Entscheidungsdatum
30.04.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W220 2241573-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, vertreten durch Dr. Farhad PAYA, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, vom 18.03.2021, ZI.: 53048804-210159310, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm. § 55 Abs. 3 NAG und § 70 Abs. 3 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein kosovarischer Staatsbürger, heiratete am 16.01.2018 im Kosovo (Kacanik) eine polnische Staatsbürgerin. Er hält sich seit 15.06.2018 in Österreich auf und wurde ihm vom Amt der XXXX Landesregierung eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), gültig von 13.08.2018 bis 13.08.2023, ausgestellt.
Über Ersuchen der Österreichischen Botschaft Skopje vom 30.04.2018 erfolgte am 24.05.2018 durch die Polizeiinspektion XXXX eine Anzeigeerstattung an die Staatsanwaltschaft Klagenfurt wegen Verdachts der Aufenthaltsehe zwischen dem BF und seiner polnischen Ehegattin.
Die Staatsanwaltschaft XXXX stellte das Verfahren wegen § 117 Abs. 1 FPG am 21.05.2019 ein.
Am 17.12.2020 wurde die Ehe des BF vor dem Bezirksgericht XXXX im Einvernehmen geschieden (GZl.: 34 FAM 16/20).
Dem BF wurde am 22.12.2020 im Kosovo ein neuer Reisepass ausgestellt.
Mit Mitteilung vom 04.02.2021 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) von der Niederlassungsbehörde darüber informiert, dass der BF nunmehr die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht mehr erfülle.
Am 23.02.2021 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er seit Juni 2018 seinen Lebensmittelpunkt in Österreich habe. Zuvor habe er seit dem Jahr 2000 im Kosovo an seinem Geburtsort gewohnt, wo seine Familie auch ein Haus besitze. Im Kosovo verfüge er auch über Verwandte. Im April 2015 habe er für Österreich ein Studentenvisum erhalten, welches mangels Studienerfolges aber nicht verlängert worden wäre, weshalb er 2017 wieder in den Kosovo zurückgereist sei. Dort habe er am 16.01.2018 eine polnische Staatsbürgerin geheiratet, welche in Österreich lebe. Seit seiner Übersiedlung nach Österreich im Juni 2018 habe er mit Unterbrechung im Metallbau gearbeitet. Im Sommer 2020 habe er sich von seiner Ehefrau getrennt und sei zu seinen in Österreich lebenden Eltern gezogen. Am 17.12.2020 sei die Ehe im Einvernehmen geschieden worden. Im Falle seiner Rückkehr in den Kosovo würde er seitens seiner Familie wohl Unterstützung erhalten.
Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid des BFA vom 18.03.2021 wurde der BF gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm. § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und wurde ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Die Ausweisung wurde im wesentlichen damit begründet, dass die eheliche Lebensgemeinschaft nur zweieinhalb Jahre und die Ehe selbst bis zur rechtskräftigen, gerichtlichen Scheidung nicht drei Jahre lang bestanden habe. Die Voraussetzungen für ein Weiterbestehen des bisherigen Aufenthaltsrechtes seien somit nicht erfüllt. Die Ausweisung greife auch nicht unverhältnismäßig in das Privat- und Familienleben gemäß Art. 8 EMRK ein, da der BF seit mehr als zehn Jahren ein unabhängiges Leben von seiner in Österreich lebenden Familie führe und auch keine gegenseitige Abhängigkeit bestünde.
