TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/6 W103 2212289-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.07.2021
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Entscheidungsdatum

06.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
IntG §10 Abs2 Z1
IntG §10 Abs2 Z5
IntG §9

Spruch


W103 2212289-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2018, Zl. 1150746808-170521369, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG idgF iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG idgF auf Dauer unzulässig ist.

III. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 iVm §§ 9, 10 Abs. 2 Z 5 Integrationsgesetz, jeweils idgF, wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

IV. Die Spruchpunkte V. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsbürger der Russischen Föderation, stellte am 02.05.2017 den vorliegenden Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, nachdem er zuvor illegal ins Bundesgebiet eingereist war. Anlässlich seiner am gleichen Tag abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er gehöre der tschetschenischen Volksgruppe sowie dem islamischen Glauben an. Seine Eltern und minderjährigen Halbgeschwister hielten sich unverändert in Tschetschenien auf. Der Beschwerdeführer habe den Entschluss zur Ausreise im März 2017 gefasst und sei Ende April 2017, teils illegal und schlepperunterstützt, nach Österreich gereist.

Zum Grund seiner Flucht aus dem Herkunftsland führte der Beschwerdeführer aus, er sei in Tschetschenien im Dezember 2016 und Jänner 2017 vier Mal von unbekannten Leuten mit Waffengewalt entführt worden. Der Beschwerdeführer sei verletzt worden, habe sich jedoch nicht in ärztliche Behandlung begeben; er sei fürchterlich bedroht worden. Dem Beschwerdeführer sei nicht bekannt, wer die Entführer gewesen seien; diese hätten gedacht, dass der Beschwerdeführer Kontakt mit gegen Kadyrow eingestellten Leuten hätte. Im Falle einer Rückkehr drohe ihm Lebensgefahr.

Der Beschwerdeführer legte seinen russischen Inlandspass im Original vor.

Auf Vorhalt eines ihm laut eingeholtem Visa-Datenauszug am XXXX zu touristischen Zwecken ausgestellten, zur mehrfachen Einreise berechtigenden, spanischen Schengenvisums der Kategorie C mit einer Gültigkeitsdauer bis 11.04.2015, erklärte der Beschwerdeführer, er habe dieses Visum Ende September 2016 bei der Spanischen Botschaft in Moskau beantragt, da er sich in Spanien habe erholen wollen; der Beschwerdeführer sei am 26.10.2016 auf dem Luftweg nach XXXX gereist und habe sich dort sowie im Anschluss in XXXX je zwei Tage aufgehalten, bevor er eine Mitfahrmöglichkeit nach Moskau gefunden habe.

Mit Schreiben vom 02.05.2017 hielt die Landespolizeidirektion fest, dass das erwähnte Visum infolge der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz annulliert werde.

Am 28.11.2017 wurde der Beschwerdeführer im zugelassenen Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die tschetschenische Sprache niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der Beschwerdeführer gab auf entsprechende Befragung hin zusammengefasst zu Protokoll, er fühle sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage, habe in der Erstbefragung wahrheitsgemäße Angaben erstattet, sei jedoch von der Dolmetscherin schlecht behandelt und zur Nennung irgendwelcher Daten gezwungen worden, da er sich an nichts erinnern konnte. Der Beschwerdeführer sei gesund. Im Heimatland habe er Probleme mit der Behörde gehabt; er sei gefoltert worden und leide seitdem unter Panikattacken, in Österreich sei ihm empfohlen worden, zum Psychiater zu gehen. Er nehme einige näher angeführte Medikamente ein. Im Heimatland habe er nicht in medizinischer Behandlung gestanden, da sie Angst gehabt hätten, in ein Krankenhaus zu gehen.

Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an ärztlichen Unterlagen vor. Weiters legte er eine Bestätigung über im September 2017 verrichtete gemeinnützige Arbeiten sowie eine Urkunde über seine islamische Eheschließung am 04.11.2017 vor.

Der Beschwerdeführer gab dazu an, er habe seine Partnerin in Österreich über seine Verwandten kennengelernt. Sie sei ein „ganz nettes Mädchen und sehr hilfsbereit“ und sei Inhaberin einer Rot-Weiß-Rot Karte für fünf Jahre. Der Beschwerdeführer habe ein Visum für einen Urlaub in Spanien erhalten, sei jedoch nicht mit einem Visum nach Österreich gekommen, sondern über die Ukraine. Der Beschwerdeführer habe in der Heimat Probleme mit der Polizei gehabt. Er sei mehrmals zur Polizei gebracht und gequält worden; sie hätten ihm unterstellt, dass er zu den Widerstandskämpfern gehöre und ihn gefoltert, damit er gestehe. Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion hätte er im Herkunftsstaat nicht erlebt und er sei nie politisch tätig gewesen.

