TE OGH 2021/9/28 2Ob177/20y

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Veröffentlicht am 28.09.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** G*****, vertreten durch Mag. Stefan Danzinger, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Grgi? & Partneri Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Zweigniederlassung Wien, wegen 11.266,39 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 6.646,20 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 17. Juli 2020, GZ 18 R 38/20x-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 31. Jänner 2020, GZ 14 C 1015/18h-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung, einschließlich der bereits unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Teile, insgesamt zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 757,99 EUR samt 4 % Zinsen seit 13. 10. 2018 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 10.508,40 EUR binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen.“

Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.

         Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.125,08 EUR (darin enthalten 81,49 EUR USt und 636,35 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]            Am 26. 6. 2018 wurde der PKW der Klägerin bei einer Kollision mit einem bei der beklagten Partei (einem kroatischen Versicherungsunternehmen mit Zweigniederlassung in Wien) haftpflichtversicherten PKW beschädigt, den der Lenker des Beklagtenfahrzeugs verschuldete.

[2]            Das Klagsfahrzeug wurde zwecks Reparatur auf das Gelände der von einer GmbH betriebenen Werkstätte gebracht und dort abgestellt. Nachdem er über den „Versicherungsverband“ die beklagte Partei als Haftpflichtversicherer ermittelt hatte, versuchte die Werkstattbetreiberin mehrmals erfolglos, die beklagte Partei telefonisch zu kontaktieren. Sie sandte am 12. 7. und am 16. 7. 2018 auch entsprechende E-Mails samt Unfallbericht an die beklagte Partei mit dem Ersuchen um Schadensbegutachtung, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten. Über Anraten des „Versicherungsverbands“ wandte sie sich am 17. 7. 2018 an dessen Beschwerdestelle.

[3]            Am 24. 7. 2018 nahm die Werkstattbetreiberin eine Reparaturkostenkalkulation vor, die einen Betrag von 2.898,43 EUR ergab.

[4]            Nachdem die Werkstattbetreiberin am 25. 7. 2018 Kontaktdaten eines Mitarbeiters der beklagten Partei erhalten hatte, ersuchte sie diesen am selben Tag um zeitnahe Schadensregulierung, wobei sie neuerlich den Unfallbericht übermittelte. Am 7. 8. 2018 wurde ihr von der Schadensabteilung der beklagten Partei mitgeteilt, dass nun eine Schadensnummer vergeben worden sei und sich ein Sachverständiger in kürzester Zeit melden werde. An diesem Tag hatte die Klägerin bereits die vorliegende Klage eingebracht.

[5]            Am 9. 8. 2018 erhielt die Klägerin ein Schreiben der beklagten Partei, in dem ihr diese mitteilte, dass die endgültige Entscheidung über den Schadenersatzanspruch längstens binnen drei Monaten getroffen werden würde. Der Aufforderung, Zulassungsschein und Führerschein zu übermitteln, entsprach die Klägerin noch am selben Tag.

[6]       Am 16. 8. 2018 langte bei der Klägerin ein weiteres, mit 9. 8. 2018 datiertes, Schreiben eines Sachbearbeiters der beklagten Partei ein, in dem festgehalten wurde, dass eine Besichtigung des Klagsfahrzeugs notwendig sei, und zwei Termine zur Besichtigung (16. 8. bei der beklagten Partei in Wien oder 17. 8. an einem von der Klägerin zu nennenden Ort) vorgeschlagen wurden. Daraufhin bot die Werkstattbetreiberin noch am 16. 8. 2018 den Termin am 17. 8. an und alternativ auch, dass die Klägerin einen unabhängigen Sachverständigen gegen Rechnung beauftragen könnte. Es kam weder ein Sachverständiger der beklagten Partei noch eine Antwort von dieser.

[7]       Am 18. 9. 2018 erhob die beklagte Partei Einspruch gegen den am 16. 8. 2018 erlassenen Zahlungsbefehl, in welchem sie die geltend gemachten Ansprüche bestritt. Am 24. 10. 2018 forderte der Klagevertreter die beklagte Partei nochmals zur Besichtigung auf und teilte mit, dass diese jederzeit möglich wäre. Darauf erfolgte keine Reaktion.

