Entscheidungsdatum
09.07.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
W196 2241217-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Laszlo SZABO, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.03.2021, Zl. 732964709/180061063, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und Z 2, Abs. 4, § 8 Abs. 1 Z 2, § 10 Abs. 1 Z 4, § 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und § 46, § 52 Abs. 2 Z 3, Abs. 9, § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5, § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist russischer Staatsbürger und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe. Er reiste als damals etwa 12-Jähriger gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 29.09.2003 vertreten durch seine Mutter als seine gesetzliche Vertreterin in Österreich einen Asylantrag im Familienverfahren, zu welchem eigene Fluchtgründe für ihn nicht geltend gemacht wurden, sondern lediglich auf die Fluchtgründe seine Mutter Bezug genommen wurde.
Der Mutter des Beschwerdeführers wurde schließlich mit Bescheid des UBAS vom 11.03.2005, Zl. 251.375/0-34/04, Asyl zuerkannt, weil ihr infolge der journalistischen, kämpferischen bzw. politischen Tätigkeit ihres bekannten Bruders sowie ihrer eigenen Aktivitäten zur Unterstützung von tschetschenischen Kämpfern (mit Lebensmitteln) weitere Verfolgung drohte.
Der Beschwerde gegen die Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers vom 29.09.2003 im Familienverfahren zu seiner Mutter wurde mit Bescheid des UBAS vom 11.03.2005, Zl. 251.371/0-XI/34/04, sodann ebenfalls Folge gegeben und ihm Asyl - abgeleitet von seiner Mutter- zuerkannt sowie ebenfalls festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Ebenso erhielten sein zwischenzeitig bereits verstorbener Vater und seine Geschwister Asyl im Familienverfahren – abgeleitet von der Mutter des Beschwerdeführers.
2. Infolge mehrfacher strafgerichtlicher Verurteilungen im österreichischen Bundesgebiet leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 27.07.2019 ein Verfahren zur Aberkennung von Asyl gemäß § 7 AsylG 2005 ein. Der Beschwerdeführer wurde mit Schreiben vom 29.07.2019 nachweislich davon informiert.
Im Zuge der Einvernahme am 08.08.2019 in der JVA in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache zur beabsichtigten Asylaberkennung gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, in Österreich einen Hauptschulabschluss mit entsprechend guten Deutschkenntnissen erworben zu haben. Er sei körperlich und geistig in der Lage, die Einvernahme zu absolvieren, und gesund. Auf Befragen brachte er vor, dass sich die Situation im Herkunftsstaat seit 2008 schwieriger gestalte, weil seither 3 Cousins seines Vaters in Tschetschenien von den Behörden/der Polizei entführt und getötet worden seien. 2 weitere Cousins hätten nach Deutschland und Frankreich flüchten können. Seine gesamte Familie väterlicherseits (namens „ XXXX “) sei im Herkunftsstaat bedroht, mit Ausnahme der Älteren (über 50-Jährigen), diese würden noch in Tschetschenien leben. Bei seinem Onkel XXXX , welcher im Haus seiner Familie in XXXX lebe, seien von den Behörden ca. Ende 2017/Anfang 2018 Informationen über den Beschwerdeführer eingeholt worden. Die Behörden wüssten auch, dass er hier im Gefängnis sei. Zu diesem Onkel hätten sie Kontakt. Der Beschwerdeführer spreche Russisch, Tschetschenisch, Deutsch und Englisch, wobei Tschetschenisch seine Muttersprache sei. Er beherrsche Russisch und Tschetschenisch in Wort und Schrift. Er sei hier mit der islamischen und tschetschenischen Kultur aufgewachsen und halte sich an die Regeln, sei aber auch in Österreich integriert, er spreche Deutsch und sei hier zur Schule gegangen. Er gab an geschieden zu sein, seine Exfrau heiße glaublich XXXX , sie sei Tschetschenin und wohne irgendwo in XXXX . Sie hätten am XXXX geheiratet und sich etwa 4-5 Monate später wieder scheiden lassen. Sein danach am XXXX in Österreich geborener Sohn XXXX , lebe bei der Mutter. Er sei schon vor seiner Inhaftierung von ihr getrennt gewesen und habe ein gemeinsamer Haushalt nicht mehr bestanden. Seine Probleme (Casino, Spielsucht) hätten mit der Scheidung (2017) begonnen. Wegen seiner Haft habe er überhaupt keinen Kontakt zu seinem Sohn und dessen Mutter. Einmal sei der Sohn mit der Schwester und dem Bruder des Beschwerdeführers bei diesem in der JVA zu Besuch gewesen. Die Familie seiner Ex-Frau sei mit weiteren Kontakten nicht einverstanden gewesen. Seine Familie (Mutter, Schwester und drei Brüder) würde ihn in der JVA besuchen. Er habe (davor) alleine in einer eigenen Wohnung gelebt, während seiner Ehe habe er mit seiner Frau dort gelebt. Er sei von niemandem finanziell abhängig. Er sei nur für seinen Sohn unterhaltspflichtig in Österreich, dies habe zur Zeit der österreichische Staat übernommen. Zudem habe er internationale Freunde (Tschetschenen, Türken, Österreicher, sowie „Jugoslawen“. Er habe seine Zeit mit illegalen Glücksspielautomaten verbracht und sein gesamtes Geld verspielt. Er habe in einem illegalen Casino sein Geld verloren. Seiner Ansicht nach, habe es dort manipulierte Automaten gegeben und auch die Betreiber hätten Gewinne per Fernbedienung verhindert. Als er sein Geld zurückverlangt habe, sei vom Betreiber eine Anzeige erstattet worden und im Endeffekt habe es eine (Gerichts)Verhandlung wegen schwerem Raub gegeben. Nach der Scheidung sei sein Bruder zu ihm gezogen und sie hätten die Miete geteilt. Jetzt wohne der Bruder alleine in der Wohnung. Zum Vorhalt, dass es vor seiner Inhaftierung mehrere Obdachlosenmeldungen gegeben habe, konnte er Näheres nicht mehr genau angeben und brachte vor, einmal da und einmal dort bei Freunden gewohnt zu haben. Vor seiner Inhaftierung habe er (seit 9/2016) Notstandshilfe in Höhe von € 600.