TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/20 G314 2236170-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.07.2021
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Entscheidungsdatum

20.07.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch


G314 2236170-1/21E

Schriftliche Ausfertigung des am 05.07.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses

ENDERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des deutschen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.2020, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots samt Nebenentscheidungen zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es richtig zu lauten hat:

„I. Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

II. Gemäß § 70 Abs 3 FPG wird dem Beschwerdeführer ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.“

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Nachdem über den bereits mehrfach vorbestraften BF am XXXX die Untersuchungshaft verhängt worden war, leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn ein und forderte ihn mit dem Schreiben vom 08.01.2020 auf, sich dazu zu äußern und Fragen zu seinem Aufenthalt in Österreich, seinem Privat- und Familienleben und den Bindungen zu seinem Heimatstaat zu beantworten. Der BF erstattete eine Stellungnahme, in der er die Fragen beantwortete und sich gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbots aussprach.

Nachdem der BF mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt und der Strafvollzug im elektronisch überwachten Hausarrest bewilligt worden war, wurde er am XXXX vor dem BFA im Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vernommen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde daraufhin gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit neun rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen des BF in Österreich und (diesen gemäß § 73 StGB gleichstehenden) in Deutschland, unter anderem wegen Suchtgiftkriminalität, und der Erfüllung der Tatbestände des § 53 Abs 3 Z 1 und 4 FPG begründet. Er halte sich (nach einem ersten Inlandsaufenthalt zwischen XXXX und XXXX) erst seit XXXX wieder kontinuierlich im Bundesgebiet auf. Seine beiden Kinder, seine für sie obsorgeberechtigte Mutter und sein Bruder würden sich zwar ebenfalls hier aufhalten; es liege aber kein unverhältnismäßiger Eingriff in sein Familienleben vor, weil er sich im Grenzgebiet niederlassen und von seinen Kindern besucht werden könne. Seine Mutter könne die Erziehung und die Angelegenheiten der Kinder auch ohne ihn besorgen, zumal die Kontakte schon zuvor haftbedingt eingeschränkt gewesen seien. Es sei keine tiefgreifende Integration des BF im Bundesgebiet erkennbar, zumal er den Großteil seines Lebens in Deutschland verbracht habe, wo er auch noch Familienangehörige und Bezugspersonen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit der der BF - neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung - primär dessen Behebung, in eventu die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots, anstrebt. Hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag. Die Beschwerde wird zusammengefasst damit begründet, dass die ersten vier strafgerichtlichen Verurteilungen aus den Jahren XXXX bis XXXX wegen des Ablaufs der Tilgungsfrist nicht zu berücksichtigen seien. Ungeachtet der weiteren ungetilgten Verurteilungen gehe vom BF keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus. Seine Gesinnung habe sich nachweislich bereits zum Positiven gewandelt; er bereue seine Straftaten und sei wegen seiner Suchterkrankung in Behandlung. Er habe sich seit der letzten Tat am XXXX wohlverhalten. Das BFA habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt und insbesondere das Familienleben des BF zu oberflächlich erhoben. Er habe einen sicheren Arbeitsplatz und leiste für seine beiden Kinder jeweils EUR 100 pro Monat an Geldunterhalt. Er beteilige sich intensiv an ihrer Erziehung und Betreuung, verbringe die Wochenenden mit ihnen und besuche sie auch unter der Woche, um seine (durch die Familiensituation psychisch belastete) Mutter zu unterstützen. Dieser könnten häufige Besuchsfahrten nach Deutschland nicht zugemutet werden. Die Mutter der Kinder habe diese vernachlässigt und schließlich den Kontakt abgebrochen; eine Trennung auch von ihrem Vater würde sich negativ auf die Entwicklung auswirken. Das Aufenthaltsverbot gefährde das Wohl der Kinder und die Gesundheit der Mutter des BF. Die Beweiswürdigung des BFA sei nicht nachvollziehbar. Die Dauer des Aufenthaltsverbots sei nicht begründet worden. Die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG sei mangelhaft. Das BFA habe willkürlich angenommen, dass Kontakte der Kinder zu ihrem Vater wegen dessen Straffälligkeit ihrem Wohl nicht zuträglich seien. Die rechtliche Beurteilung sei falsch, weil die vom BFA herangezogene Bestimmung des § 53 Abs 3 FPG nur für Drittstaatsangehörige gelte und für EWR-Bürger nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen könne.

Das BFA legte die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor und beantragte, sie als unbegründet abzuweisen (OZ 1).

