TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/2 W111 2192954-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2021
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Entscheidungsdatum

02.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W111 2192953-1/8E

W111 2192954-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Dr. Dajani, LL.M., über die Beschwerden vonXXXX , geb. XXXX , und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Russische Föderation und vertreten durch XXXX und XXXX , Rechtsanwälte in XXXX , gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2018, Zln.: 1.) 831299905/1715750 und 2.) 831299807/1715768, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.05.2021:

A) Die Verfahren werden insoweit wegen Zurückziehung der Beschwerden gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Dajani, LL.M., über die Beschwerde vonXXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation und vertreten durch XXXX und XXXX , Rechtsanwälte in XXXX , gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2018, Zln.: 1.) 831299905/1715750, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.05.2021, zu Recht:

A) I. In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis VI. wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 XXXX , geb. XXXX , der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt.

II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005, wird XXXX , geb. XXXX , eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte in der Dauer von einem Jahr erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Dajani, LL.M., über die Beschwerde von2.) XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation und vertreten durch XXXX und XXXX , Rechtsanwälte in XXXX , gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2018, Zln.: 2.) 831299807/1715768, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.05.2021, zu Recht:

A) I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und III. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides, wie folgt zu lauten hat:

„II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen.“

II. In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG 2005 iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

III. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 wird 2.) XXXX , geb. XXXX , der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerinnen stellten infolge illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 07.09.2013 die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen sie am 09.09.2013 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurden.

Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) gab an, sie sei Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, bekenne sich zum islamischen Glauben und habe den Herkunftsstaat am 20.08.2013 gemeinsam mit ihrer Mutter verlassen. Sie leide an Problemen mit den Nieren und damit verbundenem Bluthochdruck und müsse Medikamente einnehmen; im Zuge des vorangegangenen Aufenthaltes in Polen sowie infolge der Einreise nach Österreich sei sie jeweils im Spital untersucht worden. Zum Grund ihrer Flucht gab die BF1 an, ihr Bruder sei drei Monate zuvor spurlos verschwunden. Seither seien insgesamt viermal maskierte Männer zu ihnen nach Hause gekommen und hätten nach dem Bruder gefragt. Sie hätten auch ihr Haus angezündet, woraufhin sie bei einem Onkel gewohnt hätten. Im Falle einer Rückkehr hätte sie Angst vor jenen maskierten Männern.

Die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) tätigte gleichlautende Angaben zu ihrer Staatsangehörigkeit, Volksgruppe und Religion und führte weiters aus, verwitwet zu sein und zuletzt als Buchhalterin gearbeitet zu haben. Anfang August 2013 habe sie den Entschluss gefasst, ihr Herkunftsland gemeinsam mit ihrer Tochter zu verlassen. Zum Grund ihrer Flucht führte sie aus, ihr Sohn habe im Juni 2013 das Haus verlassen und sei nie zurückgekommen. Sie habe nach diesem, auch bei den Behörden gesucht, doch es habe ihr niemand helfen können. Rund zwei Wochen nach dessen Verschwinden seien fünf maskierte uniformierte Männer in ihr Haus eingedrungen, hätten nach dem Sohn gefragt und gefordert, dass die BF2 ihren Sohn ausliefere. Die Männer hätten ihr nicht glauben wollen, dass ihr der Aufenthaltsort ihres Sohnes wirklich nicht bekannt wäre. In der Folge seien die Männer insgesamt vier Mal zu ihr gekommen. Nach dem zweiten Besuch habe sie ein Feuer neben dem Haus entdeckt, welches dazu geführt hätte, dass das Haus so abgebrannt wäre, dass es nicht mehr bewohnbar gewesen sei. Seither hätte sie dann bei ihrem Bruder gewohnt. Da die Männer ihr gedroht hätten, dass sie, sollte sie den Aufenthaltsort ihres Sohnes nicht preisgeben, auch ihre Tochter verlieren würde, habe sie beschlossen, gemeinsam mit ihrer Tochter zu flüchten.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete in der Folge nach den Bestimmungen der Dublin III-Verordnung ein Konsultationsverfahren mit Polen ein.

Einer durch eine Sachverständige im Bereich der Allgemeinmedizin und psychotherapeutischen Medizin erstellten gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 23.09.2013 lässt sich entnehmen, dass die bei der BF1 vorliegende (psychische) Symptomatik Folge ihrer organischen Krankheit sei und sich derzeit keine krankheitswerte psychische Störungen finden würde. Eine Dialyse erscheine angezeigt, das weitere Prozedere und die erforderliche Behandlungsdauer würden abzuwarten bleiben. Im Falle der BF2 hätten sich sowohl eine Anpassungsstörung aufgrund Sorge um die Tochter sowie Trauer um das Verschwinden des Sohnes, als auch eine bereits vermutlich länger bestehende depressive Grundhaltung gefunden. Eine antidepressive Therapie sei anzuraten.