[8]            Am 30. 8. 2019 stellte die beklagte Partei das Klagebegehren – noch vor Begutachtung durch den vom Erstgericht bestellten Sachverständigen – dem Grunde nach außer Streit und überwies einen Betrag von 2.706,24 EUR an den Klagevertreter, worauf das (unreparierte) Fahrzeug am 2. 9. 2019 vom Gelände der Werkstätte entfernt wurde.

[9]            Die Standgebühr betrug im Jahr 2018 11,50 EUR und im Jahr 2019 13,50 EUR pro Tag (aufgrund des Hinweises auf die Beil ./M offensichtlich gemeint: exkl USt). Das Fahrzeug der Klägerin stand vom 31. 8. 2018 (aufgrund des Hinweises auf die Beil ./M offensichtlich gemeint: 1. 8. 2018) bis 2. 9. 2019 auf dem Gelände der Werkstätte, was einen Gesamtbetrag von 6.080,40 EUR ergab. Mit den ursprünglich eingeklagten 565,80 EUR (erkennbar gemeint: für die Zeit bis zur Klagseinbringung) ergibt dies 6.646,20 EUR.

[10]     Die beklagte Partei prüft nach Einlangen einer Schadensmeldung, ob Fotos und ein Kostenvoranschlag reichen oder ob eine Besichtigung vorgenommen werden muss. Ist der Referent der Meinung, dass ein Gutachten eingeholt werden muss, dann wird entweder ein interner oder ein externer Gutachter verständigt, der sich dann mit der Werkstatt in Verbindung setzt. Wäre dann das Fahrzeug bereits repariert oder entsorgt, stünde es also nicht mehr zur Begutachtung bereit, erbringt die beklagte Partei in der Regel keine Versicherungsleistung, es sei denn, es handelt sich nur um einen kleinen Schaden und es liegen Fotos und die Reparaturrechnung vor.

[11]            Die Klägerin begehrte zuletzt Schadenersatz von 11.266,39 EUR, wobei sie den Zuspruch von Zinsen (ab Klagszustellung) nur aus dem ursprünglichen, später durch Einschränkung verminderten Klagsbetrag von 7.892,23 EUR, nicht aber auch vom Ausdehnungsbetrag begehrte. Das Begehren umfasste letztlich Leihwagenkosten bis inklusive 6. 8. 2018 in Höhe von 4.428 EUR, Standgebühren (erkennbar) vom Unfall bis zunächst 6. 8. 2018 (565,80 EUR) und nach Ausdehnung bis inklusive 2. 9. 2019 in Höhe von insgesamt 6.646,20 EUR sowie restliche Reparaturkosten von 192,19 EUR (ursprünglich 2.898,43 EUR). Sie brachte vor, die beklagte Partei habe trotz mehrmaliger Aufforderung keine Begutachtung des Klagsfahrzeugs vorgenommen. Zu einem akkordierten Begutachtungstermin sei der Sachverständige der beklagten Partei nicht erschienen. Für die Klägerin sei lange nicht klar gewesen, ob die Reparatur zeitnahe erfolgen würde oder sie sich ein neues Fahrzeug anschaffen müsse. Die „Freigabe zur Entsorgung des Fahrzeuges“ sei erst in der Tagsatzung vom 3. 9. 2019 erfolgt.

[12]            Die beklagte Partei wendete – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – ein, hinsichtlich der Standgebühren habe die Klägerin ihre Schadensminderungsobliegenheit verletzt, da sie das Fahrzeug anderswo günstiger abstellen oder auch reparieren lassen hätte können. Nach der Schadensmeldung vom 25. 7. 2018 habe sie am 7. 8. 2018 einen Akt eröffnet und die Klägerin kontaktiert. Am 9. 8. 2018 habe sie ihr zwei Besichtigungstermine angeboten. Noch vor Abschluss der Ermittlungen habe die beklagte Partei jedoch die Klage erhalten.

