TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/23 W111 2212500-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.2021
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Entscheidungsdatum

23.04.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W111 2212500-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.11.2018, 1192472509/180492897, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 25.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu dem er am nächsten Tag niederschriftlich erstbefragt wurde.

Der Beschwerdeführer gab zunächst an, dass er legal aus seinem Herkunftsland ausgereist sei. Zum Fluchtgrund befragt, führte er sinngemäß und zusammengefasst aus, dass er ein Mitglied der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas sei. In Russland sei die Religion „Zeugen Jehovas“ seit Anfang 2017 gesetzlich verboten und als extremistische Vereinigung/Organisation eingestuft. Man könne als Mitglied verurteilt werden und man müsse mit einer Freiheitsstrafe rechnen. Derzeit würden gegen Mitglieder Ermittlungen und Hausdurchsuchungen durchgeführt werden und würden Mobiltelefone abgehört werden. Die Mitglieder würden sich heimlich an „nicht offiziellen Orten“ treffen, weil die „ZJ Zentren“ und Räumlichkeiten nacheinander vom Staat geschlossen werden würden. Er wolle seine Religion frei ausüben und seinem Gott Jehova dienen. Er habe alle seine Fluchtgründe dargelegt. Er habe Angst vor einer Verhaftung und dem Gefängnis.

2. Am 19.07.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen.

Der Beschwerdeführer brachte anlässlich jener Einvernahme zusammenfassend und sinngemäß vor, dass er der Volksgruppe der Osseten angehöhre und ein Zeuge Jehovas sei. Er sei immer ein Zeuge Jehovas gewesen; seine Mutter und seine Großmutter seien auch Zeugen Jehovas gewesen; er sei nun schon die dritte Generation. Getauft sei er im Jahr 2008 worden. Zum Fluchtgrund führte er zusammengefasst und sinngemäß aus, dass die Zeugen Jehovas in Russland verfolgt werden würden. Die Zeugen Jehovas seien verboten worden. Die Zeugen Jehovas seien als extremistische Organisation eingestuft worden und würden zum derzeitigen Zeitpunkt als Extremisten gelten. Gefragt, ob ihm persönlich in diesem Zusammenhang irgendetwas Konkretes zugestoßen sei, verneinte er dies und führte aus, dass wenn er geblieben wäre, ihm etwas zustoßen hätte können. Ihre Königsreichssäle seien geschlossen worden. Sie könnten sich nicht mehr versammeln und keine Treffen abhalten. Sie könnten nicht mehr predigen; alles, was sie gemacht hätten, sei jetzt verboten. Auf die Frage, ob man zusammengefasst sagen könne, dass der Beschwerdeführer seine Heimat ausschließlich wegen seiner Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas verlassen habe, bejahte er dies. Auf Vorhalt, dass aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation hervorgehen würde, dass einfache Gläubige der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation keinen Repressionen ausgesetzt seien, führte der Beschwerdeführer aus, dass er anderes „Material“ mitgenommen habe, das er heute vorlegen wolle. Die Unterlagen des Beschwerdeführers wurden zum Akt genommen. Gefragt, was er im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland befürchten würde, führte er aus, dass „man“ inhaftiert werde. Auf weiteren Vorhalt, dass in der Russischen Föderation auch ein Gesetz verabschiedet worden sei, das erlauben würde, Eltern, die Zeugen Jehovas seien, die Obsorge für die minderjähren Kinder zu entziehen, und er seine Frau und seine Tochter zurückgelassen habe, führte der Beschwerdeführer aus, dass er deshalb hier sei. Er wolle auch, dass seine Tochter hierherkomme.

3. Am 30.07.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein und wurde in weiterer Folge eine Bestätigung über seine Taufe und seine Mitgliedschaft in Österreich vorgelegt (AS 121).

4. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 28.11.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Im Spruchpunkt V. wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Der Begründung ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass die Identität des Beschwerdeführers feststehe. Er sei Staatsangehöriger der Russischen Föderation, er spreche Ossetisch und Russisch und gehöre der Volksgruppe der Osseten an. Aufgrund unglaubwürdiger Angaben zu seiner Religionszugehörigkeit habe nicht festgestellt werden können, dass er Zeuge Jehovas sei. Es habe keine echte religiöse Überzeugung wahrgenommen bzw. erkannt werden können. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes seien nicht glaubhaft gewesen. Weitere Ausreisegründe hätten aufgrund der vorgebrachten Angaben nicht festgestellt werden können. Weiters habe unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass er im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe, oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Zudem sei kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens gegeben und es ergebe sich bei einer sorgfältigen Abwägung seiner privaten zu den öffentlichen Interessen, dass das Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Fremdenwesen, gegen das er zudem mit seiner illegalen Einreise verstoßen habe, seine Interessen überwiegen würde.

5. Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde eingebracht, in welcher zusammengefasst ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer Zeuge Jehovas sei. Diese Religion sei im Herkunftsstaat verboten. Die russischen Behörden würden mittlerweile eine systematische Verfolgung aller Gläubigen dieses religiösen Bekenntnisses durchführen. Zur vorgelegten Bestätigung wurde sinngemäß ausgeführt, dass sich ein Fehler eingeschlichen habe, es sei ein unrichtiger Ort der Taufe angegeben. Zudem habe der Beschwerdeführer selbst bezüglich der Taufe unabsichtlich unrichtige Daten angegeben. Der Beschwerdeführer habe leider seit seinem Pubertätsalter Probleme, Zahlen und andere Daten im Gedächtnis zu behalten. Das Datum der Taufe auf der Bestätigung sei das richtige. Das staatliche Verbot und die systematische Verfolgung der Zeugen Jehovas erstrecke sich auf das gesamte Territorium der Russischen Föderation. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe daher nicht. In eventu hätte ihm subsidiärer Schutz zugesprochen werden müssen.

6. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 09.01.2019 mitsamt den bezughabenden Verwaltungsakten beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. In weiterer Folge wurde eine Ergänzung der Beschwerde übermittelt.

8. Am 25.02.2021 langten Unterlagen hinsichtlich der Situation betreffend Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation sowie Empfehlungsschreiben beim Bundesverwaltungsgericht ein.

9. Am 25.02.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache, in Anwesenheit des Beschwerdeführers und dessen Rechtsvertreters eine mündliche Verhandlung durch. Das Bundesamt war ordnungsgemäß geladen worden, erschien jedoch nicht zur mündlichen Verhandlung.

Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung gestalteten sich, wie folgt:

„R befragt die Partei, ob diese psychisch und physisch in der Lage ist, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen bzw. ob irgendwelche Hindernisgründe vorliegen. Ferner wird die Partei befragt, ob bei ihr (chronische) Krankheiten und/oder Leiden vorliegen. Diese Fragen werden von der Partei dahingehend beantwortet, dass keine Hindernisgründe sowie (chronische) Krankheiten und Leiden bei ihr nicht vorliegen.

Eröffnung des Beweisverfahrens

R weist BF auf die Bedeutung dieser Verhandlung hin und ersucht, die Wahrheit anzugeben. Der BF wird aufgefordert nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen und belehrt, dass unrichtige Angaben bei der Entscheidungsfindung im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sind. Ebenso wird auf die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes hingewiesen und dass auch mangelnde Mitwirkung bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen ist.

Auf eine Verlesung des Akteninhaltes wird unter Zustimmung des BF verzichtet. Der Verfahrensakt wird zum Bestandteil des Verfahrens erklärt.

Eröffnung der Verhandlung

R: Möchten Sie Ihre bisherigen Ausführungen bzw. deren Protokollierung ergänzen oder korrigieren?

BF: Es gab Sachen die nicht ausführlich aufgeschrieben wurden. Als ich meine Geschichte erzählt habe was passiert ist, es ging auch um ein Datum. Ich glaube, dass es das Geburtsdatum des Kindes war, da hat man was verwechselt. Ich glaube, dass man das Hochzeitsdatum mit dem Geburtsdatum des Kindes verwechselt hat. Hinsichtlich des Taufortes möchte ich anführen, dass es scheinbar ein Übersetzungsproblem gegeben hat. Es wurde angegeben, der Ort an dem ich gelebt habe und nicht wo ich getauft wurde. Nachgefragt gebe ich an, dass es sich um eine Verwechslung im beigebrachten Bestätigungsschreiben handelt.

R: Ansonsten waren Ihre Ausführungen vollständig und richtig?

BF: Im Schreiben wurde die Örtlichkeit verwechselt, ich selbst habe mich beim Datum geirrt. Ansonsten war alles vollständig und richtig. Einige Details habe ich nicht mehr in Erinnerung.

R: Bitte schildern Sie mir in kurzen Worten Ihren Lebenslauf bis zu jenem Punkt an dem Ihre Probleme begonnen haben. Wann sind Sie geboren, wo sind Sie geboren, in welchem Haushalt haben Sie gelebt, welcher Berufstätigkeit sind Sie nachgegangen?

BF: Ich wurde in Usbekistan geboren. Ich habe dort mein erstes Lebensjahr verbracht. Meine Eltern haben beschlossen in die Republik Kabardino-Balkarien zu ziehen, weil dort Verwandte waren.

R: Haben Sie Geschwister?

BF: Ich habe einen älteren Bruder.

R: Bitte fahren Sie fort.

BF: Meine Eltern haben in einem landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet. Meine Mutter war Zeugin Jehovas, mein Vater hatte keinen näheren Bezug zur Religion. Ich habe dort die Grundschule besucht. Ich habe dort 9 Klassen abgeschlossen. Dann habe ich eine Ausbildung in einem Technikum angefangen als Schweißer und gleichzeitig habe ich auch die Grundausbildung als KFZ-Mechaniker beendet. Dann habe ich begonnen in St. Petersburg zu arbeiten, weil ein Cousin von mir in St. Petersburg gelebt hat. Ich wollte ein bisschen von zuhause weg. Ich habe dort fünfeinhalb Jahre gelebt, beginnend ca. mit meinem 18. Lebensjahr. Dann habe ich beschlossen wieder nach Hause zu fahren. In Ossetien (von dort stammen nämlich meine Eltern) habe ich eine kleine private Werkstätte betrieben und Autos repariert, das habe ich bis zu meiner Ausreise gemacht. Nachgefragt gebe ich an, dass ich meine Frau 2010 kennengelernt habe in Ossetien. Am 28.07.2011 haben wir geheiratet. Wir haben eine Tochter, sie ist 8 Jahre alt. Die Mutter meiner Frau und die Schwester meiner Frau sind auch Zeugen Jehovas. Meine Frau wurde ca. im Februar 2005 getauft, ich selbst im Jahre 2008.

