TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/1 W276 2162350-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.03.2021
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Entscheidungsdatum

01.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs5
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch


W276 2162350-3/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Gert WALLISCH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Mario Züger, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.11.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis IV. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. wird insofern stattgegeben, als dieser zu lauten hat:

„Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wird gegen Sie ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer („BF“) stellte am 01.10.2012 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Der Erstantrag des BF wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.05.2013 negativ entschieden. Er wurde aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Dieser Aufforderung ist er nicht nachgekommen.

I.3. Am 16.04.2014 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz nach der Asylgesetznovelle.

I.4. Am 14.04.2015 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl („BFA“) zu seinen Fluchtgründen statt.

I.5. Mit Bescheid des BFA vom 03.09.2015 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 16.04.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.09.2016 erteilt (Spruchpunkt III.). Der Bescheid vom 03.09.2015 erwuchs hinsichtlich aller Spruchpunkte in Rechtskraft.

I.6. Am 17.08.2016 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 22.09.2016 erteilte die belangte Behörde dem BF die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 03.09.2018.

I.7. Mit Urteil vom 20.04.2017 des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu XXXX wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall, Abs. 4 Z 3 SMG, des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 und 2 SMG, sowie des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren, davon zwei Jahre bedingt, sowie zu einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

I.8. Am 07.06.2017 leitete die belangte Behörde ein Aberkennungsverfahren gegen den BF ein. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 08.06.2017 wurde dem BF der mit Bescheid vom 03.09.2015 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Die mit Bescheid vom 22.09.2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde dem BF gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Die belangte Behörde erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde erließ gegen den BF ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG (Spruchpunkt IV.).

I.9. Gegen den Bescheid vom 08.06.2017 erhob der BF mit Schriftsatz vom 19.06.2017 Beschwerde. Mit Beschwerdeergänzung vom 10.05.2019 erstattete der BF umfangreiche Rechtsausführungen und legte Unterlagen zu seiner aktuellen Beschäftigungssituation vor.

I.10. Am 11.07.2018 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG.

I.11. Mit dem Bescheid vom 25.07.2018 wies das BFA den Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes vom 11.07.2018 ab.

I.12. In seiner fristgerecht erhobenen Beschwerde gegen den Bescheid vom 25.07.2018 führte der BF zusammengefasst aus, dass er in seinem Recht auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung verletzt sei, weil die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten noch nicht rechtskräftig sei. Das Verfahren sei zu W273 2162350-1 anhängig. Die Abweisung des Antrages auf Verlängerung sei daher rechtswidrig.

I.13. Mit Erkenntnissen des BVwG vom 13.06.2019 (Zl. W273 2162350-1/12E, W273 2162350-2/E) wurde den Beschwerden, gegen die Bescheide des BFA vom 08.06.2017 und 25.07.2018, stattgegeben und diese Bescheide ersatzlos behoben. Dem Antrag des BF vom 11.07.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von zwei Jahren erteilt.

I.14. Das BFA hat mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , dem BF, den mit Bescheid vom 03.09.2015, zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AslyG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die mit Erkenntnis vom 13.09.2019 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.), einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG gegen ihn erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan gemäß § 9 Abs. 2 AsylG iVm § 52 Abs. 9 FPG unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, dass der BF im Bundesgebiet straffällig geworden sei und aufgrund der Qualifikation der Straftat eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.

1.15. Am 30.07.2019 erhob der BF gegen die Spruchpunkte I.-IV. sowie VII. des Bescheides vom 22.06.2018 Beschwerde. Darin führte er aus, dass bei der gebotenen einzelfallbezogenen Würdigung unter Berücksichtigung der konkret verhängten Strafhöhe und der Gründe für die Strafzumessung sowie seines Wohlverhaltens seit der Strafentlassung – welche sich insbesondere auch in seiner durchgängigen Erwerbstätigkeit zur vollsten Zufriedenheit des Arbeitgebers und der dadurch erreichten Selbsterhaltungsfähigkeit, welche ihm den Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen ermögliche, ausdrücke – von einer gelungenen Resozialisierung und – wegen der Überwindung der eigenen Sucht – von einer guten Zukunftsprognose auszugehen sei, weshalb die anzustellende Gefährdungsprognose die Annahme rechtfertige, dass von ihm keine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich mehr ausgehe. Vor dem Hintergrund dieser positiven Zukunftsprognose könne die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus somit nicht auf § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG gestützt werden. Außerdem wurde eine (signifikante) Reduktion der Dauer des Einreiseverbotes beantragt, wenn man davon ausgehe, dass überhaupt ein Einreiseverbot erlassen werden dürfe.

