TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/1 W102 2119812-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.06.2021
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Entscheidungsdatum

01.06.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8

Spruch


W102 2119812-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch KOCHER & BUCHER RAe OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 20.12.2018, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.04.2021 zu Recht erkannt:

A)       

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 § 8 Abs. 4 AsylG 2005 und § 9 Abs. 4 AsylG 2005 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass diese zu lauten haben:

„I. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt.

II. Gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 12.11.2018 abgewiesen.“

II.      Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG und Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist.

III.     XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 und Z 2 erster Fall AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Am 24.08.2014 stellte der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 22.12.2015 (in der Folge: „Zuerkennungsbescheid“) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abwies, dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte und ihm eine bis zum 22.12.2016 befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte. Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, die Sicherheitslage sei regional unterschiedlich, die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Dem Beschwerdeführer würden das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk, sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse in Kabul fehlen. Er sei minderjährig. Eine Rückkehr sei nicht zumutbar.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.12.2016 (in der Folge: „Verlängerungsbescheid“) wurde dem Beschwerdeführer auf seinen Verlängerungsantrag hin eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 22.12.2018 erteilt. Begründend führte die Behörde aus, die Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung würden vorliegen, da dem Antrag vollinhaltlich stattgegeben worden sei, könne gemäß § 58 Abs. 2 AVG eine nähere Begründung entfallen.

Die gegen Spruchpunkt I. des Zuerkennungsbescheides erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 19.10.2017 als unbegründet ab.

Am 12.11.2018 beantragte der Beschwerdeführer erneut die „Verlängerung des subsidiären Schutzes“.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20.12.2018, zugestellt am 27.12.2018 (in der Folge: Aberkennungsbescheid), erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer – nach niederschriftlicher Einvernahme am 19.12.2018 – gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I.), entzog dem Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung würden nicht mehr vorliegen, der Beschwerdeführer sei nicht mehr minderjährig. Er habe sich in Österreich Berufserfahrung und wertvolle Kenntnisse aneignen können. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif sei ihm zumutbar. Der Beschwerdeführer habe keine Angehörigen in Österreich. Er sei zwar finanziell abgesichert, die Integration jedoch insgesamt nicht sehr ausgeprägt. Der Beschwerdeführer habe sich seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung bewusst sein müssen. Sein Antrag auf internationalen Schutz sei in zweiter Instanz negativ entschieden worden. Der Beschwerdeführer habe Deutschkurse besucht und auch das B1 Niveau erreicht, die Einvernahme habe jedoch in der Muttersprache durchgeführt werden müssen, es habe nicht festgestellt werden können, dass er tatsächlich der deutschen Sprache mächtig sei. Er habe keine besondere Bindung zu Österreich oder Österreichern darlegen können. Die Rückkehrentscheidung sei zulässig.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.12.2018 richtet sich die am 15.01.2019 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde – vertreten durch ARGE Rechtsberatung –, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft. Der Beschwerdeführer habe zahlreiche Integrationsunterlagen vorgelegt. Die belangte Behörde habe keinerlei Länderberichte in den Bescheid aufgenommen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif sei ausgeschlossen, die Versorgungslage sei schlecht. Weder die objektive Lage in Afghanistan noch die subjektive Lage des Beschwerdeführers habe sich seit Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus verbessert. Afghanistan sei für Hazara nicht sicher. Kein Ort in Afghanistan könne als sicher bezeichnet werden. Die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides seien rechtswidrig, weil mit dem im Spruch des Bescheides angeführten Erkenntnis dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht eingeräumt worden sei und auch nicht der Status des subsidiär Schutzberechtigten, vielmehr sei die Beschwerde als unbegründet abgewiesen worden. Der Spruch lasse sich nicht darauf reduzieren, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid der belangten Behörde der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden sei. Die Sicherheitslage sei prekär und angespannt, im Fall einer Rückkehr werde der Beschwerdeführer in eine ausweglose Lage geraten, da er keine finanzielle Unterstützung seiner Familie erhalten könne. Die belangte Behörde begründe die Aberkennung ausschließlich mit der eingetretenen Volljährigkeit des Beschwerdeführers. Eine Judikaturänderung begründe eine Aberkennung bei im Wesentlichen gleichbleibendem Sachverhalt nicht. Eine Rückkehrentscheidung sei dauerhaft unzulässig, der Beschwerdeführer sehr gut integriert. Die Rechtsmittelbelehrung sei zweifach abgedruckt und werde darin auch ausgeführt, dass einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zukomme. Die Voraussetzungen des § 17 BFA-VG würden aber nicht vorliegen. Eventualiter werde jedoch begehrt, das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde binnen Wochenfrist die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Am 17.01.2019 langte ein weiterer als Beschwerde bezeichneter Schriftsatz des nunmehr anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in dem im Wesentlichen ausgeführt wird, die belangte Behörde übersehe, dass der Beschwerdeführer Hazara sei und keinen Kontakt mehr zu seinen Angehörigen und auch sonst keine Angehörigen in Afghanistan habe. Die geübte Willkür reiche in die Verfassungssphäre. Der Bescheid enthalte keine hinreichend aktuellen Länderberichte. Sicherheits- und Versorgungslage seien schlecht. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe die Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers außer Acht gelassen.