Zum Grund seiner Flucht führte der Beschwerdeführer aus, alles habe 2010 angefangen; der Beschwerdeführer sei mit Bekannten unterwegs gewesen, als sie plötzlich von allen Seiten beschossen worden wären. Zum Glück sei niemand getötet worden, es hätten jedoch alle Verletzungen davongetragen. Die Militärbehörde hätte ihnen gesagt, dass sie aufgrund eines Verdachtes den Auftrag gehabt hätte, auf ihr Auto zu schießen, es sei jedoch ein Irrtum ihrerseits gewesen. Der Beschwerdeführer und seine Bekannten seien dann in ein Militärkrankenhaus gebracht und medizinisch notversorgt worden. Der Beschwerdeführer sei aufgefordert worden, niemandem von dem Vorgefallenen zu erzählen. Danach habe der Beschwerdeführer zu Hause verschiedene Medikamente genommen und keine Probleme mehr gehabt. Ab und zu seien sie zu ihm gekommen und hätten gefragt, wie es ihm ginge. Im Dezember 2016 habe es in XXXX einen Vorfall gegeben, bei dem ein Auto in einen Polizeiposten gefahren sei. Am 20.12.2016 sei die Militärpolizei zum Beschwerdeführer gekommen, habe diesen aufs Revier mitgenommen und verhört. Es seien Bekannte des Beschwerdeführers gewesen, welche in jenem Auto gesessen hätten, das in den Polizeiposten gefahren sei. Es habe sich um einen Unfall gehandelt. Die beiden Bekannten, die im Auto gesessen hätten, seien erschossen worden. Da auf deren nach dem Unfall beschlagnahmtem Handy auch Fotos des Beschwerdeführers aufgefunden worden seien, sei der Beschwerdeführer am genannten Datum festgenommen worden. Sie hätten ihn nach einem Alibi gefragt. Er sei dann freigelassen und am 29./30.12.2016 vorgeladen und neuerlich befragt worden. Sie hätten versucht, den Beschwerdeführer zu unwahren Aussagen zu drängen und ihm mitgeteilt, dass sie über seine Involvierung in den Vorfall in Kenntnis wären. Anfang Jänner 2017 sei der Beschwerdeführer abermals festgenommen, verhört und geschlagen worden. Nach 10 oder 11 Tagen sei der Beschwerdeführer wieder festgenommen und brutal verletzt worden. Sie sagten, im Falle eines Geständnisses würde er lediglich eine Gefängnisstrafe erhalten, ansonsten würden sie ihn töten. Nach zwei Stunden hätten sie ihn nach Hause gefahren, da er bereits blutüberströmt gewesen sei. Beim Verhör sei er auch gefragt worden, wo er diese Schussverletzung herhätte, doch habe er dies nicht sagen können, da er dann einen Kollegen verraten und dieser ihn getötet hätte. Zu Hause habe er einen Freund um Hilfe gefragt und in der Folge Kontakt zu einem Schlepper aufgenommen. Weitere Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates habe er nicht. Über Bekannte habe er gehört, dass sie bei seinem Vater gewesen wären und diesen beschimpft und bedroht hätten. Der Cousin des Beschwerdeführers sei festgenommen und befragt worden; er sei mit dem Tod bedroht worden und sei deswegen ausgereist. Sein Vater habe sagen müssen, dass der Beschwerdeführer nicht mehr sein Sohn sei und könne deshalb wohl weiterhin im Herkunftsstaat leben. Es gebe viele Leute, die Probleme wie der Beschwerdeführer gehabt hätten. Die anderen Bekannten des Beschwerdeführers seien nach Deutschland gegangen.

Der Beschwerdeführer besitze nicht die Möglichkeit, in einem anderen Teil des Herkunftsstaates zu leben. Sie würden ihn finden, notfalls auch in Österreich. Die Russische Föderation könnte ihn nicht schützen, weshalb der Beschwerdeführer hier um Asyl anfrage. Ob ein Haftbefehl gegen seine Person bestehe, sei ihm nicht bekannt. Abgesehen von der Bedrohung wäre er wirtschaftlich dazu in der Lage, sich in einem anderen Teil des Herkunftslandes niederzulassen. Der Beschwerdeführer habe eine Familie gründen wollen und wenn alles normal wäre, wäre er dort geblieben. Die Kosten für die schlepperunterstützte Ausreise in Höhe von EUR 2.300,- habe der Beschwerdeführer durch seine Arbeit gespart; er habe das Geld eigentlich für seine Hochzeit und nicht für seine Ausreise ausgeben wollen.

In Österreich lebe der Beschwerdeführer in einer Grundversorgungseinrichtung, beziehe Grundversorgung, lerne Deutsch und verrichte gemeinnützige Arbeit. Zudem unterstütze ihn seine nunmehrige Frau.

Der Beschwerdeführer verzichtete auf die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zum herangezogenen Länderberichtsmaterial. Im Protokoll der Einvernahme ist dokumentiert, dass die Einvernahme infolge eines Kreislaufzusammenbruchs des Beschwerdeführers vor der Rückübersetzung abgebrochen werden musste; nach der am 29.11.2017 nachgeholten Rückübersetzung der Niederschrift bestätigte der Beschwerdeführer die Richtigkeit und Vollständigkeit des Protokollierten durch seine Unterschrift.

Mit Schreiben vom 24.05.2018 brachte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer aktualisiertes Länderberichtsmaterial zur Russischen Föderation zur Kenntnis und gewährte ihm die Möglichkeit, hierzu sowie zu allfälligen Neuerungen verfahrensrelevanter Sachverhalte binnen Frist eine Stellungnahme abzugeben.