R: Bitte schildern Sie mir Ihren Bezug zu den Zeugen Jehovas.

BF: Meine Eltern haben versucht ein der Bibel entsprechendes Leben zu leben. Wir haben uns als Zeugen Jehovas empfunden. Meine Eltern haben sich getrennt als ich noch im Kindergarten war. Die religiöse Erziehung ging maßgeblich von meiner Mutter aus. Meine Mutter hat mit beigebracht, dass ich nicht lügen und nicht stehlen darf, dass ich ein ehrlicher Mensch sein soll. Wir sind öfters zu Kongressen gefahren, es hat Treffen und Versammlungen gegeben. Es gab Feiertage die wir nicht gefeiert haben, viele haben das als merkwürdig empfunden. Ich war damals noch nicht getauft. Als ich ca. in der dritten Klasse Volksschule war kam meine Mutter ins Krankenhaus. Sie war eineinhalb bis zwei Jahre im Krankenhaus, weil sie eine komplizierte Meningitis hatte. Damals ist mein Vater gekommen um mich zu beaufsichtigen. Damals änderte sich mein Lebensumfeld, ich geriet damals in schlechte Kreise. Darunter verstehe ich Kontakt mit Zigaretten und Alkohol. Ich selber habe nicht geraucht und getrunken, aber ich hatte Kontakt zu Leuten die das getan haben. Dann bin ich 14 oder 15 geworden und das schlechte Umfeld blieb und in diesem Alter habe ich begonnen Zigaretten zu rauchen. Obwohl meine Mutter zu diesem Zeitpunkt natürlich schon wieder zuhause war blieb der Einfluss dieses Umfeldes. Mit meiner Mutter gab es diesbezüglich Auseinandersetzungen. Ich habe allerdings immer jene moralischen Werte anerkannt die mir meine Mutter auf den Weg gegeben hat obwohl ich damals nicht danach gelebt habe. Als ich nach St. Petersburg gefahren bin habe ich gesehen, dass alles erlaubt ist, dort habe ich verstanden, dass ich mein Leben ändern muss. Ich habe meinen Alkohol- und Zigarettenkonsum reduziert. Ich habe begonnen die Bibel zu studieren. Mein Cousin in St. Petersburg war auch Zeuge Jehovas und so kam ich in Kontakt mit anderen Zeugen Jehovas. So kam ich wieder auf den richtigen Weg zurück, das war ungefähr 2007. 2008 habe ich mich noch in St. Petersburg taufen lassen. Nach drei weiteren Monaten in St. Petersburg bin ich dann im März oder April nach Ossetien gefahren. In Ossetien habe ich ebenfalls Versammlungen von Zeugen Jehovas besucht. Wir sind von Haus zu Haus gegangen und haben versucht Leute zu bekehren indem wir unser Wissen mit anderen Leuten geteilt haben. Es kam dabei schon zu Gesprächen. Man spricht die Sprache und kennt die Mentalität. Die Leute haben einem schon zugehört, aber nicht alle. Ich bin letztendlich deswegen hergekommen was 2017 passiert ist, die Zeugen Jehovas wurden in Russland zu Extremisten erklärt. Bei uns Zuhause wurden Treffen abgehalten, nach 2017 wurden die Königreich-Säle der Zeugen Jehovas geschlossen. Ich hatte eine entsprechend große Wohnung und daher hielten wir Treffen in meiner Wohnung ab. Die Telefongespräche wurden abgehört. In Russland bekommt man das beim Telefonieren mit, weil man hört Geräusche während des Telefonates. Seit dem gab es in Russland Hausdurchsuchungen. Als bei mir die Treffen abgehalten wurden kam im September 2017 der Bezirksinspektor zu mir. Ich habe im Hof gearbeitet, er ist gleich gekommen ohne zu klopfen. Er hat Fragen gestellt wem das Gebäude gehört, ich sagte wir. Er fragte weiter womit ich mich beschäftigen würde etc. damals war ein Freund zu Besuch bei mir. Der Bezirksinspektor hat ihn auch begrüßt. Der Bekannte wollte vom Bezirksinspektor wissen warum er gekommen wäre. Der Bezirksinspektor gab keine direkte Antwort und sagte nur, dass er uns kennenlernen wollen würde. Ich habe dort schon Jahre lang gelebt, aber erst nach dem Verbot kam der Bezirksinspektor zu mir, schließlich ging er. Es gab damals in Russland bereits Hausdurchsuchungen und man wird dann natürlich wachsam. In dem darauffolgenden Monat habe ich gemerkt, dass zwei Häuser weiter immer ein Auto steht und in der Siedlung wusste jeder, dass es das Auto des Bezirksinspektors war. Das Auto stand immer nur an jenen Tagen dort an dem die Treffen waren. Mein Haus und meine Telefonate wurden überwacht. Verwandte die bei Behörden gearbeitet haben, haben mir Informationen zukommen lassen. Man ließ mich wissen, dass man uns „noch in die Mangel“ nehmen werde. Ein Cousin von mir XXXX ließ mich das wissen. Ich war beunruhigt und habe begonnen nachzudenken wie ich aus Russland wegkäme. Wenn so ein Zustand eine Woche dauert ist das wahrscheinlich kein großes Problem, aber wenn der Zustand Monate dauert drückt es auf die Psyche. Meine Mutter machte sich große Sorgen, sie lebte im gleichen Haus in Ossetien. Meine Frau ist 2016 aufgrund von Differenzen zwischen uns beiden zu ihren Eltern gezogen. Das Kind ist mit ihr gegangen. Ich war also 2017 zwar nicht geschieden, aber alleinstehend. Meine Frau ist gegangen und hat jeden Kontakt zu mir abgebrochen, ich hatte daher auch kaum Kontakt zu meiner Tochter. Im Vergleich zu dem was früher war ist das Verhältnis heute viel besser, sie erlaubt mir mein Kind zu kontaktieren, ich spreche jetzt auch mit ihr. Ende 2020 begann das Verhältnis zu meiner Frau wieder besser zu werden, ich habe ihr vorgeschlagen, dass wir zusammen mit dem Kind die Bibel studieren.