[13]           Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 6.838,39 EUR (6.646,20 EUR Standgebühren, 192,19 EUR restliche Reparaturkosten) samt 4 % Zinsen seit 13. 10. 2018 statt und wies das Mehrbegehren von 4.428 EUR (ohne Zinsen), nicht aber auch das Zinsenmehrbegehren ab. Es führte aus, die restlichen angemessenen Reparaturkosten seien zu ersetzen. Die Klägerin habe das Schadensereignis bereits am 12. 7. 2018 angezeigt. Die Parteien hätten sich auf einen Besichtigungstermin am 17. 8. 2018 geeinigt, dieser sei aber von der beklagten Partei nicht wahrgenommen worden. Die beklagte Partei habe in weiterer Folge keine Termine mehr angeboten, vielmehr habe sie das Verschulden des dem Versicherungsnehmer zuzurechnenden Lenkers bestritten. Die Klägerin habe keine andere Möglichkeit gehabt, als auf die Begutachtung des Schadens zu warten und das Fahrzeug für die Besichtigung bereitzuhalten, weshalb ihr hinsichtlich der Schadensminderungsobliegenheit kein Versäumnis vorzuwerfen sei. Der Klägerin seien daher die geltend gemachten Standgebühren zuzusprechen. Hingegen könnten ihr keine Leihwagenkosten zugesprochen werden, da sie in ihrem eigenen Versicherungsvertrag auf den Ersatz derselben verzichtet habe. Zinsen stünden gemäß § 29a Abs 4 KHVG erst nach Ablauf von drei Monaten nach der schriftlichen Schadensmeldung, somit ab 13. 10. 2018 zu.

[14]           Das nur von der beklagten Partei gegen den Zuspruch von 6.646,20 EUR an Standgebühren angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es war der Ansicht, die Klägerin sei weder verpflichtet gewesen, eigenes Kapital zur Reparatur des Fahrzeugs zu verwenden noch den Schaden auf eigene Kosten schätzen zu lassen. Da die beklagte Partei nicht zeitgerecht reagiert habe, sei die Schadensermittlung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens „angemessen und vorgesehen“. Die Beklagte habe zunächst weder einen Betrag anerkannt noch die Zahlung eines Vorschusses vorgeschlagen, sondern die Besichtigung durch einen Sachverständigen für notwendig erachtet. Bis zum Schriftsatz der beklagten Partei vom 28. 8. 2019 seien sowohl Grund als auch Höhe des Anspruchs strittig und damit die Notwendigkeit der Besichtigung durch einen Sachverständigen indiziert gewesen. Bei dieser Ausgangslage habe die Klägerin keine Verletzung der Schadensminderungspflicht zu verantworten. Am 2. 9. 2018, nach Einlangen des anerkannten Betrags, habe die Klägerin das Fahrzeug vom Stellplatz entfernt. Sie habe auch mehrfach auf die anfallenden Standgebühren hingewiesen, sodass es die Beklagte in der Hand gehabt hätte, die Kosten durch eigenes Handeln zu reduzieren.

[15]           Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der Oberste Gerichtshof in älteren Entscheidungen bisher Standgebühren nur für einige Tage als gerechtfertigt angesehen habe. Der Frage, ob durch längeres kostenpflichtiges Abstellen auch unter den hier vorliegenden Umständen die Schadensminderungspflicht verletzt werde, komme über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

[16]           Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem erkennbaren Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren im Umfang weiterer 6.646,20 EUR sA abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[17]           Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[18]       Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; sie ist auch teilweise berechtigt.

[19]           Die beklagte Partei macht geltend, im Rahmen der Schadensminderungspflicht sei der Geschädigte verpflichtet, den Reparaturauftrag so schnell wie möglich zu erteilen, wenn ansonsten der Schaden durch das Auflaufen weiterer Kosten vergrößert würde. Nach ständiger Rechtsprechung seien daher Standgebühren nur für einige Tage zuzusprechen. Der Klägerin wäre es zuzumuten gewesen, zum Zwecke der Schadensfeststellung ein Privatgutachten einzuholen oder einen Beweissicherungsantrag zu stellen. Ein Zuwarten mit der Reparatur oder der Entsorgung des Wracks über mehr als ein Jahr sei nicht gerechtfertigt.

[20]     Hiezu wurde erwogen:

[21]           1. Aus § 1304 ABGB ergibt sich die Verpflichtung des Geschädigten, den eingetretenen Schaden möglichst gering zu halten, wenn und soweit ihm ein entsprechendes Verhalten möglich und zumutbar ist (2 Ob 40/19z; RS0027043). Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegt ua dann vor, wenn der Geschädigte Handlungen unterlassen hat, die geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, obwohl sie – objektiv betrachtet – von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten (2 Ob 40/19z; 2 Ob 249/08v; RS0023573). Ob eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit vorliegt, ist ex ante zu beurteilen (4 Ob 49/18g mwN; RS0026909 [T1a]). Was dem Geschädigten dabei zuzumuten ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile und nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs (2 Ob 249/08v; RS0027787). Es kommt daher wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an (RS0027787).

