TE Vwgh Beschluss 2021/9/17 Ra 2020/19/0420

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.09.2021
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103010
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 1997 §7
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2
EURallg
FlKonv Art1 AbschnC Z1
FrPolG 2005 §52
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z1
32011L0095 Status-RL Art11

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des W I, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in 8600 Bruck/Mur, Fridrichallee 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2020, W147 2217803-1/23E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation, wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. November 2006 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

2        Der Revisionswerber wurde in Österreich insgesamt siebenmal strafgerichtlich verurteilt, zuletzt mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 30. November 2018 zu einer Freiheitsstrafe von 29 Monaten und 14 Tagen.

3        Mit Bescheid vom 15. März 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 (iVm Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK) ab, stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass dem Revisionswerber die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot.

4        Mit Erkenntnis vom 14. Oktober 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des BFA hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis VI. als unbegründet ab, gab der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. mit der Maßgabe statt, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf acht Jahre herabgesetzt werde, und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5        Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe sich in Form eines mehrwöchigen Aufenthaltes in seinem Herkunftsstaat freiwillig unter dessen Schutz gestellt und damit den Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erfüllt. Aufgrund der mehrfachen Straffälligkeit des Revisionswerbers komme § 7 Abs. 3 AsylG 2005 nicht zur Anwendung. Dem Revisionswerber drohe im Herkunftsstaat keine Verletzung seiner durch Art. 2 bzw. 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Eine Rückkehr in die Herkunftsregion Tschetschenien sei ihm zumutbar. Der Revisionswerber leide an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (F 60.30) sowie an einer posttraumatischen Belastungsstörung (F 43.1) und nehme zur Behandlung bestimmte näher genannte Medikamente ein. Für psychische Erkrankungen, posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen bestünden im Herkunftsstaat sowie in der Herkunftsregion im Speziellen einschlägige Behandlungsmöglichkeiten. Die öffentlichen Interessen an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens überwögen insbesondere aufgrund der insgesamt sieben strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers und der vom Revisionswerber ausgehenden, schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet. Aufgrund dessen sei die Erlassung eines Einreiseverbotes dringend geboten, dieses sei jedoch unter Berücksichtigung der im Bundesgebiet bestehenden Bindungen des Revisionswerbers auf acht Jahre herabzusetzen.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

10       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit mit Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshof vom 23. Oktober 2019, Ra 2019/19/0046, zu den Voraussetzungen der Annahme einer Unterschutzstellung zunächst vor, das Erkenntnis des BVwG enthalte „im Feststellungsteil“ keine Feststellungen dazu, ob bzw. wann und für welchen Zeitraum sich der Revisionswerber in der Russischen Föderation aufgehalten habe, welches Motiv diesem Aufenthalt zugrunde gelegen sei und wie der Revisionswerber die Hin- und Rückreise habe bewerkstelligen können.

11       Der Verwaltungsgerichtshof vertrat mit näherer Begründung in seinem Erkenntnis vom 15. Mai 2003, 2001/01/0499, zum Asylgesetz 1997 die Ansicht, dass die erfolgreiche Beantragung der Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses des Heimatstaates auch dann zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft führen kann, wenn im Heimatstaat selbst weiterhin die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung besteht und eine Rückkehr dorthin nicht beabsichtigt ist. In Abkehr zur Judikatur zu den Vorgängerbestimmungen des § 7 Asylgesetz 1997 hielt er aber fest, dass neben den Voraussetzungen des tatsächlichen Erhaltes des Schutzes und der Freiwilligkeit auch - unter dem Gesichtspunkt des Wunsches einer Normalisierung der Beziehungen zum Herkunftsstaat - das Erfordernis eines auf die Unterschutzstellung als solche abzielenden Willens maßgeblich ist. Dem Betroffenen sei die Gelegenheit zu geben, die neuerliche Erfüllung der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft darzutun, wenn die Unterschutzstellungsabsicht im Entscheidungszeitpunkt wieder aufgegeben wurde (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0046).

12       Der Verwaltungsgerichtshof hielt vor dem Hintergrund der insoweit unverändert gebliebenen Genfer Flüchtlingskonvention, deren Art. 1 Abschnitt C Z 1 wortgleich in die Statusrichtlinie aufgenommen wurde, auch für das AsylG 2005 an den eben wiedergegebenen Aussagen dieses Erkenntnisses fest, so dass für die Annahme einer Unterschutzstellung die Freiwilligkeit, der tatsächliche Schutzerhalt und die Unterschutzstellungsabsicht vorliegen müssen (vgl. erneut VwGH Ra 2019/19/0046).