I.16. Am 27.11.2020 fand vor dem BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seines Rechtsvertreters statt. Das BFA erschien nicht zur Verhandlung. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts sowie Akteneinsicht wurde verzichtet. Der BF legte weiter Bescheinigungsmittel vor und verwies im Übrigen auf die bereits im bisherigen Verfahren vorgelegten Bescheinigungsmittel. Von dem erkennenden Richter wurden Länderberichte und zahlreiche weitere Länderinformationen in das Verfahren eingebracht (vgl Pkt II.2 dieses Erkenntnisses). Der BF und sein Rechtsvertreter haben in der Verhandlung keine schriftliche Stellungnahme zu den eingebrachten Länderberichten abgegeben und auch keine Stellungnahmefrist beantragt.

I.17. Am 21.12.2020 wurde dem BF mitgeteilt, dass das BVwG das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020 heranzuziehen gedenke. Dem BF wurde eine Frist gemäß § 45 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG bis zum 30.12.2020 zur schriftlichen Stellungnahme gewährt. Zudem wurde der BF darüber informiert, dass er, sollten ihm diese Informationen nicht bekannt seien, um eine Übermittlung ersuchen können bzw. am BVwG gegen vorherige telefonische Terminvereinbarung Einsicht nehmen könne. Am selben Tag ersuchte der BF um Übermittlung des Länderinformationsblattes. Es traf bis zum Entscheidungszeitpunkt keine Stellungnahme des BF zum übermittelten Länderinformationsblatt beim BVwG ein.

I.18. Am 25.01.2021 langte die Mitteilung des Landesgerichts für Strafsachen XXXX , über die endgültige Strafnachsicht, beim BVwG ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF führt den im Spruch genannten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschtu. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

Der BF ist in der Provinz Parwan geboren und war bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan dort aufhältig. Er hat drei Jahre lang die Schule besucht und am Bau gearbeitet.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Die Mutter des BF lebt noch in seiner Herkunftsprovinz, bei seinem Onkel mütterlicherseits. Außerdem hat er drei Freunde in Afghanistan, darunter einen Freund seines Onkels, deren telefonische Kontaktdaten er besitzt. Außerdem hat er auch einen Freund in Pakistan, dessen Kontaktdaten ebenfalls in seinem Mobiltelefon abgespeichert sind.

Der BF ist gesund. Er ist anpassungs- und arbeitsfähig. Zudem hat er keine Sorgepflichten.

II.1.2. Zur Situation des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich spätestens seit 01.10.2012 durchgehend im Bundesgebiet und ist illegal eingereist. Seit 03.09.2015 kommt ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und ihm wurden jeweils befristete Aufenthaltsberechtigungen erteilt.

Der BF hat bis 31.10.2016 von der Grundversorgung gelebt.

Er hat sich von 18.10.2016 bis 17.07.2017 in Haft befunden. Während seiner Inhaftierung hat der BF nicht gearbeitet.

Von 19.07.-17.08.2017 hat er Arbeitslosengeld bezogen. Er hat von 23.08.-31.08.2017 bei der XXXX gearbeitet. Von 02.09.-20.09.2017 hat er erneut Arbeitslosengeld bezogen. Er war von 22.09-23.09.2017 und 28.-29.09.2017 bei der XXXX als Arbeiter angestellt und hat dazwischen Arbeitslosengeld bezogen. Er war von 01.10.2017-29.02.2020 bei der XXXX (McDonalds Filiale) als Küchenhilfe und Kassierer tätig. Von 01.03.-05.04.2020 hat er wieder Arbeitslosengeld bezogen. Zuletzt war er von 06.04.-16.10.2020 bei der XXXX als Hilfsarbeiter beschäftigt. Seitdem ist der BF arbeitslos.