R unterbricht die Verhandlung um 13:52 Uhr für eine Pause.

R: Bitte fahren Sie fort.

BF: Ich hoffe auf eine Versöhnung mit meiner Ehefrau. Meine Frau arbeitet gegenwärtig in einem Nagelstudio.

R: Wo wurden Sie getauft?

BF: In St. Petersburg. Dort gibt es einen großen Kongresssaal, dieser wurde allerdings geschlossen.

R: Wieso ist in Ihrer beigebrachten Bestätigung angeführt, dass Sie in Ossetien getauft wurden?

BF: Ich nehme an hier ist eine Verwechslung geschehen, vermutlich war gemeint, dass ich zur Gruppe der Zeugen Jehovas in XXXX gehöre bzw. wurde ich als Mitglied dieser Gruppe in St. Petersburg getauft.

R: Haben Sie irgendwelche Beweise die belegen, dass Sie in Russland Mitglied der Zeugen Jehovas waren?

BF: Ich habe keine schriftlichen Unterlagen aber ich habe einen Zeugen beigebracht der bestätigen kann, dass ich in Russland an Versammlungen der Zeugen Jehovas teilgenommen habe.

Anmerkung: Der anwesende Zeuge gibt nach Zeugenbelehrung zu Protokoll:

R: Können Sie bezeugen, dass der anwesende BF in Russland Mitglied der Zeugen Jehovas war?

Z: Ich bin mit dem BF öfters von Haus zu Haus gegangen um zu predigen. Das war in XXXX , den Zeitraum kann ich nicht mehr genau angeben, ich denke es war vielleicht 2014 oder 2015.

R: Gibt es weitere Fragen an den Zeugen?

RV: Wissen Sie ob der BF ein getaufter Zeuge Jehovas ist?

Z: Ich war bei der Taufe nicht dabei, aber ich kann bezeugen, dass er die Versammlungen besucht hat. Er hat bei diesen Versammlungen aktiv teilgenommen.

RV: Das heißt Sie hatten Grund zu der Annahme, dass er ein getaufte Zeuge Jehovas ist?

Z: Ja, ich hatte keine Zweifel. Wir haben uns gegenseitig als Brüder tituliert.

RV: Keine weiteren Fragen.

Der Zeuge wird um 14:11 Uhr aus dem Zeugenstand entlassen.

R: Was war der auslösende Moment für Ihre Flucht?

BF: Ich habe einen großen Druck empfunden. Ich hatte Angst. Damals gab es viele Vorfälle bezüglich unserer Brüder und Schwestern. Ich hatte nicht nur Angst um mich, sondern auch um meine Familie. Das war emotional ein großer Druck für mich.

R: Sie haben heute gesagt Ihre Tochter ist 11 Jahre alt.

BF: Sie ist am XXXX geboren.

R: Wieso haben Sie in der Einvernahme vom 19.07.2018 angegeben, dass sie XXXX geboren wäre?

BF: Ich habe am Beginn der Verhandlung gesagt, dass es ein Fehler gewesen ist.

R: Sie haben heute angegeben, dass Ihre Mutter ca. eineinhalb Jahre krank war. Im erstinstanzlichen Verfahren haben Sie aber von einem halben Jahr gesprochen.

BF: Nein, das kann nicht sein, das konnte ich nicht gesagt haben.

R: Warum haben Sie im erstinstanzlichen Verfahren nicht angegeben, dass Sie von Ihrer Frau getrennt leben?

BF: Für mich ist dieses Thema sehr unangenehm. Es ist für mich sehr unangenehm, dass es überhaupt zu so einer Lage gekommen ist. Ich habe familiäre Probleme vermieden.

R: Ist Ihre Frau auch jetzt praktizierende Zeugin Jehovas?

BF: Nein.

Vorgelegt wird die Länderinformation der Staatendokumentation betreffend die Russische Föderation aus dem COI-CMS, generiert am 24.02.2021, insbesondere Seite 62 über die Lage der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation.

Ein Exemplar wird dem RV übergeben und um eine Stellungnahme ersucht.

