TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/9 L516 2173108-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.08.2021
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Entscheidungsdatum

09.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


L516 2173108-1/30E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.09.2017, Zahl 1122049501-160961701, nach mündlicher Verhandlung am 19.05.2021, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I, II, III und IV gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1, § 8 Abs 1, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9 sowie § 46, § 55 Abs 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 FPG auf 2,5 (zweieinhalb) Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 10.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei, und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage betrage und diese beginne „mit Zustellung des Bescheides. Spätestens jedoch mit Aufhebung der Untersuchungshaft bzw. ab Ende der zu verbüßenden Strafhaft.“ Das BFA erließ (V.) gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 6 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 19.05.2021 eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen. Die Verhandlung wurde unter Beiziehung eines zertifizierten Gerichtsdolmetschers für die Sprachen Urdu und Punjabi auf Wunsch des Beschwerdeführers in der Sprache Punjabi durchgeführt, nachdem der Beschwerdeführer in einer zuvor für den 11.03.2021 anberaumten Verhandlung den damals beigezogenen Dolmetscher abgelehnt hatte.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; EB=Erstbefragung; EV=Einvernahme; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; S=Seite; LG=Landesgericht; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan

Der Beschwerdeführer führt in Österreich die im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan, gehört der Volksgruppe der Punjabi sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest. (NS EB 11.07.2016 S 1; NS EV 12.07.2017 S 2)

Der Beschwerdeführer stammt aus dem Ort XXXX (andere Schreibeweise: XXXX ) im Bezirk Gujranwala, in der Provinz Punjab. Er besuchte in Pakistan keine öffentliche Schule und ist Analphabet. Er arbeitete in Pakistan temporär unter anderem in einer Zeitungsdruckerei und als Rikschafahrer. Der Beschwerdeführer hat zwei Schwestern. Seine Eltern und Schwestern leben nach wie vor im Herkunftsort im Elternhaus des Beschwerdeführers. Die Familie betreibt ihre eigene Landwirtschaft und der Familie geht es gut. Mit seiner Mutter steht er in monatlichem telefonischen Kontakt. (NS EB 11.07.2016 S 1, 2; NS EV 12.07.2017 S 3, 4; VS 19.05.2021 S 4, 5, 7)

Der Beschwerdeführer verließ Pakistan etwa im August oder September 2014 bzw im Dezember 2016 oder März 2016 und reiste über den Iran und weitere Länder, bevor er im Juli 2016 in Österreich einreiste. (NS EB 11.07.2016 S 4; NS EV 12.07.2017 S 2, 3, 4, 5)

1.2 Zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer stellte am 10.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seither überwiegend im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer befand sich dazwischen zumindest einmal für mehrere Monate ab dem 01.07.2019 für unbestimmte Zeit in Italien und verfügte für Italien über ein am 23.09.2019 ausgestelltes und bis 19.02.2020 gültiges Aufenthaltsrecht für die Dauer der Führung eines Dublin-Verfahrens. In Italien wird der Beschwerdeführer unter der Identität XXXX , geb. XXXX geführt. (OZ 9, 26; VS 19.05.2021 S 5, 6)

Der Beschwerdeführer bezieht seit Mitte Dezember 2017 keine Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde. Er ist auch nicht erwerbstätig. (GVS; VS 19.05.2021 S 5, 6)

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er hat keine Verwandten in Österreich und er führt hier auch keine Lebensgemeinschaft oder familienähnliche Beziehung. Der Beschwerdeführer kann Deutsch verstehen, aber nicht sprechen. (VS 19.05.2021 S 4, 5)

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich mit seit 28.12.2017 rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom 20.12.2017 wegen einer zuletzt am 31.01.2014 begangenen Tat gemäß § 278b Abs 2 StGB als Jugendlicher zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon neun Monate bedingt bei einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. (Strafregister der Republik Österreich) Jener Verurteilung lag – zusammengefasst – der Sachverhalt zugrunde, dass der Beschwerdeführer in Pakistan als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung, die darauf ausgerichtet war, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung betrieben wird, im Wissen beteiligt hat, die Vereinigung oder deren Kampfhandlungen zu fördern, indem er sich freiwillig der Vereinigung angeschlossen und einer Ausbildung mit Schusswaffen sowie der Anlegung und Benutzung von „Bombenwesten“ unterzogen hat und hierdurch die anderen Mitlieder psychisch unterstützt hat. Bei der Strafzumessung wurde mildernd gewertet der Beitrag zur Wahrheitsfindung, der bisherige ordentliche Lebenswandel, der Umstand, dass der Verurteilte der Organisation selbst abgeschworen hätte und nicht zurückgekehrt sei, der Einfluss durch die Koranschule, unter dem der Anschluss an die Organisations erfolgt sei, erschwerend nichts. (LG XXXX , Protokollvermerk und gekürzte Urteilsausfertigung 20.12.2017 (OZ 8))

Mit seit 02.02.2021 rechtskräftigem Urteil vom 29.01.2021 wurde der Beschwerdeführer von einem österreichischen Bezirksgericht gemäß § 83 Abs 1 StGB wegen einer am 18.08.2020 begangenen Tat zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je EUR 4,00, im Nichteinbringungsfall zu 50 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Jener Verurteilung lag – zusammengefasst – der Sachverhalt zugrunde, dass der Beschwerdeführer jemandem mit einem Faustschlag in den Nackenbereich vorsätzlich am Körper verletzte, wodurch dieser eine Prellung der Halswirbelsäule erlitt. Bei der Strafzumessung wurde mildernd das Tatsachengeständnis, die Tatbegehung als junger Erwachsener sowie der Umstand gewertet, dass die Tat beim Versuch geblieben ist, erschwerdend nichts. (BG XXXX , Protokollsvermerk und gekürzte Urteilsausfertigung 29.01.2021 (OZ 19))

1.3 Zum Gesundheitszustand

Der Beschwerdeführer ist gesund (VS 19.05.2021 S 4)

1.4 Zur Beründung des Antrages auf internationalen Schutz

Bei der Erstbefragung am 11.07.2016 brachte er zur Begründung seines Antrages vor, er sei von den Taliban mit dem Umbringen bedroht worden, nachdem er sich geweigert habe, sich jenen anzuschließen. (NS EB 11.07.2016 S 5)

Bei der Einvernahme vor dem BFA am 12.07.2017 führte der Beschwerdeführer – zusammengefasst – aus, er sei in eine Koranschule (Madrasa) gewesen, in der die Taliban ein und aus gegangen seien und den Schülern gesagt hätten, das sich jene ihrer Sache anschließen sollten. Der Beschwerdeführer und vier andere junge Männer sein dann mit den Taliban zu einem Trainingscamp in der Nähe von Lahore mitgegangen. Dort sei er er im Umgang mit Feuerwaffen und im Benützen von Bombenwesten unterrichtet worden. Etwa zwei Monate bzw einen Monat sei er dort gewesen. Er habe einmal versucht zu fliehen, sei jedoch erwischt worden und einen Tag in einem Zimmer eingesperrt worden. Danach er für 15 Tage Tage an einen Baum gebunden worden. Er habe einmal am Tag etwas zu essen bekommen und habe schließlich eingewilligt, mit den Taliban weiterzumachen. Die Taliban hätten ihm dann gesagt, er könne nun einen Monat nach Hause gehen und sich ausruhen und er würde von ihnen nach einem Monat wieder abgeholt. Er sei nach Hause gegangen und habe das seiner Familie erzählt. Diese sei verzweifelt gewesen und ihre Mutter habe ihm den Rat gegeben, zu ihrem Bruder, einem Onkel des Beschwerdeführers, zu gehen, der im Nachbardorf wohne. Jener Onkel habe gemeint, dass es bei jenem auch nicht sicher sei und der Beschwerdeführer sei nach Islamabad zu einem Freund gegangen, bei dem er auch gewohnt habe. Jener Freund habe einen Bekannten im Heimatdorf des Beschwerdeführers und jener Bekannte habe dem Imam der Moschee vom Beschwerdeführer erzählt, was wiederum der Imam den Taliban erzählt habe. Der Beschwerdeführer habe in Islamabad in einer Zeitungsdruckerei gearbeitet und ein Mitarbeiter habe ihm erzählt, dass zwei Personen mit Vollbärten nach dem Beschwerdeführer suchen würden. Der Beschwerdeführer habe gewusst, dass dies die Taliban gewesen seien, und sei nach Lahore geflüchtet, wo er dann mit Hilfe eines Cousins als Rikschafahrer gearbeitet habe. Eines Tages sei ein Mann mit Vollbart in seine Rikscha gestiegen, der dem Beschwerdeführer viele Fragen gestellt habe, ihm auch ein Kinderfoto des Beschwerdeführers gezeigt habe und ihm gesagt habe, er solle mit zurück ins Camp gehen. Der Beschwerdeführer habe jenem Mann gesagt, dass er das nicht wolle und sei geflüchtet. Der Beschwerdeführer sei dann nach Karachi und eines Tages habe er gesehen, wie ihm wieder Männer mit Vollbärten gefolgt seien. Er sei dann weggelaufen, habe seinen Onkel angerufen, der ihm gesagt habe, er solle mit seiner Mutter sprechen. Es sei dann von seiner Mutter und seinem Onkel entschieden worden, dass der Beschwerdeführer nach Dubai fliehen solle. Die Taliban seien beim Beschwerdeführer zu Hause ein und aus gegangen, sie hätten den Beschwerdeführer gesucht und bei einem dieser Besuch hätten sie jenes Kinderfoto des Beschwerdeführers mitgenommen. Dass er in Karachi gewesen sei, hätten die Taliban von einem Freund des Beschwerdeführers erfahren haben, der ein „Talibannachwuchs“ sei. Jener Freund habe dies vermutlich von dessen Mutter erfahren, die wiederum öfters beim Beschwerdeführer zu Hause gewesen sei. (NS EV 12.07.2017 S 5-8)

In der mündlichen Verhandlung am 19.05.2021 ergänzte der Beschwerdeführer sein Vorbringen insofern, als der Imam der Madrasa zu ihnen gesagt habe, sie würden in eine große Madrasa gehen, aber das habe nicht gestimmt, es sei ein Trainings-Camp der Taliban gewesen. Als er nach seinem Fluchtversucht aus dem Camp 15 Tage lang an einen Baum gebunden gewesen sei, habe er auf die Taliban eingeredet und so würden sie ihn nach Hause gehen haben lassen. Als er in Islamabad gewesen sei und eines Tages draußen spazieren gegangen sei, habe sein Freund ihm gesagt, dass ihn zwei Leute, Terroristen mit Bärten, suchen würden. Jener Freund sei eigentlich nur ein Dorfbewohner gewesen und er sei auch mit den Terroristen befreundet gewesen. Als er ins Trainingscamp gekommen sei, sei er 14 oder 15 Jahre alt gewesen. Derzeit würden die Taliban öfters zum Beschwerdeführer nach Hause kommen und nach ihm fragen. Sie würden die Familie gewarnt haben und verlangen, dass die Familie die Taliban über den Beschwerdeführer informiere. (VS 19.05.2021 S 8-12)

1.5 Zur Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Antragsgründe und Rückkehrbefürchtung

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er an einem Trainings-Camp der Taliban teilgenommen habe, jedoch nach einer Trainingsunterbrechung nicht mehr dorthin zurückgegangen sei und deshalb in ganz Pakistan von den Taliban gesucht werde, ist nicht glaubhaft. Er hat damit nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Pakistan einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre.

1.6 Zur Lage in Pakistan

Politische Lage

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 25.9.2020). Die vormaligen FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite Kaschmirs (AA 25.9.2020).

Pakistan ist gemäß seiner Verfassung eine parlamentarische Demokratie. Seit der Unabhängigkeit wurde die demokratische Entwicklung jedoch mehrfach von längeren Phasen der Militärherrschaft unterbrochen. Zuletzt kehrte Pakistan 2008 zur Demokratie zurück. Bei den Parlamentswahlen am 25.7.2018 gewann die bisherige Oppositionspartei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI). Seit August 2018 führt PTI-Chef Imran Khan als Premierminister eine Koalitionsregierung an (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Sicherheitslage allgemein

Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020).

Sicherheitslage - Punjab und Islamabad

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d; vgl. EASO 10.2020). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Beim einzigen 2019 aus Islamabad gemeldeten Terroranschlag wurden zwei Polizisten getötet und ein weiterer bei einem Angriff auf einen Sicherheitsposten verletzt (PIPS 2020).

Im südlichen Punjab sind militante Netzwerke und Extremisten präsent, Lashkar-e Taiba (LeT) und JeM haben dort ihre Hauptquartiere und unterhalten religiösen Einrichtungen. Die Abteilung für Terrorismusbekämpfung im Punjab (CTD) hat 2019 und im ersten Halbjahr 2020 ihre Operationen gegen Militante fortgesetzt. Es kam dabei zu Festnahmen und zur Tötung von (mutmaßlichen) Kämpfern der TTP, HuA, LeJ und ISKP. Vom 1. Jänner bis 31. Juli 2020 zählte PIPS neun Vorfälle im Punjab, fünf davon wurden als Terroranschläge erfasst (EASO 10.2020; vgl. PIPS 2020).

Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP)
Die TTP (auch pakistanische Taliban genannt) wurde 2007 von Baitullah Mehsud gegründet, der 2009 durch einen US-Drohnenangriff getötet wurde. Die ursprünglichen Ziele der Organisation waren die Umsetzung der Scharia und die Vertreibung der Koalitionstruppen aus Afghanistan. Die TTP ist eine Dachorganisation, die aus 13 verschiedenen pakistanischen Taliban-Fraktionen gebildet wird - ungefähr die Hälfte aller pakistanischen Taliban-Fraktionen. Die TTP besteht aus ca. 3.000 bis 5.000 aktiven Kämpfern in Afghanistan. Während die TTP auf der anderen Seite der Grenze im Osten Afghanistans Zufluchtsorte unterhält, hat sie Schläferzellen und Sympathisanten in Pakistan zurückgelassen. Afghanistan ist die Operationsbasis, aber die Gruppe führt im Allgemeinen keine Angriffe in Afghanistan durch. Die TTP konzentriert sich auf den Kampf gegen die pakistanische Regierung (EASO 10.2020).

Rechtsschutz, Justizwesen

Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020). Nach der Verfassung ist die politische Gewalt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. In der Praxis wird diese Aufteilung in Pakistan jedoch nicht strikt eingehalten (BS 2020). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 5.2020).

Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gemäß Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es eigene Justizsysteme (ÖB 5.2020).

Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings als glaubwürdig eingestuft (USDOS 11.3.2020).

Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden (USDOS 11.3.2020). Das National Accountability Bureau (Antikorruptionsbehörde) kann Verdächtige 15 Tage lang ohne Anklageerhebung festhalten (mit gerichtlicher Zustimmung verlängerbar) und ihnen vor der Anklageerhebung den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigern. Für Straftaten im Rahmen dieser Behörde kann keine Kaution hinterlegt werden, und nur dessen Vorsitzender ist befugt, über die Freilassung von Gefangenen zu entscheiden (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020).

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020). Zudem ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen beeinträchtigt: Korruption, Einschüchterung und Unsicherheit; einem großen Rückstau an Fällen und niedrigen Verurteilungsquoten bei schweren Straftaten; von Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRCP/FIDH 10.2019; HRW 14.3.2020). Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben für Korruption und den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren anfällig. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 11.3.2020). Zivile Streitigkeiten, insbesondere wegen Eigentum und Geld, sind ein häufiger Grund für Mordfälle in Pakistan. Die oftmals Jahrzehnte dauernden Verzögerungen bei Urteilen durch Zivilgerichte können zu außergerichtlicher Gewaltanwendung zwischen den Streitparteien führen (JPP 4.10.2018). De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem bisher dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020).

Polizei

Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 11.3.2020). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 29.9.2020). Zum geringen Ansehen der Polizei tragen Korruptionsanfälligkeit, unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen ebenso bei (AA 29.9.2020; vgl. HRCP 4.2020).

Mangelnde Bestrafung von Übergriffen, begangen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei. Interne Ermittlungen und Strafen können bei Übergriffen bzw. Misshandlungen vom Generalinspektor, den Bezirkspolizeioffizieren, den District Nazims, Provinzinnenministern oder Provinzministerpräsidenten, dem Innenminister, dem Premierminister und den Gerichten angeordnet werden. Die Exekutive und Polizeibeamte sind ebenfalls dazu befugt, in solchen Fällen eine strafrechtliche Verfolgung zu empfehlen, die gerichtlich angeordnet werden muss. Das Gerichtssystem bleibt das einzige Mittel, um Missbrauch durch Sicherheitskräfte zu untersuchen (USDOS 11.3.2020).

Grundversorgung und Wirtschaft

Derzeit macht der landwirtschaftliche Sektor ca. ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, der industrielle Sektor trägt zu einem Viertel des BIP bei und der größte Sektor für Handel und Dienstleistung trägt bis zu über 50 % des BIP bei. Trotz des geringsten Anteils am BIP ist der landwirtschaftliche Sektor immer noch sehr wichtig, weil mehr als 40 % der Bevölkerung in diesem Sektor direkt beschäftigt sind und die Existenz von mehr als 60 % der ländlichen Bevölkerung direkt oder indirekt von diesem Sektor abhängt. Neben den verheerenden Wettereinflüssen, wie Flut auf der einen und Dürre auf der anderen Seite, führt u.a. der Mangel an modern-technologischem Feldmanagement und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten zu einer verhältnismäßig niedrigen Produktivität in diesem Sektor. Gepaart mit anderen soziopolitischen Faktoren führt dies zudem zu einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung im Land (GIZ 9.2020).

Die Arbeitslosigkeit lag mit Stand 2017 offiziell bei etwa 7,8 % (CIA 24.9.2020). Kritisch ist vor allem die Situation von jungen erwerbslosen/arbeitslosen Männern zwischen 15 und 30 Jahren. Eine hohe Arbeitslosigkeit gepaart mit einer Verknappung natürlicher Ressourcen - vor allem auf dem Land - führte zur verstärkten Arbeitsmigration in große Städte und traditionell auch in die Golfstaaten. Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten und Gastarbeitern nach Pakistan belaufen sich gegenwärtig auf ca. 5 % des BIP (GIZ 9.2020).

Das Tameer-e-Pakistan-Programm ist eine Armutsbekämpfungsmaßnahme, um Einkommensquellen für Arme zu verbessern und Arbeitsplätze im Land zu schaffen (IOM 2019). Das Kamyab Jawan Programm, eine Kooperation des Jugendprogramms des Premierministers und der Small and Medium Enterprises Development Authority (SMEDA), soll durch Bildungsprogramme für junge Menschen im Alter zwischen 15 und 29 die Chancen am Arbeitsmarkt verbessern (Dawn 11.2.2019).

Sozialbeihilfen

Es gibt keine Arbeitslosenunterstützung (ILO 2017). Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern bezahlen das Gehalt der letzten 30 Tage des Dienstverhältnisses multipliziert mit der Dauer des Dienstverhältnisses in Jahren als Abfindung (USSSA 3.2019; vgl. ILO 2017).

Der staatliche Wohlfahrtsverband überprüft anhand spezifischer Kriterien, ob eine Person für den Eintritt in das Sozialversicherungssystem geeignet ist. Die Sozialversicherung ist mit einer Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Sektor verknüpft (IOM 2019).

Das Benazir Income Support Program und das Pakistan Bait-ul-Mal vergeben ebenfalls Unterstützungsleistungen (USSSA 3.2019). Pakistan Bait-ul-Mal ist eine autonome Behörde, die finanzielle Unterstützung an Notleidende, Witwen, Waisen, Invalide, Kranke und andere Bedürftige vergibt. Dabei liegt der Fokus auf Rehabilitation, Bildungsunterstützung, Unterkunft und Verpflegung für Bedürftige, medizinische Versorgung für mittellose kranke Menschen, Aufbau kostenloser medizinischer Einrichtungen, berufliche Weiterbildung sowie finanzielle Unterstützung für den Aufbau von selbständigen Unternehmen (PBM o.D).

Das Benazir Income Support Programme zielt auf verarmte Haushalte insbesondere in abgelegenen Regionen ab. Durch Vergabe von zinsfreien Krediten an Frauen zur Unternehmensgründung, freie Berufsausbildung, Versicherungen zur Kompensation des Verdienstausfalles bei Tod oder Krankheit des Haupternährers und Kinderunterstützungsgeld sollen insbesondere Frauen sozial und ökonomisch gestärkt werden (ILO 2017).

Die Edhi Foundation ist - nach eigenen Angaben - die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edhi o.D.).

Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Bezirken der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen fällt vorwiegend in die Zuständigkeit der Provinzen. In der Organisation wird zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärversorgung unterschieden. Die Primärversorgung erfolgt in Basic Health Units (BHU) und Rural Health Centers mit einem Einzugsbereich von 25.000 bis 100.000 Menschen. Die Sekundärversorgung erfolgt in Tehsil Head Quarters und District Head Quarters mit einem Einzugsbereich von 500.000 bis 3 Millionen Menschen. Diese Einrichtungen bieten eine große Zahl ambulanter und stationärer Behandlungen an. Der tertiäre Sektor bietet eine hoch spezialisierte stationäre Versorgung (IJARP 10.2017). Im Verhältnis gibt es einen Arzt für 957 Personen, ein Krankenhausbett für 1.500-1.600 Personen und einen Zahnarzt für 9.730 Personen. Das relative Verhältnis des medizinischen Personals zur Bevölkerungszahl hat sich in den vergangenen Jahren leicht verbessert (HRCP 3.2019; vgl. HRCP 18.4.2018).

In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen. Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt (AA 29.9.2020). In Punjab erklärte der Gesundheitsminister im Februar 2019, dass die Verteilung von Krankenversicherungskarten in 36 Distrikten der Provinz gestartet wurde und bis Ende des Jahres 2019 abgeschlossen sein wird. Die Krankenversicherung umfasst die Behandlung von acht Krankheiten (z.B Kardiologie, Neurologie usw.) bis zu einem Grenzwert von 720.000 PKR (ca. 3.800 EUR; Anm.). Die Krankenversicherung gilt sowohl für die öffentlichen und privaten Krankenhäuser (HRCP 4.2020).

Es gibt staatliche Sozialleistungen für Angestellte in Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeitern und bis zu einem Gehalt von 18.000 PKR (ca. 96 EURO) pro Monat (22.000 PKR in Punjab) sowie für von ihnen abhängige Personen. Ausgenommen von den Sozialleistungen sind Mitarbeiter in Familienbetrieben und Selbständige. Für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und der Eisenbahn sowie Mitglieder der Armee, der Polizei und der örtlichen Verwaltung gibt es eigene Systeme. Begünstigte erhalten allgemeinmedizinische Leistungen, Medikamente, Krankenhausbehandlungen und Krankentransporte. Während der Krankheit wird 75 % des Gehalts weiterbezahlt (100 % bei Tuberkulose und Krebs; in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa generell 50 % Gehaltsfortzahlung). Die Begünstigung setzt sich bei Beendigung des Dienstverhältnisses für sechs Monate oder für die Dauer der Krankheit (je nachdem, welcher Zeitpunkt früher eintritt) fort (USSSA 3.2019). Das staatliche Wohlfahrts-Programm Bait-ul-Mal vergibt Unterstützungsleistungen und fördert die Beschaffung von Heilbehelfen (PBM o.D.). Die nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisation Aga Khan Development Network betreibt landesweit 450 Kliniken, fünf Krankenhäuser sowie ein Universitätskrankenhaus in Karatschi und fördert zahlreiche Projekte auf lokaler Ebene, um den Zugang zur Grundversorgung zu verbessern (AKDN o.D.).

Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt, wobei diese für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich sind. In den modernen Krankenhäusern in den Großstädten kann - unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit - eine Behandlungsmöglichkeit für die meisten in Rede stehenden Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z.B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden (AA 29.9.2020).

In Punjab erklärte der Gesundheitsminister im Februar 2019, dass die Verteilung von Krankenversicherungskarten in 36 Distrikten der Provinz gestartet wurde und bis Ende des Jahres 2019 abgeschlossen sein wird. Die Krankenversicherung umfasst die Behandlung von acht Krankheiten (z.B. Kardiologie, Neurologie usw.) bis zu einem Grenzwert von 720.000 PKR. Die Krankenversicherung gilt sowohl für die öffentlichen und privaten Krankenhäuser (HRCP 4.2020).

Mehr als 15 Millionen Menschen in Pakistan leiden an einer psychischen Erkrankung (BBC 29.9.2016; vgl. Dawn 13.5.2019), jedoch gibt es nur etwa 500 qualifizierte Psychiater, vorwiegend in den Großstädten. In konservativen Regionen ist eine psychische Erkrankung mit einem sozialen Stigma verbunden (Dawn 13.5.2019; vgl. BBC 29.9.2016). Der Mangel an Psychiatern in peripheren Regionen sowie die Kosten der Behandlung sind für durchschnittliche Menschen unleistbar (Dawn 13.5.2019; vgl. Dawn 15.7.2019). Die Telefonseelsorge Talk2Me ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar und führt 75-90 psychologische Beratungen pro Woche durch (Dawn 13.5.2019).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung. Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 11.3.2020). Die starke Militärpräsenz in den Gebieten Azad Jammu and Kashmir (AJK) sowie Gilgit-Baltistan (GB) und die Gefahr von Beschuss und anderer Gewalt entlang der Grenzkontrolllinie schränken die Bewegungsfreiheit der Zivilbevölkerung im Land ein (FH 4.3.2020a). Es gibt einige rechtliche Beschränkungen für Reisen und die Möglichkeit, den Wohnsitz, die Beschäftigung oder die Hochschuleinrichtung zu wechseln. In einigen Teilen des Landes behindern die Behörden aus Sicherheitsgründen routinemäßig die interne Mobilität (FH 4.3.2020b).

Meldewesen

Pakistan verfügt über eine der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). Die Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh sowie das Hauptstadtterritorium Islamabad haben ein System für die Registrierung der Bewohner. In den Provinzen Azad-Jammu und Kaschmir, Gilgit-Baltistan und den ehemaligen FATA konnten laut IRBC keine Infos über solche Registrierungssyteme gefunden werden. In allen vier Provinzen besteht jedoch eine Meldepflicht. Die Gesetze werden allerdings nur lückenhaft umgesetzt, aber Vergehen werden in allen Provinzen streng geahndet. Die zuständige Behörde zur Erhebung der Meldedaten ist die Polizei. Die Bezirksleiter der Polizei sind für die lückenlose Erfassung der Bewohner in ihren Bezirken verantwortlich (IRBC 23.1.2018).

Bei gemieteten Räumlichkeiten ist es die Pflicht des Mieters oder Vermieters oder auch des Immobilienhändlers, der Polizei zusammen mit dem Mietvertrag vollständige Angaben über den Mieter zu machen. In den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa müssen zusätzlich noch zwei Referenzpersonen genannt werden, die den Bewohner identifizieren können. Hotels sind verpflichtet, Informationen über ihre Gäste zu übermitteln sowie diese Informationen zu archivieren und für die Polizei jederzeit einsehbar zu halten (IRBC 23.1.2018).

Um als Wähler in einem Wahlkreis registriert zu werden, muss man mittels Digitaler Nationaler Identitätskarte (NIC) nachweisen, Bewohner dieses Wahlkreises zu sein (ECP o.D.). Auf der NIC ist neben der permanenten Adresse auch die derzeitige Wohnadresse der Person angeführt (VB 4.11.2018).

Dokumente

Pakistan verfügt über eines der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). NADRA ist für die Ausstellung unterschiedlicher Ausweisdokumente zuständig (NADRA o.D.). Über 96 % der Bürger Pakistans verfügen über biometrische Personalausweise (PI 1.2019). Die National Identity Card (NIC) wird für Staatsbürger über 18 Jahre ausgestellt und ist mit einer einzigartigen 13-stelligen Personennummer versehen (NADRA o.D.). Die 2012 eingeführte Smart National Identity Card (SNIC) hat auf einem Chip zahlreiche biometrische Merkmale gespeichert und soll bis 2020 die älteren Versionen der NIC vollständig ersetzen (PI 1.2019). Eine SNIC wird benötigt, um beispielsweise Führerschein oder Reisepass zu beantragen, ein Bankkonto zu eröffnen und eine SIM-Karte oder Breitbandinternet zu erhalten (PI 1.2019; vgl. NADRA o.D.).

Weitere durch NADRA ausgestellte Dokumente sind die Pakistan Origin Card (POC) für ausländische Staatsbürger, die früher pakistanische Staatsangehörige waren bzw. deren Eltern oder Großeltern pakistanische Staatsbürger sind oder waren; National Identity Card for Overseas Pakistanis (NICOP) für Pakistani im Ausland, Emigranten oder Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft; Child Registration Certificates (CRC) für alle Personen unter 18 Jahren (NADRA o.D.).

Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weit verbreitetes Phänomen, v.a. von manuell angefertigten Dokumenten. Um gefälschte Dokumente zu erlangen, werden meist Bestechungsgelder bezahlt und/oder politischer Einfluss bzw. Kontakte von Familie und Freunden genutzt. Manche Dokumente sind sogar online oder in Märkten erhältlich. Folgende Dokumente werden regelmäßig gefälscht: Zeugnisse, akademische Titel, Empfehlungsschreiben, Geburts-, Todes-, Heirats- und Scheidungsurkunden, finanzielle Belege/Bestätigungen bzw. Kontoauszüge, Besitzurkunden, polizeiliche Dokumente (u.a. First Information Reports / FIRs), Einreise- und Ausreisestempel in Reisepässen sowie ausländische Visa (ÖB 5.2020).

Angesichts weit verbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, fiktive oder verfälschte Standesfälle (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf der Basis dieser Eintragung formal echte Urkunden ausgestellt zu bekommen. Merkmale auf modernen Personenstandsurkunden und Reisepässen zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte mühelos unterlaufen werden. Es ist in Pakistan problemlos möglich, ein (Schein-)Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z.B. „First Information Report“, FIR) dann formal echt sind. Ebenso ist es ohne große Anstrengungen möglich, Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen (AA 29.9.2020).

Rückkehr

Die Rückführung von pakistanischen Staatsangehörigen ist nur mit gültigem pakistanischem Reisepass oder mit einem von einer pakistanischen Auslandsvertretung ausgestellten nationalen Ersatzdokument möglich, nicht aber mit europäischen Passersatzdokumenten (AA 29.9.2020). Freiwillige Rückkehrer mit gültigen Reisedokumenten werden von den Grenzbehörden wie alle anderen Pakistani, die aus dem Ausland einreisen, behandelt. Zwangsweise Rückgeführte werden von den Grenzbehörden befragt, um herauszufinden, ob die Person illegal aus Pakistan ausgereist ist bzw. ob strafrechtliche Vorwürfe vorliegen. Wenn keine Vorwürfe vorliegen, wird die Person normalerweise nach einigen Stunden entlassen (DFAT 20.2.2019).

Zurückgeführte haben bei ihrer Rückkehr nach Pakistan allein wegen der Stellung eines Asylantrags weder mit staatlichen Repressalien noch mit gesellschaftlicher Stigmatisierung zu rechnen. Eine über eine Befragung hinausgehende besondere Behandlung Zurückgeführter ist nicht festzustellen. Die pakistanischen Behörden erfragen lediglich, ob die Rückkehrer Pakistan auf legalem Weg verlassen haben (AA 29.9.2020). Unter gewissen Voraussetzungen verstoßen Pakistani nämlich mit ihrer Ausreise gegen die Emigration Ordinance (1979) oder gegen den Passport Act, 1974. Laut Auskunft der International Organization for Migration (IOM) werden Rückkehrende aber selbst bei Verstößen gegen die genannten Rechtsvorschriften im Regelfall nicht strafrechtlich verfolgt. Es sind vereinzelte Fälle an den Flughäfen Islamabad, Karatschi und Lahore bekannt, bei denen von den Betroffenen bei der Wiedereinreise Schmiergelder in geringer Höhe verlangt wurden. Rückkehrende, die nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen, um Schmiergelder zu zahlen, werden oft inhaftiert (ÖB 5.2020). Nach anderen Angaben werden Personen, die illegal ausgereist sind, verhaftet und normalerweise nach einigen Tagen bei Bezahlung einer Strafe entlassen. Bei strafrechtlichen Vorwürfen oder wenn im Ausland eine Straftat begangen wurde, wird die Person verhaftet (DFAT 20.2.2019).

Bei oppositioneller Betätigung im Ausland, also etwa für eine andere Partei als die Regierungspartei, ist es bislang zu keinen bekannten Problemen bei der Rückkehr gekommen. Dasselbe gilt für im Ausland tätige Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Auch der International Organization for Migration (IOM) liegen keine diesbezüglichen Fälle vor (ÖB 5.2020).

Rückkehrer müssen vom Ort der Einreise nach Pakistan ihre Weiterreise selbst organisieren. Freiwillige Rückkehrer können berechtigt sein, Unterstützung von IOM oder lokalen NGOs erhalten. Zwangsweise Rückgeführte sind nicht berechtigt, Rückkehrhilfe zu beziehen (DFAT 20.2.2019).

Personen, die nach Pakistan zurückkehren, erhalten keinerlei staatliche Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen. EU-Projekte, wie z.B. das European Reintegration Network (ERIN), sollen hier Unterstützung leisten (AA 29.9.2020). ERIN wird in Pakistan von der pakistanischen NGO WELDO mit Finanzierung von AMIF und zahlreichen EU-Staaten durchgeführt (WELDO o.D.b). In 113 Bezirken werden Leistungen zur Reintegration und Unterstützung bereitgestellt. Die Programme sollen Rückkehrer wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Das Ausbildungsprogramm wird dem Bedarf am Arbeitsmarkt und der jeweilige Person angepasst. Gegenwärtig liegt der Fokus der Organisation in der nachhaltigen Integration von pakistanischen Staatsangehörigen nach ihrer Rückkehr (freiwillig oder unfreiwillig) aus den Partnerländern. Beratung und Unterstützung in der Zielregion wird in verschiedenen Sprachen angeboten. Es gibt unterschiedliche Programme für verschiedene vulnerable Personengruppen (WELDO o.D.a).

IOM selbst bietet im Rahmen ihres Programmes Assisted Voluntary Return & Reintegration (AVRR), von welchem im Jahr 2016 Angaben der Organisation zufolge auch 51 Rückkehrende aus Österreich profitierten, die folgenden Leistungen an (Laufzeit von einem Jahr; entsprechendes Monitoring inkludiert): Betreuung bei Ankunft am Flughafen (Islamabad, Lahore); Unterbringung bis zur Fahrt nach Hause; Berufs- bzw. Bildungsberatung und in der Folge entsprechende Unterstützung; medizinische Hilfeleistungen; besondere Unterstützungsleistungen für vulnerable Personengruppen (alleinstehende Frauen, minderjährige Kinder) (ÖB 5.2020; vgl. IOM o.D.).

IOM führt mit Bezug auf pakistanische Rückkehrer an, dass diese bei der Arbeitssuche auch Unterstützung durch das Tameer-e-Pakistan Programm – ein Programm zur Armutsbekämpfung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen – erhalten können (IOM 2019).

[Beweisquelle: LIB Jänner 2021 mwN]

Zwangsrekrutierung durch Taliban

Bei der Zwangsrekrutierung handelt es sich um eine Rekrutierung, die unter Androhung von Gewalt oder anderen Formen von Bedrohung durchgeführt wird. Die zu diesem Thema befragten Interviewpartner gaben im Rahmen der FFM 2015 an, dass ihnen keine derartigen Fälle bekannt sind (BFA 9.2015). Allerdings gab es für die Zeit der Besetzung des Swat-Tals durch die Taliban [Anm.: 2009 durch die Regierung beendet] Berichte zu Zwangsrekrutierungen. Die Taliban entführten Kinder und setzen durch, dass Familien entweder Geld oder ein Familienmitglied zur Verfügung stellen (Abbas 2015; vgl. The Telegraph 30.5.2009). Die bei der FFM 2013 interviewte Sozialwissenschaftlerin an der National Defence University erläuterte derartige Beispiele für Rekrutierungen bei der Übernahme des Swat-Tals. Einige Unwillige wurden zur Abschreckung getötet, diese Botschaft verbreitete sich rasch und die Eltern gaben ihre Kinder den Taliban als Kämpfer mit. Ebenso spielten allerdings ökonomische und religiöse Faktoren eine Rolle. Taliban waren eine Art Unternehmen, mit zwar geringer, aber monatlicher Bezahlung, und es wurde propagiert, dass die Jungen etwas für Gott täten, und die Religion studieren würden (BAA 6.2013). Bildungseinrichtungen und radikale Segmente von religiösen Gruppen sind attraktive Rekrutierungsböden für Aufständische (PIPS 1.2017).

[Beweisquelle: LIB 21.06.2018 mwN]

Zur aktuell vorherrschenden Pandemie aufgrund des Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

(Beweisquelle: www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; www.oesterreich.gv.at/)

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und den Lebensverhältnissen in Pakistan (oben 1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente konnte seine Identität nicht abschließend festgestellt werden, zumal der Beschwerdeführer auch in Italien aufgrund der dort vom Beschwerdeführer selbst gemachten Angaben unter der Alias-Identität XXXX , geb. XXXX geführt wird.

Seine Ausführungen zu seiner mangelnden Schulbildung, seinem seinen Erwerbstätigkeiten, sowie zu seinen Familienangehörigen in Pakistan sowie deren Betreiben einer Landwirtschaft waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte. Nicht geklärt werden konnte, wann der Beschwerdeführer Pakistan tatsächlich verlassen hat, da er dazu widersprüchliche und nicht in Einklang zu bringende Angaben machte. Bei der Erstbefragung am 11.07.2016 hatte er angegeben, den Ausreiseentschluss erst rund dreieinhalb Monate davor gefasst zu haben (NS EB 11.07.2016), bei der Einvernahme vor dem BFA am 12.07.2017 nannte er dazu als Ausreisezeitpunkt unterschiedlich „2014, im August oder September“, später, dass er sich „2015“ zur Flucht entschlossen habe, die Reise nach Österreich „ca. 2 Monat“ gedauert habe und er glaube, „im Dezember 2015“ ausgereist zu sein, wobei dies wiederum nicht mit seinen Angaben zu seinem Aufenthalt im Camp im Jahr 2014 (1 bzw 2 Monate) und danach in Islamabad (10-15 Tage), Lahore (ca 2 Monate) und Karachi (ca 1 Monat) in Einklang bringen lässt. (NS 12.07.2017 S 2, 3, 5, 6, 7)

2.2 Zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich (oben 1.2)

Seine Angaben zu seinem Aufenthalt in Österreich, seinem Aufenthalt in Italien und seiner abgelaufenen Aufenthaltsbewilligung für Italien, zu seiner aktuellen Lebenssituation in Österreich, dem Nichtbezug von Leistungen aus der Grundversorgung, sowie zu seinen strafgerichtlichen Verurteilungen ergeben sich aus den kohärenten, schlüssigen und widerspruchsfreien Angaben des Beschwerdeführers, dem Verwaltungsakt des BFA, dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus den behördlichen Datenregistern (IZR, ZMR, GVS, Anzeigen der Finanzpolizei, Strafregister), den Urteilsausfertigungen und der Anklageschrift. Dass der Beschwerdeführer Deutsch verstehen, aber nicht sprechen kann, brachte der Beschwerdeführer selbst in der mündlichen Verhandlung vor; Zweifel daran kamen nicht hervor.

Zu seiner Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung im Jänner 2021 gab er in der mündlichen Verhandlung am 19.05.2021 an, dass er absolut unschuldig gewesen sei, er nichts gemacht und nur versucht habe, einen Streit zu schlichten und er den Streitgrund noch immer nicht kenne. (VS 19.05.2021 S 13)

2.3 Zum Gesundheitszustand (oben 1.3)

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, wonach er gesund sei und keine Medikamente nehme. (VS 19.05.2021, S 4)

2.4 Zum Vorbringen und mangelnden Gefährdung im Falle der Rückkehr (oben 1.4 – 1.5)

2.4.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Erstbefragung vom 11.07.2016, der Einvernahme vor dem BFA am 12.07.2017 sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 19.05.2021.

2.4.2 Der Beschwerdeführer brachte zusammengefasst vor, er habe sich als Schüler in ein Trainingscamp der Taliban begeben, habe dann von dort zu fliehen versucht und sei nach einer Trainingspause nicht mehr dorthin zurückgekehrt, weshalb die Taliban nun hinter ihm her seien und er deshalb in Lebensgefahr sei. (im Detail oben 1.4)

2.4.3 Das Vorbringen des Asylwerbers muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009) Diese Voraussetzung ist im vorliegend Fall aus den folgenden Gründen nicht gegeben:

2.4.4 Der Beschwerdeführer wurde unter Zugrundelegung dieses Vorbringens von einem österreichischen Landesgericht am 20.12.2017 gemäß § 278b Abs 2 StGB verurteilt, wobei jedoch weder aus der Anklageschrift noch aus dem Urteil nachvollzogen werden kann, wie die Glaubhaftigkeitsbeurteilung zu den Aussagen des Beschwerdeführers, mit denen er sich selbst belastete, erfolgt ist. (zu einem Falschbelastungsmotiv bei Geständnissen sowie zur Problematik falscher Geständnisse vgl zB Rüdiger Deckers, Prüfung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage durch das Gericht im Lichte der neueren BGH-Rechtsprechung, S 126 mWN in Rüdiger Deckers/Günter Köhnken (Hrsg.), Die Erhebung und Bewertung von Zeugenaussagen im Strafprozess, 2. Auflage, 2014). Laut Anklageschrift und Urteil soll sich dabei der Beschwerdeführer der Organisation „TTP“ angeschlossen haben (Anklageschrift (OZ 7); LG XXXX , Protokollvermerk und gekürzte Urteilsausfertigung 20.12.2017 (OZ 8)), somit der „Tehrik-e-Taliban Pakistan“, die auch pakistanische Taliban genannt werden, ihre Zufluchtsorte und ihre Operationsbasis in Afghanistan und nicht in Pakistan haben, und die ihren Kampf gegen die pakistanische Regierung führen und auch von der pakistanischen Regierung bekämpft werden. (siehe Länderfeststellungen oben 1.6 Sicherheitslage - Punjab und Islamabad und Tehrik-e Taliban Pakistan) Der Beschwerdeführer selbst sprach dabei jedoch im Verfahren vor dem BFA stets nur von „Taliban“ ohne anzugeben, ob er in einem Trainingscamp der in Afghanistan kämpfenden Taliban, oder in einem solchen der pakistanischen Taliban (TTP) gewesen sein will, was insofern von Relevanz ist, als die pakistanischen Taliban gerade von der pakistanischen Regierung bekämpft werden und auch – wie zuvor dargelegt – ihre Zufluchtsorte und ihre Operationsbasis in Afghanistan und nicht in Pakistan haben. Woraus die die Anklageschrift, die den von ihr angenommenen Sachverhalt „im Wesentlichen auf die Angaben des Beschuldigten in seiner Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 12.07.2017“ stützt (Anklageschrift 23.10.2017 S 3 (OZ 7) und das Urteil (OZ 8) schlossen, dass sich der Beschwerdeführer gerade der TTP angeschlossen hätte, ist insoweit nicht nachvollziehbar.

2.4.5 Bereits das BFA zeigte im gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 18.09.2017 im Rahmen der Beweiswürdigung auf, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem BFA widersprüchlich und unschlüssig war; von der Entscheidung des BFA wurde das Landesgericht jedoch nicht verständigt. (Bescheid 18.09.2017 S 99 ff; VS 19.05.2021 S 13) Nach der am 19.05.2021 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erweist sich angesichts des nachfolgend dargelegten Aussageverhaltens des Beschwerdeführers, der vorhandenen Widersprüche und Unschlüssigkeiten in seinen Angaben das Vorbringen zu seinen Ausreisegründen als nicht glaubhaft.

2.4.6 Zunächst war der Beschwerdeführer nicht in der Lage, während des gesamten Verfahrens annähernd gleichbleibende Angaben dazu anzugeben, wann er in jenem Trainingscamp der Taliban gewesen sein will und wann er aus Pakistan ausgereist wäre. So gab er bei der Erstbefragung am 11.07.2016 an, den Ausreiseentschluss erst rund dreieinhalb Monate davor gefasst zu haben (NS EB 11.07.2016), was somit ungefähr im Februar 2016 gewesen wäre. Bei der Einvernahme vor dem BFA am 12.07.2017 nannte er dazu als Ausreisezeitpunkt zunächst „2014, im August oder September“, und nach Vorhalt des BFA, dass dies nicht mit den Angaben bei der Erstbefragung übereinstimme, gab er an, dass er sich „2015“ zur Flucht entschlossen habe, die Reise nach Österreich „ca. 2 Monat“ gedauert habe und er glaube, „im Dezember 2015“ ausgereist zu sein. Dieser Ausreisezeitpunkt lässt sich jedoch wiederum mit seinem – mehrfachen – Vorbringen beim BFA, wonach er im Jahr 2014 im Trainingscamp gewesen sei, nicht in Einklang bringen, da er beim BFA auch angegeben hat, nach dem Verlassen des Camps insgesamt in Islamabad 10-15 Tage gelebt zu haben, anschließend ungefähr zwei Monate in Lahore und dann ungefähr einen Monat in Karachi, und danach sei er ausgereist. (NS 12.07.2017 S 2, 3, 5, 6, 7) Selbst wenn er erst Ende 2014 in jenem Camp gewesen wäre, wäre er seinen eigenen Angaben danach nur noch ungefähr rund 3,5-4 Monate (10 bis 15 Tage (Islamabad) + ungefähr zwei Monate (Lahore) + ungefähr einen Monat (Karachi)) in Pakistan geblieben. In der mündlichen Verhandlung gab er dann an, er sei vielleicht im Jahr 2015 im Trainingscamp gewesen und nach der Frage nach seinem damaligen Alter führte er aus, das er 14 oder 15 gewesen sei, was seinem in Österreich angegebenen Geburtsdatum im Jahr 2013 bzw 2014 gewesen wäre. (VS 19.05.2021 S 9). Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass inzwischen mehrere Jahre vergangen sind und daher vom Beschwerdeführer jedenfalls keine vollständigen und völlig unverfälschten und gleichbleibenden Erinnerungen und genaueren Datumsangaben mehr erwartet werden können und er zudem Analphabet ist und nur eine geringe Bildung erhalten hat, wäre zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer auch unter diesen Umständen die laut seinen Angaben zentralen Ereignisse für seine Ausreise auch über einen längeren Zeitraum durchgehend zumindest annähernd gleichbleibend vorbringen kann. Dazu war der Beschwerdeführer nicht in der Lage, weshalb dies gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens spricht.

2.4.7 Der Beschwerdeführer schilderte sein Vorbringen zu den angegebenen zentralen Ereignissen – insbesondere die Fahrt ins Trainingscamp, den dortigen Aufenthalt, seinen Fluchtversuch und die spätere Freilassung sowie die nachfolgenden Verfolgungshandlungen in Islamabad, Lahore und Karachi – vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung – abgesehen von den soeben zuvor dargestellten zeitlichen Unvereinbarkeiten – im Wesentlichen annähernd gleichbleibend. Er schilderte sie auch in der Einvernahme vor dem BFA am 12.07.2021 und in der mündlichen Verhandlung am 19.05.2021 in der gleichen stets strikt chronologischen Reihenfolge. Von sich aus hat der Beschwerdeführer die jeweiligen Ereignisse kaum näher beschrieben, er machte keine detaillierteren Angaben zu Handlungsabläufen und erwähnte auch keine Nebenumstände, obwohl er zuletzt in der mündlichen Verhandlung explizit dazu aufgefordert worden war, alle Einzelheiten von Anfang bis zum Ende und dabei auch für ihn selbst Unwichtiges zu erzählen, nichts auszulassen und auch die Dinge und Umstände anzugeben, bei denen er nicht (mehr) sicher sei. (vgl NS EV 12.07.2017 S 5/6; VS 19.05.2021 S 8)

Deshalb wurde der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung noch einmal dazu aufgefordert, jenen Tag möglichst genau mit allen Einzelheiten zu beschreiben, an dem die Taliban in die Schule gekommen seien und er in das Trainingscamp mitgenommen worden sei. Trotz mehrfacher Erklärungen, worüber er erzählen soll, war der Beschwerdeführer dazu nicht in der Lage, sondern er traf wiederum nur rudimentäre und kurze Ausführungen zum Hergang jenes Ereignisses, welches sein Leben einschneidend verändern sollte, wie folgender Ausschnitt aus der Verhandlung zeigt (VS 19.05.2021 S 9):

„RI [=Richter, Anm]: Erinnern Sie sich noch an den Tag, als Sie sich auf den Weg in das Camp gemacht haben?

P [=Beschwerdeführer, Anm]: Kann ich nicht. Meinen Sie den Tag, oder das Datum.

RI: Kein Datum. Ich möchte, dass Sie mir alles darüber erzählen, wie dieser Tag abgelaufen ist, möglichst genau.

P: Ich wurde zum Camp gebracht und mir wurde gezeigt, was ich dort machen soll. RI: Erzählen Sie mir von diesem Tag, von in der Früh bis zum Schlafen gehen. Jede Minute, an die Sie sich erinnern.

P: Sie meinen als ich dort hingebracht wurde?
RI: Ja, von diesem Tag.

P: Eines Tages kamen Sie zu uns und haben gesagt, wir sollen unsere Taschen einpacken. Wir haben die Taschen eingepackt und so wurden wir in das Camp gebracht. Gesagt wurde uns, dass wir in eine große Madrasa kommen, aber es war ein Trainingscamp. Am ersten Tag wurde uns gezeigt, was wir machen soll und wurde gesagt: „Ihr werdet hier trainieren.“

RI: Ich möchte mir gern ein Bild machen, wie dieser Tag abgelaufen ist. Wann sie an diesem Tag aufgestanden, können Sie das sagen?

P: Um 5 oder 6 Uhr in der Früh. Wir sind um 5 aufgestanden, wir haben das Frühgebet verrichtet. Dann haben wir Koranunterricht bekommen, gelesen. Danach haben wir Frühstück gemacht. So kommen drei vier Leute in unsere Madrasa, die sagten: „Welche vier, fünf Jungen sind zum mitnehmen. Die vier, fünf Jungen sollen Ihre Taschen einpacken“. Wir haben eingepackt und unsere Taschen bereitgemacht. Und am Nachmittag kamen wir im Trainingscamp an.

RI: Sie haben also Ihre Taschen gepackt. Wie ging es dann weiter?

P: Sie haben uns mitgenommen.

RI: Ich möchte gerne von Ihnen alle Einzelheiten hören, wie das abgelaufen ist.

P: Ich habe von einem Freund erfahren, dass dieses Camp irgendwo in der Nähe von Lahore ist. Es war abends, da haben Sie uns gezeigt, was wir alles machen sollen, Training und so weiter, danach bekamen wir Abendessen und wir gingen schlafen.

RI: Ihnen ist gesagt worden, dass Sie in eine große Madrasa kommen werden und dann sind Sie in ein Trainingscamp gekommen und haben erfahren, was Sie machen sollen. Wie war das?

P: Was meinen Sie? Der Imam von der Moschee ist mit den Terroristen zusammen.

RI: Ich meine damit, dass etwas anderes passiert ist, als man ihnen vorher gesagt hat. Wie war das für sie.

P: Es war für mich alles fremd, wohin ich gekommen bin. Deswegen habe ich versucht, von dort wegzulaufen.“

Der Beschwerdeführer wurde in der mündlichen Verhandlung des Weiteren wiederholt dazu aufgefordert, zu seinem vorgebrachten Fluchtversuch aus dem Trainingscamp, bei welchem der Beschwerdeführer von den Taliban erwischt worden wäre, genauere Angaben zum Ablauf jenes Ereignisses zu machen. Auch d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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