In einer am 08.06.2018 eingelangten Stellungnahme führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er sich am Tag seiner Einvernahme vor dem Bundesamt gesundheitlich nicht gut gefühlt hätte und aufgeregt gewesen sei, sodass es nachvollziehbarer Weise zu Unstimmigkeiten gekommen sein könne. Auf die psychische und physische Verfassung des Beschwerdeführers müsse auch bei der Entscheidung im Verfahren über internationalen Schutz Rücksicht genommen werden, da eine ärztliche Behandlung und Versorgung mit den notwendigen Medikamenten in der Russischen Föderation nicht gewährleistet sei. Der Beschwerdeführer sei im Jahr 2010, als er mit einem Bekannten unterwegs gewesen sei, irrtümlich durch die Militärpolizei beschossen und im Anschluss durch den Leiter der Militärbehörde bedroht worden, Stillschweigen über diesen Vorfall zu bewahren. Über seine erlittene Schussverletzung und seine psychischen Probleme habe der Beschwerdeführer bereits entsprechende ärztliche Schreiben vorgelegt. Im Dezember 2016 sei es zu einem Vorfall in XXXX gekommen, bei dem ein Auto, in dem sich zwei Bekannte des Beschwerdeführers und weitere Insassen befunden hätten, in einen Militärposten gefahren sei. Da der Beschwerdeführer sich nicht vorstellen könne, dass seine Bekannten etwas mit einem Anschlag zu tun hätten, ginge er von einem Unfall aus. Der Beschwerdeführer sei mehrmals durch die Polizei, welche ihm eine Verbindung zu dem Vorfall vorgeworfen hätte, festgenommen und brutal verletzt worden. Es sei ihm unterstellt worden, den Widerstandskämpfern anzugehören und gegen die Regierung zu sein. Dem Beschwerdeführer sei nur die Flucht geblieben, da er mit keinem fairen Verfahren und mit seiner Ermordung habe rechnen müssen. Es wären Ermittlungen insbesondere hinsichtlich der Gefahr von Personen mit Schussverletzungen, die von der Polizei zu Unrecht als Widerstandskämpfer beschuldigt würden, erforderlich. Der Beschwerdeführer habe große Angst um seine Familie in Tschetschenien, falls bekannt würde, dass er seine Fluchtgeschichte erzählt hätte. Vierwiesen wurde auf Anfragebeantwortungen von ACCORD vom 08.09.2015 zum Mangel an qualifizierten Fachärzten in Tschetschenien sowie vom 19.04.2016 zur Gefahr von Personen, die Polizeiübergriffe angezeigt hätten. Die rechtswidrigen Verhaftungen und Misshandlungen des Beschwerdeführers seien von staatlichen bzw. tschetschenischen Behörden ausgegangen, weshalb der Beschwerdeführer von diesen keinen Schutz erwarten könnte. Für den Beschwerdeführer bestehe die Gefahr einer erneuten Festnahme und weiterer Misshandlungen, da er bereits ins Blickfeld der Behörden geraten wäre und ihm ein Naheverhältnis zu Widerstandskämpfern unterstellt werde. Durch seine Flucht sei er zusätzlich in Gefahr und eine Rückkehr nach Tschetschenien bzw. Russland keinesfalls möglich. Näher angeführte Berichte würden die herrschende Gesetzlosigkeit im Nordkaukasus – speziell auch in Tschetschenien – aufzeigen. Der Beschwerdeführer habe keine Möglichkeit, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu fliehen; zum einen hätten die Männer der tschetschenischen Regierung auch in anderen Gebieten des Nordkaukasus großen Einfluss, zum anderen würde dem Beschwerdeführer unterstellt, zu den Widerstandskämpfern zu gehören und es seien Personen aus dem Kaukasus besonders von Diskriminierung betroffen. Der Beschwerdeführer würde im Fall einer Rückkehr sofort festgenommen werden und müsste mit weiteren Misshandlungen, konstruierten Anklagen und seiner Ermordung rechnen. Der Beschwerdeführer sei bemüht, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren und werde durch seine Frau unterstützt. Diese seit bereits seit 14 Jahren in Österreich und bestens integriert. Beiliegend übermittelt wurden eine Medikamentenverordnung, eine Zuweisung zu einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, eine Überweisung zur Physiotherapie, ein Arztbrief vom 25.04.2018, einen Ambulanzbericht vom 22.06.2017, eine Bestätigung über seine gemeinnützige Tätigkeit sowie eine Deutschkursbestätigung aus Jänner 2018.

Am 12.10.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ergänzend einvernommen und gab zusammengefasst an, er fühle sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in er Lage. An seine Angaben in der vorangegangenen Einvernahme könne er sich nicht erinnern, da sein Gedächtnis wegen der Medikamente ein wenig benebelt sei. Auf Vorhalt der erfolgten Rückübersetzung, welche der Beschwerdeführer durch seine Unterschrift bestätigt hätte, meinte dieser, er glaube, alles richtig gesagt zu haben; er habe nicht gelogen, habe den Dolmetscher einwandfrei verstanden und all seine Fluchtgründe genannt.

Der Beschwerdeführer legte diverse ärztliche Befunde vor und stellte seine aktuelle Medikation dar. An den vorliegenden Beschwerden leide er, seit er mitgenommen und gefoltert worden sei. Dem Beschwerdeführer wurde vorgehalten, dass die Behandlung psychischer Erkrankungen in der Russischen Föderation ebenfalls gewährleistet sei und die von ihm benötigten Medikamente dort erhältlich seien. Dazu gab der Beschwerdeführer an, er sei nicht wegen der Krankheit geflohen, sondern aus Angst davor, getötet zu werden. Der Beschwerdeführer habe im Vorfeld seiner Ausreise drei bis vier Jahre lang, zuletzt im Dezember 2016, gearbeitet und in der Eigentumswohnung seiner Mutter gelebt, welche nach wie vor dort aufhältig sei. Die Behörde komme immer zu seiner Mutter und frage nach ihm; die sonstigen Verwandten hätten offiziell unterschrieben, dass der Beschwerdeführer nicht mehr zu ihnen gehöre. Der Beschwerdeführer habe seine nunmehrige Frau in Österreich kennengelernt, Genaueres wisse er nicht mehr. Seine Frau habe zwei Kinder aus einer früheren Beziehung. Auf Vorhalt, dass sich der Beschwerdeführer beim Entschluss, eine Ehe einzugehen, seines unsicheren Aufenthaltes hätte bewusst sein müssen, erklärte dieser, er habe psychische Unterstützung gebraucht. Befragt, was dagegenspreche, dass seine Frau mit ihm in die Russische Föderation ziehe oder ihn dort regelmäßig besuche, gab der Beschwerdeführer an, dies nicht zu wissen. Den ersten Kontakt zu seiner Frau habe er gehabt, als er in Österreich gewesen sei, er erinnere sich nicht mehr. Der Beschwerdeführer habe sich im Vorfeld der Ausreise nicht über Österreich informiert, er sei zuvor in Spanien auf Urlaub gewesen. Er sei mittels Visums ausgereist, er wisse nicht, wie lange dieses gültig gewesen sei. Wann er seiner nunmehrigen Ehefrau zum ersten Mal begegnet sei, wisse er nicht. Er habe diese drei bis vier Monate gekannt, bevor er sich entschlossen hätte, diese zu heiraten. Auf die Frage, weshalb er so früh geheiratet hätte, gab der Beschwerdeführer an, er habe hier niemanden gekannt und jemanden haben wollen, der ihn unterstütze. Er habe sich auch in sie verliebt, dies sei nicht wegen des Aufenthaltes gewesen. An das Datum der Eheschließung könne er sich nicht erinnern. Der Beschwerdeführer sei in Oberösterreich gemeldet, seine Frau lebe in XXXX . Indirekt wohne er jedoch bei seiner Frau.

Seine Angaben zu den Fluchtgründen halte er aufrecht, die Situation habe sich seit der letzten Einvernahme nicht verbessert. 2010 sei der Beschwerdeführer angeschossen worden, als er mit dem Vater seines Freundes nach Hause unterwegs gewesen sei. Die bewaffneten Männer hätten sie dann ins Krankenhaus gebracht und ihnen erklärt, dass es ein Befehl gewesen sei und ihr Auto einem gesuchten ähnlich gewesen sei. Der Mann, welcher auf ihn geschossen hätte, sei auch in Österreich bekannt. Dieser hätte den Beschwerdeführer aufgefordert, niemandem zu erzählen, was passiert sei. Seine Mutter habe auch unterschreiben müssen, dass sie nichts gegen den Vorfall hätten und sie seien gewarnt worden, dass sie still sein müssten. Der Beschwerdeführer habe diesbezüglich auch keine medizinische Hilfe in Anspruch nehmen dürfen. Im Dezember 2016 sei bei einem Polizeiposten in XXXX jemand erschossen worden. Der Erschossene sei ein Bekannter des Beschwerdeführers gewesen. Die Leute, welche den Genannten erschossen hätten, hätten auf dessen Handy ein Foto des Beschwerdeführers gesehen, weshalb der Beschwerdeführer zu einem Verhör auf die Polizeistation gebracht worden sei. Er sei öfter bei der Polizeistation verhört worden. Das letzte Mal, als er dort gewesen sei, hätten sie ihn geschlagen. Sie hätten gesehen, dass er Schussverletzungen am Körper aufweise und gesagt: „Wir wissen jetzt, wer du bist. Du bist einer davon.“ Sie hätten ihn brutal geschlagen und gefoltert. Der Beschwerdeführer habe nicht gesagt, woher er die Verletzungen hätte, da er befürchtet habe, von anderen getötet zu werden. Er sei fast bewusstlos gewesen, als sie ihn nach Hause gebracht hätten. Sie hätten ihn gewarnt; entweder solle er ihnen sagen, woher er diese Verletzungen hätte und wer er sei, dann würde er bloß ins Gefängnis gehen, ansonsten würde er getötet werden. Der Beschwerdeführer habe Angst gehabt, zu Hause zu bleiben und sei zu einem Freund gegangen, mit dessen Hilfe er einen Schlepper gefunden hätte. Der Beschwerdeführer sei von der Stadtpolizei verhört worden, welche zu Kadyrow gehöre. Auf Vorhalt, dass er bei der letzten Einvernahme gesagt hätte, zweimal geschlagen und gefoltert worden zu sein, heute jedoch lediglich eine Folter bei der letzten Festnahme erwähnt hätte, meinte der Beschwerdeführer, er habe heute gesagt, dass er nur beim letzten Mal hart geschlagen worden wäre, sonst hätten sie ihn nur leicht geschlagen. Sein Freund, bei dem er bis zur Ausreise gewohnt hätte, lebe etwa einen halbstündigen Fußweg von der Wohnung des Beschwerdeführers entfernt. Auf Vorhalt, dass es nicht plausibel sei, weshalb die Entführer ihn daheim absetzen sollten, gab der Beschwerdeführer an, sie würden dies immer so machen; niemand wisse, wohin man gebracht werde und wer einen verhört hätte. Da er nicht ins Spital gehen dürfe, habe man ihn nach Hause gebracht. Den Entschluss zur Ausreise habe er nach dem letzten Vorfall gefasst. Der Beschwerdeführer hätte nicht die Möglichkeit, in einem anderen Teil seines Herkunftsstaates zu leben, da sie ihn überall finden würden. Befragt, weshalb er mithilfe eines Schleppers ausgereist wäre, obwohl er ein bis zum 11.04.2017 gültiges Visum für alle Schengen-Staaten besessen hätte, erklärte der Beschwerdeführer, dies sei ein einmaliges Visum gewesen. Der Beschwerdeführer verzichtete auf die Abgabe einer Stellungnahme zum von der Behörde herangezogenen Länderberichtsmaterial. Der Beschwerdeführer habe Angst, dass er getötet werde, wenn er zurückginge. Er möchte hier nur Schutz, werde keine Sozialhilfe beziehen, arbeiten und möchte wie ein normaler Mensch leben.