RV: Ich verweise auf die Stellungnahme die mit E-Mail übermittelt wurde, in dieser ist eine Dokumentation über die Verfolgungshandlungen. Aus dieser geht hervor, dass die russischen Behörden nach und nach dazu übergehen die Verfolgungshandlungen systematischer und brutaler zu gestalten. Signifikanterweise berichtet auch der BF heute davon, dass sein Wohnort und sein Telefon abgehört und beobachtet wurde. Gemäß den Berichten ist dies ein Hinweis dafür, dass in naher Zukunft jeweils eine brutale Razzia geplant ist. Die Verfolgung der Behörden beziehen sich auf das gesamte Staatsgebiet der russischen Föderation sodass dem BF mit einem Ortswechsel nicht geholfen gewesen wäre. Der BF hatte somit entsprechend der verfügbaren Informationen einen vernünftigen Grund anzunehmen, dass er in kurzem mit brutalen Verfolgungshandlungen zu rechnen hätte. Die Behörden wussten, dass der BF in seinem privaten Haushalt religiöse Zusammenkünfte für die Zeugen Jehovas organisiert. Dies hatte die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gezogen. Jegliche solcher Treffen sind nach russischem Recht illegal sogar wenn die Ehefrau des BF mit dem Kind zuhause über die Bibel und Glaubensansichten der Zeugen Jehovas spricht ist dies illegal und wird mit dem Entzug des Sorgerechts geahndet. Es wäre dem BF nicht zumutbar in Russland seine Religion nur im geheimen ausüben zu können bzw. zu verleugnen, dass er ein Zeuge Jehovas ist. Die Zusammenkünfte und das aktive Missionieren von Haus zu Haus sind ganz zentrale Punkte im Leben des religiösen Lebens bei den Zeugen Jehovas.

RV legt vor: eine Einstellungszusage, diese wird in Original zum Akt genommen.

R: Gibt es noch weitere Fragen oder Vorbringen?

BF: Ich bin froh, dass meine Verhandlung von Ihnen geführt wurde. Ich bin froh, dass ich mein Vorbringen vollständig erklären konnte. Ich hoffe, dass ich ein positives Erkenntnis erhalten werde. Eine Rückkehr nach Russland wäre für mich mit großen Gefahren verbunden, jedenfalls würde es für mich nicht von Vorteil sein.

RV: Keine weitere Stellungnahme.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation.

Der Beschwerdeführer stellte am 25.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist ein getauftes und aktives Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Er übte seinen Glauben bereits im Herkunftsstaat aus, so fanden etwa nach dem Verbot der Zeugen Jehovas im April 2017 in der Wohnung des Beschwerdeführers Treffen der Glaubensgemeinschaft statt. Auch in Österreich ist er ein aktives Mitglied und besucht regelmäßig die Versammlungen. Der Beschwerdeführer will auch weiterhin religiöse Betätigungen seines Glaubens vornehmen.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer nunmehrigen Rückkehr die reale Gefahr, wegen der Ausübung seines Glaubens strafrechtlich verfolgt zu werden. Bei einer Verurteilung droht ihm eine Freiheitsstrafe von zwei bis zehn Jahren Haft.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 04.09.2020

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2020a). Die Verfassung postuliert die Russischen Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland ist an folgende UN-Übereinkommen gebunden:

• Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung

(1969)

• Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll

(1991)

• Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

• Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und

Zusatzprotokoll (2004)

• Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung

oder Strafe (1987)

• Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

• Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.9.2012) (AA 13.2.2019).

Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 317 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat dabei fast alle Empfehlungen akzeptiert und nur wenige nicht berücksichtigt. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der EMRK. Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des EGMR um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert [Anm.: Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 13.2.2019). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 12.2019).

Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands 2019 weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikanierung bis hin zur Misshandlung durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch zu Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden, aber gleichzeitig steigt der öffentliche Aktivismus deutlich. Hinzu kommt, dass sich mehr und mehr Leute für wohltätige Projekte engagieren und freiwillige Arbeit leisten. Regionale zivile Kammern wurden zu einer wichtigen Plattform im Dialog zwischen der Zivilbevölkerung und dem Staat in Russlands Regionen (ÖB Moskau 12.2019). Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2019; vgl. FH 4.3.2020). Der konsultative „Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte“ beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 13.2.2019). Derzeit stehen insbesondere die LGBTI-Community in Tschetschenien sowie die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Russland unter Druck (ÖB Moskau 12.2019).

Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine haben zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung geführt. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden jedoch verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine deutlich, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist auch die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen. Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren auch über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe. Die meisten Vorfälle gab es, wie in den Vorjahren, in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Im Vergleich zu den Jahren 2014-2017 ist gleichzeitig ein gewisser Anstieg der fremdenfeindlichen Stimmung zu vermerken, der auch im Zusammenhang mit sozialen Problemen (der Unzufriedenheit mit der Pensionsreform und sinkenden Reallöhnen) zu sehen ist. Wenngleich der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland seit 2013 weiterhin ausgesetzt bleibt, unterstützt die EU-Delegation in Moskau den Dialog mit NGOs, Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidigern aktiv (ÖB Moskau 12.2019).