Aus einer Interpretation der bis dato vorliegenden medizinischen Befunde durch die bereits vormals hinzugezogene Sachverständige vom 05.12.2013 ergibt sich, dass die BF1 offensichtlich seit ihrer Kindheit an einer chronischen Nierenerkrankung leide, welche zu einer Zerstörung der Nierenstruktur und damit deren Funktion führen würde. Da eine Transplantation einer gespendeten Niere derzeit nicht sinnvoll erschienen sei, werde nunmehr eine Dialyse durchgeführt und die Ursache der Erkrankung weiter erforscht. Ein akut lebensbedrohlicher Zustand sei in der vorliegenden Berichtslage nicht beschrieben worden. Grundsätzlich habe diese Form der Nierenerkrankung eine eher schlechte Prognose, die diesbezügliche Beurteilung obliege jedoch Fachärzten.

Die BF1 gab im Rahmen einer am 17.02.2014 im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetschers abgehaltenen niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen an, sie befinde sich in einem schlechten Allgemeinzustand und müsse dreimal wöchentlich zur Dialyse ins Krankenhaus. Es sei eine Nierentransplantation in Aussicht genommen, die Niere ihrer Mutter sei für die Transplantation geeignet. Ihr Gesundheitszustand stehe einer Überstellung nach Polen entgegen.

Einer ärztlichen Stellungnahme durch die Interne Abteilung eines Landesklinikums vom 19.02.2014 lässt sich im Wesentlichen entnehmen, dass die BF1 an einer terminalen dialysepflichtigen chronischen Niereninsuffizienz bei fortgeschrittener Immunkomplex-Glomerulonephritis leide und seit Oktober 2013 dreimal wöchentlich einer lebenserhaltenden Hämodialyse unterzogen werde. Als weitere Therapie sei bei der Genannten eine Lebendnierenspende durch die Mutter der Patientin geplant, die diesbezüglichen Grunduntersuchungen seien bereits durchgeführt worden. Im Falle einer Abschiebung nach Polen sei zu befürchten, dass die geplante Lebendspende dort nicht durchführbar sei und die BF1 sich vermutlich auf lange Zeit einer chronischen Hämodialyse unterziehen müsste.

Mit Schreiben vom 20.02.2014 wurde seitens eines Rechtsberaters eine Stellungnahme zur beabsichtigten Überstellung nach Polen erstattet.

Am 24.02.2014 erstattete die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl eine Anfragebeantwortung zur Möglichkeit von Dialyse in Polen.

Am 21.05.2014 wurden die Beschwerdeführerinnen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jeweils im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache und ihres bevollmächtigten Vertreters niederschriftlich zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz einvernommen.

Die BF1 gab zusammengefasst an, sie fühle sich zur Durchführung der Einvernahme in der Lage. Aktuell ginge sie jeden zweiten Tag zur Dialyse, welche sie sehr schlecht vertrage. Sie nehme viele starke Medikamente ein und werde gegenwärtig auf eine Transplantation vorbereitet. Zum Grund ihrer Flucht aus dem Herkunftsland gab sie an, man habe sie dort nicht in Ruhe leben lassen. Maskierte Personen seien in ihr Haus eingedrungen, nachdem ihr Bruder verschwunden wäre. Sie seien insgesamt viermal gekommen, beim vierten Mal, als die BF1 nicht zu Hause gewesen sei, hätten sie ihr Haus in Brand gesteckt. Über die Gründe für das Verschwinden ihres Bruders sei sie nicht in Kenntnis. Die maskierten Männer hätten sie bedroht und zur Bekanntgabe des Aufenthaltsorts des Bruders aufgefordert. Um wen es sich bei den Männern gehandelt hätte, könne sie nicht sagen. Weshalb nach ihrem Bruder gesucht worden sei, sei ihr ebenfalls nicht bekannt. Sie habe keine Kenntnis darüber, dass ihr Bruder politisch aktiv gewesen wäre oder sich an Kampfhandlungen beteiligt hätte. Die Männer hätten sie nicht geschlagen oder misshandelt, jedoch angedroht, sie zu töten. Der für die Flucht ausschlaggebende Grund sei die Brandstiftung an ihrem Haus Ende Juli gewesen. Im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation hätte sie Angst, von diesen Leuten getötet zu werden; diese könnten sie überall innerhalb des Staatsgebietes finden.