Mit Schreiben vom 17.10.2018 wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Kurzinformationen der Staatendokumentation zur Lage in der Russischen Föderation zur Kenntnis gebracht.

Diesbezüglich langte am 31.10.2018 eine schriftliche Stellungnahme ein, in welcher der Beschwerdeführer ausführte, dass er nicht aus wirtschaftlichen Gründen emigriert sei und mit Verfolgungshandlungen des Leiters der mächtigen Polizei in XXXX zu rechnen hätte, welcher direkten Kontakt zu Kadyrow hätte und sogar die Krankenakte des Beschwerdeführers habe löschen lassen. Näher angeführte Berichte würden auf den Einfluss von Kadyrow im gesamten Gebiet der Russischen Föderation verweisen. Bei seiner speziellen Verfolgungsgefahr könnte der Beschwerdeführer sich nicht auf Schutzmaßnahmen und einen fairen Prozess verlassen, zumal es sich bei seinen Verfolgern um sehr mächtige Personen handle, die den Beschwerdeführer fälschlich beschuldigen würden, mit dem Widerstand zu tun zu haben. Aufgrund dieser Situation befinde sich der Beschwerdeführer in einem schlechten Zustand und es falle ihm schwer, darüber zu sprechen.

Beiliegend wurde ein Mutter-Kind-Pass der Partnerin des Beschwerdeführers ermittelt, aus welchem sich ein errechneter Geburtstermin im Juli 2019 ergab.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 06.12.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) sowie dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Identität, Staatsbürgerschaft, Volksgruppenzugehörigkeit und das Glaubensbekenntnis des Beschwerdeführers fest und legte ihrer Entscheidung ausführliche Feststellungen zur Situation in dessen Herkunftsstaat zu Grunde. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland einer aktuellen und unmittelbaren persönlichen sowie konkreten Gefährdung, Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen seinem fluchtrelevanten Vorbringen und seiner Ausreise habe nicht festgestellt werden können.

Dem Beschwerdeführer sei es nicht möglich gewesen, ein glaubhaftes Fluchtvorbringen zu erstatten. Fest stünde, dass der Beschwerdeführer eine Schussverletzung erlitten hätte, doch könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese im vom Beschwerdeführer geschilderten Zusammenhang entstanden sei. Der Beschwerdeführer habe widersprüchlich angegeben, ob er lediglich während eines der Verhöre oder mehrfach von den Polizisten geschlagen worden sei. Auch habe er geschildert, dass die Behörden ihn, nachdem sie ihn bedroht und geschlagen hätten, nach Hause gefahren haben. Davon abgesehen habe der Beschwerdeführer geschildert, dass er zuletzt im Januar 2017 gefoltert worden wäre, dessen Ausreise aus dem Herkunftsstaat sei jedoch erst Ende April 2017 erfolgt. Der Beschwerdeführer habe von keinen weiteren Vorfällen in jenem Zeitraum berichtet. Im Falle eines glaubwürdigen Vorbringens erschiene es als nicht nachvollziehbar, wie es dem Beschwerdeführer hätte möglich sein sollen, sich von Jänner 2017 bis April 2017 unbehelligt im Herkunftsland aufzuhalten. Dieser habe angeführt, er sei zu einem Freund gegangen, dieser hätte jedoch in derselben Stadt nur eine halbe Stunde zu Fuß von der Anschrift des Beschwerdeführers entfernt gelebt. Zudem sei es nicht plausibel, weshalb die Polizei, sollte es tatsächlich ihr Ziel gewesen sein, den Beschwerdeführer umzubringen, dies nicht schon im Zuge seiner Festnahmen getan hätte. Der Beschwerdeführer habe auch keine medizinischen Unterlagen aus dem Heimatland zum Beleg seiner Verletzungen vorlegen können. Da der Beschwerdeführer angegeben hätte, sein Geld ursprünglich nicht für die Flucht, sondern für die Hochzeit gespart zu haben, ginge die Behörde davon aus, dass dieser bereits im Herkunftsstaat in Kontakt zu seiner jetzigen Gattin gestanden hätte. Es sei demnach davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aus privaten Gründen, nämlich zwecks Eheschließung mit seiner nunmehrigen Ehegattin verlassen, hätte, nicht jedoch, weil er durch die Polizei verfolgt worden sei.

Beim Beschwerdeführer handle es sich auch keinesfalls um eine „high-profile-Person“, die im gesamten Staatsgebiet gesucht und gefunden würde. Dem Beschwerdeführer stünde es daher offen, sich in anderen Teilen der Russischen Föderation niederzulassen.