[22]           2. Nach gefestigter Rechtsprechung zu Kfz-Schäden muss daher ein Reparaturauftrag, wenn sich aus der verzögerten Erteilung eines solchen Auftrags eine Vergrößerung des Schadens – etwa durch Entstehung von Mietwagenkosten oder wie hier Standgebühren (vgl 2 Ob 65/84 [Garagierungskosten]) – voraussichtlich ergeben würde, so schnell wie möglich erteilt werden. Ein Zuwarten mit dem Reparaturauftrag kann zwar – abgesehen von einer diesbezüglichen Vereinbarung – je nach den Umständen des Einzelfalls in einem gewissen Ausmaß gerechtfertigt sein. Die bloße Verzögerung der Schadensregulierung durch den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer an sich hebt jedoch die Verpflichtung des Geschädigten zur Schadensminderung nicht auf. Grundsätzlich ist, wenn der Schaden und die Reparaturwürdigkeit des beschädigten Fahrzeugs nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden kann, ein Zuwarten bis zur Genehmigung der Reparatur durch den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer nicht gerechtfertigt. Stehen die zur Schadensbehebung erforderlichen Mittel zur Verfügung oder können diese leicht beschafft werden, ist es als Verletzung der Schadensminderungspflicht anzusehen, wenn der Geschädigte bei offenbar grundlosem Zögern des Schädigers oder dessen Versicherers sich nicht ohne Verzug selbst um die Klärung der Frage der Reparaturwürdigkeit bemüht und dann die entsprechenden Dispositionen trifft (8 Ob 97/83 ZVR 1984/281; 2 Ob 180/78 ZVR 1979/305; vgl RS0027181; RS0026864; RS0026970; RS0027072).

[23]           3. Erscheint eine Reparatur des beschädigten Fahrzeugs aller Voraussicht nach wirtschaftlich, ist ein Zuwarten mit dem Reparaturauftrag um einige Tage in der Regel vertretbar, wenn dadurch einem Sachverständigen des Ersatzpflichtigen Gelegenheit zur Besichtigung des beschädigten Fahrzeugs gegeben wird, weil die Feststellung des Zustands des Fahrzeugs auch im Interesse des Schädigers liegt, der danach die Berechtigung der Ersatzansprüche leichter beurteilen kann (8 Ob 97/83 [eine Woche]; 2 Ob 291/74 ZVR 1975/165; 2 Ob 260/66 ZVR 1967/146).

[24]           Ist aber die Reparaturwürdigkeit des beschädigten Fahrzeugs für den Geschädigten nicht ohne weiteres erkennbar, der Schaden somit an der Grenze zum Totalschaden, ist ihm ein längerer Zeitraum zuzubilligen, um ihm die zweckmäßige Feststellung der Schadenshöhe und die Beurteilung der Frage der Reparaturwürdigkeit seines Fahrzeugs zu ermöglichen (2 Ob 180/78 [14 Tage]; 8 Ob 213/74 ZVR 1975/219 [16 Tage]; vgl 2 Ob 139/76 ZVR 1977/229). Bemüht sich in einem solchen Fall der Geschädigte ohne unnötigen Verzug um die Klärung dieser Fragen und tritt er deswegen an den ersatzpflichtigen Haftpflichtversicherer heran, kann im Einzelfall auch ein Zuwarten mit dem Reparaturauftrag bis zur Entscheidung des Haftpflichtversicherers nicht als Verletzung der Schadensminderungspflicht anzusehen sein, wenn der Haftpflichtversicherer den Vorschlägen des Geschädigten nähertritt, die Entsendung eines Sachverständigen ankündigt und schließlich sein Einverständnis zur Reparatur des Fahrzeugs erteilt (2 Ob 139/76 [mehr als sechs Tage zuzubilligen]).