- bis 800.- bezogen, genau wisse er es nicht. Seit seiner Inhaftierung am 11.01.2018 würde er seinen Alltag als positiv beschreiben; er könne seine Süchte hier nicht ausleben und wolle für sein Kind ein Vorbild sein und für seinen Sohn sorgen. In der Strafhaft habe er gegen einen Mithäftling eine Körperverletzung begangen, das Verfahren sei eingestellt worden. Er habe Antidepressiva und Tabletten wegen seiner Alkoholsucht bekommen und diese bis vor 3 Monaten genommen. Es gehe ihm gut. In Zukunft wolle er nach seiner Haftentlassung für sein Kind da sein und müsse dafür arbeiten. Bislang sei er im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Nach Vorhalt seines Versicherungsdatenauszuges, wonach er unregelmäßig bei verschiedenen Arbeitgebern für sehr kurze Zeiträume beschäftigt war und immer wieder Transferleistungen bezogen hat, sowie seiner nicht nachhaltigen Integration am österreichischen Arbeitsmarkt räumte er ein, bislang nicht sehr eifrig gewesen zu sein und dass es wegen seines fehlenden Wohnsitzes (Odachlosigkeit) Schwierigkeiten gegeben habe, die Arbeit zu behalten. Er sei sehr unzuverlässig gewesen (zu spät zur Arbeit gekommen) und deswegen gekündigt worden oder habe selbst gekündigt, wenn er keine Lust gehabt habe. Hier in der Haftanstalt habe er bereits 3 Anträge für eine Beschäftigung gestellt. Er müsse noch auf die Genehmigung warten. Ersparnisse habe er nicht, sondern sein Auto um 7.000.- € verkauft, um seinen Anwalt bezahlen zu können. Er habe in Österreich einen Hauptschulabschluss gemacht und entsprechend gute Deutschkenntnisse. Die anschließende Maurerlehre hab er nach etwa einem Jahr abgebrochen. Er sei in Österreich nicht Mitglied in einer Organisation oder in einem Verein. Er habe tschetschenische Freunde, die meisten seien in Tschetschenien geboren. Seiner Ansicht nach sei er in Österreich zu 60% integriert, zumal er hier aufgewachsen sei, hier die Schule besucht habe und gut Deutsch spreche. Die fehlenden 40 % würde er seiner fehlenden Erwerbstätigkeit zuschreiben. Er wolle sein Leben nun ändern und für seinen Sohn sorgen. Er habe bis zur Ausreise mit seinen Eltern und Geschwistern in einem Haus in XXXX gelebt. Derzeit lebe ein Onkel dort. Im Herkunftsstaat lebe noch seine Großmutter mütterlicherseits und der erwähnte Onkel väterlicherseits. Er selbst habe keinen Kontakt zu ihnen, jedoch seine Mutter. Beide seien in Pension. Ob jemand aus Österreich diese finanziell unterstütze, wisse er nicht. Über die Gründe für die Asylgewährung wisse er nicht, er sei damals ein Kind gewesen. Im Fall seiner Rückkehr sei er aber als Sohn seines Vaters ebenfalls gefährdet. Wie bereits erwähnt, seien 2008 fünf Cousins seines Vaters in Tschetschenien von den Behörden gesucht worden. Drei seien festgenommen, gefoltert und getötet worden. Zwei hätten flüchten können, wovon einer in Frankreich Asyl erhalten habe und der zweite in der Ukraine aufhältig sei. Dort sei er 2019 auf Grund einer Fahndung des FSB festgenommen, aber nicht nach Russland ausgeliefert worden. Die entsprechenden Beweismittel befänden sich bei seinem Rechtsanwalt. Auf Nachfrage, wieso er glaube, dass die(se) Gefährdung aktuell noch bestehe, insbesondere weil er selbst Asyl im Familienverfahren erhalten habe, brachte er vor, wegen der Sippenhaftung und seines Familiennamens. Er sei zu 100 Prozent sicher, dass er dort gefährdet sei. Beweise über eine Fahndung der Behörden nach ihm befänden sich bei seinem Anwalt. Zum Vorhalt, dass sich seit der Zuerkennung von Asyl im Familienverfahren ohne eigene Fluchtgründe die Situation in seiner Heimat nachhaltig geändert habe, führte er aus, dass er wegen seiner Familienzugehörigkeit der gleichen Gefahr wie die genannten Cousins ausgsetzt sei, grundlos verhaftet, gefoltert und getötet zu werden. Im Fall seiner Abschiebung in die Russische Föderation befürchte er, getötet zu werden. Er habe in Tschetschenien Probleme. Zum Vorhalt seiner zahlreichen Straftaten gegen Leib und Leben und der Frage, weshalb er nach seiner Haftentlassung nicht neuerlich straffällig werden würde, brachte er vor, dass die meisten Delikte Jugendstraftaten gewesen seien. Seine letzte Tat als junger Erwachsener betrachte er nicht als Verbrechen, die Behörden hätten es verabsäumt, dieses illegale Glücksspiel zu verhindern. Auf die Einsichtnahme in die Länderfeststellungen und eine Stellungnahme dazu verzichtete der Beschwerdeführer. Nach der Durchsicht der Einvernahme verlangte der Beschwerdeführer noch zahlreiche Änderungen der Niederschrift: Ergänzend brachte er vor, dass die fünf Cousins (alle) Brüder seien, es handle sich um die Neffen seines Vaters. Deren Vater sei sein Onkel XXXX , welcher jetzt in ihrem Haus in XXXX lebe, dieser heiße richtig XXXX Seit 2016 habe er nicht mehr bei seiner Mutter, sondern Großteils alleine in der eigenen Wohnung gelebt. In den Zeiten ohne festen Wohnsitz habe er bei Freunden gewohnt. Seine letzte Tat betrachte er deswegen nicht als Verbrechen, weil er sein Geld zurückhaben wollte, um welches er betrogen worden sei.