Er hat am 23.06.2020 eine Wohnrechtsvereinbarung mit einem Afghanen abgeschlossen, mit dem er sich eine Mietwohnung teilt. Die Mitbenutzung der Wohnung erfolgt durch Beteiligung in der Höhe von EUR 300, - monatlich.

Der BF hat während seines Aufenthalts in Österreich Deutschkurse für das Niveau A1 und A2 besucht. Er verfügt über gute Deutschkenntnisse in Wort, aber nicht in Schrift.

Er hat am 19.08.2020 die theoretische Fahrprüfung für die Modul(e) GW, B bestanden. Ansonsten hat er keine Aus- oder Weiterbildungen absolviert. Er hat, außer zu seinen Arbeitskollegen und Personen aus dem Fitnessstudio, keine sozialen Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft.

Der BF ging nie einer ehrenamtlichen oder gemeinnützigen Tätigkeit nach. Er ist kein Mitglied in einem Verein. Er nimmt derzeit nicht an kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen teil. Er zeigt kein Interesse an der österreichischen Politik.

Der BF hat in Österreich keine Verwandten.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 20.04.2017 (rechtskräftig am 24.04.2017) wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall, Abs. 4 Z 3 SMG, des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 und 2 SMG, sowie des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren, davon zwei Jahre bedingt, sowie zu einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Die erlittene Vorhaft von 18.10.2016, 08.35 Uhr bis zum 20.04.2017, 14.45 Uhr wurde angerechnet. Ein Betrag in der Höhe von EUR 14.430, -- wurde für verfallen erklärt.

Der BF und zwei Mitangeklagte haben, im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge anderen überlassen, indem sie zwischen Anfang Jänner und 17.10.2016 mindestens 50.000 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 10% (somit 5.000 Gramm Delta-9-THC, 250 Grenzmengen) an eine Vielzahl unbekannter (Groß)Abnehmer aus ganz Österreich veräußert haben, wobei ihr Vorsatz jeweils auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum sowie den daran geknüpften Additionseffekt und die Überschreitung des 25-fachen der Grenzmenge mitumfasst hat. Weiters haben sie vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem sie am 18.10.2016 7.421 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 10% (742 ramm Delta-9-THC, 37 Grenzmengen) zum Zwecke des gewinnbringenden Verkaufes in zwei Wohnungen lagerten. Außerdem hat er seit zumindest April 2015 bis 18.10.2016 vorschriftswidrig Suchtgift ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen, indem er über die genannten Mengen hinaus unbekannte Mengen an Delta-9-THC-hältigem Cannabiskraut zum Konsum innehatte.

Als mildernd wurden das volle und reumütige Geständnis, die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes, die eigene Sucht und das tadellose Vorleben gewertet. Erschwerend wurde die zehnfache Überschreitung der Grenzmenge gewertet.

II.1.3. Zum bisherigen Verfahrensverlauf:

Der Erstantrag des BF wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.05.2013 negativ entschieden. Er wurde aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Dieser Aufforderung ist er nicht nachgekommen.

Am 16.04.2014 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz nach der Asylgesetznovelle.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 03.09.2015 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab. Es erkannte dem BF jedoch mangels Bestehens eines sozialen Netzwerkes in Afghanistan den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.09.2016.

Am 17.08.2016 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 22.09.2016 erteilte die belangte Behörde dem BF die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.09.2018.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 08.06.2017 wurde dem BF der mit Bescheid vom 03.09.2015 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde ihm entzogen und ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Das BFA erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Die belangte Behörde erließ gegen den BF ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot.

Am 11.07.2018 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, der mit dem Bescheid des BFA vom 25.07.2018 abgewiesen wurde.

Mit Erkenntnissen des BVwG vom 13.06.2019 (Zl. W273 2162350-1/12E, W273 2162350-2/E) wurde den Beschwerden, gegen die Bescheide des BFA vom 08.06.2017 und 25.07.2018, stattgegeben und diese Bescheide ersatzlos behoben. Dem Antrag des BF vom 11.07.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde stattgegeben und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von zwei Jahren erteilt. Begründend führte das BVwG aus, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 mangels wesentlicher und nachhaltiger Änderung der maßgeblichen objektiven und subjektiven Umstände nicht vorliegen.