Am 17.01.2019 verfasste die belangte Behörde Aktenvermerke mit dem Inhalt: „Telefonat mit Herrn XXXX ! Eine Beschwerde wird zurückgezogen da zwei verschiedene Beschwerden gekommen sind“ (AS 41), sowie „mit Rechtsberater in Verbindung setzen, wer nun die Beschwerde einreicht. (RA + Rechtsberater = zu viel“) (AS 113). In einem Aktenvermerk vom 18.01.2019 ist eine nochmalige telefonische Rückfrage bei der ARGE Rechtsberatung dokumentiert, der zufolge der zuständige Rechtsberater den Beschwerdeführer noch nicht habe erreichen können, mit ihm persönlich sprechen wolle und sich nach dem Gespräch mit dem Beschwerdeführer telefonisch melden werde (AS 41). Am 28.01.2019 langte zudem eine E-Mail des zuständigen Rechtsberaters bei der belangten Behörde ein, in der dieser angibt, nach Rücksprache mit dem Beschwerdeführer solle nur die Beschwerde der Kanzlei Kocher&Bucher an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet werden (AS 299).

Am 04.02.2019 brachte die belangte Behörde beide „Beschwerden“ unter Anschluss des Verfahrensaktes in Vorlage.

Am 14.02.2019 langte ein mit der Beschwerde vom 15.01.2019 identer Schriftsatz am Bundesverwaltungsgericht ein, in dessen begleitendem Schreiben ausgeführt wird, die ARGE Rechtsberatung sei vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kontaktiert worden und sei ihnen mitgeteilt worden, dass auch von der Anwaltskanzlei Kocher&Bucher eine Beschwerde eingebracht worden sei, der Beschwerdeführer habe sich zu entscheiden, welche der beiden Beschwerden dem Gericht vorgelegt werden solle. Solange der Beschwerdeführer sich nicht entscheide, werde keine Beschwerde vorgelegt. Daher werde die bereits eingebrachte Beschwerde nochmals direkt beim erkennenden Gericht eingebracht. Sie sei in vorliegender Form als Beschwerdeergänzung zu verstehen, auch wenn Form und Inhalt unverändert seien und auf dem Titelblatt Beschwerde zu lesen stehe.

Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 12.10.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Mit Ladung vom 30.03.2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht folgende Länderberichte in das Verfahren ein

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung: 16.12.2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. State Structure and Security Forces von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Criminal law, customary justice and informal dispute resolution von Juli 2020

?        EASO, Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020 (in der Folge: EASO Country Guidance)

?        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien)

?        EASO COI Report: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017

?        EASO COI Report: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017

und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Schreiben vom 07.04.2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht nochmals das

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung: 31.03.2021

und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde nochmals die Gelegenheit zur Stellungnahme und übermittelte dem Beschwerdeführer auf dessen Ersuchen hin den genannten Bericht.

Am 16.04.2021 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei Hazara und würde in seiner Heimatprovinz von den Taliban getötet werden. Die Taliban würden über einen landesweit operierenden Nachrichtendienst verfügen und den Beschwerdeführer überall finden. Der Beschwerdeführer habe von Beginn an ausgesagt, dass er nach Aufforderung durch die Taliban für diese habe arbeiten sollen. Die behauptete Furcht vor Verfolgung sei begründet, eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar. Die Versorgungslage sei schlecht.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 20.04.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu Lebensverhältnissen und Rückkehrsituation befragt.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        ÖSD-Zertifikat A1

?        ÖSD-Zertifikat B1

?        Schulunterlagen

?        Kursbestätigungen

?        Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Zeugnis

?        Verdienstabrechnungen, Lohnzettel

?        Mietvertrag

?        Dienstverträge

?        Führerschein

?        Fitness-Center-Mitgliedskarte

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren im Jahr XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht auch Deutsch zumindest auf dem Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Ghazni, Distrikt Muqur, geboren und übersiedelte mit seiner Familie im Kindesalter in ein Dorf im Distrikt Jaghuri. Er hat im Herkunftsstaat sechs Jahre die Schule besucht und zwei Jahre als Hilfsarbeiter gearbeitet, um Schulden des Vaters zu begleichen. Außerdem hat er in der Landwirtschaft mitgearbeitet, er bewirtschaftete mit Mutter und jüngeren Geschwistern die Felder des in Pakistan aufhältigen Onkels mütterlicherseits.

Der Vater des Beschwerdeführers ist verschollen als der Beschwerdeführer etwa elf Jahre alt war. Der Beschwerdeführer hat zwei Schwestern und zwei Brüder. Diese und die Mutter des Beschwerdeführers sind in Jaghuri verblieben. Kontakt besteht seit Jahren nicht.

Der Beschwerdeführer reiste im August 2014 nach Österreich ein.

Mit Zuerkennungsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.12.2015 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine bis zum 22.12.2016 befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte. Mit Verlängerungsbescheid vom 13.12.2016, zugestellt am 15.12.2016, wurde dem Beschwerdeführer auf seinen Antrag hin eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 22.12.2018 erteilt.

Im Schuljahr 2014/2015 besuchte der Beschwerdeführer eine Polytechnische Schule. Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2016 außerdem einen Kurs mit den Inhalten „Sprache, Grundausbildung, Berufsorientierung“ besucht. Am 01.07.2015 hat der Beschwerdeführer die ÖSD-Deutschprüfung für das Niveau A1 mit „sehr gut“ bestanden, am 03.03.2016 die für das Niveau A2 – ebenso mit „sehr gut“ und am 21.10.2016 und am 21.10.2016 jene für das Niveau B1 mit „gut“. 2016 und 2017 hat der Beschwerdeführer zudem zwei Berufspraktika absolviert und einen Kurs zur Vorbereitung auf den externen Hauptschulabschluss besucht. 2019 hat der Beschwerdeführer außerdem einen Werte- und Orientierungskurs besucht.

Am 20.09.2017 hat der Beschwerdeführer die Pflichtschulabschluss-Prüfung bestanden, im Prüfungsgebiet „Deutsch – Kommunikation und Gesellschaft“ wurde er mit der Note „Genügend (grundlegende Allgemeinbildung)“ beurteilt.

Der Beschwerdeführer ist seit Jänner 2018 als Montagehelfer bei XXXX beschäftigt und verdient etwa EUR 1.600,– netto monatlich. Der Beschwerdeführer lebt seit Anfang 2017 allein in einer privaten Mietwohnung und bezieht seit Jänner 2017 keine Grundversorgung mehr.

Der Beschwerdeführer hat den österreichischen Führerschein gemacht. In seiner Freizeit besucht er ein Fitnesscenter und spielt Fußball. Er hat eine Freundin.

1.2.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Provinz Ghazni gehört zu den volatilen Provinzen, Taliban-Kämpfer sind aktiv. Im Jahr 2019 und in den ersten Monaten 2020 war Ghazni schwer umkämpft und gehörte zu den Hauptschauplätzen von Kämpfen zwischen Taliban und Regierung. Im Oktober 2019 standen die hauptsächlich von Paschtunen bewohnten Distrikte beinahe vollständig unter Talibankrontrolle, während die Hazara-Gebiete – darunter Jaghuri – und Ghazni Stadt von der Regierung kontrolliert wurden. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen Taliban und Regierung, Angriffen entlang der Hauptstraßen, Luftangriffen, Sicherheitsoperationen der afghanischen Streitkräfte. Auch Angriffe des IS sind verzeichnet. Insbesondere die Straßen in Ghazni sind gefährlich. Die Taliban betreiben in Gebieten unter ihrer Kontrolle illegale Checkpoints, wo sie Personen kontrollieren und Geld erpressen. Reisen ist in Ghazni aufgrund dieser Checkpoints gefährlich, es kommt zu Entführungen, Angriffen und Tötungen. Die Taliban platzieren Sprengfallen entlang der Straßen.

Für das Jahr 2020 sind 418 zivile Opfer (183 Tote und 235 Verletzte) dokumentiert. Dies entspricht einem Rückgang von 38% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern und gezielten Tötungen

Der Distrikt Jaghuri wird hauptsächlich von Hazara bewohnt und gilt als umkämpft. Für das Jahr 2020 sind für den Distrikt allerdings weder nach der Globalincidentmap, noch nach ACLED Sicherheitsvorfälle verzeichnet.

Die Minderheit der schiitischen Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung Afghanistans aus. Sie leben unter anderem in Kabul (Stadt), Herat (Stadt) und Mazar-e Sharif. Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19 % geschätzt, 90 % der Schiiten gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara.

Hazara bekleiden prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind allerdings in der öffentlichen Verwaltung unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen. Die Hazara haben seither auch erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht.

Hinweise auf von staatlichen Akteuren ausgehende Misshandlungen gibt es nicht.