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend „Aufständische“ und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet (ÖB Moskau 12.2019).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaerti

ges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-st

and-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 11.3.2020

• AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019),

https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 16.7.2020

• FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten

im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html , Zugriff 5.3.2020

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, https:

//www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 17.7.2020

• ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local

/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf , Zugriff 11.3.2020

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 04.09.2020

Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit (AA 13.2.2019). Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei als „traditionelle Religionen“ de facto eine herausgehobene Stellung (AA 13.2.2019; vgl. USCIRF 4.2019), die russisch-orthodoxe Kirche (ROK) spielt allerdings eine zentrale Rolle (AA 13.2.2019; vgl. USCIRF 4.2019, FH 4.3.2020). Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime (AA 21.5.2018; vgl. ÖB Moskau 12.2018, GIZ 7.2020c). 2015 wurde von Präsident Putin in Moskau die größte Moschee Europas eröffnet, 2019 folgte eine noch größere Moschee in der tschetschenischen Stadt Schali (ÖB Moskau 12.2019). Der Islam in Russland ist grundsätzlich von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (AA 21.5.2018). Die Behörden gehen gegen tatsächliche und mutmaßliche Islamisten vor allem im Nordkaukasus mit teils gewaltsamer Repression vor (AA 13.2.2019).

Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die „Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens“ sowie die „Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus“ vertreten. Darüber hinaus sind zahlreiche andere Konfessionen, wie der Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen – das Judentum (ca. 200.000 Gläubige) sowie von den christlichen Kirchen die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche und eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 7.2020c). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen (GIZ 7.2020c; vgl. USCIRF 4.2019). Die russische Regierung betrachtet unabhängige religiöse Aktivitäten als eine Bedrohung für die soziale und politische Stabilität des Landes und pflegt gleichzeitig bedeutende Beziehungen zu den sogenannten „traditionellen“ Religionen des Landes. Die Regierung aktualisiert regelmäßig Gesetze, die die Religionsfreiheit einschränken, darunter ein Religionsgesetz von 1996 und ein Gesetz zur Bekämpfung des Extremismus von 2002. Das Religionsgesetz legt strenge Registrierungsanforderungen an religiöse Gruppen fest und ermächtigt Staatsbeamte, die Tätigkeit der Gruppierungen zu behindern (USCIRF 4.2019).

Seit Ende der Achtzigerjahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer „religiösen Renaissance“ bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als nicht gläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht, und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein „kanonisches Territorium“ verfügt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der ROK in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat (GIZ 7.2020c).

Bestimmte religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Auch hier stützt man sich vor allem auf das Anti-Extremismusgesetz [das sogenannte Jarowaja-Gesetz]. Die NGO Sova sieht als Hauptgründe der exzessiven Implementierung des Gesetzes einerseits die schlechte Schulung von Polizeibeamten andererseits den Missbrauch der Rechtsvorschrift zum Vorgehen gegen oppositionelle bzw. unabhängige Aktivisten (ÖB Moskau 12.2019). Besonders Muslime, die in Verdacht stehen extremistisch zu sein, sind von strengen Strafen betroffen (USCIRF 4.2018), aber auch moderate muslimische Organisationen sehen sich stärkeren Kontrollen ausgesetzt. Im Jahr 2015 wurde in der Staatsduma ein Gesetz angenommen, das die Kontrolle des Justizministeriums über die Finanzflüsse religiöser Organisationen erhöhen soll. Gruppen, die aus dem Ausland Gelder oder sonstige Vermögenswerte erhalten, müssen seither mehr Informationen zu ihren Einnahmen/Ausgaben an die Behörden vorlegen. Im Zuge der Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Juni 2016 wurden auch die Auflagen für Missionstätigkeiten außerhalb religiöser Institutionen präzisiert (ÖB Moskau 12.2019).

Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 13.2.2019; vgl. HRW 17.1.2019). Im Laufe des Jahres 2019 wurden mindestens 17 Zeugen Jehovas verurteilt, sieben von ihnen zu Freiheitsstrafen. Viele weitere wurden zum Beispiel mit Hausdurchsuchungen schikaniert. Einige von ihnen erklärten, während der Vernehmung gefoltert oder misshandelt worden zu sein (AI 16.4.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434107/4598_1528119149_auswaerti

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2018-21-05-2018.pdf , Zugriff 20.3.2020

• AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaerti

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and-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 20.3.2020

• AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019),

https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html; Zugriff 17.7.2020

• FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten

im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html , Zugriff 5.3.2020

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft,

https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.7.2020

• HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2018

– Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002220.html , Zugriff 20.3.2020

• HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019

– Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html , Zugriff 2.3.2020

• ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local

/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf , Zugriff 20.3.2020

• USCIRF – United States Commission on International Religious Freedom(4.2018): 2018 Annual

Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435641/1226_1529394241_tier1-russia.pdf ,

Zugriff 20.3.2020

• USCIRF – United States Commission on International Religious Freedom(4.2019): 2019 Annual

Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008198/Tier1_RUSSIA_2019.pdf , Zugriff

20.3.2020

Zeugen Jehovas

Letzte Änderung: 09.04.2020

Am 20.4.2017 verbot das Oberste Gericht die Moskauer Zentrale und die 395 Regionalverbände der Zeugen Jehovas in Russland. Zur Begründung hieß es, die Religionsgemeinschaft mit ihren mehr als 170.000 Anhängern sei „extremistisch“ (AI 22.2.2018, vgl. FH 4.3.2020). Dies führte zur Beschlagnahmung von Eigentum der Religionsgemeinschaft und zum Teil auch zu strafrechtlichen Anklagen wegen Extremismus ihrer Mitglieder (ÖB Moskau 12.2019). Die russischen Behörden gehen auch gegen Einzelpersonen und deren Religionsausübung vor. Bei einer Verurteilung drohen Freiheitsstrafen von zwei bis zehn Jahren Haft (AA 13.2.2019). Das Verbot der Organisation und die Folgen für die Mitglieder variieren von Region zu Region. In einigen Regionen würden sich die Mitglieder in privaten Wohnungen versammeln und würden nicht verfolgt (ÖB Moskau 12.2019).