Das BFA hat mit angefochtenem Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , dem BF, den mit Bescheid vom 03.09.205, zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AslyG von Amts wegen aberkannt, die mit Erkenntnis vom 13.09.2019 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen, einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan unzulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Es wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

II.1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

II.1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020:

Rückkehr:

In den letzten zehn Jahren sind Millionen von Migranten und Flüchtlingen nach Afghanistan zurückgekehrt. Während der Großteil der Rückkehrer aus den Nachbarländern Iran und Pakistan kommt, sinken die Anerkennungsquoten für Afghanen im Asylbereich in der Europäischen Union und die Zahl derer die freiwillig, unterstützt und zwangsweise nach Afghanistan zurückkehren nimmt zu (MMC 1.2019). Die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus in Afghanistan hat starke Auswirkungen auf die Vulnerablen unter der afghanischen Bevölkerung, einschließlich der Rückkehrer, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen (IOM 7.5.2020).

Von 1.1.2020 bis 12.9.2020 sind 527.546 undokumentierter Afghanen aus Iran (523.196) und Pakistan (4.350) nach Afghanistan zurückgekehrt - in der Woche vom 6.9.2020 bis 12.9.2020 waren es ca. 21.500 undokumentierte Rückkehrer (UNHCR 17.9.2020). Im gesamten Jahr 2018 kehrten, im Vergleich dazu, aus den beiden Ländern insgesamt 805.850 nach Afghanistan zurück: 773.125 (laut AA 775.000) aus Iran und 32.725 (laut AA 46.000) aus Pakistan (IOM 5.1.2019, vgl. AA 16.7.2020). Die Anzahl der seit 1.1.2020 bis 31.7.2020 von IOM unterstützten Rückkehrer aus Iran (53.595) und Pakistan (1.731) beläuft sich auf 55.326 (IOM 29.8.2020).

Die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan ist aktuell (Stand 24.9.2020) über den Luftweg möglich. Es gibt internationale Flüge nach Kabul, Mazar-e Sharif und Kandahar (IOM 23.9.2020; vgl. Flightradar 24.9.2020). Es sei darauf hingewiesen, dass diese Flugverbindungen unzuverlässig sind - in Zeiten einer Pandemie können Flüge gestrichen oder verschoben werden (IOM 23.9.2020).

Seit 12.8.2020 ist der Spin Boldak Grenzübergang an der pakistanischen Grenze sieben Tage in der Woche für Fußgänger und Lastkraftwagen geöffnet (UNHCR 12.9.2020). Der pakistanische Grenzübergang in Torkham ist Montags und Dienstags für Rückkehrbewegungen nach Afghanistan und zusätzlich am Samstag für undokumentierte Rückkehrer und andere Fußgänger geöffnet (UNHCR 12.9.2020)

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration (MMC 1.2019; vgl. IOM KBL 30.4.2020, Reach 10.2017). Ohne familiäre Netzwerke kann es sehr schwer sein sich selbst zu erhalten, da in Afghanistan vieles von sozialen Netzwerken abhängig ist. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme und einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder nach Iran, Pakistan oder weiter nach Europa migrierten (IOM KBL 30.4.2020; vgl. Seefar 7.2018). Der Reintegrationsprozess der Rückkehrer ist oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (STDOK 4.2018; vgl. STDOK 14.7.2020; IOM AUT 23.1.2020). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 16.7.2020).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich (IOM KBL 30.4.2020; vgl. MMC 1.2019, Reach 10.2017). Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk (STDOK 13.6.2019, IOM KBL 30.4.2020), auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (STDOK 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (STDOK 4.2018).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 16.7.2020). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (STDOK 13.6.2019).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 16.7.2020) und auch IOM Kabul sind keine solchen Vorkommnisse bekannt (IOM KBL 30.4.2020) Andere Quellen geben jedoch an, dass es zu tätlichen Angriffen auf Rückkehrer gekommen sein soll (STDOK 10.2020; vgl Seefar 7.2018), wobei dies auch im Zusammenhang mit einem fehlenden Netzwerk vor Ort gesehen wird (Seefar 7.2018). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (STDOK 13.6.2019).

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen (STDOK 21.7.2020; vgl. STDOK 13.6.2020, STDOK 4.2018). Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 16.7.2020; vgl. IOM KBL 30.4.2020, STDOK 10.2020). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 11.3.2020). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (STDOK 13.6.2019).