Der Beschwerdeführer habe im Herkunftsland familiäre Anknüpfungspunkte und es habe nicht festgestellt werden können, dass diesem bei einer Rückkehr die Lebensgrundlage gänzlich entzogen wäre oder er in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Eine Rückkehr in die Russische Föderation sei ihm zumutbar und möglich. Dieser sei weder einer Gefährdung durch den Staat der Russischen Föderation noch einer Bedrohung durch Dritte ausgesetzt. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen erwachsenen und arbeitsfähigen jungen Mann, welcher in die Gesellschaft seines Herkunftsstaates integriert sei und den Großteil seines Lebens in der Russischen Föderation verbracht hätte. Es habe nicht festgestellt werden können, dass dieser von allfälligen negativen Lebensumständen in der Russischen Föderation im höheren Maße betroffen wäre, als jeder andere Staatsbürger in einer vergleichbaren Lage. Beim Beschwerdeführer sei laut den vorgelegten ärztlichen Unterlagen eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden; zudem solle eine Septum-Korrektur und Verkleinerung der unteren Nasenmuschel erfolgen. Im April 2018 sei ihm ein verbliebenes Projektil operativ entfernt worden, wobei die Operation komplikationslos verlaufen wäre. Laut den vorliegenden Länderberichten seien die Erkrankungen in seinem Herkunftsstaat ebenfalls einer Behandlung zugänglich, es seien insbesondere Einrichtungen zur Behandlung psychischer Erkrankungen vorhanden und die vom Beschwerdeführer benötigten Medikamente verfügbar. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer sich in einem Gesundheitszustand befinde, welcher die Annahme rechtfertige, dass dieser dauerhaft behandlungsbedürftig sei oder unter einer Erkrankung leide, die in seinem Heimatland keiner ausreichenden Behandlung zugänglich wäre.

Der Beschwerdeführer sei illegal ins Bundesgebiet eingereist und habe hier eine Frau nach islamischer Tradition geheiratet, welche derzeit schwanger sei. Der Beschwerdeführer habe keine näheren Angaben darüber machen können, wann er seine Frau kennengelernt hätte und wann die Eheschließung erfolgt sei und er sei mit dieser in keinem gemeinsamen Haushalt gemeldet. Der Beschwerdeführer hätte sich der Unsicherheit seines Aufenthaltes bewusst sein müssen, zudem habe dieser keine konkreten Gründe benennen können, welche gegen eine Fortsetzung des Familienlebens in der Russischen Föderation sprechen würden. Dem Beschwerdeführer und seiner Frau stünde es offen, den Kontakt zueinander über soziale Medien sowie wechselseitige Besuche aufrechtzuerhalten. Der Beschwerdeführer sei mittellos, lebe von der Grundversorgung, sei in keinen Vereinen Mitglied und habe an Deutschkursen teilgenommen.

3. Mit Eingabe vom 03.01.2019 wurde durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde eingebracht, in welcher der dargestellte Bescheid vollumfänglich angefochten wurde. Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, dass es ihm gesundheitlich nicht gut ginge, da er Opfer von Folter sei und in psychiatrischer Behandlung stünde; es sei eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Dennoch habe sich die Behörde nicht näher mit dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers befasst. Es sei allgemein bekannt, dass das Erleben eines bedrohlichen Ereignisses zu Änderungen der Gehirnfunktionen bezüglich des traumatischen Erlebnisses führe. Dass der Beschwerdeführer nicht alle Details habe wiedergeben können und sich in Widersprüche verstrickt hätte, hätte die Behörde unter diesem Gesichtspunkt betrachten müssen. Da zudem zahlreiche Folterspuren am Körper des Beschwerdeführers ersichtlich seien, stelle dieser den Beweisantrag, das Bundesverwaltungsgericht möge die Narben und Verletzungen durch einen Sachverständigen untersuchen und ein gerichtsmedizinisches Gutachten erstellen lasse, zum Beweis dafür, dass er im Heimatland durch die Sicherheitsbehörden misshandelt worden sei. Auch durch Ermittlungen vor Ort hätte die Behörde die persönliche Verfolgung des Beschwerdeführers im Heimatland erkennen können. Der Beschwerdeführer habe den Namen seines Verfolgers benannt, mit welchem sich die Behörde nicht näher befasst hätte. Der Beschwerdeführer sei von den Sicherheitsbehörden gefoltert worden, da diese ein Geständnis hätten erzwingen wollen; dass sie ihn dennoch nach Hause gebracht hätten, habe wohl den Grund gehabt, dass sie ihn ein anderes Mal wieder holen wollten. Sie hätten diesen wohl nicht gleich getötet, um noch ein Geständnis zu bekommen. Zwischen Januar 2017 und April 2017 sei der Beschwerdeführer bei einem Freund versteckt gewesen und habe das Haus aus Angst nie verlassen. Vor April habe er keine Möglichkeit zur Flucht gehabt, weshalb er habe abwarten müssen. Die Annahme der Behörde, der Beschwerdeführer habe seine Frau bereits vor der Einreise kennengelernt, beruhe auf einem Missverständnis; mit seiner Aussage habe er gemeint, dass er sein Leben lang auf eine Hochzeit gespart hätte; er habe also allgemein für die Zukunft, nicht für die Hochzeit in Österreich, gespart. Seine Frau habe er erst in Österreich kennengelernt, als er mit einem Bekannten nach XXXX gefahren sei. Entgegen der auf unzureichenden Ermittlungen beruhenden Ansicht der Behörde sei der Beschwerdeführer im gesamten Gebiet der Russischen Föderation einer Verfolgung durch die Sicherheitsbehörden ausgesetzt. Nach allgemeinen Ausführungen zu den Voraussetzungen für die Bejahung einer innerstaatlichen Fluchtalternative wurde angeregt, dem EuGH eine näher dargestellte Fragestellung betreffend die Auslegung des Kriteriums der „Zumutbarkeit“ zur Vorabentscheidung vorzulegen. Die Behörde hätte dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit gewähren müssen, zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens im Vorfeld der Bescheiderlassung Stellung zu beziehen, wozu auf die Urteile des EuGH vom 27.11.2012, C-277/1, und vom 18.12.2008, C-349/07, verwiesen wurde. Die Behörde habe sich mit den vorgelegten Beweismitteln zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sowie dem Inhalt der eingebrachten Stellungnahmen nicht erkennbar auseinandergesetzt. Die Behörde wäre angehalten gewesen, die Plausibilität des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund fallspezifischer Länderberichte zu würdigen. Verwiesen wurde auf ergänzendes Berichtsmaterial insbesondere zur Situation von politisch verfolgten Personen sowie Rückkehrern aus dem Ausland. Die Behörde habe eine mangelhafte Beweiswürdigung vorgenommen. Soweit sie ihm zur Last legte, dass er das Datum seiner Eheschließung und die Umstände des Kennenlernens nicht habe nennen können, habe die Behörde offensichtlich die Nebenwirkungen der vom Beschwerdeführer eingenommenen Medikamente unberücksichtigt gelassen. Auch habe sie die Ursache der vorliegenden Posttraumatischen Belastungsstörung nicht in die Beurteilung miteinfließen lassen. Seine im Heimatland verbliebene Familie sei dazu gezwungen worden, den Beschwerdeführer auszustoßen, außerdem würde diese ihn nicht aufnehmen, da sie große Angst vor der Behörde hätte. Das Führen einer Ehe über soziale Medien sei nicht zumutbar; der Beschwerdeführer lebe mit seiner Frau in XXXX fast zusammen, da sie sehr viel gemeinsame Zeit verbringen würden. Der Beschwerdeführer werde von staatlichen Behörden verfolgt, weshalb ihm jedenfalls Asyl zu gewähren sei. Da ihm Regierungsfeindlichkeit unterstellt werde, drohe dem Beschwerdeführer der Tod oder eine unbegründete Haftstrafe. Zudem gehöre der Beschwerdeführer zur sozialen Gruppe der wehrfähigen Männer in der Russischen Föderation, was ebenfalls einen Asyltatbestand erfülle. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde ihm nicht zur Verfügung, da er im gesamten Land von Sicherheitsbehörden verfolgt werde. Aufgrund der prekären Sicherheitslage in der Russischen Föderation wäre dem Beschwerdeführer zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen. Da eine Rückkehrentscheidung in das Recht auf Familienleben des Beschwerdeführers eingreife und von diesem keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausginge, wäre eine solche für dauerhaft unzulässig zu erklären gewesen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

Beiliegend übermittelt wurden Bestätigungen über die laufende psychotherapeutische Behandlung des Beschwerdeführers sowie über die Verrichtung gemeinnütziger Arbeiten.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 07.01.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Im Rahmen einer am 12.02.2019 eingebrachten Beschwerdeergänzung führte die bevollmächtigte Vertreterin des Beschwerdeführers aus, der Beschwerdeführer führe ein ausgeprägtes Familienleben mit seiner Ehefrau und deren Kindern in Österreich. Im Juli 2019 würden seine Frau und er ein weiteres Kind erwarten. Für die Kinder seiner Frau sei er wie ein Vater und er verbringe, obwohl ein gemeinsamer Haushalt aus finanziellen Gründen nicht möglich sei, viel Zeit bei seiner Frau zu Hause. Die Ehefrau des Beschwerdeführers verfüge über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU.“ Die Aufrechterhaltung des persönlichen Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel sei mittelfristig mit einem Kleinkind kaum möglich. Es werde beantragt, die Ehefrau des Beschwerdeführers als Zeugin zum schützenswerten Familienleben zu befragen. Der Beschwerdeführer bemühe sich um eine Integration und lege Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen vor.

Mit Eingabe vom 29.04.2019 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Kopien des russischen Führerscheins und des russischen Auslandsreisepasses des Beschwerdeführers.

Am 01.07.2019 übermittelte der Beschwerdeführer einen aktuellen Lohnzettel sowie die österreichische Geburtsurkunde seines im Juni 2019 geborenen Kindes.

Mit E-Mail vom 31.07.2019 legte die Ehefrau des Beschwerdeführers die Wichtigkeit eines Arbeitsmarktzuganges des Beschwerdeführers für die Familie dar.

Mit Eingabe vom 28.11.2019 übermittelte der Beschwerdeführer Lohnzettel, die Geburtsurkunde seiner Tochter sowie eine Urkunde über seine standesamtliche Eheschließung am 02.10.2019.

Mit Eingabe vom 06.02.2020 übermittelte der Beschwerdeführer eine Kopie eines Mietvertrages lautend auf ihn selbst und seine Ehefrau.

Mit Eingabe vom 10.09.2020 wurde der Einkommenssteuerbescheid aus dem Jahr 2019 des BF übermittelt.

Mit E-Mail vom 22.03.2021 legte die Ehefrau des Beschwerdeführers erneut die Wichtigkeit eines Arbeitsmarktzuganges des Beschwerdeführers für die Familie dar, machte Angaben zu ihrem Umzug und ihrer Integration. Gleichzeitig legte sie Kopien der E-Card des BF, seines Führerscheins, ihres Aufenthaltstitels, sowie Kopien des Aufenthaltstitels der gemeinsamen Kinder vor.