13       Aus der Rechtsprechung ergibt sich auch, dass der Umstand einer Heimreise in den Herkunftsstaat ein Indiz dafür sein kann, dass der Asylberechtigte keinen Schutzbedarf mehr hat und sich vielmehr dem Schutz seines Heimatlandes erneut unterstellt hat. Daher wird der Asylberechtigte im Aberkennungsverfahren die Gründe für sein Verhalten plausibel zu erklären haben (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0121, mwN). Aus der bloßen Feststellung der besuchsweisen Heimreise lässt sich die rechtliche Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, der Revisionswerber habe nach seiner Anerkennung als Flüchtling in Österreich - unter Zurücklassung seiner übrigen Familie - sich freiwillig unter den Schutz seines (damaligen) Heimatlandes, nämlich Afghanistan, begeben, nicht in gesetzesmäßiger Weise ableiten. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt bereits auf der Tatsachenebene die Auseinandersetzung mit den in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgestellten Tatbeständen bzw. Aberkennungsvoraussetzungen. Es sind die konkreten Umstände der Reise zu erheben, die Aufschluss über das Motiv der Heimreise, den Ablauf des konkreten Aufenthaltes und der vom Flüchtling vorgefundenen Gefahrenlage, geben. Es wird auch eine Gewichtung der Motivation zur Heimreise und der Gefahrenlage in Herkunftsstaat, sowohl in subjektiver als auch objektiver Hinsicht, vorzunehmen sein, um den Aufenthalt als „beabsichtigte“ Unterschutzstellung werten zu können. Die alleinige Feststellung des temporären Aufenthaltes im Heimatstaat reicht weder für die Annahme der Unterschutzstellung noch für deren Verneinung aus (vgl. erneut VwGH Ra 2018/14/0121).

14       Das BVwG stellte im vorliegenden Fall - wenn auch disloziert in der Beweiswürdigung und in der rechtlichen Beurteilung - fest, der Revisionswerber habe sich circa eineinhalb Jahre vor dem Datum der Einvernahme beim BFA freiwillig für einen Zeitraum von ungefähr eineinhalb Monaten in die Russische Föderation begeben. Möge sich der Revisionswerber auch keinen Reisepass habe ausstellen lassen, sei der mehrwöchige Aufenthalt in der Russischen Föderation als eindeutiges Indiz einer Unterschutzstellung zu sehen, insbesondere, weil der Revisionswerber nicht nur zu einem kurzen, allenfalls nachvollziehbaren Aufenthalt, wie beispielsweise das Begräbnis eines nahen Angehörigen in den Herkunftsstaat gereist sei. Der in der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG behauptete Grund für die Einreise zum Zweck des Begräbnisses eines Onkels sei konstruiert. Der Revisionswerber habe sich für mehrere Wochen in der Russischen Föderation aufgehalten, ohne irgendwelchen Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sei. Es sei nicht behauptet worden, dass es während des Aufenthaltes zu Bedrohungssituationen gegen den Revisionswerber gekommen sei. Die Unterschutzstellungsabsicht sei als vorhanden anzunehmen. Das BVwG ging somit erkennbar davon aus, dass der Revisionswerber zum Zweck des Besuches von Verwandten - und nicht etwa zum Besuch eines kranken Verwandten (vgl. dazu erneut VwGH Ra 2019/19/0046) - in seinen Herkunftsstaat zurückkehrte, und setzte sich mit der vom Revisionswerber vorgefundenen Gefahrenlage auseinander. Die Revision legt fallbezogen nicht dar, dass das BVwG insoweit von den oben wiedergegebenen Leitlinien der hg. Rechtsprechung abgewichen wäre. Mit dem Vorbringen, die Feststellungen befänden sich nicht „im Feststellungsteil“, sondern setze sich das BVwG lediglich „im Beweiswürdigungsteil“ mit dem zugrunde gelegten Sachverhalt auseinander, wird die Relevanz des damit geltend gemachten Verfahrensmangels nicht dargelegt.

15       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit des Weiteren vor, dass es bereits auf Basis des mutmaßlichen Inhaltes der Krankengeschichte, die nach der mündlichen Verhandlung beim BVwG eingelangt und dem Revisionswerber nicht zur Äußerung übermittelt worden sei, offensichtlich sei, dass beim Revisionswerber eine relevante psychische Erkrankung vorliege bzw. vorliegen könnte, die in der Russischen Föderation nicht behandelt werden könne bzw. zu deren Behandlung der Revisionswerber keinen Zugang habe. Das BVwG habe es unterlassen, einen medizinischen Sachverständigen beizuziehen, um beurteilen zu können, an welcher psychischen Erkrankung der Revisionswerber tatsächlich leide. Das BVwG hätte sodann konkret feststellen müssen, ob bzw. inwieweit diese psychische Erkrankung in der Russischen Föderation behandelt werden könne. Das BVwG habe den entsprechenden Beweisantrag des Revisionswerbers ohne Begründung übergangen. Wäre dem Revisionswerber die Möglichkeit zur Stellungnahme zur Krankengeschichte eingeräumt worden, hätte er darauf verwiesen, dass bei ihm eine Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ und eine äußerst schwere posttraumatische Belastungsstörung bestehe. Zu diesen Erkrankungen fehle es an der ausreichenden Behandelbarkeit in der russischen Föderation.