Viele afghanische Rückkehrer werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.1.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (STDOK 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (STDOK 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (STDOK 4.2018).

Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 9.2018; vgl. UNHCR 3.2020). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 9.2018; vgl. UNAMA 3.2015, AAN 29.3.2016, WB/UNHCR 20.9.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzt. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 9.2018). Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 2.2014; vgl. Kandiwal 9.2018).

Die afghanische Regierung hat 2017 mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Erste Landstücke wurden identifiziert, die Registrierung von Begünstigten hat begonnen (AA 16.7.2020).

Unterstützung durch IOM

Die internationale Organisation für Migration (IOM - International Organization for Migration) unterstützt mit diversen Projekten die freiwillige Rückkehr und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan. In Bezug auf die Art und Höhe der Unterstützungsleistung muss zwischen unterstützter freiwilliger und zwangsweiser Rückkehr unterschieden werden (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020; STDOK 13.6.2019; STDOK 4.2018). Im Rahmen der unterstützten freiwilligen Rückkehr kann Unterstützung entweder nur für die Rückkehr (Reise) oder nach erfolgreicher Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt auch bei der Wiedereingliederung geleistet werden (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020).

Anmerkungen: Informationen von IOM zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 22.9.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ, können aber aufgrund der COVID-19 Pandemie kurzfristigen Änderungen unterworfen sein (IOM 23.9.2020).

Mit 1.1.2020 startete das durch den AMIF der Europäischen Union und das österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanzierte Reintegrationsprojekt RESTART III. Im Unterschied zu den beiden Vorprojekten RESTART und RESTART II steht dieses Projekt ausschließlich Rückkehrern aus Afghanistan zur Verfügung. RESTART III, ist wie das Vorgängerprojekt auf drei Jahre, nämlich bis 31.12.2022 ausgerichtet und verfügt über eine Kapazität von 400 Personen. Für alle diese 400 Personen ist neben Beratung und Information - in Österreich sowie in Afghanistan - sowohl die Bargeldunterstützung in der Höhe von 500 Euro wie auch die Unterstützung durch Sachleistungen in der Höhe von 2.800 Euro geplant (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020).

Die Teilnahme am Reintegrationsprojekt von IOM ist an einige (organisatorische) Voraussetzungen gebunden. So stellen Interessenten an einer unterstützen freiwilligen Rückkehr zunächst einen entsprechenden Antrag bei einer der österreichischen Rückkehrberatungseinrichtungen - dem VMÖ (Verein Menschenrechte Österreich) oder der Caritas bzw. in Kärnten auch beim Amt der Kärntner Landesregierung. Die jeweilige Rückkehrberatungsorganisation prüft dann basierend auf einem Kriterienkatalog des BMI, ob die Anforderungen für die Teilnahme durch die Antragssteller erfüllt werden. Für Reintegrationsprojekte ist durch das BMI festgelegt, dass nur Personen an dem Projekt teilnehmen können, die einen dreimonatigen Aufenthalt in Österreich vorweisen können. Es wird hier jedoch auf mögliche Ausnahmen hingewiesen, wie zum Beispiel bei Personen, die im Rahmen der Dublin-Regelung nach Österreich rücküberstellten werden. Des weiteren sieht die BMI-Regelung vor, dass nur eine Person pro Kernfamilie die Unterstützungsleistungen erhalten kann (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020). Im Anschluss unterstützt die jeweilige Rückkehrberatungseinrichtung den Interessenten beim Antrag auf Kostenübernahme für die freiwillige Rückkehr. Wenn die Teilnahme an dem Reintegrationsprojekt ebenso gewünscht ist, so ist ein zusätzlicher Antrag auf Bewilligung des Reintegrationsprojektes zu stellen. Kommt es in weiterer Folge zu einer Zustimmung des Antrags seitens des BMI wird ab diesem Zeitpunkt IOM involviert (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020).