Die BF2 gab zusammengefasst an, sie sei im Wesentlichen gesund und habe noch Angehörige in Tschetschenien. Zum Grund ihrer Flucht schilderte sie, sie habe bereits seit längerem das Gefühl gehabt, dass ihr Sohn verfolgt werde. Eines Tages sei dieser weggegangen und nicht mehr zurückgekommen. Sie habe ergebnislos eine Vermisstenanzeige erstattet und Erkundigungen bei Verwandten eingeholt. Etwa eine Woche später seien nachts maskierte Militärangehörige in ihr Haus eingedrungen, welche den Aufenthaltsort ihres Sohnes hätten erfahren wollen. Sie hätten ihr nicht geglaubt, dass sie darüber nicht in Kenntnis sei, hätten das gesamte Haus durchsucht und ihre Tochter mit dem Umbringen bedroht. Diese Männer seien insgesamt vier Mal zu ihnen gekommen. Weshalb sie nach dem Sohn suchen würden, hätten sie ihnen nicht mitgeteilt. Etwa zwei Wochen vor dem Verschwinden ihres Sohnes habe es jedoch einen Vorfall gegeben, bei welchem ihr Sohn Zeuge eines Mordes geworden sei. In ihrer Nachbarschaft sei ein Ermittler getötet worden, die BF2 und ihr Sohn hätten im Vorfeld zwei Männer beobachtet und in der Folge Schüsse gehört. Die Polizei habe dann alle aus der Umgebung befragt; unter diesen Polizisten seien auch die beiden am Vortag beobachtenden Männer gewesen. Die BF2 hätte gesagt, nichts gesehen zu haben und habe auch ihren Sohn mehrfach aufgefordert, niemandem davon zu erzählen. Seit diesem Vorfall sei ihr Sohn wie verrückt gewesen, er hätte Angst gehabt, die BF2 vermute, dass diese Leute ihn verfolgt hätten. Sie denke, ihr Sohn habe einfach Angst bekommen, sei geflüchtet und verstecke sich irgendwo. Nachdem die Männer sie zum vierten Mal aufgesucht hätten, hätten sie ihr Haus in Brand gesteckt, im Anschluss sei sie zu ihrem Bruder gegangen und sei dann gemeinsam mit ihrer Tochter ausgereist. Sie fürchte, dass man sie im Falle einer Rückkehr töten würde. Sie hätte nicht die Möglichkeit gehabt, sich in einem anderen Teil ihres Herkunftslandes niederzulassen, da man sie überall gefunden hätte.

Aus den weiters in Vorlage gebrachten ärztlichen Unterlagen ergibt sich insbesondere, dass bei der BF1 im Juli 2014 eine Nierentransplantation erfolgte.

Im August 2016 suchte die BF1 um unterstützte freiwillige Rückkehr in den Herkunftsstaat an.

Am 06.10.2016 ist die BF1 unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgereist.

Mit Aktenvermerk vom 20.10.2016 wurde das Verfahren auf internationalen Schutz der BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt.

Infolge neuerlicher Einreise in das Bundesgebiet im März 2017 stellte die Genannte am 21.11.2017 einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens.

Am 18.12.2017 wurde die BF1 im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ergänzend einvernommen. Danach gefragt, was sie zur freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland im Oktober 2016 bewogen hätte, erklärte die BF1, sie habe ihren im Heimatland verbliebenen Bräutigam vermisst; deshalb sei sie zurückgekehrt und habe diesen geheiratet. Sie sei mit diesem seit etwa 2010 verlobt gewesen und habe ihn im Oktober 2016 traditionell sowie im März 2017 standesamtlich geheiratet. Die Geldmittel der unterstützten freiwilligen Rückkehr in Höhe von EUR 2.800,- habe sie für Krankenhauskosten aufgebraucht. Befragt, weshalb sie trotz der einige Monate zuvor stattgefundenen Transplantation nach Tschetschenien zurückgegangen wäre, wiederholte die BF1, sie habe ihren Freund heiraten wollen und habe gedacht, dass sie schon zurück könne. Nach der Rückkehr in den Herkunftsstaat habe sie keine Probleme erlebt. Ihr Bruder sei nach wie vor verschollen. Sie habe im Elternhaus ihres Ehemannes gelebt und sei von diesem und den Schwiegereltern, welche sich unverändert in Tschetschenien aufhielten, versorgt worden. Im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien hätte sie Angst, dass sie die benötigten Medikamente nicht erhalten würde.

Am 01.03.2018 erstattete die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl eine Anfragebeantwortung zu Nierentransplantationen und der Erhältlichkeit der von der BF1 benötigten Medikamente in der Russischen Föderation.

2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerinnen gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat „Russland“ (Spruchpunkte II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die beschwerdeführenden Parteien eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte V.) und die Frist für deren freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte VI.).

Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerinnen hätten eine ihnen im Herkunftsstaat drohende Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Diese seien aufgrund der Behandlung der Nierenerkrankung der BF1 nach Österreich gereist. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerinnen im Herkunftsstaat von konkreten individuellen Verfolgungshandlungen betroffen gewesen wären oder solche künftig zu befürchten hätten.

Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde hierzu erwogen, bereits der Umstand, dass die BF1 im Oktober 2016 freiwillig in den Herkunftsstaat zurückgekehrt wäre, um dort zu heiraten und sich in der Folge bis März 2017 in Tschetschenien aufgehalten habe, zeuge vom Nichtvorliegen einer Verfolgung, sodass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerinnen als nicht glaubhaft zu befinden sei. Die BF1 habe selbst festgehalten, infolge ihrer Rückkehr nach Tschetschenien von keinerlei Problemen mit den dortigen Behörden betroffen gewesen zu sein und nur deshalb wieder nach Österreich zurückgekehrt zu sein, da ihr die Medikamente ausgegangen wären. Die zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr erhaltenen Geldmittel habe diese zum Teil für die neuerliche illegale Reise nach Österreich verwendet, sodass davon auszugehen sei, dass diese ihren Antrag auf internationalen Schutz lediglich zum Zweck der Behandlung ihrer Nierenerkrankung gestellt hätte. Vor dem dargestellten Hintergrund sei auch der gleichlautende Fluchtgrund der BF2 als unglaubwürdig zu werten gewesen. Zudem sei es innerhalb der Schilderungen der Genannten zu erheblichen Unstimmigkeiten gekommen. Den Umstand, dass der Grund des Verschwindens ihres Sohnes darin gelegen hätte, dass dieser zuvor Zeuge eines Mordes geworden wäre, habe die BF2 erst spät im Verfahren zur Sprache gebracht und sie habe nicht nachvollziehbar darzulegen vermögen, weshalb ihr Sohn in der Folge einer derart vehementen Suche hätte ausgesetzt sein sollen. Zudem habe sie widersprüchlich davon gesprochen, ob ihr Haus beim zweiten oder aber erst beim vierten Besuch der maskierten Männer angezündet worden wäre. Es seien daher keine Anhaltspunkte auf das Vorliegen eines asylrelevanten Sachverhaltes hervorgekommen.

Weiters habe nicht festgestellt werden können, dass die beschwerdeführenden Parteien im Herkunftsstaat einer realen Gefahr der Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt sein würden oder eine Rückkehr für diese als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr mit einem gänzlichen Entzug ihrer Lebensgrundlage zu rechnen hätten oder von einer existenzbedrohenden oder medizinischen Notlage betroffen wären. Diese könnten im Falle einer Rückkehr auf die Unterstützung ihrer dort zahlreich aufhältigen Angehörigen zurückgreifen. Die BF1 sei in Österreich einer Nierentransplantation unterzogen worden und nehme diesbezüglich fortlaufend Medikamente ein. Diese hätte bereits im Vorfeld der Ausreise aus dem Herkunftsstaat sowie nach der Rückkehr nach Tschetschenien im Jahr 2016 ärztliche Hilfe in Anspruch genommen und es ließe sich der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.03.2018 entnehmen, dass die Inhaltstoffe der von ihr benötigten Medikamente im Herkunftsstaat verfügbar seien; wenngleich Nachbehandlungen von Nierentransplantationen in Tschetschenien nicht möglich wären, so könnten Patienten eine entsprechende Klinik in Moskau konsultieren.

Die beschwerdeführenden Parteien würden ein Familienleben lediglich untereinander führen, sodass die für alle Familienmitglieder ausgesprochene Rückkehrentscheidung zu keinem Eingriff in deren Recht auf Achtung des Familienlebens führe. Die beschwerdeführenden Parteien hätten keine Aspekte einer außergewöhnlichen Integration vorgebracht. Demgegenüber hätten die Genannten im Herkunftsstaat ein enges familiäres Netz und beherrschten die dortigen Verkehrssprachen fließend.

3. Gegen den dargestellten Bescheid erhob die BF1 mit Eingabe vom 16.04.2018 die verfahrensgegenständliche vollumfängliche Beschwerde, zu deren Begründung im Wesentlichen ausgeführt wurde, die BF1 habe infolge ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat chronische Probleme mit ihrer transplantierten Niere gehabt und habe die zur Nachbehandlung erforderlichen Medikamente in der Russischen Föderation nicht erhalten können. Sie sei immer kränker geworden und habe deshalb nach Österreich zurückkommen müssen. Auf die von ihr in Vorlage gebrachte Liste von Medikamenten, welche sie zur Nachbehandlung dringend benötige, sei im angefochtenen Bescheid nicht ansatzweise eingegangen worden. Die von der Behörde erwähnte Anfragebeantwortung vom 01.03.2018 sei der BF1 nie zur Kenntnis gebracht worden. Angesichts der in den bisher ausgehändigten Berichten enthaltenen Informationen seien die Kosten für Medikamente privat zu tragen und es sei das für die BF1 lebensnotwendige Medikament Cellcept in der Russischen Föderation nicht erhältlich. Vor diesem Hintergrund hätte die Behörde ermitteln müssen, in wie weit die BF1 tatsächlichen Zugang zu den von ihr benötigten Medikamenten haben werde. Die im angefochtenen Bescheid zur Relevanz von Krankheiten angeführte Judikatur des EGMR sei mittlerweile durch näher zitierte jüngere Judikate überholt. Vor diesem Hintergrund hätte die Behörde zu ermitteln gehabt, ob die BF1 genügend finanzielle Mittel habe, um die benötigten Medikamente für den Rest ihres Lebens zu kaufen, wobei auch allenfalls die für eine Reise nach Moskau benötigten Kosten Berücksichtigung hätten finden müssen. Zudem hätte die in Österreich vorgenommene medizinische Behandlung im Rahmen der nach Art. 8 EMRK vorzunehmenden Interessensabwägung miteinbezogen werden müssen.

Im Verfahren der BF2 wurde ebenfalls am 16.04.2018 unter gleichzeitiger Bekanntgabe der Vertretungsmacht einer Rechtsberatungsorganisation eine vollumfängliche Beschwerde eingebracht, in welcher begründend ausgeführt wurde, die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt; zwischen der Einvernahme der BF2 und der Erlassung des gegenständlichen Bescheides sei ein Zeitraum von drei Jahren und zehn Monaten verstrichen. Im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens hätte die BF2 nach der Rückkehr ihrer Tochter aus der Russischen Föderation neuerlich befragt werden müssen, anstatt ihr diese Tatsache ohne Gewährung von Parteiengehör zur Last zu legen. Andernfalls hätte die BF2 angeben können, dass sie ihre Tochter aufgrund der drohenden Verfolgung von der Reise nach „Russland“ habe abhalten wollen. Dass der Tochter während der Zeit im Herkunftsstaat nichts zugestoßen wäre, sei nicht beweiskräftig genug, um festzustellen, dass der BF2 keine Verfolgung drohe. Entgegen den Ausführungen im Bescheid sei das Vorbringen der BF2 detailreich gewesen und es seien die von der Behörde angeführten Argumente nicht zur Begründung ihrer Unglaubwürdigkeit geeignet. Dem Umstand Rechnung tragend, dass die BF2 in Tschetschenien wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie verfolgt werde, lasse auf diese die Definition eines Flüchtlings im Sinne der GFK zutreffen, zumal die Russische Föderation nicht in der Lage sei, die Genannte vor Verfolgung zu schützen.

Die der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte seien unvollständig und teilweise veraltet und daher nicht zur Begründung einer abweisenden Entscheidung geeignet. Die Länderfeststellungen zu Tschetschenien würden ein katastrophales Bild in Bezug auf die Einhaltung und Durchsetzung von Menschenrechten zeichnen, sodass nicht nachvollzogen werden könne, wie die Behörde zum Ergebnis einer der BF2 nicht drohenden Gefährdung habe gelangen können.

Die BF2 befinde sich mittlerweile seit beinahe fünf Jahren in Österreich und bemühe sich trotz der diagnostizierten psychischen Probleme um eine Integration in die hiesige Gesellschaft.

4. Die Beschwerdevorlagen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langten mitsamt den bezughabenden Verwaltungsakten am 19.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingaben vom 28.03.2019 wurde das im Spruch ersichtliche Vollmachtsverhältnis bekannt gegeben.

Mit Eingabe vom 12.05.2021 wurden mehrere Integrationsunterlagen beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht.

5. Am 17.05.2021 wurde zur Ermittlung des entscheidungsmaßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt, an welcher die Beschwerdeführerinnen, deren gewillkürter Vertreter sowie eine Dolmetscherin für die russische Sprache teilgenommen haben. Das Bundesamt war ordnungsgemäß geladen worden, hatte jedoch bereits im Vorfeld schriftlich mitgeteilt, auf eine Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung zu verzichten.

Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung gestalteten sich, wie folgt:

„Der RV gibt bekannt, dass die BF1 und BF2 ihre Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der gegenständlichen Bescheide zurückziehen möchten. Im Vorfeld hätte eine Besprechung stattgefunden und die BFs sind sich über die Rechtsfolgen einer solchen Zurückziehung im Klaren. Festgehalten wird daher, dass die Beschwerden betreffend Spruchpunkt I. der gegenständlich angefochtenen Bescheide somit in Rechtskraft erwachsen.

Beginn der Befragung der BF1

R: Sie sind im Jahr 2016 in die Russische Föderation zurückgekehrt, wie gestaltete sich dort ihr Leben insbesondere im Hinblick auf ihr Krankheitsbild?

BF1: Es war für mich sehr schwer. Ich weiß gar nicht wie das passiert ist, mein Kopf hat sich abgeschalten. Ich war einfach nur verliebt.

R: Wie ging es ihnen dort?

BF1: Ich habe ihn geheiratet, aber dort gab es die Arzneimittel nicht die ich gebraucht habe. Deswegen ging es mir dort sehr schlecht. Ich ging zum Arzt, aber man sagte mir dort, dass ich doch wusste wie die Lage ist und ich trotzdem gekommen bin. Mir ist erst dann bewusst geworden was ich wirklich gemacht habe. Ich habe mich selbst in Gefahr gebracht.

R: Hat man Sie dort behandelt?

BF1: Nein, man hat mir nur andere Medikamente gegeben. Diese Arzneimittel haben mir nicht geholfen. Hier im XXXX war es auch schwer mich neu einzustellen auf diese Medikamente.

R: Haben Sie in Ihrer Heimat Verwandte die Sie seinerzeit unterstützt haben bzw. die Sie im Falle einer Rückkehr unterstützen könnten?

BF1: Nein, habe ich nicht.

R: Haben Sie überhaupt verwandte in Tschetschenien?

BF1: Ja, eine Tante und einen Onkel und meine Oma.

R: Unter welchen Umständen leben diese verwandten?

BF1: Was meinen Sie genau?

R wiederholt und erklärt die Frage.

BF1: Sie leben im Dorf und haben lediglich genug Geld für sich selbst. Mein Onkel und meine Großmutter bekommen jeweils eine kleine Pension.

R: Haben Sie versucht Zugang zum russischen Gesundheitssystem zu finden?

BF1: Ich habe es versucht, ich bin ins Krankenhaus gebracht worden. Man hat zwar mein Blut untersucht, aber dadurch ist es nicht besser geworden. Der Arzt hat mir dann gesagt, dass man nicht weiß was mit mir los ist.

R: 2016 waren Sie ja schon transplantiert oder nicht?

BF1: Ja. Ich war dort 4 oder 5 Monate lang, das war für mich wie eine Hölle. Nachgefragt: Ich habe versucht Zugang zum medizinischen System zu finden, aber ich habe nur unpassende Medikamente bekommen. Mir ist es da gesundheitlich nicht gut gegangen, ich bekam hohes Fieber und diese Stelle wo die Transplantation stattgefunden hat war sehr hart und hat sehr wehgetan.

R: Wie war ihr Gesundheitszustand als Sie sich entschlossen wieder nach Österreich zurückzukehren?

BF1: Als ich hierher kam bin ich sofort ins Krankenhaus gegangen. Die Ärzte waren erschrocken als sie erfahren haben, dass ich solange keine entsprechenden Medikamente eingenommen habe. Sie sagten, dass die Niere abgestoßen wird, wenn ich die Medikamente nicht regelmäßig einnehme. Jetzt geht es mir aber wieder gut.

R: Seit wann sind Sie geschieden?

BF1: Ich habe die Dokumente bekommen und dann hat er vor ca. 2 Monaten um die Scheidung angesucht.

R: Was für Dokumente?

BF1: Ich habe die Dokumente vorgelegt, das waren Scheidungspapiere.

R: Was war der Scheidungsgrund?

BF1: Wir konnten nicht mehr zusammenleben, ich kann nicht hinfahren, ich kann dort nicht leben, aber er hat mittlerweile geheiratet und hat jetzt auch ein Kind.

R: Wurden Sie in der Russischen Föderation 2016/2017 in irgendeiner Form bedroht?

BF1: In der Zeit ist nichts vorgefallen. Ich habe bei meinem Mann gelebt.

R an BF1: Möchten Sie noch etwas vorbringen?

BF1: Nein.

Beginn der Befragung der BF2:

R: Sie haben Ihre Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des gegenständlichen Bescheides zurückgezogen, ich gehe daher davon aus, dass Sie in Russland keiner gegenwärtigen Bedrohung ausgesetzt sind. Ich nehme an, das stimmt?

BF2: Ja, das ist richtig.

R: Leiden Sie unter schweren oder chronischen Krankheiten?

BF2: Ich habe eine Arthrose. Nachgefragt: Ich habe in allen Gelenken die Arthrose.

R: Was fehlt Ihnen sonst noch?

BF2: Andere schwere Erkrankungen habe ich nicht.

R: Sind Sie arbeitsfähig?

BF2: Ja, ich habe zwei Berufe.

R: Welche Berufe haben Sie denn?

BF2: Ich bin Buchhalterin und Konditorin.

R: Haben Sie Verwandte in Tschetschenien?

BF2: Ja, ich habe meine Mutter, einen Bruder und eine Schwester.

R: Haben Sie ein weiteres Vorbringen das im Hinblick auf die Gewährung subsidiären Schutzes entscheidungsrelevant wäre?

BF2: Nein.

RV verweist auf die psychotherapeutische Behandlung welche gut verläuft.

R: Bitte schildern Sie Ihre Integrationsschritte in Österreich.

BF2: Ich bin 2013 nach Österreich gekommen und habe Deutschprüfungen abgelegt. Ich habe die A2-Prüfung und die B1-Prüfung gemacht.

R: Haben Sie bereits eine Arbeitsstelle in Aussicht?

BF2: Ja. Ich habe mich um einen Arbeitsplatz bemüht und es gibt schon mehrere Arbeitsstellen, wo ich künftig arbeiten könnte. Nachgefragt: Dort wo wir leben in der Wohnung gibt es auch ein Büro, dort wurde mir eine Arbeit vorgeschlagen und auch in einem Restaurant, dort wurde mir ebenfalls eine Arbeit vorgeschlagen.

R: Wären das Vollzeitbeschäftigungen?

BF2: Wahrscheinlich Teilzeit.

R: In welchem Ausmaß?

BF2: Ich könnte dort auch ganztags arbeiten, glaube ich zumindest.

R: Im Falle der Teilzeit wie viel Stunden wären das?

BF2: Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, dass es jeden Tag vier Stunden wären.

R: Bitte schildern Sie in wieweit Sie sich mit Österreich verbunden fühlen.

BF2: Ich habe sehr viele österreichische Freunde und auch viele Bekannte. Mir gefällt es sehr gut mit diesen Leuten zu kommunizieren, weil mir auch die Art gefällt wie die Leute miteinander reden und das sie sich mit Achtung begegnen.

R: Sprechen Sie Deutsch?

BF2: Ja. Nicht so gut, aber ja.

R: Können Sie mir in deutscher Sprache schildern wie Sie heute in dieses Gebäude gekommen sind?

BF2 in deutscher Sprache: Wir wohnen in XXXX . Von XXXX bis XXXX mit dem Bus und dann bis XXXX mit dem Zug. Dann mit der U3 bis nach XXXX .

R: Beschreiben Sie ihre Kontakte nach Tschetschenien. Sind Ihre Kontakte sehr ausgeprägt oder reduziert?

BF2: Ich habe nur selten Kontakt zu meinen Verwandten in Tschetschenien.

R an BF1: Gesetzt den Fall Sie können in Österreich bleiben, wie planen Sie ihr Leben zu gestalten?

BF1: Ich möchte Kosmetikerin werden oder als Rezeptionistin in einem Hotel arbeiten. Ich habe auch schon im Internet entsprechende Erkundigungen eingeholt. Als Kosmetikerin muss ich eine Ausbildung beim XXXX absolvieren. Als Rezeptionistin muss ich auch eine Ausbildung beim XXXX machen.

R: Haben Sie einen Schulabschluss?

BF1: In Tschetschenien habe ich den Schulabschluss. Hier habe ich im Abendgymnasium ein Jahr. Ich habe es nicht geschafft, weil ich Probleme mit Mathematik habe. Dann 2018 bis 2020 habe ich ein Jahr in XXXX in einem Pfarrheim einen Deutschkurs gemacht. Ich habe ein Jahr lang dort den B1-Kurs gemacht.

R an BF1 und BF2: Sind Sie vorbestraft?

BF1 und BF2: Nein.

Vorgelegt werden die Länderinformationen der Staatendokumentation betreffend die Russische Föderation, generiert am 17.05.2021, Version 2.

RV: Die Länderberichte werden unter Hinweis auf das eigene Vorbringen zur Kenntnis genommen.

RV verzichtet auf ein Exemplar.

R an alle Anwesenden: Möchten Sie noch etwas Ergänzendes vorbringen?

BF1, BF2, RV: Nein.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der Volksgruppe der Tschetschenen an und führen die im Spruch genannten Namen. Die BF1 ist die Tochter der BF2.

Die Beschwerdeführerinnen stellten infolge illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 07.09.2013 die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Am 06.10.2016 ist die BF1 unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgereist. Infolge neuerlicher Einreise in das Bundesgebiet im März 2017 stellte die Genannte am 21.11.2017 einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens.

1.2. Infolge der Zurückziehung der Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2018, Zln.: 1.) 831299905/1715750 und 2.) 831299807/1715768, ist gegenständlich lediglich über die Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. bis VI. abzusprechen, das Verfahren bezüglich Spruchpunkt I. war jeweils einzustellen.

1.3. Die BF2 wäre nicht im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht. Hinsichtlich der Genannten bestehen keine schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Zudem besteht in der Russischen Föderation grundsätzlich eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen sie hinsichtlich allfälliger psychischer und physischer Leiden ausreichend behandelt werden könnte. Die BF2 ist im Herkunftsstaat geboren. Die BF2 verfügt über russische und tschetschenische Sprachkenntnisse. Sie hat eine (Schul-)Ausbildung im Herkunftsstaat absolviert und verfügt über Berufserfahrung in der Russischen Föderation. Im Übrigen ist sie mit den Gepflogenheiten im Herkunftsstaat vertraut. Die Beschwerdeführerinnen verfügen über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte (Mutter, Bruder und Schwester der BF2) in der Russischen Föderation. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF2 zumindest die Wohnsitznahme bei ihren dort lebenden Angehörigen offen stünde. Der BF2 ist eine Teilnahme am Erwerbsleben und eigenständige Bestreitung ihres Lebensunterhalts möglich und zumutbar.

1.4. Die geschiedene BF1 muss nach einer erfolgreichen Nierentransplantation im XXXX 2014 lebenslang immunsuppressive Medikamente einnehmen, und zwar Cellcept Ftbl 500mg, Adport Hartkps 2mg. Diese Inhaltsstoffe sind in der Russischen Föderation verfügbar. Kliniken, die Transplantationen vornehmen, geben ihren Patienten eine gewisse Menge an Medikamenten kostenfrei mit. Da die BF1 jedoch in Österreich operiert wurde, wird sie nicht in diesen Genuss kommen und wird sie alle Medikamente selbst bezahlen müssen. Die BF1 müsste um Behindertenstufe I oder II ansuchen, um vergünstigte Medikamente zu bekommen. Das ist ein sehr langwieriger Prozess, der bis zu zwei Jahre dauern kann.

Nierentransplantationen und Nachbehandlungen sind in Tschetschenien nicht möglich; in Moskau schon. Es gibt in der Russischen Föderation einige Kliniken, die Nierentransplantationen vornehmen, aber nur eine Klinik, die Leistungen für Patienten bereitstellt, die schon eine Nierentransplantation hatten. Diese befindet sich in Moskau [State clinical hospital ? 52, 123182, Moscow, Pekhotnaya street (Building Nr. 3, Nephrology, Pathology Department of transplanted kidneys) Tel: 7(499) 196-17-85; (499) 196-17-94; (499) 194-13-11; Website: https://52gkb.ru/]. Hier können auch Patienten von anderen Regionen medizinische Konsultationen und Dienstleistungen bekommen. Diese Leistungen sind nicht kostenfrei. Man braucht eine Überweisung zu dieser Klinik. Dies kann bis zu einem Jahr dauern.

In Bezug auf eine evtl. Übernahme der Kosten der Nachbehandlungen durch die öffentliche Krankenversicherung braucht man eine Registrierung am Wohnort (propiska) und muss dann das Ansuchen für die Behindertenstufe I oder II einreichen (wie oben beschrieben, dauert dieser bis zu zwei Jahre).

Die Kosten für eine Nachbehandlung sind schwer einzuschätzen, da dies von vielen Faktoren abhängt (zB Größe, Gewicht, ob Transplantat angenommen oder abgestoßen wird etc.). Ein hypothetischer Patient mit 60 kg, mit guter postoperativer Immunreaktion, wird ca. 670 Euro/Monat ausgeben. Das monatliche Durchschnittseinkommen in Tschetschenien war im Oktober 2017 ca. 345 Euro (Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.03.2018, Russische Föderation Nierentransplantation Medikamente Aprednislon, CellCept, Adport).

In Bezug auf die BF1 kann daher bei einer Prognose in Hinblick auf eine allfällige Abschiebung in die Russische Föderation bei Beachtung der konkreten Einzelsituation in ihrer Gesamtheit vor dem Hintergrund der Verhältnisse im Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sichergestellt werden, dass ihr eine ausreichende medizinische Versorgung zukommen würde und sich daher der physische Gesundheitszustand der BF1 bei einer Rückkehr zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt nicht massiv verschlechtert.

1.5. Die Beschwerdeführerinnen sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Die BF2 lebt mit der BF1 in Österreich im gemeinsamen Haushalt. Die BF2 verfügt über ein Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau B1 des ÖIF (Prüfungsdatum 19.12.2020). Auch verfügt sie über ein Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau A2 (Prüfungsdatum 11.01.2020). Die BF2 engagierte sich auch ehrenamtlich, so hat sie etwa bei der Organisation eines Sommerfestest mitgeholfen (AS 259). Weiters hat sie in einer Pfarre mitgeholfen. Zudem hat sie Reinigungsarbeiten bzw Hilfstätigkeiten im Bundesgebiet verrichtet, so hat sie etwa ein Museum bei der Reinigung der Räume unterstützt. Die BF2, die Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, verfügt über Einstellungszusagen als Köchin und als Mitarbeiterin in einem Unternehmen sowie bei einem Museum. Diese betreffen zumindest ein Ausmaß von vier Stunden pro Tag. Sie hat sich in Österreich einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Demgegenüber hat sie nur sehr selten Kontakt zu ihren Verwandten in Tschetschenien.

1.6. Zur Russischen Föderation wird insbesondere Folgendes festgestellt:

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.04.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

?        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

?        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

?        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 09.04.2020

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

?        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 09.04.2020

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

?        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 04.09.2020

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2020a). Die Verfassung postuliert die Russischen Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland ist an folgende UN-Übereinkommen gebunden:

?        Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

?        Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

?        Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

?        Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

?        Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

?        Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

?        Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.9.2012) (AA 13.2.2019).

Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 317 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat dabei fast alle Empfehlungen akzeptiert und nur wenige nicht berücksichtigt. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der EMRK. Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des EGMR um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert [Anm.: Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 13.2.2019). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 12.2019).

Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands 2019 weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikanierung bis hin zur Misshandlung durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch zu Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden, aber gleichzeitig steigt der öffentliche Aktivismus deutlich. Hinzu kommt, dass sich mehr und mehr Leute für wohltätige Projekte engagieren und freiwillige Arbeit leisten. Regionale zivile Kammern wurden zu einer wichtigen Plattform im Dialog zwischen der Zivilbevölkerung und dem Staat in Russlands Regionen (ÖB Moskau 12.2019). Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2019; vgl. FH 4.3.2020). Der konsultative „Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte“ beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 13.2.2019). Derzeit stehen insbesondere die LGBTI-Community in Tschetschenien sowie die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Russland unter Druck (ÖB Moskau 12.2019).

Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine haben zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung geführt. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden jedoch verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine deutlich, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist auch die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen. Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren auch über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe. Die meisten Vorfälle gab es, wie in den Vorjahren, in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Im Vergleich zu den Jahren 2014-2017 ist gleichzeitig ein gewisser Anstieg der fremdenfeindlichen Stimmung zu vermerken, der auch im Zusammenhang mit sozialen Problemen (der Unzufriedenheit mit der Pensionsreform und sinkenden Reallöhnen) zu sehen ist. Wenngleich der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland seit 2013 weiterhin ausgesetzt bleibt, unterstützt die EU-Delegation in Moskau den Dialog mit NGOs, Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidigern aktiv (ÖB Moskau 12.2019).

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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