Der ISKP verfügt in Afghanistan über sehr begrenzte territoriale Kontrolle, seine landesweite Mannesstärke lag im November 2019 bei etwa 4.000 für 5.000 Kämpfern. „Zellen“ des ISKP sind in ganz Afghanistan präsent, auch in Kabul (Stadt). Er ist in der Lage, in unterschiedlichen Teilen des Landes Angriffe durchzuführen. Der ISKP zielt darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern, indem er seine Angriffe gegen Schiiten richtet. Es kommt zu Angriffen durch den ISKP auf schiitische Hazara, etwa in Kabul. Ziel sind insbesondere Orte, an denen Schiiten zusammenkommen, etwa Moscheen, politische Demonstrationen oder Hazara-dominierte Wohnviertel. Diese Angriffe stehen im Zusammenhang mit der schiitischen Glaubenszugehörigkeit der Hazara sowie mit deren – nach Wahrnehmung des ISKP – Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen den IS in Syrien.

Es kommt zu Entführungen und Tötungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara auf den Straßen durch regierungsfeindliche Kräfte, insbesondere durch die Taliban. Es gibt Vorfälle, bei denen Hazara-Reisende ausgesondert und getötet oder entführt werden. Hierfür kann jedoch häufig ein anderer Grund als deren Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit identifiziert werden, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter. Die Taliban führen Angriffe auf religiöse Stätten und Führer durch, die die Legitimität der Taliban anzweifeln.

Die schiitische Religionszugehörigkeit gehört zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara, Ethnien- und Religionszugehörigkeit sind in Afghanistan häufig untrennbar verbunden.

Balkh zählte zuletzt zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes. Für die gesamte Provinz sind für das Jahr 2020 sind 712 zivile Opfer (263 Tote und 449 Verletzte) verzeichnet, eine Steigerung von 157 % gegenüber 2019. Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern. Balkh ist ethnisch divers und wird unter anderem von Hazara bewohnt.

In Mazar-e Sharif kam es von 2020 der Globalincidentmap zufolge zu einem sicherheitsrelevanten Vorfall, nach ACLED kam es zu zwölf sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer. Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher und steht unter Regierungskontrolle. 2019 fanden beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern statt. Deren Ziel waren oftmals Sicherheitskräfte, doch gab es auch zivile Opfer. Kriminalität stellt ein Problem dar, insbesondere bewaffnete Raubüberfälle. Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften. Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen, für den keine Sicherheitsvorfälle verzeichnet sind.

Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. In urbanen Gebieten leben rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Während der Covid-19-Pandemie ist insbesondere die Situation für Tagelöhner schwierig, viele Wirtschaftszweige wurden durch Sperr- und Restriktionsmaßnahmen negativ beeinflusst. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus. 2016/2017 waren rund 45 % der Menschen von anhaltender oder vorrübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen. Auch aktuell verschlechtert sich die aktuelle Ernährungsunsicherheit infolge der Covid-19-Pandemie, bis März 2021 wurde ein Anstieg auf 42 % prognostiziert. Die Krise führte zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die Preise für Weizenmehl waren von November bis Dezember 2020 stabil, allerdings auf einem Niveau, das 11% über dem des letzten Jahres und 27% über dem Dreijahresdurchschnitt lag.

Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit, sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. Die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung liegt auf hohem Niveau und und ist infolge der Pandemie auf 37,9 % gestiegen, gegenüber 23,9 % im Jahr 2019. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert nicht. Ein Mangel an Bildung korreliert mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind.

Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden.

Die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus hat starke Auswirkungen auf Rückkehrer, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen. Ohne familiäre Netzwerke kann es sehr schwer sein, sich selbst zu erhalten, da in Afghanistan vieles von sozialen Netzwerken abhängig ist. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen. „Erfolglosen“ Rückkehrern aus Europa haftet oft das Stigma des „Versagens“ an. Sie werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa, was durch die aktuelle Situation im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wird. Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab.

Afghanistan ist von der COVID-Pandemie betroffen. Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen. Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet, wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht. Ein „Lockdown“ oder Beschränkungen der Bewegungsfreiheit sind in Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul aktuell nicht in Kraft. Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten sind derzeit nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für Rückkehrer unter der Schirmherrschaft von IOM, die eine Unterkunft benötigen, kann IOM ein Hotel buchen.

Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die COVID-19-Pandemie hat sich negativ auf die Bereitstellung und Nutzung grundlegender Gesundheitsdienste in Afghanistan ausgewirkt. In großen Städten ist die medizinische Versorgung grundsätzlich sichergestellt.

Offizielle Landessprachen sind Dari und Paschtu.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, sowie seiner Muttersprache beruhen auf seinen gleichbleibenden und glaubwürdigen Angaben im Lauf des Verfahrens, die auch die belangte Behörde sowie das Bundesverwaltungsgericht ihren bisherigen Entscheidungen zugrunde legten. Hinweise darauf, dass diese nicht zutreffen würden, sind auch im gegenständlichen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruht auf dem vorgelegten ÖSD-Zertifikat für das Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (etwa OZ 2).

Zur Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass dieser im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.04.2021 erstmals angab, er sei vom Glauben abgefallen und befürchte, aufgrund der Tatsache, dass er sich zu keinem Glauben bekenne, verfolgt zu werden (OZ 13, S. 3) und dies befragt, warum er das in der Beschwerde und seiner Stellungnahme nie erwähnt habe, lediglich damit begründet, er habe es bislang nicht als notwendig erachtet, darüber zu sprechen und habe es auch in der Verhandlung nur im Zusammenhang mit den Rückkehrbefürchtungen erwähnt (OZ 13, S. 3). Dies scheint jedoch, nachdem der Beschwerdeführer den behaupteten Abfall vom Glauben mit einer Verfolgungsgefahr verknüpft, nicht nachvollziehbar. Weiter erweisen sich die Angaben des Beschwerdeführers zum Glaubensabfall als bloß floskelhaft und konnte der Beschwerdeführer auch nach dem im Zuge der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nicht davon überzeugen, eine persönliche, für seine Identität bedeutsame Angelegenheit anzusprechen. Viel mehr beschränkte er sich in seiner freien Rede auf einen oberflächlichen Satz und konkretisierte seine Beweggründe und sein Verhältnis zur Religion nicht weiter. Entsprechend wurde festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer (weiterhin) zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt.

Dass der Beschwerdeführer gesund ist, beruht darauf, dass anderslautendes Vorbringen zuletzt nicht erstattet und medizinische Unterlagen, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers nachweisen würden, nicht vorgelegt wurden. Zuletzt bestätigte der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.04.2021, er sei gesund (OZ 13, S. 2).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer unbescholten ist, beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

Die Feststellungen zu Herkunft, Lebensverhältnissen, -lauf und -wandel des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat beruhen ebenso auf seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben im Lauf der Verfahren vor Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und Bundesverwaltungsgericht. Dass Kontakt zu Mutter und Geschwistern nicht mehr besteht, hat der Beschwerdeführer seit seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 19.11.2015 gleichbleibend angegeben und dies auch jeweils damit begründet, er habe seine Mutter über den Nachbarn erreicht, könne dort aber niemanden mehr erreichen (AktZuerk AS 133) und hat auch die belangte Behörde im Zuerkennungsbescheid eine entsprechende Feststellung getroffen (AktZuerk AS 163). Seither haben sich Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Sachverhaltsänderung nicht ergeben und hat der Beschwerdeführer auch im Zuge der mündlichen Verhandlung am 20.04.2021 angegeben, weiterhin keinen Kontakt zur Familie zu haben (OZ 134, S. 3).

Das Antragsdatum des Beschwerdeführers ist aktenkundig und würde eine frühere Einreise nicht behauptet. Die Feststellungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung sowie deren Verlängerung beruhen auf den im Akt einliegenden diesbezüglichen Bescheiden.

Zum Besuch der Polytechnischen Schule hat der Beschwerdeführer eine Schulbesuchsbestätigung vorgelegt (etwa AS 247), ebenso zu seinem Kurs (etwa AS 249). Außerdem hat der Beschwerdeführer eine Berufspraktikums-Bestätigung (AS 251) und eine Stundenaufzeichnung (AS 259), eine Bestätigung für den Hauptschulabschlusskurs (AktZuerk AS 259), seine ÖSD-Prüfungszertifikate (AS 253, 255, 257) und sein Pflichtschulabschlussprüfungs-Zeugnis in Vorlage gebracht (etwa AS 246). Aus diesem geht auch die Benotung im Prüfungsgebiet „Deutsch – Kommunikation und Gesellschaft“ hervor. Zum Werte- und Orientierungskurs hat der Beschwerdeführer eine Teilnahmebestätigung vorgelegt (OZ 12, Beilage M).

Dienstvertrag (AS 269 ff.), Verdienstabrechnungen (AS 273 ff.) und Mietvertrag (AS 261 ff.) des Beschwerdeführers sind aktenkundig.

Seinen Führerschein und seine Fitnesscenter-Mitgliedskarte hat der Beschwerdeführer vorgelegt (OZ 12) und im Lauf des Verfahrens wiederholt vom Fußballspielen erzählt. Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.04.2021 gab der Beschwerdeführer zudem an, eine Freundin zu haben (OZ 13, S. 4). Gründe, hieran zu zweifeln, waren nicht ersichtlich.

2.2.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum internationalen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Ghazni beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Sicherheitslage, Unterkapitel Ghazni, der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 3.3 Article 15(c) QD, Unterabschnitt Ghazni S. 123-124, sowie dem EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020, Kapitel 2.10 Ghazni, S. 130 ff.).

Die Feststellungen zu den Siedlungsgebieten der schiitischen Hazara beruhen auf dem Länderinformationsblatt. So geht das traditionelle Besiedelungsgebiet der Hazara, zu dem Teile der Provinz Balkh zählen, aus Kapitel Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel Hazara, hervor, das auch von „Hazara-Vierteln“ in Kabul berichtet. Im Hinblick auf Herat zählt das Länderinformationsblatt die Hazara ebenso als eine der wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz auf und erwähnt im Hinblick auf Herat (Stadt) eine beträchtliche Hazara-Minderheit (Kapitel Sicherheitslage, Unterkapitel Herat). Die Feststellungen zum Anteil der schiitischen Muslime an der Bevölkerung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Religionsfreiheit, Unterkapitel Schiiten.

Die Feststellungen zur gesellschaftlichen Lage der Hazara beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel Hazara, sowie auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86, sowie Kapitel 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87). Auch die UNHCR-Richtlinien – ebenso vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 21.10.2020 (OZ 9) in das Verfahren eingebracht – berichten einerseits von gesellschaftlicher Diskriminierung, Erpressung durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, körperliche Misshandlung und Inhaftierung, aber auch von erheblichen wirtschaftlichen und politischen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban-Regimes (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 106-107).

Hinweise auf Misshandlungen der schiitischen Hazara durch den Staat sind der EASO Country Guidance zufolge nicht ersichtlich (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 86, Unterkapitel 17. 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87).

Die Feststellungen zum ISKP und dessen Angriffe auf die Hazara beruhen auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86, Unterkapitel 17. 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87), wobei auch das Länderinformationsblatt im Wesentlichen übereinstimmend von Angriffen auf schiitische Hazara durch den ISKP berichtet (Kapitel Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel Hazara). Dieses berichtet auch, dass der ISKP den Großteil seines Territoriums verloren hat (Kapitel Sicherheitslage, Abschnitt Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)). Der EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020 berichtet, dass es weiterhin zu Angriffen des ISKP auf schiitische Hazara kommt (Kapitel 3. Der Islamische Staat in der Provinz Khorasan (ISKP), Unterkapitel 3.6.1 Hazara-Schiiten, S. 38), ihm sind die Feststellungen zur aktuellen Präsenz und Stärke des ISKP in Afghanistan entnommen (insbesondere Kapitel 3.2 Stärke, Präsenz, territoriale Kontrolle, Kapazität, S. 30 ff). Von relevanter territorialer Kontrolle wird hier ebenso nicht berichtet.

Der EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020 führt Schiiten und Hazara hinsichtlich der Taliban nicht gesondert als „Targeted individuals“ an. Die UNHCR-Richtlinien berichten allgemein von Fällen von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte, wobei den Fußnoten im Hinblick auf konkrete Vorfälle zu entnehmen ist, dass dem IS insbesondere Terror-Anschläge auf die schiitische Minderheit zuzurechnen sind. Im Hinblick auf die Taliban werden insbesondere Entführungen erwähnt, ihnen werden jedoch auch Anschläge zugeschrieben (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 107, sowie Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Abschnitt Schiiten, S. 69.-70). Der EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020 führt ebenso Anschläge der Taliban gegen religiöse Stätten und Führer an, bringt diese jedoch in Zusammenhang mit einer Infragestellung der Legitimität der Taliban (Kapitel 2. Die Taliban, Unterkapitel 2.6. Gezielt angegriffene Personen, Unterkapitel 2.6.2.4 Religiöse Führer, S. 30-31). Die EASO Country Guidance berichtet im Hinblick auf Entführungen konkret, es würde Vorfälle geben, wo Hazara-Zivilisten auf Reisen entlang der Straßen entführt und getötet würden, jedoch auch, dass dies häufig mit anderen Motiven als der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit in Zusammenhang stehe, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86, Unterkapitel 17. 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87).

Im Hinblick auf die Verbundenheit von Ethnie und Religion berichtet das Länderinformationsblatt, die schiitische Religionszugehörigkeit würde wesentlich zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara zählen (Kapitel Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel Hazara). Auch die UNHCR-Richtlinien berichten von einer häufig untrennbaren Verbundenheit von Ethnie und Religionszugehörigkeit, weswegen eine eindeutige Unterscheidung zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits oder der ethnischen Zugehörigkeit andererseits oftmals nicht möglich sei (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Unterabschnitt Schiiten, S. 69-70). Auch die EASO Country Guidance spricht die Verknüpfung an (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69).