Mit dem Teilerkenntnis vom 22.10.2020 wies das BVwG den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung als unzulässig zurück und behob - unter gleichzeitiger Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung - Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids, weil angesichts des Familienlebens des BF im Inland zu befürchten sei, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung mit der Gefahr einer Verletzung von Art 8 EMRK verbunden sei (OZ 2).

Der BF legte in der Folge weitere Urkunden, insbesondere zur Situation seiner Kinder und seiner Mutter, vor (OZ 4 und 7).

Das BFA erstattete eine ergänzende Stellungnahme zur Beschwerde (OZ 6), auf die der BF replizierte und ergänzend die Einvernahme der Familienhelferin XXXX als Zeugin zum Beweis dafür beantragte, dass er sich in erheblichem Maß um die Betreuung und Erziehung seiner Kinder kümmere (OZ 11).

Am 21.04.2021 wurde das BVwG über die bevorstehende bedingte Entlassung des BF informiert (OZ 12).

Am 18.06.2021 übermittelte die Bewährungshelferin des BF dem BVwG eine Stellungnahme (OZ 17).

Bei der Beschwerdeverhandlung am 05.07.2021 wurden der BF (im Beisein seiner Rechtsvertretung) sowie seine Mutter XXXX als Zeugin vernommen. Nach dem Schluss der Verhandlung wurde das Erkenntnis mündlich verkündet (OZ 19).

Mit Eingabe vom 06.07.2021 beantragte der BF eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses (OZ 20).

Feststellungen:

Der BF ist deutscher Staatsangehöriger und wurde am XXXX in XXXX geboren. Seine Muttersprache ist Deutsch. Er lebte zunächst bis XXXX in Deutschland, wo er nach der Pflichtschule eine XXXX begann, die er jedoch nicht beendete, und eine Ausbildung zum XXXX machte. Sein Vater und drei Geschwister des BF, zu denen er nach wie vor ab und zu telefonischen Kontakt hat, leben nach wie vor in Deutschland. Die Mutter des BF lebt ungefähr seit XXXX in Österreich. Sie bezieht eine Witwenpension und lebt im XXXX gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, einem Österreicher, der bei den XXXX arbeitet.

XXXX übersiedelte der BF nach Österreich, wo er sich in XXXX niederließ und von XXXX bis XXXX sowie im XXXX und XXXX bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt war. Zwischen XXXX und XXXX bezog er zeitweise Arbeitslosengeld. Seiner Beziehung mit der deutschen Staatsangehörigen XXXX, die damals auch in XXXX lebte, entstammt seine Tochter XXXX, die am XXXX zur Welt kam.

Der BF wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX, wegen des Vergehens der Sachbeschädigung rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er am XXXX die Heckscheibe eines Autos und am XXXX eine Türe und ein Fenster beschädigt hatte. Als mildernd wurden sein Geständnis, die Schadensgutmachung und das Alter unter 21 Jahren berücksichtigt; erschwerend wirkten sich einschlägige Vorstrafen (in Deutschland) aus. Die Geldstrafe wurde bis XXXX vollständig gezahlt.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde der BF wegen der Verbrechen der versuchten schweren Nötigung (§§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB) und der Vergehen der Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB), des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB) und der fahrlässigen Körperverletzung (§ 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB) rechtskräftig zu einer Strafenkombination (unbedingte Geldstrafe und neunmonatige, bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe) verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er am XXXX im Zusammenhang mit Beziehungsproblemen versucht hatte, einen anderen durch gefährliche Drohung mit dem „Aufschlitzen“, wobei er ein Messer in der Hand hielt, dazu zu nötigen, die Wohnung von XXXX nicht aufzusuchen bzw. zu verlassen, und die einschreitenden Polizeibeamten an der Festnahme zu hindern, indem er sie zunächst mit dem Messer auf Abstand hielt und dann mit Armen und Beinen um sich schlug bzw. trat. Dabei fügte er einem der Beamten fahrlässig eine schwere Körperverletzung (Bruch des Wadenbeins und des Sprunggelenks) zu. Den anderen Beamten hatte er durch die mit dem Messer in der Hand geäußerte Drohung, er werde auf ihn losgehen, dazu genötigt, die Abschaltung des Radios zu unterlassen. Bei der Strafbemessung wurden das teilweise Geständnis, der teilweise Versuch und die durch Alkohol und THC eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit als mildernd berücksichtigt, das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen dagegen als erschwerend. Für die dreijährige Probezeit wurden die Bewährungshilfe angeordnet und dem BF die Weisung erteilt, eine ambulante Suchttherapie zu absolvieren. Aufgrund dieses Vorfalls war gegen den BF im XXXX ein Waffenverbot erlassen worden.