In der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde wurden Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht. Sodann wurde im wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei § 66 Abs. 1 FPG um eine Ermessensentscheidung handle. Der BF verfüge seit 22.10.2020 über eine ortsübliche Unterkunft, sein Lebensunterhalt sei aufgrund seiner seit August 2020 ausgeübten durchgängigen Beschäftigung als Arbeiter im Metallbau sichergestellt und genieße er entsprechenden Krankenversicherungsschutz. Durch die in Rede stehende Ausweisung würde zudem gravierend und in unverhältnismäßiger Weise in das Privat- und Familienleben des BF eingegriffen. Der BF sei bereits 1991 nach dem Zerfall Jugoslawiens als Kleinkind mit seiner Familie nach Österreich eingereist und habe sich bis zum Jahr 2000 legal im Bundesgebiet aufgehalten, weshalb er auch die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrsche. Seit dem 12.11.2018 sei der BF mit Unterbrechung als Arbeiter im Metallbau beschäftigt, er sei daher beruflich in Österreich integriert und unbescholten. Als Beweismittel wurden der Beschwerde Versicherungsdatenauszüge, ein ÖSD-Zertifikat B2 sowie ein Mitvertrag, jeweils in Kopien, angeschlossen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF, ein kosovarischer Staatsbürger, dessen Identität feststeht, hält sich seit 15.06.2018 in Österreich auf, nachdem er am 16.01.20018 im Kosovo, am Standesamt von Kacanik, eine polnische Staatsbürgerin geheiratet hatte, die in Österreich von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht. Diese Ehe wurde – nachdem die eheliche Lebensgemeinschaft im Juni 2020 aufgehoben worden war – am 17.12.2020 vor dem Bezirksgericht XXXX im Einvernehmen geschieden.
Der BF ist in Besitz einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG - Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers, gültig von 13.08.2018 bis 13.08.2023.
Zuvor hatte der BF für den Zeitraum vom 10.03.2015 bis zum 09.03.2016 vom Amt der XXXX Landesregierung eine Aufenthaltsbewilligung als Student erhalten. Der Verlängerungsantrag des BF wurde jedoch mangels Studienerfolges mit 20.01.2017 rechtskräftig abgewiesen.
Der BF ist gegenwärtig als Arbeiter im Metallbau erwerbstätig.
Er weist nachfolgende Versicherungszeiten auf:
12.11.2018 – 20.12.2018, 26.02.2109 – 26.03.2019, 01.04.2019 – 18.12.2019, 20.01.2020 – 23.06.2020, 21.07.2020 – 28.07.2020, 10.08.2020 – 23.12.2020, 11.01.2021 – bis laufend.
Im Bundesgebiet leben die Eltern und jüngeren Geschwister des BF. Seit der Trennung von seiner Ehefrau wohnt der BF in der Wohnung seiner Eltern. Es besteht eine familiäre Verbundenheit, aber kein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Im Kosovo hat der BF die Matura absolviert, es leben dort Verwandte von ihm und verfügt die Familie des BF über ein Haus, welches bis zuletzt auch für gemeinsame Urlaube benützt wurde. Der BF führte im Kosovo mehr als fünfzehn Jahre lang ein unabhängiges Leben von seiner Familie.
Der kinderlose BF ist gesund, erwerbsfähig und verfügt über Berufserfahrung. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der BF weist grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache auf.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt des BFA (sowie in den Akt betreffend das abgeschlossene Verfahren zur Zl.: 180532899) unter besonderer Berücksichtigung der Angaben des BF im Rahmen seiner niederschriftlichen Befragungen, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Ergänzend wurden Auszüge des Betreuungsinformationssystems (GVS), des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Sozialversicherungsträgers (AJ-Web) und des Strafregisters eingeholt.
Das BFA hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen des BFA im angefochtenen Bescheid. Auch der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die vom BFA getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen.
2.2. Zur Person des BF:
Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit des BF gehen aus der Kopie des vorgelegten Reisepasses hervor.
Die Feststellung zum Aufenthalt des BF in Österreich ergibt sich aus dem Auszug aus dem Fremdenregister und dem ZMR vom 19.04.2021 sowie aufgrund der Aktenlage.
Dass der BF von 16.01.2018 bis 17.12.2020 mit einer EWR-Bürgerin verheiratet war, ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 17.12.2020, GZ: 34 Fam 16/20 betreffend die einvernehmliche Scheidung des BF. Die Scheidung wurde damit begründet, dass die eheliche Lebensgemeinschaft seit mehr als sechs Monaten aufgehoben und die Ehe unheilbar zerrüttet sei.
Die Feststellung zum Besitz einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG - Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers ergibt sich aus dem IZR-Auszug sowie der Aktenlage.
Die Feststellung zu den beruflichen Tätigkeiten des BF ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Versicherungsdatenauszug, dem Auszug aus der Sozialversicherungsdatenbank und den Lohnzetteln.
Die Feststellungen zu seinen privaten und familiären Verhältnissen sowie seiner Integration in Österreich ergeben sich aus den Angaben des BF anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 23.02.2021, sowie den vorgelegten Unterlagen (ÖSD Zertifikat B2 vom 12.10.2015 sowie Mietvertrag betreffend den Vater des BF).
Auch die Feststellungen zu seinen verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkten, der Existenz eines familieneigenen Hauses sowie seiner Ausbildung im Kosovo ergeben sich aus seinen Angaben im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA.
Die Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem Strafregister.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Ausweisung (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Als Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG gilt ein Fremder, der weder EWR-Bürger noch Schweizer Bürger ist.
Als begünstigter Drittstaatsangehöriger gilt gemäß § 2 Abs. 4 Z 11 FPG der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.
Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft gemäß § 54 Abs. 5 NAG erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG erfüllen und die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 1); die eingetragene Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Auflösungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 2); ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird (Z 3); es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann (Z 4) oder ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang - solange er für nötig erachtet wird - ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf ( Z 5).
Der BF ist Staatsangehöriger des Kosovo und somit Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Durch seine Ehe mit einer EWR-Bürgerin, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hatte, erlangte er den Status eines begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG und ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht.
§ 55 NAG lautet:
"(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs 3 und 54 Abs 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs 2 oder § 54 Abs 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.
(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig bleibt (VwGH, 14.11.2017, Ra 2017/20/0274 oder VwGH, 18.06.2013, 2012/18/0005).
Kommt die Niederlassungsbehörde - wie hier - bei der Prüfung des Fortbestands der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen, hat sie die in § 55 Abs. 3 NAG vorgesehenen Verfahrensschritte (Befassung des BFA und Information des Betroffenen) zu setzen. Die Frage des Bestehens des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts und der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung hat dann das BFA zu beurteilen (vgl VwGH 17.11.2011, 2009/21/0378). Diese Frage ist anhand des § 66 FPG zu prüfen, ohne dass es auf das Vorliegen einer Eigenschaft des Fremden als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ankommt.
Dem BF wurde auf Grund seiner Ehe mit einer freizügigkeitsberechtigten polnischen Staatsangehörigen gemäß § 54 Abs. 1 NAG eine Aufenthaltskarte ausgestellt. Da die Ehe weniger als drei Jahre gedauert hat, kinderlos blieb und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Härtefall iSd § 54 Abs. 5 Z 4 NAG vorliegt, sind die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht infolge der Ehescheidung unter Berücksichtigung von § 54 Abs. 1 und 5 NAG weggefallen.
Mangels eines fünf Jahre dauernden, ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet als Angehöriger einer unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin hat der BF auch kein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht gemäß § 54a Abs. 1 NAG erworben.
Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht, welches der BF aufgrund der Eheschließung mit einer freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerin innehatte, ist, wie das BFA zu Recht feststellte, weggefallen, da die Ehe weniger als drei Jahre dauerte und auch kein Härtefall des § 54 Abs. 5 Z 4 NAG vorliegt.
Gemäß § 66 Abs. 2 FPG sind bei einer Ausweisung insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter des Betroffenen, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seine Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Gemäß § 9 BFA-VG ist ua eine Ausweisung gemäß § 66 FPG, die in das Privat- und Familienleben eingreift, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:
Der BF hielt sich zuletzt von Juni 2018 bis zur Aufhebung seiner ehelichen Lebensgemeinschaft im Sommer 2020 rechtmäßig in Österreich auf. Er verfügt über ein Deutschzertifikat B2. Er ist aufgrund seiner Erwerbstätigkeit selbsterhaltungsfähig und unbescholten.
Der BF hat verwandtschaftlichen Bezug zu seinem Heimatstaat. Er ist im Kosovo geboren und hat, obwohl er in seiner Kindheit mehrere Jahre in Österreich gewohnt hat, den überwiegenden Teil seines erwachsenen Lebens im Kosovo verbracht. Er spricht die Landessprache, ist mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut und hat die Möglichkeit, im familieneigenen Wohnhaus zu leben.
Soweit in der Beschwerde behauptet wurde, dass der BF in Österreich ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK führt, ist festzuhalten: Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 02.08.2016, Ra 2016/20/0152, mit Verweis auf VwGH 21.04.2011, 2011/01/0093). Auch wenn der BF seit Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft nunmehr in der elterlichen Mietwohnung lebt, ist festzustellen, dass er aufgrund seiner Erwerbstätigkeit selbsterhaltungsfähig ist; er steht mit seinen dreißig Lebensjahren zudem nicht nur im Erwachsenenalter, sondern war von 2000 bis 2015 durchgehend im Kosovo aufhältig, hat dort die Matura absolviert, und hat dort sowie danach während seiner aufrechten Ehe im Bundesgebiet ein eigenständiges und unabhängiges Leben geführt. Dem BF ist es daher zumutbar, so wie vor Juni 2018, den Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern in Österreich über Besuche und diverse Kommunikationsmittel (Internet, Telefon) aufrechtzuerhalten. Wechselseitige Besuche und gemeinsame Urlaube im familieneigenen Haus im Kosovo können auch in Zukunft stattfinden.
Die Beziehung des BF zu seinen Verwandten in Österreich ist daher im Lichte eines bestehenden Privatlebens zu prüfen.
Der BF ist erst seit ca. drei Jahren im Bundesgebiet aufhältig. Sein Aufenthalt wurde durch seine Heirat mit einer freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgerin legalisiert und besteht diese Ehe nicht mehr.
Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0212, mwN). Im gegenständlichen Fall liegt trotz bestehender familiärer Bindungen im Bundesgebiet und vorliegender Deutschkenntnisse eine derart „außergewöhnliche Konstellation“ durch die dem BF unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste, nicht vor.
Der Verwaltungsgerichtshof stellte in zwei Entscheidungen (VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0122 bis 0125-7; VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0076-10) zudem fest, dass eine Aufenthaltsbeendigung nach einem Aufenthalt von sechs Jahren im Bundesgebiet trotz vorhandener Integrationsschritte (Deutschkenntnisse, Selbsterhaltungsfähigkeit) im öffentlichen Interesse liegen kann.
Besondere Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Kosovo wurden nicht vorgebracht. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Befragung vor dem BFA meinte der BF hiezu, einer Rückkehr in den Kosovo stünden keine Probleme entgegen und nehme er an, dass er in diesem Fall Unterstützung von seiner Familie erhalten würde.
Das BFA ist daher im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung daher Art. 8 EMRK nicht verletzt, zumal dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.
3.2. Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist vor diesem gesetzlichen Hintergrund nicht zu beanstanden.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
In der Beschwerde wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.
Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Gegenständlich ergibt sich der Sachverhalt eindeutig aus der Aktenlage, insbesondere aus dem Scheidungsbeschluss, der Beschwerde und den sonstigen vorgelegten Dokumenten.
Zutreffend ist, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die (allenfalls erforderliche) Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0052, mwN). Um einen solchen eindeutigen Fall handelt es sich in concreto, weil alle zugunsten des BF sprechenden Fakten berücksichtigt wurden, der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt im Sinne der obigen Judikatur aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt zu beurteilen ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Aufenthaltsdauer Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung rechtmäßig Durchsetzungsaufschub Interessenabwägung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben Resozialisierung Scheidung Unionsrecht VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W220.2241573.1.00Im RIS seit
07.10.2021Zuletzt aktualisiert am
07.10.2021