Schätzungen zufolge leben noch ca. 100.000 Zeugen Jehovas in Russland. Gegen eine Reihe von Zeugen Jehovas wurden zu Geld- und Haftstrafen verurteilt (ÖB Moskau 12.2019); ein dänischer Staatsangehöriger wurde wegen „Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation“ im Februar 2019 zu sechs Jahren Haft verurteilt (ÖB Moskau 12.2019, vgl. HRW 14.1.2020). Laut Infographik der „Zeugen Jehovas Russland“ mit Stand 14.11.2019 sind 46 Personen in Untersuchungshaft und 23 unter Hausarrest, 287 werden als Beschuldigte oder Verdächtige geführt, bisher gab es zwölf Verurteilungen. Laut der Menschenrechtsorganisation Memorial werden derzeit 204 Zeugen Jehovas strafrechtlich verfolgt, sind 28 in Haft und stehen 19 unter Hausarrest (ÖB Moskau 12.2019, vgl. HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020). Die EU hat Russland aufgerufen, das in der Verfassung garantierte Recht auf Religionsfreiheit zu achten und den Zeugen Jehovas, genauso wie auch anderen Religionsgemeinschaften, die friedliche Religionsausübung zu ermöglichen (ÖB Moskau 12.2019).

Russische Behörden haben angeordnet, dass der Staat Zeugen Jehovas ihre Kinder zur Resozialisierung entziehen kann. Das Plenum des Obersten Gerichts bestimmte im November 2017, dass ein Gericht Eltern das Sorgerecht entziehen kann, wenn sie ihre Kinder mit einer religiösen Organisation in Kontakt bringen, die als extremistisch eingestuft und verboten wurde. Im selben Monat sprach das Ministerium für Bildung und Wissenschaft daraufhin die landesweite Empfehlung aus, Kinder, die religiös-extremistischen Ideologien ausgesetzt waren, zu resozialisieren. Das Ministerium erwähnt nur zwei Gruppen – Kinder von IS-Angehörigen und Kinder von Zeugen Jehovas. Bisher ist allerdings diesbezüglich kein Fall bekannt geworden (AA 13.2.2019).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-

amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederationstand-

dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 20.3.2020

• AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the

World’s Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff

20.3.2020

• FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten

im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

• HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019

– Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 2.3.2020

• ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/

2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 20.3.2020

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen betreffend den Beschwerdeführer und das Fluchtvorbringen:

Die Identität und die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers wurden bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellt. Gründe an der Identität oder an der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers zu zweifeln, sind nicht hervorgekommen. Vielmehr findet sich im Akt eine Kopie seines russischen Reisepasses (AS 9 f).

Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, welche nicht zuletzt auch deshalb durchgeführt wurde, um sich einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer zu verschaffen, einen glaubwürdigen Eindruck vermittelte.

Der Beschwerdeführer gab im Verfahren gleichbleibend und glaubwürdig an, Zeuge Jehovas zu sein. Zudem führte ein Zeuge nach entsprechender Belehrung durch den Richter in der mündlichen Verhandlung unbedenklich aus, dass der Beschwerdeführer öfters mit ihm in der Russischen Föderation von Haus zu Haus gegangen sei, um zu predigen (VH-Protokoll S. 7). Die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu den Zeugen Jehovas ist aufgrund den Angaben des Beschwerdeführers sowie des in der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen in Zusammenschau mit der vorgelegten Bestätigung vom 20.08.2018 (AS 121) hinsichtlich seiner Mitgliedschaft zu den Zeugen Jehovas und aktiven Ausübung seines Glaubens sowohl im Herkunftsstaat als auch in Österreich belegt. Dass der Beschwerdeführer getauft ist, erscheint dem Gericht aufgrund der vorgelegten Urkunde in Verbindung mit der Aussage des Zeugen in der mündlichen Verhandlung, demnach der Zeuge keinen Zweifel daran gehabt hätte, dass der Beschwerdeführer getauft sei (VH-Protokoll S. 7), schlüssig.

Die Feststellung, dass nach dem Verbot der Zeugen Jehovas im April 2017 in der Wohnung des Beschwerdeführers Treffen der Glaubensgemeinschaft stattfanden, beruht auf dem unbedenklichen Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (VH-Protokoll S. 5).

Auch erscheint es dem Gericht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer weiterhin religiöse Betätigungen vornehmen will. So gab der Beschwerdeführer bereits im Zuge der Erstbefragung an, er wolle seine Religion frei ausüben und seinem Gott Jehova dienen (AS 19). Auch bei der niederschriftlichen Einvernahme führte er aus, dass er predigen werde und die Menschen von der Lehre der Zeugen Jehovas unterrichten werde (AS 79).