[25]           4. Im vorliegenden Fall steht weder fest noch wurde behauptet, dass ein Totalschaden am Fahrzeug der Klägerin vorlag. In der Klage wurden die voraussichtlichen Reparaturkosten begehrt und nach den Feststellungen das Fahrzeug auch zwecks Reparatur in die Werkstätte gebracht. Gesteht man der Klägerin – wie dies ohne substanziierte Bestreitung behauptet wurde – zu, dass ihr zunächst dennoch unklar war, ob sie ein anderes Fahrzeug anschaffen werde müssen, so berechtigte dies nach der soeben erörterten Rechtsprechung zwar dazu, länger als nur einige Tage mit der Entscheidung zuzuwarten und Erhebungen zu veranlassen.

[26]           Eine Situation wie sie in der Entscheidung 2 Ob 139/76 zu beurteilen war, lag aber nicht vor. Zwar ist es nach den Feststellungen auch bei der beklagten Partei üblich, dass sie Unfallfahrzeuge nach Einlangen einer Schadensmeldung von einem Sachverständigen besichtigen lässt, sodass die Klägerin eine Reaktion der beklagten Partei erwarten durfte. Der Klägerin ist dabei zugute zu halten, dass sich die Kontaktaufnahme schwierig gestaltete, weil die beklagte Partei auf die Bemühungen der Werkstattbetreiberin um Schadensregulierung zunächst gar nicht reagierte, sodass sogar eine Beschwerdestelle eingeschaltet wurde und letztlich die Werkstätte selbst eine Reparaturkostenkalkulation vornahm (die allerdings nach dem unstrittigen Inhalt dieser Urkunde keine Aussage zur Wirtschaftlichkeit der Reparatur traf). Zwei Wochen danach hatte sich die Klägerin jedoch entschlossen, nicht mehr länger auf eine Schadensregulierung durch die beklagte Partei zu warten, sondern – gestützt auf die Reparaturkostenkalkulation der Werkstätte – die vorliegende Klage einzubringen. Ab diesem Zeitpunkt war aber im Sinne der unter Punkt 3. erörterten Rechtsprechungsgrundsätze der Klägerin auch ein weiteres Zuwarten mit der Entscheidung, ob ein Reparaturauftrag erteilt werde oder nicht, nicht mehr zuzubilligen.

[27]     5. Ein Anspruch der Klägerin auf die nach Klagseinbringung aufgelaufenen Standgebühren besteht aus diesen Gründen somit nicht. Nach den Feststellungen betrug im Jahr 2018 die tägliche Standgebühr 11,50 EUR. Vom Tag nach dem Unfall bis zu dem der Klagseinbringung vorangehenden Tag (41 Tage) liefen daher (inkl USt) die begehrten 565,80 EUR auf.

[28]           6. Die Revision der beklagten Partei hat daher teilweise Erfolg. Die Entscheidung ist im Sinne einer Abweisung des Begehrens für Standgebühren im Umfang von  6.080,40 EUR abzuändern, wobei zu bemerken ist, dass die Gebühr für den Zeitraum 1. 8. 2018 bis 6. 8. 2018 bereits im ursprünglichen Klagebegehren enthalten war und daher mit der Klagsausdehnung doppelt begehrt wurde. Ein Ausspruch über Zinsen kommt nicht in Betracht, weil solche anlässlich der Ausdehnung des Klagebegehrens nicht begehrt worden sind.

[29]     7. Die Kostenentscheidung im Revisionsverfahren gründet sich auf § 50 Abs 1 iVm § 43 Abs 1 ZPO, ausgehend von einer Obsiegensquote der beklagten Partei von 89 %. Die Erhöhung der Entlohnung für den elektronischen Rechtsverkehr nach § 23a RATG beträgt lediglich 2,10 EUR.

[30]           Die Aufhebung der Kostenentscheidungen der Vorinstanzen beruht auf einer sinngemäßen Anwendung des § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO (2 Ob 113/18h; RS0124588; hier: mehrere Verfahrensabschnitte mit unterschiedlichen Streitwerten und Erfolgsquoten, Bestreitung etlicher Positionen in den Einwendungen der Klägerin gegen das Kostenverzeichnis und Antrag auf Kostenseparation). Der Oberste Gerichtshof kann in einem derartigen Fall dem Erstgericht eine neuerliche Kostenentscheidung auftragen (2 Ob 199/20h mwN).

Textnummer

E132782

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00177.20Y.0928.000

Im RIS seit

07.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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