Mit Schreiben vom 16.04.2021 wurde der BF aufgefordert sämtliche Integrationsunterlagen vorzulegen, wobei dieser am 04.05.2021 ein Konvolut an unterlagen übermittelte.

Mit E-Mail vom 25.05.2021 teilte der BF mit, wieder erwerbstätig zu sein und legte dazu eine Einzelbeauftragung vom 16.05.2021 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher die im Spruch ersichtlichen Personalien führt, der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum islamischen Glauben bekennt. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer stammt aus Tschetschenien, wo er die Schule besuchte, im Familienverband lebte und seinen Lebensunterhalt zuletzt durch Arbeit als Elektriker und Schweißer bestritten hat. Im Herkunftsstaat leben unverändert die Eltern, Halbgeschwister sowie weitere Verwandte des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer ist zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt aus der Russischen Föderation ausgereist und gelangte von dort nach Österreich, wo er am 02.05.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer befand sich im Besitz eines im Oktober 2016 ausgestellten zur mehrfachen Einreise berechtigenden spanischen Schengenvisums der Kategorie C mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 11.04.2017.

1.2. Der Beschwerdeführer ist im Herkunftsstaat keiner polizeilichen Verfolgung ausgesetzt, da er infolge eines Anschlages auf eine Polizeistation in XXXX im Dezember 2016 bezichtigt worden sei, mit Regierungsgegnern in Verbindung zu stehen. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation respektive Tschetschenien in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Dem Beschwerdeführer ist es möglich und zumutbar, sich alternativ zu einer Rückkehr in seine Herkunftsregion Tschetschenien in einem anderen Teil der Russischen Föderation niederzulassen.

Der Beschwerdeführer befindet sich im Bundesgebiet wegen der Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung in psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung. Zudem wurde ihm im Bundesgebiet infolge einer im Jahr 2010 erlittenen Schussverletzung im Körper verbliebes Projektil im Zuge einer komplikationslos verlaufenen Operation im April 2018 entfernt. Desweiteren wurde die Indikation zu einer operativen Septum-Korrektur und Verkleinerung der Nasenmuschel gestellt. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Russischen Föderation respektive Tschetschenien besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen der Beschwerdeführer hinsichtlich psychischer und physischer Leiden ausreichend behandelt werden könnte.

Der Beschwerdeführer hat infolge seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet mit einer hier aufenthaltsberechtigten russischen Staatsangehörigen im November 2017 eine Ehe nach islamischem Ritus sowie am 02.10.2019 eine standesamtliche Ehe geschlossen. Am 18.06.2019 ist die gemeinsame Tochter und am 25.10.2020 der gemeinsame Sohn des BF mit seiner Ehefrau zur Welt gekommen. Seit Anfang des Jahres 2020 lebt der Beschwerdeführer mit seiner Ehegattin, deren Kindern aus einer früheren Beziehung sowie der gemeinsamen Tochter zusammen in einer Mietwohnung (zunächst in XXXX , nunmehr in XXXX ). Der Sohn aus einer früheren Beziehung der BF besucht derzeit die 3. Klasse Volksschule. Die Ehegattin des BF ist eine aufgrund des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigte Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die beiden gemeinsamen Kinder sind ebenfalls Staatsangehörige der Russischen Föderation und jeweils im Besitz einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“. Der Sohn des BF leidet an einer Asymmetrie des Kopfes, weshalb eine wachstumslenkende Kopforthese zu Behandlung der Kopfdeformität medizinisch notwendig ist.

Der unbescholtene Beschwerdeführer hat mehrere Deutschkurse besucht, nämlich von 08.11.2017 bis 31.01.2018, von 29.08.2018 bis 05.10.2018, von 15.10.2018 bis 05.12.2018 und von 10.12.2018 bis 08.02.2019, jedoch keine Deutschprüfung absolviert. Seit Jänner 2019 bis inkl. Februar 2021 war der BF in XXXX als Zeitungsausträger selbständig erwerbstätig und hat mit dieser Tätigkeit im Jahr 2019 EUR 9.786 und im Jahr 2020 EUR 10.345 verdient. Nunmehr ist er mit seiner Familie nach XXXX gezogen, weshalb er seit 06.04.2021 über das freie Gewerbe „Werbemittelverteiler“ der Gemeinde XXXX verfügt. Seit 16.05.2021 arbeitet der BF bei einem Transportunternehmen, wobei er jeden Freitag eine Tour fährt und pro Tour EUR 110 verdient. Im Falle der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung wäre es dem BF möglich in XXXX als Zeitungsausträger zu arbeiten. Der BF ist seit Aufnahme seiner Selbständigkeit am 15.01.2019 selbständig sozialversichert und befindet sich seit diesem Zeitpunkt nicht mehr in Grundversorgung. Der BF verrichtete regelmäßig gemeinnützige Arbeiten, zuletzt von September 2020 bis Februar 2021 beim Verein „Tischlein deck dich – XXXX “, wobei er jeden Montagnachmittag half Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen. Der BF verfügt seit November 2020 über einen österreichischen Führerschein. Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme stellt einen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschütztes Privat- und Familienleben dar.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern in der Russischen Föderation wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-        ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-        ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-        BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-        Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-        DW – Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt", https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018

-        ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-        Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-        Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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