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90/02 Kraftfahrgesetz;Norm
KDV 1967 §30 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde der I in G, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in N, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 4. Mai 1995, Zl. I/7-St-ST-949, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihr für die Dauer ihrer gesundheitlichen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, aus der Zusammenfassung des amtsärztlichen Gutachtens gehe hervor, daß bei der Beschwerdeführerin beim Test des Kuratoriums für Verkehrssicherheit in vier von acht Prüfkriterien deutliche Mängel festgestellt worden seien. Weiters seien die übrigen Ergebnisse Grenzwerte gewesen. Vom ärztlichen Sachverständigen sei die psychische Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B als derzeit nicht gegeben angesehen worden. Die Beschwerdeführerin habe bei der Anamnese ihren Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik verschwiegen. Sie sei selbst in keiner Weise auf ihre derzeitige Krankheitssituation eingegangen. Bei der Beschwerdeführerin sei ein schwer lenkbarer Gedankengang festgestellt worden.
Die Stellungnahmen der Beschwerdeführerin seien nicht geeignet, das amtsärztliche Gutachten zu entkräften, weil sie dem Gutachten nicht auf fachlicher Ebene entgegengetreten sei. In den Stellungnahmen sei die Beschwerdeführerin wieder nicht auf ihre derzeitige Krankheitssituation eingegangen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV 1967 gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften u.a. ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen ist. Gemäß § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967 müssen darüberhinaus die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gegeben sein. Gemäß § 31 der zitierten Verordnung gelten als ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 Personen, bei denen weder Erscheinungsformen von solchen Krankheiten oder Behinderungen, noch schwere geistige und seelische Störungen vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung der Verdacht eines krankhaften Zustandes ergibt, der die geistige Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist eine Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt, die eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit einzubeziehen hat, anzuordnen.
Krankheiten, Behinderungen und Störungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 und des § 31 KDV 1967 sind für eine Entziehung oder Einschränkung der Lenkerberechtigung im Sinne des § 73 Abs. 1 KFG 1967 nur insoweit von Belang, als sie eine "Beeinträchtigung des Fahrverhaltens" (wegen fehlender oder zumindest eingeschränkter Fähigkeiten zum sicheren Beherrschen der Kraftfahrzeuge und zur Einhaltung der für ihr Lenken geltenden Vorschriften) und damit eine Gefährdung der Verkehrssicherheit erwarten lassen. Dies erfordert im Sachverständigengutachten entsprechende Ausführungen über die von einer Krankheit, einer Behinderung oder einer Störung ausgehenden Auswirkungen auf das Verhalten der betreffenden Person im Straßenverkehr, sofern dies - was hier nicht der Fall ist - nicht ohnedies schon aufgrund der Art der Krankheit, Behinderung oder Störung auf der Hand liegt (siehe das hg. Erkenntnis vom 15. Jänner 1991, Zl. 90/11/0087, mwN).
Das amtsärztliche Sachverständigengutachten vom 15. März 1995, auf das sich die belangte Behörde stützt, weist darauf hin, daß die Beschwerdeführerin nach dem "Gutachten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit" in vier von acht Prüfkriterien deutliche Mängel aufweise. Die übrigen Ergebnisse seien grenzwertig gewesen. Die "psychische Eignung" zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B sei jedoch derzeit nicht gegeben, weil die Beschwerdeführerin während der Anamnese den Aufenthalt an der psychiatrischen Klinik verschwiegen habe und auch in keiner Weise auf ihre derzeitige Krankheitssituation eingegangen sei. Ihr Gedankengang sei schwer lenkbar und es bestehe keinerlei Krankheitseinsicht.
Dem Gutachten ist zu entnehmen, daß der Amtsarzt die Auffassung vertreten hat, die Beschwerdeführerin sei nicht ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV 1967. Dieses Gutachten ist schon deshalb mangelhaft, weil die im § 31 zweiter Satz KDV 1967 zwingend angeordnete Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt, die auch eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit zu enthalten hat, nach der Aktenlage nicht erfolgt ist. Im Akt findet sich zwar ein handschriftlicher Vermerk vom 23. Dezember 1994 "Verkehrspsycholog. Gutachten der Psych. Univ. Klinik erforderlich". Daß eine diesbezügliche Untersuchung stattgefunden hat, ist jedoch nicht erkennbar. Weder der amtsärztliche Sachverständige noch die belangte Behörde berufen sich auf eine diesbezügliche Untersuchung. Es ist daher davon auszugehen, daß eine Untersuchung im Sinne der zitierten Verordnungsstelle nicht erfolgt ist. Damit wurde eine Verfahrensvorschrift verletzt, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Dazu kommt, daß das amtsärztliche Gutachten, auf das allein die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid stützt, keine Ausführungen über die von der angenommenen psychischen Störung der Beschwerdeführerin ausgehenden Auswirkungen auf das Verhalten der Beschwerdeführerin im Straßenverkehr enthält. Auch dies belastet nach dem oben Gesagten den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Das amtsärztliche Sachverständigengutachten vom 15. März 1995 läßt nicht erkennen, ob bei der Beschwerdeführerin der Mangel der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit angenommen wird. Die Formulierung des Gutachtens, in dem nach dem Hinweis auf die Grenzwertigkeit der übrigen Ergebnisse ausgeführt wird, "Die psychische Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B ist JEDOCH derzeit nicht gegeben, ... " spricht dagegen. Selbst wenn man jedoch ersteres annähme, wäre für die belangte Behörde nichts gewonnen, weil das Gutachten nicht erkennen läßt, welche Leistungskomponenten beeinträchtigt sind und in welchem Ausmaß dies der Fall ist. Die Aktenlage reicht daher nicht aus, um die Annahme zu rechtfertigen, der Beschwerdeführerin fehle die geistige und körperliche Eignung wegen des Mangels der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit (§ 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967).
Die Unvollständigkeit des ärztlichen Sachverständigengutachtens belastet den angefochtenen Bescheid, der sich allein auf dieses Gutachten stützt, mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995110357.X00Im RIS seit
12.06.2001