TE Vwgh Erkenntnis 1997/1/21 96/11/0171

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Veröffentlicht am 21.01.1997
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Staatsbürgerschaft;
43/01 Wehrrecht allgemein;
44 Zivildienst;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10;
StbG 1985 §20;
WehrG 1990 §15 Abs1;
WehrG 1990 §36a Abs1 Z2;
ZDG 1986 §13 Abs1 Z2;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/11/0181

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerden des N in W, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in W, gegen 1. den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 13. Mai 1996, Zl. 762.553/1-2.7/95, betreffend Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes, 2. den Bescheid des Militärkommandos Wien vom 24. Mai 1996, Zl. W/67/23/06/75, betreffend Einberufung zum Grundwehrdienst, zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

2. Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 13. Mai 1996 wurde der Antrag des im Jahr 1967 geborenen Beschwerdeführers vom 22. April 1994 auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes gemäß § 36a Abs. 1 Z. 2 des Wehrgesetzes 1990 (WG) abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu Zl. 96/11/0171 protokollierte Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Mit dem als Einberufungsbefehl bezeichneten Bescheid des Militärkommandos Wien vom 24. Mai 1996 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 35 WG zur Leistung des Grundwehrdienstes beginnend mit 1. Oktober 1996 einberufen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu Zl. 96/11/0181 protokollierte Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangten Behörden haben jeweils die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragen in ihren Gegenschriften jeweils die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden.

Die Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über sie erwogen:

Zur Beschwerde Zl. 96/11/0171:

Die belangte Behörde führt in der Begründung ihres Bescheides im wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe am 25. April 1991 den Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gestellt. Diese sei ihm am 1. Dezember 1991 verliehen worden. Am 1. Juli 1991 sei eine näher bezeichnete Gesellschaft nach bürgerlichem Recht gegründet worden, an der der Beschwerdeführer und seine Mutter je zur Hälfte beteiligt gewesen seien. Mit Notariatsakt vom 30. September 1992 sei ein Gesellschaftsvertrag über die Errichtung einer näher bezeichneten Gesellschaft mit beschränkter Haftung geschlossen worden, an der der Beschwerdeführer und seine Mutter zu 25 % und sein Vater zu 50 % beteiligt seien. Die Gesellschaft nach bürgerlichem Recht sei mit 1. Oktober 1992 in die Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingebracht worden. Der Beschwerdeführer sei Geschäftsführer dieser Gesellschaft. Deren Umsatz habe im Jahr 1993 rund 4,4 Millionen Schilling und im Jahr 1994 rund 11 Millionen Schilling betragen. Die Gesellschaft habe näher bezeichnete Aufträge erhalten, Anschaffungen getätigt und Kredite aufgenommen.

Der Beschwerdeführer habe sich auf ein von ihm vorgelegtes Sachverständigengutachten berufen, aus dem hervorgehe, daß mit der Leistung des Grundwehrdienstes der Bestand des Unternehmens und damit die wirtschaftliche Existenz des Beschwerdeführers sowie seiner Angehörigen und Mitarbeiter gefährdet wäre. Dem Gutachten sei zu entnehmen, daß qualifizierte Personen, welche die für die Ausübung der Tätigkeiten eines Geschäftsführers notwendigen Voraussetzungen mitbrächten, zwar am Markt zu finden seien, jedoch nicht für einen derartig kurzen Zeitraum. Die vorübergehende Aufnahme einer qualifizierten Person sei aufgrund der Kostenstruktur des Unternehmens nicht verkraftbar.

Der Beschwerdeführer sei am 12. Oktober 1992 und am 4. Februar 1993 für vorübergehend untauglich erklärt worden. Bei der Stellung am 20. März 1995 sei er für tauglich befunden worden.

Im Falle des Beschwerdeführers lägen im Hinblick auf seine Beteiligung an der GmbH bzw. zuvor an der Gesellschaft nach bürgerlichem Recht wirtschaftliche Interessen vor, diese seien aber nicht besonders rücksichtswürdig, weil der Beschwerdeführer die ihn treffende Obliegenheit zur Harmonisierung seiner wirtschaftlichen Angelegenheiten mit der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes verletzt habe. Bereits ab Stellung des Antrages auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft habe den Beschwerdeführer diese Harmonisierungspflicht getroffen. Ungeachtet dessen habe er sich am 1. Juli 1991 an der Gesellschaft nach bürgerlichem Recht beteiligt und halte nach deren Einbringung in die GmbH 25 % der Geschäftsanteile. Darüber hinaus seien in den Jahren 1993 bis 1995 durch diese Gesellschaft etliche Kaufverträge abgeschlossen und Verbindlichkeiten eingegangen worden und es sei der Geschäftsbereich des Unternehmens ausgeweitet worden, dies obwohl der Beschwerdeführer am 12. Oktober 1992 erstmals der Stellung unterzogen worden sei. Dabei sei es unbeachtlich, daß er bei dieser Stellung und bei der folgenden am 4. Februar 1993 als vorübergehend untauglich befunden worden sei, denn er habe damit rechnen müssen, in der Folge anläßlich einer neuerlichen Stellung für tauglich befunden zu werden. Es sei nicht zu erkennen, daß unvorhersehbare Ereignisse es dem Beschwerdeführer nicht erlaubt hätten, mit seiner Beteiligung an den Gesellschaften so lange zuzuwarten, bis er den Grundwehrdienst abgeleistet habe. Infolge Verletzung der Harmonisierungspflicht seien die wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers nicht als besonders rücksichtswürdig anzusehen. Es lägen auch keine besonders rücksichtswürdigen familiären Interessen des Beschwerdeführers vor. Bei den vom Beschwerdeführer dargelegten negativen Auswirkungen auf die Lebenssituation seiner Eltern handle es sich der Sache nach um ein wirtschaftliches Interesse an der Vermeidung der für den Fall der Leistung des Grundwehrdienstes befürchteten wirtschaftlichen Nachteile. Diese seien letztlich darauf zurückzuführen, daß die Eltern in Kenntnis der Präsenzdienstpflicht des Beschwerdeführers ihre wirtschaftlichen Dispositionen getroffen hätten.

Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde eine Verkennung der Rechtslage vor, wenn sie seine Verpflichtung zur Harmonisierung seiner wirtschaftlichen Angelegenheiten mit der Präsenzdienstpflicht bereits ab dem Zeitpunkt des Antrages auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft angenommen habe. Er ist damit aus folgenden Erwägungen im Recht:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft einen Wehrpflichtigen ab dem Zeitpunkt, zu dem er mit seiner Einberufung zum ordentlichen Präsenzdienst rechnen muß, die Obliegenheit, seine wirtschaftlichen Dispositionen so zu treffen, daß für den Fall der Einberufung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes vorhersehbare Schwierigkeiten vermieden oder möglichst verringert werden. Die belangte Behörde weist zutreffend darauf hin, daß der Verwaltungsgerichtshof diese Harmonisierungspflicht auch in einem Fall bejaht habe, in dem ein Wehrpflichtiger zunächst für vorübergehend untauglich erklärt worden war (siehe das Erkenntnis vom 30. Juni 1981, Slg. Nr. 10.503/A), doch ist daraus für sie nichts zu gewinnen, weil in einem solchen Fall die Wehrpflicht bereits ab Erreichung des gesetzlichen Mindestalters besteht und nur das Ob und Wann des Eintrittes der erforderlichen - als bloß vorübergehend nicht gegeben angenommenen - Eignung ungewiß war. Eine Harmonisierungspflicht im oben beschriebenen Sinn kommt aber dann nicht in Betracht, wenn infolge Fehlens der österreichischen Staatsbürgerschaft keine Wehrpflicht im Sinne des § 16 WG besteht. In den Erkenntnissen vom 22. Jänner 1991, Slg. Nr. 13.360/A, und vom 18. Mai 1993, Zl. 93/11/0074, hat es der Verwaltungsgerichtshof für zulässig angesehen, die Harmonisierungspflicht auch bereits dann anzunehmen, wenn einer Person gemäß § 20 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die Verleihung der Staatsbürgerschaft zugesichert wurde, weil es der dadurch erlangte Grad der Gewißheit, daß dem Begehren des Antragstellers entsprochen werde, rechtfertige, von ihm zu verlangen, daß er Handlungen unterlasse, die die Erfüllung der mit der Staatsbürgerschaft verbundenen Wehrpflicht vereiteln oder gefährden könnten. Ein solcher Fall liegt hier aber nach der Aktenlage nicht vor, sodaß nicht davon ausgegangen werden kann, der Beschwerdeführer habe bereits bei Errichtung der Gesellschaft nach bürgerlichem Recht mit 1. Juli 1991 Gewißheit gehabt, daß seinem Begehren auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft entsprochen werde. Der Behörde ist bei Verleihung der Staatsbürgerschaft in § 10 StbG 1985 freies Ermessen eingeräumt, wie sich auch aus der Bestimmung des § 11 leg. cit. über die Ausübung dieses Ermessens ergibt. Ein Antragsteller hat daher auch dann, wenn er alle Voraussetzungen für die Verleihung nach § 10 Abs. 1 und 2 leg. cit. erfüllt, keine Gewißheit, daß seinem Begehren entsprochen werden wird. Die Rechtsansicht der belangten Behörde, die das Bestehen der Harmonisierungspflicht bereits ab dem Zeitpunkt des Antrages auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft annimmt, erweist sich daher als verfehlt. Den vom Beschwerdeführer geltend gemachten wirtschaftlichen Interessen kann demnach nicht schon deshalb die besondere Rücksichtswürdigkeit abgesprochen werden, weil er sich im Jahr 1991 an einem Unternehmen beteiligt hat.

Soweit die belangte Behörde eine Verletzung der Harmonisierungspflicht auch in den nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gesetzten wirtschaftlichen Aktivitäten des Beschwerdeführers, insbesondere in der Ausweitung des Geschäftsumfanges des Unternehmens, erblickt, fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung, welche Geschäfte ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Beschwerdeführers hätten unterbleiben können, m.a.W. durch welche zumutbaren Beschränkungen des Geschäftsbetriebes ab Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft es dem Beschwerdeführer möglich gewesen wäre, den Präsenzdienst ohne Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz zu leisten.

Da die belangte Behörde nach dem Gesagten die Rechtslage betreffend den Beginn der Harmonisierungspflicht verkannt hat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz in diesem Beschwerdeverfahren gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. An Stempelgebührenersatz konnten dem Beschwerdeführer nur S 330,-- (S 240,-- Eingabengebühr, S 90,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuerkannt werden.

Zur Beschwerde Zl. 96/11/0181:

Der Beschwerdeführer wiederholt in diesem Beschwerdeverfahren im wesentlichen sein bereits in der Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid enthaltenes Vorbringen.

Dazu genügt es, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach nicht schon die Anhängigkeit eines Verwaltungsverfahrens über einen Befreiungsantrag oder eines Beschwerdeverfahrens über einen die Befreiung versagenden Bescheid, sondern erst ein die Befreiung von der Präsenzdienstpflicht aussprechender Bescheid der Erlassung eines Einberufungsbefehles entgegensteht (siehe auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 22. Jänner 1991, mwN). Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996110171.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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