16       Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Feststellungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung auch die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben. Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 8.7.2021, Ra 2021/19/0151, mwN).

17       Das BVwG traf - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es den Revisionswerber zu seinem Gesundheitszustand befragte - Feststellungen zum Gesundheitszustand des Revisionswerbers, zu seiner medikamentösen Behandlung sowie zur entsprechenden Behandlungsmöglichkeit im Herkunftsstaat. In der diesen Feststellungen zu Grunde liegenden, nicht unvertretbar erscheinenden Beweiswürdigung bezog sich das BVwG auf die eingeholte Krankengeschichte des Revisionswerbers, einschlägige Länderberichte und auf die diesbezüglich als glaubhaft erachteten Angaben des Revisionswerbers. Die Revision zeigt vor diesem Hintergrund nicht auf, dass sich das BVwG ohne Ermittlungen und ohne Begründung über das dem Beweisantrag des Revisionswerbers auf Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen samt Gutachtenserstattung zu Grunde liegende Beweisthema hinweggesetzt hätte.

18       Die Revision rügt indes zu Recht, dass dem Revisionswerber nicht Gelegenheit gegeben wurde, vom Ergebnis der Beweisaufnahme in Form der vom BVwG eingeholten Krankengeschichte des Revisionswerbers, Kenntnis zu erlangen und in Folge dazu Stellung zu nehmen. Die Revision unterlässt es jedoch darzulegen, inwiefern der Revisionswerber im Falle des Vorliegens der von ihr ins Treffen geführten Krankheiten mit der vom BVwG festgestellten medikamentösen Behandlung bei Rückkehr in den Herkunftsstaat bzw. das Herkunftsgebiet keine ausreichende Behandlung erfahren würde. Mit dem allgemein gehaltenen Vorbringen zur fehlenden Behandlungsmöglichkeit der psychischen Erkrankungen des Revisionswerbers in der Russischen Föderation wird die Relevanz dieses Verfahrensmangels nicht aufgezeigt.

19       Soweit die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorbringt, dass die Handlungsfähigkeit des Revisionswerbers aufgrund seiner psychischen Erkrankung massiv eingeschränkt werde, sodass bei ihm keine Unterschutzstellungsabsicht unter den Schutz seines Heimatlandes angenommen werde könne, ist darauf zu verweisen, dass dieses Vorbringen erstmals in der Revision erstattet wurde. Damit verstößt dieses Revisionsvorbringen gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG). Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG kann aber nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. VwGH 8.6.2021, Ra 2019/19/0190, mwN).

20       Insoweit die Revision rügt, das BVwG habe aus den Angaben des Revisionswerbers, wonach seine Großmutter und diverse Tanten in der Russischen Föderation leben würden, die Vermutung konstruiert, der Revisionswerber könnte im Falle seiner Rückkehr mit der Unterstützung seiner Verwandten rechnen, macht sie einen Verfahrensmangel geltend, ohne dessen Relevanz in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/19/0054, mwN).

21       Die Revision wendet sich mit dem Vorbringen, der Revisionswerber sei als 10-jähriges Kind nach Österreich gekommen, lebe seither - wie seine Eltern und Geschwister - durchgehend in Österreich und spreche besser Deutsch als Russisch, des Weiteren gegen die vom BVwG im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung.

22       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 6.7.2021, Ra 2021/19/0200, mwN).

23       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. etwa VwGH 28.11.2019, Ra 2018/19/0479, mwN). Diese Rechtsprechungslinie betraf jedoch nur Konstellationen, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (vgl. erneut VwGH Ra 2018/19/0479, mwN).

24       Das BVwG verwies auf die insgesamt sieben strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers, welcher sich zum Zeitpunkt der Entscheidung in Strafhaft befunden habe. Darüber hinaus berücksichtigte das BVwG die von der Revision konkret ins Treffen geführten Bindungen in seinen Herkunftsstaat und traf - disloziert in der Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung - entsprechende Feststellungen. Mit der bloßen Wiederholung der bereits vom BVwG berücksichtigten Umstände zeigt die Revision nicht auf, dass die Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.

25       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. September 2021

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190420.L02

Im RIS seit

07.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten