TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/28 W226 2210780-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.06.2021
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Entscheidungsdatum

28.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W226 2210780-1/7E


IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Dr. Alexander Philipp, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2018, Zl.: 723176909-170622734, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.05.2021 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Im Umfang des Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG wird die Beschwerde gegen den Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen den restlichen Umfang des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gegen XXXX gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 52 FPG 2005 iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

XXXX wird eine „Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF und § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF erteilt.

III. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte IV. und V. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1 Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste mit seiner Mutter, seinem Stiefvater und seinen (Stief-)Geschwistern 2002 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 30.10.2002 als 10-jähriger, vertreten durch seine Mutter als seine gesetzliche Vertreterin, einen Asylerstreckungsantrag bezogen auf den Asylantrag seines Stiefvaters, XXXX .

1.2 Mit Bescheid vom 26.05.2003, Zahl: 02 31.766-BAS, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Stiefvaters des BF ohne in die Sache einzutreten gemäß § 4 Abs. 1 AsylG 1997 als unzulässig zurück. Mit Bescheid vom 26.05.2003 wurde folglich auch der Asylerstreckungsantrag des BF abgewiesen.

1.3 Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 01.03.2004 wurde der Berufung des Stiefvaters des BF gemäß § 32 Abs. 2 AsylG 1997 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.05.2003 stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 03.03.2004 wurde folglich auch der Berufung des BF gemäß § 32 Abs. 2 AsylG 1997 stattgegeben und der Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.05.2003 als überholt behoben.

1.4 Ohne Durchführung einer weiteren Einvernahme wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 29.07.2004, Zahl: 02 31.766-BAS, den Asylantrag des Stiefvaters des BF in Spruchpunkt I. gemäß § 7 AsylG 1997 ab und erklärte in Spruchpunkt II. des Bescheides die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Stiefvaters des BF in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig. In Spruchpunkt III. wurde der Stiefvater des BF gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.07.2004 wurde folglich auch der Asylerstreckungsantrag des BF gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 abgewiesen.

1.5 Am 26.06.2006 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat statt, wobei der Stiefvater angab, dass die Russen Säuberungen durchgeführt hätten und er verfolgt worden sei, weil er für die Schutztruppe gearbeitet habe. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 27.06.2006, GZ: 238.400/17-VIII/40/06, wurde der Berufung des Stiefvaters des BF gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.07.2004, Zahl: 02 31.766-BAS, stattgegeben und ihm gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Der Unabhängige Bundesasylsenat stellte dabei ua fest, dass der Stiefvater des BF von XXXX bis zu seiner Ausreise aus Tschetschenien in der Schutztruppe eines Ministers, zur Zeit der Präsidentschaft XXXX , arbeitete und wegen dieser Tätigkeit vom russischen Geheimdienst gesucht wurde. Der Unabhängige Bundesasylsenat begründete weiter:

„[…] Die vom Berufungswerber geschilderten Bedrohungen finden statt. Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass dem Berufungswerber, wegen seiner Tätigkeit in einer Schutztruppe eines Ministers, asylrelevante Verfolgung droht. Vor dem Hintergrund der in der Länderdokumentation dargestellten schweren Menschenrechtsverletzungen kann in diesem Zusammenhang auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Berufungswerber der Gefahr der Verschleppung durch russische Sicherheitsorgane ausgesetzt wäre.

Wegen der konkreten Gefährdung des Berufungswerbers konnte in seinem Fall […] keine innerstaatliche Fluchtalternative in seinem Herkunftsstaat ermittelt werden.

Der Berufungswerber hat somit glaubhaft machen können, dass ihm in seinem Herkunftsstaat Verfolgung wegen zumindest „unterstellter politischer Gesinnung“ im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht […]“.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 29.06.2006, GZ: 238.397/6-VIII/40/06, wurde folglich auch der Berufung des BF gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.07.2004 stattgegeben und ihm gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 durch Erstreckung Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

1.6 Am XXXX (rechtskräftig am XXXX ) wurde der BF vom Landesgericht XXXX wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 1. Satz StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je Euro 4, im Nichteinbringungsfalle 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je Euro 4, im Nichteinbringungsfalle 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Der unbedingte Teil der Geldstrafe wurde am 25.03.2015 vollzogen und der bedingte Teil der Geldstrafe am 10.10.2018 endgültig nachgesehen.

1.7 Am 16.01.2018 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den BF wegen des Verdachts der Unterdrückung von Beweismitteln durch Löschung der Daten des Mobiltelefons gemäß § 295 StGB eingestellt, weil kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung bestand.

1.8 Am 27.08.2018 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich zu einer möglichen Aberkennung einvernommen, wobei er vorbrachte, er sei gesund, ledig und habe keine Kinder. Seine (Stief)Geschwister und seine Mutter sowie sein Stiefvater würden in Österreich leben. Er beziehe Mindestsicherung, beginne aber im September eine Lehre. Zuvor habe er bei XXXX eine Lehre in XXXX begonnen. Er habe in Österreich die Hauptschule, Polytechnische Schule und die Handelsschule besucht. Er sei in einem Ringerverein gewesen und trainiere viel in seiner Freizeit. Er kenne einen Onkel in Tschetschenien, mit welchem er alle halben Jahre Kontakt habe.

1.9 Mit Bescheid vom 25.10.2018 erkannte das BFA dem BF den diesem mit Bescheid vom 29.06.2006, Zahl: 238.397/6-VIII/40/06, zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG), ab und stellte fest, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem BF nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG iVm § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Unter Spruchpunkt V. wurde gegen den BF ein Einreiseverbot auf die Dauer von zwei Jahren erlassen.

Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten, führte das BFA aus, dass laut Einvernahme des BF vom 27.08.2018 diesem Asyl aufgrund der Tschetschenienkriege gewährt worden sei. Die Lage in der tschetschenischen Teilrepublik habe sich mittlerweile allerdings erheblich verbessert. Auch stehe aufgrund des Länderinformationsblatt fest, dass davon auszugehen ist, dass sich die russischen bzw. tschetschenischen Behörden mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen, welche im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen, konzentrieren würden und sohin Veteranen der Tschetschenienkriege bzw. der Angehörigen keine Verfolgungshandlungen durch die Behörden mehr drohen würden. Der BF sei daher nicht mehr schutzbedürftig und werde auch nicht aus allfälligen nach seiner Ausreise entstandenen Gründen der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt sein.

Betreffend Spruchpunkt II. hielt die belangte Behörde fest, dass der BF sich aufgrund seiner familiären Vernetzung, Sozialisation in der tschetschenischen Community, Sprachfertigkeiten und Erwerbsfähigkeit binnen kurzer Zeit erneut eine gesicherte Existenz in der Russischen Föderation aufbauen könne. Außerdem gäbe es in der Russischen Föderation ein umfassendes Sozialsystem, welches auch Arbeitslosenhilfe zur Verfügung stelle. Dafür, dass dem BF bei einer Rückkehr eine Verletzung seines Rechts auf Leben oder körperliche Unversehrtheit, Folter oder unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe, gäbe es daher keine Hinweise. Dass die Wiedereinreise in die Russische Föderation gefahrlos erfolgen kann, ergäbe sich aus den Länderinformationen. Es seien laut Länderinformationsblatt keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten.

Die Rückkehrentscheidung begründete das BFA, damit, dass der BF bereits einmal verurteilt worden, in den letzten fünf Jahren lediglich 14 Tage einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen und sonst stets von Transferleistungen abhängig gewesen sei. Dessen Behauptung, Mitte September eine Lehre anzutreten, entspreche offenkundig nicht der Faktenlage. Auch habe der BF entgegen seiner Zusage auch sechs Wochen nach dem behaupteten Lehrantritt keinen Lehrvertrag übermittelt. Trotz der langen Aufenthaltsdauer des BF sei dem BF jegliche Integration bzw. Aufenthaltsverfestigung in Österreich abzusprechen, auch hätten angesichts seiner notorischen Abhängigkeit von Transferleistungen, wodurch das österreichische Sozialsystem nachhaltig geschädigt werde, und seiner kriminellen Vorgeschichte seine familiären bzw. privaten Interessen hinter jenen der Öffentlichkeit zurückzutreten. Überdies sei ein Familienleben zwischen erwachsenen Kindern und deren Angehörigen nach einhelliger Rechtsprechung sämtlicher Instanzen nur dann schützenswert iSd Art 8 EMRK, wenn weitere Umstände der wechselseitigen Abhängigkeit hinzuträten. Hierfür gäbe es jedoch keine Hinweise.

Zum Einreiseverbot führte die belangte Behörde aus, dass § 53 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt sei, weil der BF erwerbslos sei. Durch die Absenz nennenswerter Barmittel, welche durch den notorischen und langjährigen Sozialleistungsbezug des BF belegt werde, sei es wahrscheinlich, dass der BF zwecks Lukrierung einer Einkommensquelle der Schwarzarbeit nachgehen, verschiedene Delikte in Erwerbsabsicht begehen und sohin in die Illegalität abgleiten oder dem Sozialsystem zur Last zu fallen werde. Aufgrund dieser begründeten Annahme, sei davon auszugehen, dass das Verhalten des BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Wie bereits festgestellt, seien die familiären und privaten Anknüpfungspunkte des BF in Österreich nicht dergestalt, dass sie einen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden.

1.10 Gegen den Bescheid des BFA vom 25.10.2018 erhob der BF vollumfängliche Beschwerde, in welcher insbesondere die Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung moniert wurde.

Zur Aberkennung des Asylstatus wurde vorgebracht, dass die Feststellungen der belangten Behörde, wonach sich die Lage in der Russischen Föderation seit 2002 erheblich verändert hätten, jeglicher Grundlage entbehren und den Länderfeststellungen widersprächen. Es gäbe weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, Verschwindenlassen, Geiselnahmen, rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und Fälschung von Straftatbeständen. Die tschetschenische Regierung gehe auch mit ihren Sicherheitsbehörden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer, vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner hart vor. Dies würde auch bei „unerwünschten“ Gruppen angewendet, wie lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder salafistische Muslime. Außerdem hätte sich die belangte Behörde nicht dem zugrundeliegenden Asylbescheid des BF beschäftigt, sondern habe nur ausgeführt, dass der BF niemals einer Gefährdung ausgesetzt gewesen sei und ihm der Schutzstatus lediglich im Familienverfahren zuerkannt worden sei.

Bezüglich Spruchpunkt II. wurde auf die Menschenrechtslage in Tschetschenien und auf die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen für Rückkehrer verwiesen. Der BF habe seine Heimat in jungen Jahren verlassen und sei im Herkunftsland nicht sozial integriert.

Zur Rückkehrentscheidung brachte der BF vor, anders als von der belangten Behörde dargestellt, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Weiters sei seine Kernfamilie in Österreich aufhältig und liege seine Verurteilung bereits fünf Jahre zurück.

Zum Einreiseverbot wurde festgehalten, dass die belangte Behörde tatsachenwidrig ausgeführt habe, dass der BF gemäß § 53 Abs. 2 Z 6 FPG keine Mittel zu seinem Unterhalt nachzuweisen vermöge. Der BF sei allerdings in Vollzeit beschäftigt. Weiters habe die belangte Behörde ausgeführt, dass der BF aufgrund der Schwere seines Fehlverhaltens eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, ohne darzulegen, worauf sich ein schweres Fehlverhalten des BF gründe.

1.11 Am 18. Mai 2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, wobei der BF vom erkennenden Gericht nochmals ergänzend zur begangenen Straftat, zu den Fluchtgründen seines Stiefvaters, zu den aktuellen Rückkehrbefürchtungen betreffend die Russische Föderation bzw. Tschetschenien sowie zu seiner Integration in Österreich befragt wurde.

1.12 Am 14.06.2021 legte der BF dem Bundesverwaltungsgericht die folgenden Urkunden vor: Versicherungsdatenauszug, alter Dienstvertrag, aktueller Dienstvertrag, Lohnzettel Mai 2021, Jahres- und Abschlusszeugnis des polytechnischen Lehrgangs, Jahreszeugnis Berufsschule sowie eine Unterstützungserklärung des Arbeitsgebers.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Die Identität des BF steht fest. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Er spricht Russisch, Tschetschenisch und Deutsch.

1.2 Im Jahre 2002 verließen der BF und seine Mutter, sein Stiefvater sowie seine (Stief)Geschwister ihr Herkunftsland und reisten illegal ins Bundesgebiet ein, wo sie am 31.10.2002 einen Asylantrag stellten. Der BF war damals etwa 10 Jahre alt und wurde für diesen ein Asylerstreckungsantrag bezogen auf den Asylantrag seines Stiefvaters, XXXX , von seiner Mutter mangels eigener Fluchtgründe gestellt.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 27.06.2006 wurde dem Stiefvater des BF in zweiter Instanz Asyl gewährt und folglich wurde auch dem BF sowie seinen übrigen, mitgereisten Familienmitgliedern gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 durch Erstreckung Asyl gewährt. Der Unabhängige Bundesasylsenat stellte bezüglich des Stiefvaters des BF ua fest, dass dieser von XXXX bis zu seiner Ausreise aus Tschetschenien in der Schutztruppe eines Ministers, zur Zeit der Präsidentschaft XXXX , arbeitete und wegen dieser Tätigkeit vom russischen Geheimdienst gesucht wurde und ihm eine asylrelevante Verfolgung wegen zumindest „unterstellter politischer Gesinnung“ im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Vor dem Hintergrund der in der Länderdokumentation dargestellten schweren Menschenrechtsverletzungen konnte der Unabhängige Bundesasylsenat in diesem Zusammenhang auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass der Stiefvater des BF der Gefahr der Verschleppung durch russische Sicherheitsorgane ausgesetzt wäre.

1.3 Der BF besuchte in Österreich eine Hauptschule, polytechnische Schule sowie eine Landesberufsschule und begann eine Lehre in der Elektroinstallationstechnik in XXXX . Er absolvierte die allgemeine Schulpflicht an der polytechnischen Schule. Der BF arbeitete bisher von 01.06.2009 bis 17.01.2010 als Arbeiterlehrling beim XXXX , von 01.02.2010 bis 11.06.2010 als Arbeiterlehrling beim Technischen Ausbildungszentrum XXXX , von 27.01.2011 bis 31.01.2011 im XXXX in geringfügiger Beschäftigung, von 02.05.2018 bis 16.05.2018 als Arbeiter bei der Firma XXXX , von 04.02.2019 bis 24.06.2019 bei der XXXX , von 12.12.2019 bis 12.12.2019 bei der XXXX von 27.03.2020 bis 24.05.2020 bei der XXXX in geringfügiger Beschäftigung und seit 05.05.2021 in Vollzeitbeschäftigung bei der XXXX . Dieser Job gefällt dem BF, er ist dort im Büro tätig und zB für die Dienstpläne der Mitarbeiter zuständig. Dort verdient der BF monatlich ca 1.211 Euro. Zwischen diesen Zeiten der Erwerbstätigkeit von insgesamt ca 20 Monaten bezog der BF immer wieder Sozialleistungen.

Der BF ist Mitglied eines Kampfsportclubs und betreibt Sport in seiner Freizeit. Er verfügt über Freunde und soziale Kontakte in Österreich.

1.4 Der BF ist gesund und nimmt keine Medikamente. Der BF ist nunmehr strafgerichtlich unbescholten. Seine Verurteilung vom Landesgericht XXXX wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 1. Satz StGB zu einer Geldstrafe aus dem Jahre 2013 ist mittlerweile getilgt.

1.5 Der BF ist ledig, lebt in keiner Beziehung und hat keine Kinder. Der BF hat eine intensive familiäre Bindung zu seiner Mutter und seinen Geschwistern, er wohnt mit diesen in einem gemeinsamen Haushalt in einer Wohnung im XXXX , wofür er auch einen Beitrag zahlt. Die Geschwister des BF, die Mutter des BF und der BF unterstützen sich gegenseitig finanziell. Der Stiefvater lebt getrennt von ihnen und arbeitet als LKW-Fahrer. Seine Geschwister haben Lehrausbildungen begonnen bzw sind auf Arbeitssuche.

In der Russischen Föderation leben noch weitere Verwandte des BF, er hat allerdings nur noch zu einem Onkel väterlicherseits jedes halbe Jahr Kontakt.

1.6 Festgestellt wird, dass der in Art. 1 Abschnitt C Z 5 der GFK angeführte Endigungsgrund eingetreten ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Vater des BF oder dem BF im Falle der Rückkehr eine aktuelle Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohen würde.

1.7 Eine Rückkehr des BF in die Russische Föderation stellt keine Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention dar. Im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation droht dem BF weder die Todesstrafe noch eine Haftstrafe unter unmenschlichen Bedingungen, Folter oder unmenschliche Behandlung.

Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Folter oder unmenschliche Behandlung, ihm droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation auch keine Verfolgung wegen der Asylantragstellung oder wegen des langjährigen Aufenthaltes außerhalb der Russischen Föderation.

Es ist dem BF jedenfalls möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation, entweder in Tschetschenien selbst oder auch in anderen Landesteilen niederzulassen und anzumelden sowie durch eigene Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele russische Städte verfügen über eine große tschetschenische Diaspora und bieten die stärkeren Metropolen und Regionen Russlands bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch Chancen für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der BF hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung.

1.8 Zur Lage in der Russischen Föderation/Tschetschenien:

Politische Lage

Letzte Änderung: 04.09.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

?        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

?        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 17.7.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020

?        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

?        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

?        MDR 16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020

?        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

?        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

?        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

?        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

?        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

?        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

?        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.04.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

?        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

?        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

?        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

?        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

?        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 04.09.2020

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2019). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.3.2020).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden, sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter, etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2019). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2019).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2019). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung in Einklang stehen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019, USDOS 11.3.2020). Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht. Mit Ende 2018 waren beim EGMR 11.750 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2018 wurde die Russische Föderation in 238 Fällen wegen einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Verstöße gegen das Recht auf Leben, insbesondere im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Tschetschenien oder der Situation in den russischen Gefängnissen. Außerdem werden Verstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gerügt (ÖB Moskau 12.2019).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer „nichtgenehmigten“ friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die „Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen“. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 13.2.2019).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 13.2.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 10.3.2020

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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