[Anm.: Es besteht auch die Möglichkeit jederzeit einen Antrag auf freiwillige Rückkehr zu stellen, auch ohne Teilnahme an dem Projekt. Eine Mitarbeiterin von IOM Österreich weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es hier keine Trennung zwischen freiwilligen und unterstützten Rückkehrern gibt. Grundsätzlich spricht man von unterstützter freiwilliger Rückkehr und zusätzlich gibt es die Reintegrationsunterstützung bei Projektteilnahme. (IOM AUT 23.1.2020; vgl. STDOK 14.7.2020)]

Neben Beratung und Vorabinformationen ist IOM für die Flugbuchung verantwortlich und unterstützt die Projektteilnehmer auch bei den Abflugmodalitäten. Flüge gehen in der Regel nach Kabul, können auf Wunsch jedoch auch direkt nach Mazar-e Sharif gehen [Anm.: Unter Umgehung von Kabul]. Die Reise nach Herat beispielsweise findet in der Regel auf dem Luftweg über Kabul statt (IOM KBL 26.11.2018). Die österreichischen Mitarbeiter unterstützen die Projektteilnehmer beim Einchecken, der Sicherheitskontrolle, der Passkontrolle und begleiten sie bis zum Abflug-Terminal (STDOK 14.7.2020). Teilnehmer am Reintegrationsprojekt RESTART III von IOM landen in der Regel (zunächst) in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Dort werden sie von den örtlichen IOM-Mitarbeitern direkt nach Verlassen des Flugzeuges empfangen und bei den Ein- bzw. Weiterreiseformalitäten unterstützt. An den Flughäfen anderer Städte wie Mazar-e-Sharif, Kandahar oder Herat gibt es keine derartige Ausnahmeregelung (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM KBL 26.11.2018; IOM AUT 23.1.2020).

RESTART sowie die Folgeprojekte RESTART II und RESTART III unterscheiden sich nur minimal voneinander. So ist beispielsweise die Höhe der Barzahlung und auch die Unterstützung durch Sachleistungen gleich geblieben, wobei im ersten RESTART Projekt und in der ersten Hälfte von RESTART II nur 2.500 Euro in Sachleistung investiert wurden und die restlichen 300 Euro für Wohnbedürfnisse, Kinderbetreuung oder zusätzlich für Bildung zur Verfügung standen. Dies wurde im Verlauf von RESTART II geändert und es ist nun auch in RESTART III der Fall, sodass die gesamte Summe für eine einkommensgenerierende Tätigkeit verwendet werden kann (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 27.3.2020).

Im Zuge der COVID-19 Pandemie befinden sich IOM-Mitarbeiter in Afghanistan teilweise im Home-Office. Rückkehrer können jedoch weiterhin IOM-Büros kontaktieren, werden jedoch gebeten, persönliche Besuche in IOM-Räumlichkeiten auf ein Minimum zu reduzieren und stattdessen über Telefon oder andere online Tools zu kommunizieren. Virtuelle Beratung wird für Projektteilnehmer sowohl in Afghanistan wie auch in Österreich angeboten (IOM 23.9.2020). Nach Angaben von IOM kann es bei der Entwicklung der einzelnen Projekte aktuell aufgrund der Pandemie zu Verzögerungen und langsamen Entwicklungen kommen (IOM 23.9.2020). Es wird zudem verstärkt auf Banküberweisungen gesetzt wobei die Projektteilnehmer entsprechend informiert werden. Zur raschen Eröffnung eines Bankkontos muss ein gültiges Identitätsdokument (z.B.: Tazkira) vorgelegt und verschiedene Formulare (je nach Bank oder Vertretern der jeweiligen Communities) ausgefüllt und unterzeichnet werden. Überweisungen innerhalb derselben Bank können in wenigen Minuten durchgeführt werden. Bei anderen Banken kann die Überweisung mehrere Tage in Anspruch nehmen. Ein Bankkonto kann von allen Personen, auch jenen, die keine persönlichen Kontakte in Afghanistan haben, eröffnet werden (IOM 10.2020)

Mit Stand 22.9.2020, wurden im laufenden Jahr 2020 bereits 70 Teilnahmen akzeptiert im Rahmen des Restart III Projektes und sind im Zuge des Projektes 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt - zuletzt jeweils 13 Personen im August und im September 2020 (IOM 23.9.2020). Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmern, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM-RADA

IOM hat mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union das Projekt „RADA“ (Reintegration Assistance and Development in Afghanistan) entwickelt. (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM 5.11.2019).