Die Feststellungen zur Sicherheitslag ein Balkh beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Sicherheitslage, Unterkapitel Balkh, sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020, Kapitel 2.5. Balkh, S. 90 ff., insbesondere Unterkapitel 2.5.2 Conflict background and actors in Balkh, S. 91 ff. Die Feststellungen zur Entwicklung der Sicherheitslage in Mazar-e Sharif beruhen auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 3.3. Article 15 (c) QD, Abschnitt Balkh, S. 117-119, insbesondere Unterabschnitt Focus on the provincial capital: Mazar-e Sharif, S. 118-119. Die Feststellungen zum Flughafen beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Sicherheitslage, Unterkapitel Erreichbarkeit, Abschnitt Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif, wobei aus der EASO Country Guidance zum Flughafen Mazar-e Sharif hervorgeht, dass nicht von Vorfällen berichtet wird (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection alternative, Abschnitt Travel and admittance, S. 164).

Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt, Kapitel 7. Rechtsschutz/Justizwesen, 9. Folter und unmenschliche Behandlung und 13. Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.

Die Feststellungen zur Wirtschaftslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Grundversorgung.

Die Feststellungen zur Situation von Rückkehrern beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 25. Rückkehr.

Die Feststellungen zur COVID-19-Pandemie und ihren Folgen beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. COVID-19.

Die Feststellungen zur medizinischen Versorgung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 24. Medizinische Versorgung.

Die Feststellung zu den Landessprachen beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Relevante ethnische Minderheiten.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Aberkennungsbescheides (§ 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG, Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten)

Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG 2005) ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amtswegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht oder nicht mehr vorliegen.

§ 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 erfasst die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat, während § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall jene Konstellationen betrifft, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005 m.w.N.).

Die belangte Behörde stützt sich in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides lediglich auf § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, ohne explizit zu erkennen zu geben, auf welchen konkreten Aberkennungstatbestand sie Bezug nimmt. Aus der rechtlichen Beurteilung, wo die belangte Behörde ausführt, „die Lage hat sich für Sie als volljähriger, männlicher gesunder arbeitsfähiger, alleinstehender Mann in Bezug auf eine IFA Mazar-e Sharif oder Herat geändert“ (AS 28), ergibt sich jedoch klar, dass die belangte Behörde sich auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 stützt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkung von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung nicht geändert hat (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). Auch der Verfassungsgerichtshof hat zu § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 bereits ausgesprochen, dass diese Bestimmung keine Neubewertung eines rechtskräftigen Entschiedenen Sachverhaltes erlaubt, sondern eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 lediglich in Frage kommt, wenn sie die Umstände nach der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich geändert haben (VfGH 24.09.2019, E 2330/2019).

In seiner Judikatur zum Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG zeichnet der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen das Prüfschema vor, dass zunächst zu ermitteln ist, ob, seit dem Beschwerdeführer zuletzt eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt wurde, neue Umstände hinzugetreten sind. Erst wenn dies zu bejahen ist, ist eine erneute Gesamtbeurteilung vorzunehmen, bei der alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, auch wenn sie sich vor der letzten Verlängerung ereignet haben (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).

3.1.1.  Zur Sachverhaltsänderung

Zur unionsrechtskonformen Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG zieht der Verwaltungsgerichtshof das Erforderlichkeitskalkül des Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (in der Folge Statusrichtlinie) heran (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Art. 16 Abs. 1 Statusrichtlinie sieht vor, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr hat, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Nach Abs. 2 leg. cit. berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei Anwendung des oben zitierten Abs. 1, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorrübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

Eine solche Änderung der Umstände kann sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus einer Änderung der tatsächlichen Umstände im Herkunftsstaat ergeben, aber auch in der persönlichen Situation des Fremden gelegen sein, wobei es regelmäßig nicht auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses ankommt (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Bei der Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegeben Situation gelegen sein können, darstellen. Bei einem Fremden, dem als Minderjähriger subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, kann das Erreichen der Volljährigkeit eine Rolle spielen, etwa dadurch, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen werden (VwGH 29.11.2019, Ra 2019/14/0449).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bringt die Behörde vor dem Hintergrund der dafür nach dem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen durch ihre Entscheidung, die befristete Aufenthaltsberechtigung zu verlängern, zum Ausdruck, dass sie davon ausgeht, es seien im Zeitpunkt ihrer Entscheidung, mit der sie die Verlängerung bewilligt, weiterhin jene Umstände gegeben, die für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz maßgeblich seien (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).

Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt mit Verlängerungsbescheid vom 13.12.2016, zugestellt am 15.12.2016, befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 22.12.2018 erteilt, weswegen gegenständlich Änderungen im Hinblick auf den in diesem Zeitpunkt maßgeblichen Sachverhalt relevant sind.

Begründend führte die belangte Behörde im Hinblick auf die von ihr angenommene Sachverhaltsänderung aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung würden nicht mehr vorliegen, der Beschwerdeführer sei nicht mehr minderjährig. Er habe sich in Österreich Berufserfahrung und wertvolle Kenntnisse aneignen können. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif sei ihm zumutbar.

Zunächst wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit § 8 Abs. 3 AsylG 2005 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass in jenem Fall, in dem dem Fremden eine innerstaatliche Schutzalternative zur Verfügung steht, die in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht gegeben sind (VwGH 29.01.2020, Ro n2019/18/0002). Damit ist auch das nunmehrige Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Aberkennungsverfahren nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 beachtlich.

Hinsichtlich der von der belangten Behörde ins Treffen geführten Volljährigkeit des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der letzten Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung noch minderjährig war. Allerdings stellt der Verwaltungsgerichtshof in seiner bereits oben zitierten Rechtsprechung nicht auf das „formale“ Kriterium der Volljährigkeit ab, sondern darauf, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen wird.

Seit dem Beschwerdeführer mit Verlängerungsbescheid vom 13.12.2016 zuletzt eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005, sind etwa viereinhalb Jahre vergangen und hat der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum nicht nur formal die Grenze zur Volljährigkeit überschritten, sondern ist mittlerweile ein 22 Jahre alter Mann und zweifellos im Prozess persönlicher Reifung fortgeschritten. Weiter hat der Beschwerdeführer, indem er einen Hauptschulabschlusskurs besucht, die Pflichtschulabschluss-Prüfung bestanden hat, sein Bildungsniveau erkennbar und deutlich verbessert. Zudem konnte der Beschwerdeführer seither über drei Jahre Berufserfahrung sammeln und hat deutlich gezeigt, dass er dazu in der Lage ist, seinen Unterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten. Er lebt seit mehreren Jahren alleine in einer Mietwohnung und hat damit auch seine Unabhängigkeit und Kompetenz, sein Leben selbstständig zu führen, sich eine Existenz neu aufzubauen und sein Auskommen selbstständig zu erwirtschaften unter Beweis gestellt. Diese Entwicklung ist zudem nachhaltig.

Damit liegt eine im Sinne der oben zitierten Judikatur wesentliche Sachverhaltsänderung der in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umstände vor. Ein Eingehen auf Ausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer nichtvorliegenden nachhaltigen und wesentlichen Verbesserung der Sicherheitslage erübrigt sich sohin und der nunmehr geänderte Sachverhalt ist in seiner Gesamtheit neu zu beurteilen.

3.1.2.  Zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Zwar widerspricht es nach der die Rechtsprechung des EuGH berücksichtigenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Statusrichtlinie, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106). Nachdem aber eine mit der Statusrichtlinie im Einklang stehende Interpretation des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer Auslegung contra legem führen würde, hielt der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Um von einer solchen realen Gefahr ausgehen zu können, reicht es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (jüngst etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).

Im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage ist nach der ständigen, auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH bezugnehmenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die Voraussetzung des „real risk“ iSd Art. 3 EMRK nur in sehr extremen Fällen erfüllt. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen, aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt, als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0243).

3.1.2.1. Zu einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz

Im Hinblick auf die Provinz Ghazni ist dem festgestellten Sachverhalt zu entnehmen, dass sie zu den volatilen Provinzen zählt und zuletzt Hauptschauplatz von Kämpfen zwischen Taliban und Regierung und schwer umkämpft war. Zwar ist der Distrikt Jaghuri, aus dem der Beschwerdeführer stammt, hiervon in eher geringem Ausmaß betroffen. Allerdings ist insbesondere das Reisen in der Provinz bedingt durch Taliban-Checkpoints und die generelle Sicherheitslage entlang der Straßen (Kämpfe, Angriffe, Sprengfallen, etc.) sehr gefährlich. Die sichere Erreichbarkeit des Herkunftsdorfs ist damit bedingt durch die erforderliche Anreise auf dem Landweg von etwa Kabul aus nicht gegeben.

Der Einschätzung der EASO Country Guidance zufolge ist das Gewaltniveau in der Provinz Ghazni generell hoch, jedoch reiche die bloße Anwesenheit in der Provinz noch nicht aus, um vom reale Riko ernsthaften Schadens iSd Art. 15 lit. c Statusrichtlinie auszugehen. Individuelle Elemente seien zu berücksichtigen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 3.3 Article 15(c) QD, Abschnitt Ghazni, S. 124). Gegenständlich ist mit Blick insbesondere auf die die gefährliche Anreise davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seine Herkunftsregion die rea

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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