicht anwendbar sei. Damit erübrigt sich auch eine Auseinandersetzung damit, dass das Bundesfinanzgericht - worauf die Revision zu Recht hinweist - keine Feststellungen zur Verjährung getroffen hat.
23 Das Finanzamt hätte daher auf Grundlage des § 295 Abs. 1 BAO keine Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2003 verfügen können, weshalb keine Verletzung der Entscheidungspflicht vorliegt.
24 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 7. September 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150081.L00Im RIS seit
08.10.2021Zuletzt aktualisiert am
21.10.2021