Innerhalb dieses Projektes gibt es eine kleine Komponente (PARA - Post Arrival Reception Assistance), die sich speziell an zwangsweise rückgeführte Personen wendet. Der Leistungsumfang ist stark limitiert und nicht mit einer Reintegrationsunterstützung vergleichbar. Die Unterstützung umfasst einen kurzen medical check (unmittelbare medizinische Bedürfnisse) und die Auszahlung einer Bargeldunterstützung in der Höhe von 12.500 Afghani (rund 140 EUR) zur Deckung unmittelbarer, dringender Bedürfnisse (temporäre Unterkunft, Weiterreise, etc.). Diese ist jedoch nur für Rückkehrer zugänglich die über den internationalen Flughafen von Kabul reisen (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020, IOM 23.9.2020).

Wohnungen

In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2019), für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten, als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein (IOM 2019). Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2018) (LIB). Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, Seite 29-31).

1.5.2. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 21.01.2020, 396.857 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 7.222 Todesfälle; in Afghanistan wurden mit Stand 22.01.2020 54.403 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 2.363 diesbezügliche Todesfälle und 46.912 Genesene bestätigt wurden.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 14% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 6% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Offiziellen Zahlen der WHO zufolge gab es bis 16.11.2020 43.240 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 1.617 Tote (WHO 17.11.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert. Mit dem Herannahen der Wintermonate deutet der leichte Anstieg an neuen Fällen darauf hin, dass eine zweite Welle der Pandemie entweder bevorsteht oder bereits begonnen hat (UNOCHA 12.11.2020).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 23.9.2020; vgl. WB 28.6.2020).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet (IOM 23.9.2020).

Die Taliban erlauben in von ihnen kontrollierten Gebieten medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

Mit Stand vom 21.9.2020 war die Zahl der COVID-19-Fälle in Afghanistan seit der höchsten Zahl der gemeldeten Fälle am 17.6.2020 kontinuierlich zurückgegangen, was zu einer Entspannung der Situation in den Krankenhäusern führte (IOM 23.9.2020), wobei Krankenhäuser und Kliniken nach wie vor über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten berichten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (UNOCHA 12.11.2020; vgl. AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Auch sind die Zahlen der mit COVID-19 Infizierten zuletzt wieder leicht angestiegen (UNOCHA 12.11.2020).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung die mit einer Infizierung einhergeht hierbei eine Rolle spielt (UNOCHA 12.11.2020).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß des WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um zwischen 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 23.9.2020; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 23.9.2020). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.7.2020).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen wie jenem in Bamyan statt (Flightradar 24 18.11.2020). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 23.9.2020).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Mit Stand 22.9.2020, wurden im laufenden Jahr 2020 bereits 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt - zuletzt jeweils 13 Personen im August und im September 2020 (IOM 23.9.2020).