Antragsgemäß wurde die Schwester des Beschwerdeführers, XXXX StA. Russische Föderation, beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 15.10.2019 auf Deutsch als Zeugin einvernommen. Zusammengefasst brachte sie vor, dass die Familie XXXX in Tschetschenien verfolgt werde. Den drei getöteten Cousins des Beschwerdeführers seien von Kadyrovs Leuten terroristische Aktivitäten unterstellt worden. Die Familie des Beschwerdeführers befürchte, dass er nach Russland abgeschoben werde, und bitte um eine zweite Chance für ihn. Im Internet existiere ein Bericht über den Vorfall, der Beschwerdeführer selbst werde darin nicht erwähnt. In Tschetschenien würden noch (ihre) weiblichen Verwandten leben, diese seien dort aufgewachsen, aber ihr Bruder hätte im Fall der Abschiebung weder Geld noch Arbeit. Die (weiblichen) Verwandten könnten dort unbehelligt leben, aber die Männer hätten in Tschetschenien keine Unterkunft und keine Rechte. Der Onkel, welcher im Haus in XXXX lebe, sei (selbst) lange in der Ukraine gewesen und nun schon alt und krank. XXXX sei ihr älterer Bruder, welcher nach Syrien gereist sei. Die Behörden hätten sie informiert. Zwei Monate danach sei ihr Vater verstorben und dann sei ihr Bruder inhaftiert worden. Auf die Frage, ob sich der Beschwerdeführer nicht in einem anderen Teil der Russischen Föderation ansiedeln könne, brachte sie vor, dass dieser sich nicht in Russland sehe. Sodann gab sie zum Vorhalt, dass eine Verwandtschaft ihres Bruders zu den im Bericht genannten Personen gar nicht feststellbar sei, an, keine Beweise dafür zu haben, aber dass der bald zweijährige Sohn des Beschwerdeführers auf diesen angewiesen sei.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 04.03.2021 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid des UBAS vom 11.03.2005 zuerkannte Status des Asylberechtigten gem. § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs.1 Z 4 und § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen (Spruchpunkt IV.), die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt (Spruchpunkt V.), die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.) und gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer den Herkunftsstaat als 12-Jähriger verlassen habe, damals (selbst) nicht von individuellen staatlichen Verfolgungshandlungen betroffen gewesen sei und Asyl im Familienverfahren -abgeleitet von seiner Mutter- erhalten habe, weshalb auch nicht von einer persönlichen Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat auszugehen sei. Auch der Umstand, dass es keinerlei Hinweise auf die allgemeine Verfolgung von Veteranen des ersten oder zweiten Tschetschenienkrieges bzw. deren Angehörigen gebe, spreche gegen das Bestehen einer aktuellen Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer. Eine polizeiliche Fahndung (etwa via INTERPOL) nach dem Beschwerdeführer sei ebenfalls nicht bekannt. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in die Russische Föderation bzw. Moskau aktuell einer Verfolgung durch russische bzw. tschetschenische Behörden ausgesetzt wäre. Er könne es daher nach Wegfall der Umstände, auf Grund derer er als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr ablehnen, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitze. Zur geltend gemachten Entführung und Ermordung der XXXX -Brüder wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in den von seiner Schwester als Zeugin beigebrachen Internetberichten selbst nicht erwähnt werde, er nicht belegen könne, dass er tatsächlich mit diesen Personen verwandt sei und außerdem in Anbetracht des Umstandes, dass diese Ereignisse bereits 2008 eingetreten seien, dies nun 12 Jahre zurückliege und eine Verfolgung von Veteranen der Tschetschenienkriege nach 2011 nicht mehr stattgefunden habe, sei ebenso wenig eine Gefährdung der ehemaligen Unterstützer der Rebellen und deren Familienangehörigen zu erwarten. Das Vorbringen sei daher nicht glaubhaft und selbst wenn doch, könne in keinem Fall von einer aktuellen und realen Bedrohungssituation gesprochen werden. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien bzw. der Russischen Föderation einer Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt sei. Nach den Angaben beschränke sich diese Bedrohung der Familie XXXX auf Tschetschenien, weshalb die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative etwa in Moskau zumutbar sei, zumal die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten zuletzt stark angewachsen sei und nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrov stehe. Einer Bedrohung außerhalb Tschetscheniens habe er bisher jedoch nie behauptet. Außerdem spreche der Umstand, dass Verwandte des Beschwerdeführers mit demselben Nachnamen nach wie vor ohne Probleme in Tschetschenien aufhältig seien, auch gegen das Bestehen einer aktuellen Bedrohungsgefahr für den Beschwerdeführer. Außerdem habe sich die Lage in der Russischen Föderation nach den aktuellen Länderberichten seit der Zuerkennung von Asyl im Jahr 2005 auch wesentlich geändert: Die Sicherheitslage sei für gewöhnliche Bürger nunmehr stabil, nach der Einführung eines neuen Meldegesetzes führten Kontrollen auch für Tschetschenen nicht mehr zu Diskriminierung oder korruptem Verhalten. Letztlich erhielten auch Tschetschenen eine Registrierung, welche den Zugang zu Sozialhilfe, staatliche geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum Arbeitsmarkt. Seinen Rückkehrbefürchtungen komme daher keine Glaubwürdigkeit zu.
Rechtlich wurde gefolgert, dass dem Beschwerdeführer Asyl im Kindesalter im Wege des Familienverfahrens zuerkannt wurde, eigene Fluchtgründe für ihn jedoch damals nicht geltend gemacht worden waren. Außerdem habe sich die Situation in der Russischen Föderation bzw. in Tschetschenien seit dem Ende der Tschetschenienkriege derart geändert, dass nicht mehr von einer nur vorübergehenden Lageänderung auszugehen sei, womit die Voraussetzungen gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 vorlägen. Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gegeben, indem der Beschwerdeführer gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 auch wegen eines besonders schweren Verbrechens verurteilt worden sei und deswegen eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeute. Da der Beschwerdeführer die Landessprachen spreche und mit den sozialen und religiösen Gegebenheiten des Herkunftsstaates vertraut sei, über Angehörige in Tschetschenien verfüge, welche ihm zumindest anfänglich bei der Reintegration behilflich sein könnten, habe ein besonderes real risk der Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung in die Russische Föderation nicht erkannt werden können. Die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 seien nicht gegeben. Die Beziehung zu seinen in Österreich aufhältigen Verwandten, mit welchen er nicht im gemeinsamen Haushalt lebe, stelle kein Familienleben dar und sei im Rahmen des Privatlebens nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigen. Es sei in Anbetracht seiner langen Aufenthaltsdauer und seines familiären Bezugs in Österreich davon auszugehen, dass er familiäre und private Interessen am Verbleib im Bundesgebiet habe, jedoch stelle eine Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar. Der Beschwerdeführer sei seit 2003 als Asylwerber bzw. ab 2005 als Asylberechtigter in Österreich aufhältig, folglich knapp 18 Jahre. Zu seinen Gunsten sei der langjährige rechtmäßige Aufenthalt zu berücksichtigen sowie seine fließenden Deutschkenntnisse; er spreche aber auch Russisch und Tschetschenisch. Zwar habe er einen Freundeskreis, habe aber seit seiner Inhaftierung nur zu seinen Familienangehörigen Kontakt - in Form von Besuchen in der JA. Nach der Judikatur des VwGH (23.06.1994, 94/18/0338) werde eine Integration durch schwere Straftaten erheblich beeinträchtigt. Hinsichtlich der Verurteilungen sei jedoch nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Strafe, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Den Beschwerdeführer betreffend wurde ausgeführt, dass sich die Schwere der von ihm begangenen Straftaten sukzessive gesteigert habe und schlussendlich in einer mehrjährigen Freiheitsstrafe gemündet habe, weshalb er eine tatsächliche, erhebliche und unmittelbare Gefahr für die Gemeinschaft bedeute. Die von ihm begangenen Verbrechen und Vergehen seien sowohl objektiv als auch subjektiv besonders schwerwiegend, sodass das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sein Interesse an der Aufrechterhaltung seiner privaten Bindungen im Bundesgebiet überwiege. Insbesondere – auch länger zurückliegende - strafrechtliche Verurteilungen könnten die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland und eine erfolgte Integration erheblich relativieren (VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0113). Da er die österreichische Rechtsordnung wiederholt missachtet habe, könne die Verhaltensprognose für ihn nicht positiv ausfallen. Nach der Judikatur des VwGH (08.02.1996, 95/18/0009) bewirke das wiederholte Fehlverhalten des Fremden eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und sei derart schwerwiegend, dass auch die vorhandenen privaten und familiären Interessen eines Fremden zurücktreten müssten. Im vorliegenden Fall wögen die Interessen der Republik Österreich an einem geordneten Fremdenwesen und der Verhinderung von Straftaten als Teil der öffentlichen Ruhe und Ordnung schwerer als seine persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet. Überdies habe er seine Kindheit und frühe Jugend im Herkunftsstaat verbracht, sei in einer tschetschenischen Familie aufgewachsen und sozialisiert worden und daher mit den tschetschenischen Sitten und Gebräuchen vertraut. Einen Beruf habe er nicht erlernt und nur unregelmäßig gearbeitete bzw. häufig von staatlichen Zuwendungen abhängig gewesen (Sozialleistungsbezug) und damit seinen Lebensunterhalt bestritten. In Tschetschenien lebten noch seine Großmutter und ein Onkel. Seine Mutter und seine Geschwister seien derzeit in Österreich aufhältig. Ein Bruder und sein Vater seien bereits verstorben. Die Rückkehrentscheidung sei unter Bedachtnahme auf EGMR 14.09.2017, Fall Ndidi, Appl 41.215/14, Z 78ff, angesichts ebenfalls schwacher Bindungen zum Herkunftsstaat und Kindern im Konventionsstaat zulässig (zu Spruchpunkt IV.). Mangels Gründen im Sinne von § 50 Abs. 1 bis 3 FPG sei dieses auch durchsetzbar und seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig (Spruchpunkt V.). Mangels feststellbaren Gründen gemäß § 55 FPG sei die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festzusetzen gewesen. Hinsichtlich des verhängten Einreiseverbotes sei infolge der Verurteilung zu einer Strafhaft von mehr als 7 Jahren § 53 Abs.1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG erfüllt und stelle sein Verhalten eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar und werde ein unbefristetes Einreiseverbot als notwendig erachtet. Aus einer Gesamtbetrachtung der Chronologie seiner Straftaten und seiner tristen finanziellen Lage ergebe sich, dass sich seine kriminelle Energie sukkzessive gesteigert habe und letztlich in einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten gemündet habe. Er habe drei einschlägige Vorstrafen. Bei seiner letzten Verurteilung seien fünf Verbrechen mit zwei Vergehen zusammengetroffen und als Erschwerungsgründe ua. der rasche Rückfall sowie die mehrfache Qualifizierung als schwerer Raub durch Begehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und Verwendung einer Waffe berücksichtigt worden. Ferner habe die Begehung während einer offenen Probezeit erschwerend gewirkt und habe die bedingte Strafnachsicht zu einem Urteil widerrufen werden müssen. Weder die Gewährung und Verlängerung einer Probezeit noch eine bedingte Freiheitsstrafe samt bedingter Entlassung aus dem Strafvollzug hätten ihn von weiteren strafbaren Handlungen abhalten können, sodass keine günstige Zukunftsprognose erstellt werden könne. Durch sein Verhalten habe er den Willen zur Nichtbeachtung der österreichischen Rechtsordnung eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht. Auch habe er seine früheren Verurteilungen als „Jugendstraftaten“ zu relativieren versucht, bei seiner letzten Tat habe der die Schuld den Behörden zugewiesen und sie gar nicht als Verbrechen eingestuft. Reue habe er hingegen nicht gezeigt. Zwangsläufig ergebe sich daraus eine negative Zukunftsprognose, da selbst seine familiären Bindungen ihn nicht von weiteren Straftaten hätten abhalten können. Angesichts dieser Umstände sei die Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbots als notwendig anzusehen gewesen (Spruchpunkt VI.).
4. Mit vorliegender Beschwerde vom 07.04.2021 durch den anwaltlichen Vertreter des Beschwerdeführers wurde die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt und dies damit begründet, dass sich die Behörde nicht mit dem Vorbringen über eine politische Exposition der Verwandten und der immer noch gegebenen Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers in Tschetschenien auseinandergesetzt habe; dazu hätten Ermittlungen im Rechtshilfeweg über die Botschaft erfolgen müssen. Auch die Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers in Russisch und Tschetschenisch hätte die Behörde genauer ermitteln müssen, um seine Reintegrierbarkeit in der Russischen Föderation „analog den Richtlinien des Integrationsgesetzes“ beurteilen zu können. Der Beschwerdeführer sei in der Russischen Föderation völlig entwurzelt und greife eine Asylaberkennung in „wohlerworbene Rechte“ des Beschwerdeführers ein. Zu seinen Straftaten habe er ausgeführt, dass er in schlechte Gesellschaft geraten sei und seine Spielsucht ein maßgeblicher Motor für die Taten gewesen sei. Außerdem sei eine abschließende Beurteilung der Frage nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung noch nicht möglich, weil gegenständlich ein Langzeitstrafvollzug vorliege, der jedenfalls tiefgreifend in die Persönlichkeit des Beschwerdeführers eingreife. Dieser werde entweder gebrochen oder resozialisiert und stelle in beiden Fällen, keine Gefahr mehr für die öffentliche Sicherheit dar. Zudem werde diese Gefährlichkeitsprognose im Verfahren zur bedingten Haftentlassung gerichtlich geprüft und würde diese nicht erteilt werden, wenn spezialpräventive Gründe, also Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit vorlägen.
5. Die Beschwerde wurde am 12.04.2021 mitsamt den Bezug habenden Verwaltungsakten dem BVwG vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist russischer Staatsangehöriger moslemischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an. Seine Identität steht nicht fest. Er ist 29 Jahre alt und erwachsen und befindet sich im erwerbsfähigen Alter. Er spricht fließend Deutsch, Englisch, Russisch und Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau.
Der Beschwerdeführer wurde in der Russischen Föderation geboren, hat dort seine Kindheit verbracht, die Grundschulde besucht und ist 2003 -etwa im Alter von 12 Jahren- gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern ins Bundesgebiet eingereist. Er hat – ebenso wie sein zwischenzeitig verstorbener Vater und seine Geschwister - 2005 in Österreich abgeleitet von seiner Mutter Asyl im Familienverfahren erhalten
Im Herkunftsstaat leben noch ein Onkel väterlicherseits (Pensionist) im Haus der Beschwerdeführer in XXXX sowie eine Großmutter (Pensionistin) des Beschwerdeführers in Tschetschenien. Außerdem leben noch mehrere weibliche Verwandte in Tschetschenien, ein Cousin väterlicherseits lebt in Frankreich, einer in der Ukraine.
Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich die Schule und hat entsprechend Deutschkenntnisse erlangt. Die nach dem Schulabschluss begonnene Maurerlehre hat er bereits nach einem Jahr abgebrochen und ist danach mehreren kurzfristigen unselbständigen Erwerbstätigkeiten nachgegangen. Dazwischen hat er seinen Lebensunterhalt mit Sozialleistungen bestritten. Er lebte zunächst mit seinen Eltern und seinen Geschwistern im gemeinsamen Haushalt, anschließend lebte er allein bzw. mit seinem Bruder in einer eigenen Wohnung oder als obdachlos Gemeldeter bei verschiedenen Freunden. Eine Eheschließung bzw. die Vaterschaft des Beschwerdeführers ist nicht erwiesen. Zu einer allenfalls kurzzeitigen tschetschenischen Lebensgefährtin und dem behaupteten gemeinsamen 3-jährigen Sohn hat der Beschwerdeführer jedoch keinen Kontakt mehr. Derzeit befindet sich der Beschwerdeführer in (langfristiger) Strafhaft und möchte künftig arbeiten und für das Kind dieser ehemaligen Lebensgefährtin sorgen. Der Beschwerdeführer ist also ledig und kommt auch keinen Unterhaltspflichten nach. Er hat Bekannte und Freunde verschiedener Ethnien bzw. Staatsangehörigkeiten in Österreich, die aber ebenfalls zumindest zum Teil dem kriminellen Milieu verhaftet sind. Er ist er nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation.
Der Beschwerdeführer wurde wegen Depressionen und Alkoholsucht medizinisch behandelt und ist aktuell wieder gesund. Er behauptet auch spielsüchtig gewesen zu sein. Er leidet an keinen akut lebensbedrohlichen Erkrankungen und ist arbeits- sowie selbsterhaltungsfähig.
1.2. Zu den Gründen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des UBAS vom 11.03.2005, Zl. 251.371/0-XI/34/04, im Familienverfahren ebenso wie seinem Vater und seinen Geschwistern -abgeleitet von seiner Mutter- Asyl gewährt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Seiner Mutter wurde in Österreich Asyl gewährt, da ihr auf Grund der journalistischen, kämpferischen bzw. politischen Tätigkeit ihres bekannten Bruders sowie ihrer eigenen Aktivitäten zur Unterstützung von tschetschenischen Kämpfern (mit Lebensmitteln) 2005 weitere Verfolgung drohte (Bescheid des UBAS vom 11.03.2005, Zl. 251.375/0-34/04).