Die geäußerte Rückkehrbefürchtung des Beschwerdeführers, in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt zu werden, stellt sich vor dem Hintergrund der Länderberichte als plausibel da. So führen diese aus, dass die Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation im April 2017 verboten und als extremistisch eingestuft wurden. Zudem ist diesen zu entnehmen, dass die russischen Behörden auch gegen Einzelpersonen und deren Religionsausübung vorgehen und bei einer Verurteilung Freiheitsstrafen von zwei bis zehn Jahren Haft drohen.

Das Verfahren vor der belangten Behörde tritt aufgrund des glaubwürdigen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung in den Hintergrund. Zudem erscheint es aufgrund des vermittelten Eindrucks denkmöglich, dass es hinsichtlich des Ortes der Taufe zu einer Verwechslung gekommen ist, weil der Beschwerdeführer zur Gruppe der Zeugen Jehovas in XXXX gehört (VH-Protokoll S. 6). Zudem ist es auch nicht unplausibel, dass sich der Beschwerdeführer hinsichtlich des Taufdatums geirrt hat (VH-Protokoll S. 3). Die von der belangten Behörde im Bescheid dargelegten Widersprüche waren nicht geeignet, das glaubhafte Vorbringen in der mündlichen Verhandlung zu erschüttern.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt der dem § 3 AsylG 2005 zugrundeliegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21. 12. 2000, 2000/01/0131; 19. 4. 2001, 99/20/0273).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. etwa VwGH 26.6.2018, Ra 2018/20/0307, mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Fremde bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Fremde im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. - im vorliegenden Fall - des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203; 27.6.2019, Ra 2018/14/0274, mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn ein Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 19.3.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.5.1998, 97/13/0051).

3.2. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 05.09.2012, C-71/11 und C-99/11, in Zusammenhang mit der Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie; neu gefasst durch die mit 09.01.2012 in Kraft getretene Richtlinie 2011/95/EU) ausgesprochen, dass Art 9 Abs. 1 lit a der Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr: Art 9 Abs 1 lit a der Richtlinie 2011/95/EU) dahin auszulegen, dass

- nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, bereits eine „Verfolgungshandlung“ im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie darstellt;

- eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung dieser Freiheit ergeben kann und

- bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der Art 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt, eine „Verfolgungshandlung“ darstellen kann, die zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen müssen, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland ua. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art 6 der Richtlinie 2004/83/EG genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

Art. 2 lit c der Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr: Art 2 lit d der Richtlinie 2011/95/EU) ist nach derselben Entscheidung des EuGH dahin auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen, wobei die Behörden bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling dem Antragsteller nicht zumuten können, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten.

3.3. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer glaubhaft und überzeugend zum Ausdruck gebracht, dass es ihm zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, sich öffentlich als Zeuge Jehovas manifestieren und seinen Glauben nicht lediglich im Verborgenen zu leben, sowie insbesondere auch seinen Glauben außerhalb seiner Bekenntnisgemeinschaft stehenden Personen näher zu bringen und diese von den Vorzügen seiner Religion überzeugen zu können. Im Vorfeld der Ausreise hat er nach Verbot der Zeugen Jehovas im April 2017 in seiner Wohnung Treffen abgehalten. Auch in Österreich nimmt der Beschwerdeführer an Versammlungen der Zeugen Jehovas teil. Es ist vor dem Hintergrund der persönlichen Umstände anzunehmen, dass er auch nach seiner Rückkehr religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihm der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen würden, oder er bei einer Rückkehr ausschließlich deshalb auf die Ausübung seines Glaubens nach seinen inneren Wertvorstellungen verzichten würde, um einer Verfolgung von erheblicher Intensität zu entgehen und es ist dem Beschwerdeführer nach der zuvor zitierten Judikatur des EuGH nicht zuzumuten, bei einer Rückkehr in ihre Heimat auf diese religiöse Betätigung zu verzichten. Wie in den Länderfeststellungen aufgezeigt, werden die Zeugen Jehovas als extremistisch angesehen und es ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer bei der Rückkehr in die Russische Föderation Verfolgungshandlungen ausgesetzt sein wird; so können Zeugen Jehovas für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden. Bei einer Verurteilung drohen ihnen Freiheitsstrafen von zwei bis zehn Jahren Haft.

Im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation könnte der Beschwerdeführer keine entsprechende Ausübung seines Glaubens vornehmen, ohne mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit von im Rahmen des Artikel 1, Abschnitt A, Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention relevanten Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu sein. Im Falle der Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit, würde sich der Beschwerdeführer einer beachtlichen Gefahr eines Verfolgungsrisikos aussetzen.

Die für die Asylgewährung erforderliche Anknüpfung an einen Konventionsgrund ist gegeben, liegt doch der Grund für die Verfolgung der Beschwerdeführer jedenfalls wesentlich in der von ihnen praktizierten religiösen Überzeugung.

Dem Beschwerdeführer steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, weil die Verfolgung durch die Behörden potentiell im ganzen Staatsgebiet der Russischen Föderation droht.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (§ 6 AsylG) ist nicht hervorgekommen. Dem Beschwerdeführer war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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