II.2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des BF in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./1 bis ./17 (Konvolut ZMR, GVS, Strafregister, Schengener Informationssystem Beilage ./1; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 13.11.2019, Beilage ./2; UNHCR - Richtlinien zur Beurteilung internationaler Schutzbedürftigkeit von AsylwerberInnen aus Afghanistan (Entwicklungen in Afghanistan; Sicherheitslage; Auswirkungen des Konflikts auf ZivilistInnen; Menschenrechtslage; humanitäre Lage; Risikoprofile; interne Fluchtalternative; Ausschlussgründe, etc) vom 30.08.2018 in deutscher Übersetzung, Beilage ./3; EASO-Leitlinien zu Afghanistan (Verfolger; Flüchtlingsstatus; subsidiärer Schutz; staatlicher Schutz; interne Schutzalternative; Ausschlussgründe) vom Juni 2019, Beilage ./4; Bericht Landinfo, Afghanistan, Organisation und Struktur der Taliban, 23.08.2017, Beilage ./5; Bericht Landinfo, Afghanistan, der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne, 23.08.2017, Beilage ./6; Bericht Landinfo, Afghanistan, Rekrutierung durch die Taliban, 29.06.2017, Beilage ./7; Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018, Beilage ./8; Accord, Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Allg. Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul 18.01.2019, Beilage ./9; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Afghanistan Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre, vom 13.09.2018, Beilage ./10; Entwicklung der wirtschaftlichen Situation sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul, Mazar e-Sharif und Herat 2010 bis 2018, Stand 7.12.2018, Beilage ./11; ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Scharif und Umgebung: Sicherheitslage in den einzelnen Vierteln bzw. der Peripherie; Wohnregionen mit den meisten Binnenvertriebenen, RückkehrerInnen; Unterscheidungen hinsichtlich der Volksgruppenzugehörigkeit; sichere Erreichbarkeit der Innenstadt auf dem Landweg (insbesondere vom Flughafen bzw. den informellen Siedlungen außerhalb der Stadt aus); Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie [a-11210-2 (11211)] vom 30. April 2020; Beilage ./12; ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Herat: Sicherheitslage in den einzelnen Vierteln bzw. der Peripherie; Wohnregionen mit den meisten IDPs, RückkehrerInnen; Unterscheidungen hinsichtlich der Volksgruppenzugehörigkeit; sichere Erreichbarkeit der Innenstadt auf dem Landweg (insbesondere vom Flughafen bzw. den informellen Siedlungen außerhalb der Stadt aus); Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie [a-11210-1] vom 23. April 2020, Beilage ./13; ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Scharif vom 26. Mai 2020, Beilage ./14; ACCORD Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) vom 5. Juni 2020, Beilage ./15; ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, 16. Oktober 2020, Beilage ./16; Konvolut des BF bestehen aus: Versicherungsdatenauszug des BF; Lohn-und Gehaltsabrechnungen April bis Oktober 2020; Wohnrechtsvereinbarung zwischen dem BF und Mitbewohner; Hauptmietvertrag des Mitbewohners vom 27.5.2020; Prüfungsergebnis des Führerscheins B vom 19.8.2020, Beilage ./17).

Dem Verfahren wurde zudem das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 16.12.2020 sowie die EASO Leitlinien aus Dezember 2020 zugrunde gelegt. Dem BF wurde jeweils Parteiengehör eingeräumt.

II.2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des BF, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie seiner Muttersprache ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben in dem verwaltungsbehördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Das BVwG hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des BF zu zweifeln.

Die Feststellungen zur persönlichen Situation des BF in Afghanistan, insbesondere zu seinen Lebensumständen, seiner Schulbildung und seiner Arbeitserfahrung, ergeben sich aus seinen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung (Verhandlungsschrift [in Folge: „VHS“] S. 7) und den Feststellungen, zu seiner Person, im angefochtenen Bescheid der belangten Behörde, die von ihm in seiner Beschwerde nicht bestritten wurden (AS. 110).

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des BF und zu ihren Lebensumständen, ergeben sich aus den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des Erkenntnisses des BVwG vom 13.06.2019 (Zl. W273 2162350-1/12E) und seinen Ausführungen im gegenständlichen Beschwerdeverfahren (VHS S. 8 f.).

In der mündlichen Verhandlung am 27.11.2020 zeigte der BF dem anwesenden Dolmetscher die Kontaktdaten in seinem Handy. Darin waren drei Kontakte mit afghanischer Vorwahl und eine Vorwahl mit pakistanischer Nummer gespeichert. Bei dem Kontakt, mit pakistanischer Vorwahl handle es sich, um einen Freund. Bei den afghanischen Nummern stehe, bei einem „Onkels Freund“ und die anderen seien Freunde, mit denen der BF, laut seinen eigenen Angaben, seit ca. eineinhalb Jahren keinen Kontakt mehr habe. Sie hießen XXXX und XXXX (VHS S. 9). Nach Einsicht in die Anrufliste des BF bis zum 08.10.2020, waren die afghanischen Kontakte nicht angeführt (VHS S. 9).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung (VHS S. 5).

Die Feststellung, dass der BF arbeitsfähig ist beruht auf seinen eigenen Aussagen in der mündlichen Verhandlung und den von ihm vorgelegten Lohn- und Gehaltsabrechnungen sowie dem Versicherungsdatenauszug (VHS S. 8, Beilage ./17). Es sind auch sonst keine Umstände einer Arbeitsunfähigkeit des BF im Verfahren hervorgekommen.

Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit des BF ergibt sich daraus, dass er in Österreich einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen ist. Der BF konnte sich in Österreich zurechtfinden. Es sind im Verfahren kei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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