1.3. Zur Straffälligkeit des Beschwerdeführers:
1.3.1. Der BF hat bereits als Jugendlicher Straftaten begangen und befindet sich derzeit wieder in Strafhaft. Dazu wurde im angefochtenen Bescheid festgestellt:
-Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 29.10.2009 zu XXXX wurden Sie wegen §§ 15, 127 StGB und §§ 15, 105 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen á EUR 2,00 verurteilt, wobei die Hälfte der Geldstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (Jugendstraftat).
- In der Folge wurden Sie mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 09.09.2010 zu XXXX wegen § 164 Abs 1 und 2 StGB unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichtes XXXX zu XXXX zu einer Zusatzgeldstrafe von 30 Tagessätzen á EUR 4,00 verurteilt, wobei die Hälfte der Geldstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (Jugendstraftat).
- Weiters wurden Sie mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 31.05.2012 zu XXXX wegen § 127 StGB und §§ 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wovon ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von 12 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (Junger Erwachsener). Aus Anlass dieser Verurteilung wurde die zu XXXX des Landesgerichtes XXXX gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen.
- Daraufhin wurden Sie mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 18.10.2013 zu XXXX wegen §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen á EUR 5,00 verurteilt (Junger Erwachsener). Diesem Urteil lag im Wesentlichen zugrunde, dass Sie am 24.06.2012 – gemeinsam mit weiteren Angeklagten – versucht haben, Polizeibeamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern, indem Sie einen namentlich genannten Beamten im Zuge der Festnahme zweier russischer Staatsbürger Stöße und Tritte versetzten. Bei den Strafbemessungsgründen wurde das Alter unter 21 Jahren zum Tatzeitpunkt sowie dass die Tat beim Versuch blieb als mildernd, Ihre Vorstrafen, der rasche Rückfall und die Begehung mit Mittätern als erschwerend gewertet. Gleichzeitig wurde die Probezeit hinsichtlich der zu XXXX des Landesgerichtes XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht auf insgesamt fünf Jahre verlängert.
Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 02.07.2014 zu XXXX wurden Sie aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe zu XXXX des Landesgerichtes XXXX am 06.07.2014 bedingt entlassen, wobei die Probezeit mit drei Jahren festgesetzt wurde (endgültige Entlassung am 11.10.2017).
- Mit (Abwesenheits-)Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 24.07.2017 zu XXXX wurden Sie wegen § 50 Abs 1 Z 2 WaffG zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen á EUR 10,00 verurteilt. Diesem Urteil lag im Wesentlichen zugrunde, dass Sie am 10.03.2017 in XXXX , wenn auch nur fahrlässig, eine verbotene Waffe (§ 17 WaffG), nämlich einen Schlagring aus Metall, unbefugt besessen haben.
- Mit erstinstanzlichem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 05.03.2019, GZ: XXXX , wurden Sie wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 2 erster Fall StGB, der Verbrechen des teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 erster und zweiter Fall, 15 StGB, des Verbrechens der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB, des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 erster Fall StGB, (nicht rechtskräftig!) zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt.
Die Ihnen mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 31.05.2012 zu XXXX gewährte bedingte Strafnachsicht (Freiheitsstrafe 12 Monate) wurde mit Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO iVm § 56 StGB widerrufen.
Dem erstinstanzlichen Urteil des Landesgerichts XXXX wurde im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:
Es haben
A) Ihre Person, XXXX und XXXX am 07.09.2017 in XXXX im einverständlichen Zusammenwirken an einem Angriff mehrerer tätlich teilgenommen, wobei der Angriff eine Körperverletzung zum Nachteil des XXXX , des XXXX und des XXXX verursacht hat, wobei XXXX eine Schädelprellung, eine HWS-Distorsion sowie eine Rissquetschwunde an der Oberlippe und eine Rissquetschwunde oberhalb des linken Auges erlitt, XXXX eine Schädelprellung, eine Prellung des Oberkieferköpfchens, eine HWS- Distorsion, eine Schulterprellung sowie eine Prellung der Lendenwirbelsäule erlitt und die Tat bei XXXX eine Schädelprellung, eine Fraktur des 3.4 Zahnes sowie eine Zerrung der Halswirbelsäule zur Folge hatte;
B) in XXXX , XXXX und anderen Orten
I. Ihre Person, XXXX , XXXX und XXXX als Mitglieder einer zumindest aus den genannten Angeklagten bestehenden kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) anderer Mitglieder dieser Vereinigung durch nachangeführte Handlungen, sohin mit Gewalt bzw./und Drohung mit gegenwärtiger Gewalt für Leib und Leben sowie unter Verwendung von Waffen nachangeführten Personen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz abgenötigt bzw. abzunötigen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar
- Ihre Person, XXXX , XXXX , XXXX und XXXX am 21.12.2017. XXXX durch strategische Positionierung der beteiligten Personen im Lokal und die Äußerung des XXXX , ab sofort beginne der Tschetschenenkrieg, verbunden mit der Forderung, ihm die Kellnergeldtasche samt Bargeld sowie die Schlüssel zum Wettlokal und zu den Spielautomaten auszuhändigen, wobei er in der Folge das in den Spielautomaten enthaltene Bargeld entnahm, Bargeld in Höhe von ca. EUR 3.120,--;
- Ihre Person, XXXX , XXXX , XXXX und ein bislang unbekannter und abgesondert verfolgter Täter am 31.12.2017 XXXX , Angestellter des Wettbüros „ XXXX “, indem sie ihm zwei Schläge ins Gesicht versetzten sowie indem sie ihm gegenüber äußerten: „Mach die Kassa auf und gib uns das ganze Geld, sonst zerstören wir hier alles und machen alles kaputt, dich auch“, wobei XXXX oder Sie deutlich sichtbar eine Faustfeuerwaffe im Gürtel trug(en), Bargeld in der Höhe von rund EUR 3.300,--;
- XXXX , Ihre Person, XXXX , XXXX , XXXX und zwei weitere bislang unbekannte und abgesondert verfolgte Täter am 02.01.2018. XXXX , indem sie ihm mehrere Faustschläge und Fußtritte versetzten, dessen PKW der Marke Mercedes mit dem behördlichen Kennzeichen XXXX , dessen Geldtasche und sein Handy der Marke LG unerhobenen Wertes;
- Ihre Person und XXXX am 10.03.2017 in XXXX XXXX , indem Sie an ihm zerrten und XXXX eine Faustfeuerwaffe/Pistole Kal. 9 mm vorzeigte, indem Sie gut sichtbar an Ihrer rechten Hand einen Schlagring trugen, indem sie den flüchtenden XXXX erfassten, Sie ihn zu sich umdrehten und XXXX seine Waffe zog, ihm diese an die Brust hielt und dabei äußerte, dass er, XXXX , nicht weglaufen solle, ansonsten er schießen werde sowie das Magazin aus der Waffe nahm und XXXX das aufgeladene Magazin zeigte, um seine Absichten zu verdeutlichen, Bargeld in der Höhe von ca. EUR 5.000,-- bis EUR 6.000,--, wobei die Tat beim Versuch blieb;
II. Ihre Person, XXXX , XXXX , XXXX und XXXX am 21.12.2017 in XXXX mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, XXXX durch die an dessen Mitarbeiter XXXX gerichtete und zur Weiterleitung bestimmte Mitteilung, XXXX werde am 22.12.2017 wieder kommen und die zu Punkt I. 1. angeführten Schlüssel nicht zurückgeben, solange er nicht EUR 5.000,-- erhalte, und die durch XXXX gegenüber XXXX getätigte Äußerung, er wolle nicht, dass ihm etwas passiere, somit durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen und Körper, zu einer Handlung, nämlich der Übergabe von EUR 5.000,--, zu nötigen versucht, die XXXX im genannten Betrag am Vermögen geschädigt hätte;
III. XXXX am 01.01.2018 in XXXX Ihre Person durch die sinngemäße Aufforderung „die Sache mit XXXX am nächsten Tag zu erledigen“ zu der zu Punkt I. 3. dargestellten Tat bestimmt;
IV. XXXX ab einem unbekannten Zeitpunkt bis 08.03.2018 in XXXX und anderen Orten, wenn auch nur fahrlässig, unbefugt Schusswaffen der Kategorie B besessen oder geführt, wobei ihm der Besitz von Waffen oder Munition gemäß § 12 WaffG verboten ist, und zwar eine Pistole der Marke ZCZ Crvena Zastava, Modell 70, Cal. 7,65 mm sowie 4 Patronen;
V. Ihre Person, XXXX , XXXX und XXXX und bisher nicht bekannte weitere Mittäter ab Anfang 2017 an einem unbekannten Ort durch die Vereinbarung, künftig gemeinsam bewaffnete Raubüberfälle auf Wettlokale zu verüben sowie die Betreiber von Wettlokalen im Raum XXXX unter Drohung mit dem Tode sowie durch Gewalt zur Bezahlung von Schutzgeld zu erpressen, eine kriminelle Vereinigung gegründet; Bei der Strafbemessung erachtete das Erstgericht zwei einschlägige Vorstrafen und das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit zwei Vergehen als erschwerend. Als mildernd wurden das teilweise Geständnis und die teilweise Beschränkung auf den Versuch gewertet. Der Widerruf der bedingten Strafnachsicht wurde angesichts der neuerlichen massiven einschlägigen Delinquenz für erforderlich erachtet.
- Mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 14.01.2020, GZ: XXXX , wurde dieses - im Übrigen unberührt gebliebene - Urteil im Schuldspruch B) I. 1. betreffend Ihrer Person sowie den weiteren Angeklagten XXXX , XXXX XXXX und XXXX , sowie in den Strafaussprüchen betreffend sämtliche Angeklagte einschließlich der Vorhaftanrechnungen, im Verfallsausspruch von EUR 3.120,-- ebenso wie die Beschlüsse hinsichtlich der Widerrufsentscheidungen aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht XXXX als Jugendschöffengericht verwiesen. Die Entscheidung über Ihre Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis wurde dem Oberlandesgericht XXXX aufgetragen.
- Mit Urteil des Landesgerichts XXXX als Schöffengericht vom 12.03.2020, GZ: XXXX , wurden Sie infolge der am selben Tag durchgeführten öffentlichen und mündlichen Hauptverhandlung wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Gemäß § 494a Abs 1 Ziffer 4 StPO StPO wurde bei Ihnen die zu XXXX LG XXXX gewährte bedingte Nachsicht (12 Monate Freiheitsstrafe) widerrufen.
Die Feststellungen, die das Landesgericht XXXX im Urteil vom 5.3.2019 zu XXXX getroffen hat, traf das Landesgericht XXXX als (Jugend-)Schöffengericht genau so. Ebenso schloss sich dieses Gericht der Beweiswürdigung des Senates vom 05.03.2019 zu all diesen Feststellungen an.
Darüber hinaus wurde vom Landesgericht XXXX folgendes festgestellt:
Bei dem Überfall am 21.12.2017 drohten die Täter dem XXXX für den Fall, dass er ihren Forderungen nicht nachgibt eine Verletzung am Körper an. Es kam Ihnen sowie den weiteren Angeklagten XXXX , XXXX XXXX und XXXX darauf an, den XXXX im bewussten und gewollten Zusammenwirken durch Drohung mit einer Körperverletzung, die sie ihm sofort zufügen, wenn er nicht gehorcht, nachhaltig in Furcht zu versetzen und ihn dadurch zur Herausgabe des Geldes (und Schlüssels) zu zwingen. Die Drohung erfolgte durch die Kombination aus Personenmehrheit, martialischem Auftreten, Verhalten und Äußerungen. Diese Drohung mit einer Körperverletzung war ernst gemeint und sie war objektiv geeignet, den XXXX nachhaltig in Furcht darüber zu versetzen, dass er von den Angeklagten sofort am Körper verletzt wird, wenn er nicht gehorcht. XXXX gab Geld und Schlüssel wegen der Drohung heraus.
Zu den Strafzumessungsgründen wurde bei Ihnen das Bestehen von zwei einschlägigen Vorstrafen, das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit zwei Vergehen als erschwerend, das teilweise Geständnis und der Umstand, dass die Taten teilweise beim Versuch geblieben sind, als mildernd gewertet. Überdies wurde die lange Verfahrensdauer als Milderungsgrund berücksichtigt. Bei Ihnen – sowie auch den weiteren Angeklagten – kam eine (auch nur teilweise) bedingte Strafnachsicht mit Rücksicht auf die Schwere der Delikte jedoch allein schon aus generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht. Zum Widerruf der bedingten Strafnachsicht wurde festgehalten, dass Sie (innerhalb der Probezeit) massiv einschlägig straffällig wurden und die Verlängerung der Probezeit spezialpräventiv wirkungslos blieb.
- Der gegen das Urteil des Landesgerichts XXXX vom 12.03.2020, GZ: XXXX , erhobenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe sowie des gegen des mit diesem Urteil verbundenen Beschlusses auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht und Ihrer Berufung wegen des Ausspruchs über privatrechtliche Ansprüche, wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom 22.12.2020, GZ: XXXX , insofern Folge gegeben, als die Freiheitsstrafe auf 7 Jahre und 6 Monate herabgesetzt wurde. Ihrer Beschwerde wurde hingegen nicht Folge gegeben.
Die vom Landesgericht XXXX angenommenen Strafzumessungsgründe wurden im Rechtsweg durch das Oberlandesgericht wie folgt korrigiert und ergänzt:
Sie wiesen zum Entscheidungszeitpunkt nicht zwei, sondern drei einschlägige Vorstrafen auf, zumal die auch gegen die körperliche Integrität gerichtete Verurteilung des Landesgerichtes XXXX vom 18.10.2013, zu XXXX , wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt auf der gleichen schädlichen Neigung beruht wie das nunmehrige Vergehen des Raufhandels. Konkret trafen fünf Verbrechen mit zwei Vergehen zusammen. Als weitere Erschwerungsgründe wurden zudem der rasche Rückfall nach der letzten Verurteilung durch das Bezirksgericht XXXX vom 24.7.2017, zu XXXX , sowie die mehrfache Qualifizierung des schweren Raubes durch Begehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und unter Verwendung einer Waffe berücksichtigt. Im Rahmen der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung nach § 32 StGB wirkte überdies die Tatbegehung während der zu XXXX des Landesgerichtes XXXX noch bis 14.2.2018 offenen Probezeit aggravierend.
Die Strafe war bei Ihnen gemäß § 28 StGB innerhalb des von einem bis zu fünfzehn Jahren reichenden Strafrahmens des § 143 Abs 1 StGB zu bemessen. Im Hinblick auf die Strafzumessungsgründe, die lediglich auf der erschwerenden Seite zu ergänzen waren, den Schuld- und Unrechtsgehalt der Taten und die Grundsätze der allgemeinen Strafbemessung nach § 32 StGB erschien insbesondere im Hinblick auf die Begehung mehrerer Verbrechen und die einschlägige Vorstrafenbelastung die mit sieben Jahren und neun Monaten bemessene Strafe grundsätzlich schuld- und tatangemessen.
Der Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu XXXX des Landesgerichtes XXXX erschien gerechtfertigt. Bei Ablauf der bereits auf fünf Jahre verlängerten Probezeit war das Strafverfahren gegen Ihre Person bereits anhängig (§ 56 StGB). Zwar liegt die Rechtskraft dieser Verurteilung mehr als sieben Jahre zurück, doch begingen Sie die Taten innerhalb der bis 14.2.2018 offenen Probezeit und handelt es sich nunmehr um die bereits dritte Verurteilung nach dem angeführten Urteil.
Ihr massiver Rückfall in die einschlägige Delinquenz zeigt, dass weder die Gewährung und Verlängerung einer Probezeit noch der dazumal vollzogene – wenn auch kürzere - unbedingte Teil der Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug Sie von weiteren strafbaren Handlungen abhalten konnten, sodass der Widerruf der bedingten Strafnachsicht erforderlich war und auch die ursprünglich bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von zwölf Monaten zu vollziehen ist.
Sie stellen aufgrund der Chronologie Ihrer Straftaten sowie Ihres bisherigen Gesamtverhaltens eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit und die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Für Sie kann keine günstige Zukunftsprognose erstellt werden. Es ist davon auszugehen, dass Sie Ihre kriminelle Energie auch in Zukunft verbreiten und auch nach Ihrer Haftentlassung strafrechtlich in Erscheinung treten werden.
Es wird zusammenfassend festgestellt, dass Sie von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurden sowie, dass Sie einen Asylausschlussgrund verwirklicht haben.
1.4. Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten
Der Beschwerdeführer wurde von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt und bedeutet wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft.
Der Beschwerdeführer unterliegt zudem in der Russischen Föderation keiner aktuellen Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation
Aus den vom BFA bereits ins Verfahren eingeführten, im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2020 (in der Folge: LIB 2020) zitierten Länderberichten zur Lage in der Russischen Föderation ergibt sich Folgendes:
1.5.1.
1. Politische Lage
Letzte Änderung: 21.07.2020
Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).
Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).
Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).
Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).
Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).
Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).
Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020
- CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020
- EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020
- FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 17.7.2020
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020
- Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020
- Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020
- MDR 16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020
- ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020
- OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020
- Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020
- RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020
- Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020
- Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020
- Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020
1.1. Tschetschenien
Letzte Änderung: 27.03.2020
Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).
In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Ge