Kurz nach dieser Verurteilung kehrte der BF nach Deutschland zurück, wo sich XXXX und XXXX bereits aufhielten. Die Bewährungshilfe wurde im XXXX aufgehoben. XXXX wurde die Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen. Die Geldstrafe wurde erst am XXXX vollständig gezahlt.

Von XXXX bis XXXX lebte der BF zusammen mit XXXX und XXXX in Deutschland. Am XXXX wurde dort XXXX, der Sohn des BF und XXXX, geboren. Die Beziehung zwischen dem BF und XXXX war schwierig und konfliktreich; es kam zu (teils gewalttätigen) Auseinandersetzungen. Der BF konsumierte Alkohol und Suchtgift. Ab XXXX gab es Kontakte mit dem Jugendamt, unter anderem, weil der BF bei einer Verkehrskontrolle, bei der auch die Kinder im Auto waren, positiv auf Amphetamine getestet worden war.

Mit dem Urteil des Amtsgerichts XXXX vom XXXX wurde der BF wegen Diebstahls rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Eine weitere Geldstrafe wurde mit dem Urteil des Amtsgerichts XXXX vom XXXX wegen des Erschleichens von Leistungen verhängt, weil er ohne Fahrschein mit der S-Bahn gefahren war und sich mit einem als gestohlen gemeldeten Ausweis ausgewiesen hatte. Mit dem Urteil des Amtsgerichts XXXX vom XXXX wurde er wegen Brandstiftung, Sachbeschädigung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung rechtskräftig zu einer (zur Bewährung ausgesetzten) Freiheitstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, weil er nach einem Streit mit XXXX unter Alkoholeinfluss einen LKW angezündet und sich anschließend gegen seine Festnahme gewehrt hatte.

Mit dem Urteil des Amtsgerichts XXXX vom XXXX wurde wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine zweijährige, zunächst zur Bewährung ausgesetzte Freiheitstrafe verhängt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er eine erhebliche Menge Cannabis und Crystal Meth aus Tschechien aus- und nach Deutschland eingeführt hatte. Die Strafaussetzung wurde widerrufen, weil der BF eine gerichtlich angeordnete Suchttherapie abbrach. Statt die Strafe anzutreten, begab er sich im XXXX mit XXXX , die die Wohnung in Deutschland aufgrund von Mietzinsrückständen verloren hatte, und den beiden Kindern wieder nach Österreich, wo er sich ohne Wohnsitzmeldung bei seiner Mutter aufhielt.

XXXX war zumindest ab XXXX mit der Pflege und Erziehung der Kinder überfordert, sodass es zu unangemessenen Ausbrüchen kam, bei denen sie sie anschrie, XXXX schüttelte, XXXX durch den Wurf mit einer Plastikflasche verletzte und in einem Zimmer einsperrte. Im XXXX überließ sie XXXX der Mutter des BF. Ab XXXX war auch XXXX auf Betreiben des Trägers der Kinder- und Jugendhilfe dort untergebracht. Der Träger der Kinder- und Jugendhilfe beantragte, die Obsorge in den Teilbereichen Pflege und Erziehung ihm oder allenfalls der Mutter des BF zu übertragen. XXXX kehrte in der Folge nach Deutschland zurück. Sie hat seit XXXX keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern; die Beziehung zwischen ihr und dem BF ist endgültig beendet.

Der BF trat im XXXX die in Deutschland zu verbüßende Haftstrafe an, die bis XXXX vollzogen wurde. Mit dem Urteil des Amtsgerichts XXXX vom XXXX wurde er wegen qualifizierten Diebstahls zu einer zur Bewährung ausgesetzten, neunmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er am XXXX gemeinsam mit einem Mittäter in eine Hütte eingebrochen war und einen Tisch gestohlen hatte.

In der Zwischenzeit hatte das Bezirksgericht XXXX mit dem Beschluss vom XXXX XXXX die Obsorge für XXXX und XXXX in den Teilbereichen Pflege und Erziehung (einschließlich der gesetzlichen Vertretung in diesen Bereichen) entzogen und der Mutter des BF übertragen, die die Kinder seither betreut und versorgt. Sie wird dabei von verschiedenen Institutionen, z.B. der Abteilung für Kinder- und Jugendhilfe der Bezirkshauptmannschaft XXXX, dem Kinderschutzzentrum XXXX und einer Familienhelferin der XXXX, unterstützt. Der BF war nie mit der Obsorge für seine Kinder betraut, auch nicht in einem Teilbereich.

Nach seiner Entlassung aus der Haft in Deutschland kehrte der BF im XXXX nach Österreich zurück, wo er zunächst bei seiner Mutter wohnte und ab XXXX wieder bei seinem früheren Arbeitgeber tätig war. Er bemühte sich zunächst, die Vaterrolle gegenüber seinen Kindern mehr und mehr wahrzunehmen.

Mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX wurde der BF wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (§ 287 Abs 1 StGB iV, §§ 83 Abs 1 und 2 StGB) zu einer zweimonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er sich am XXXX fahrlässig durch Alkoholkonsum in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und in diesem Zustand zwei Personen verletzt hatte (Schwellung und Rötung des Jochbeins durch einen Faustschlag; Schmerzen im Kieferbereich durch Ausreißen des Vollbarts). Als mildernd wurde sein Geständnis gewertet, erschwerend wirkten sich die Begehung von zwei Rauschtaten sowie drei teils massive einschlägige Vorstrafen in Deutschland und Österreich aus. Für die dreijährige Probezeit wurde die Bewährungshilfe angeordnet und dem BF die Weisung erteilt, ein Anti-Gewalt-Training zu absolvieren und Alkoholkonsum zu meiden.

Seit Ende XXXX bewohnte der BF eine eigene Wohnung in XXXX , in der er auch jetzt wieder lebt. Er ging eine Beziehung mit der Österreicherin XXXX ein und konsumierte weiterhin Suchtmittel. Die Kinder verblieben in der Obhut seiner Mutter.

Am XXXX wurde der BF verhaftet und in der Folge in die Justizanstalt XXXX eingeliefert. Am XXXX wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde er rechtskräftig zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe sowie zur Zahlung eines Verfallsbetrages von EUR 7.000 an Veräußerungserlösen aus dem Suchtgiftverkauf verurteilt. Gleichzeitig wurde die 2018 gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er gemeinsam mit XXXX von Anfang XXXX bis Ende XXXX Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28 b SMG) übersteigenden Menge (1.600 g Cannabiskraut mit einem THC-Gehalt von 11,2 %) erzeugt hatte, indem sie auf Indoorplantagen in seiner und in ihrer Wohnung sowie auf einer Outdoorplantage Cannabispflanzen aufgezogen und die Blüten nach wiederholten Blühzyklen abgeerntet hatten (Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall SMG). Im selben Zeitraum hatten sie Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (1.100 g Cannabiskraut mit einem THC-Gehalt von 11,2 %) gewinnbringend an mehrere Abnehmer verkauft (Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG) und dadurch in Summe ca. EUR 10.000 erwirtschaftet. Der BF hatte überdies im Frühjahr XXXX zwei Warnleuchten von einer Baustelle und im XXXX Sachen im Wert von mehr als EUR 5.000 (eine Faustfeuerwaffe, Werkzeug, einen Laptop, eine Spielkonsole und eine Drohne) aus einer Bauhütte gestohlen (Vergehen des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB). Im Herbst XXXX hatte er über eine E-Commerce-Plattform 50 nachgemachte Zehn-Euro-Scheine erworben und zwei davon XXXX überlassen, die diese daraufhin zur Bezahlung bei einer Tankstelle verwendete (Vergehen der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes nach §§ 232 Abs 1 Z 1 erster, fünfter und sechster Fall sowie 12, 232 Abs 1 Z 2 StGB). Er hatte am XXXX das Mobiltelefon von XXXX zu Boden geworfen und mit der Faust ein Loch in eine Gipskartonwand in ihrer Wohnung geschlagen (Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB). Letztlich hatte er bis zu seiner Verhaftung entgegen dem Waffenverbot Waffen (Tränengasspray, Schreckschusspistole samt Munition, gestohlene Faustfeuerwaffe) besessen (Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG). Bei der Strafbemessung wurden die überwiegend einschlägigen Vorverurteilungen in Österreich und in Deutschland, die Begehung mit einer Mittäterin, der rasche Rückfall während offener Probezeit, der lange Tatzeitraum beim Suchtgifthandel, die mehrfache Überschreitung der Grenzmenge und das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen als erschwerend gewertet. Mildernd wirkten sich die geständige Verantwortung, die verminderte Zurechnungsfähigkeit durch den eigenen Suchtmittelkonsum und die teilweise Schadensgutmachung durch die Sicherstellung von Suchtgift, Waffen und Falschgeld aus.

Am XXXX wurde der BF aus der Justizanstalt XXXX in den elektronisch überwachten Hausarrest überstellt, nachdem ihm diese Vollzugsform mit Beschluss vom XXXX bewilligt worden war. Ihm wurde unter anderem aufgetragen, sich einer Therapie bei einer Suchtberatungseinrichtung zu unterziehen und regelmäßige Unterhaltszahlungen zu leisten. Er hatte die Beziehung zu XXXX beendet. Ab XXXX arbeitete er zunächst wieder für seinen früheren Arbeitgeber. Seit XXXX ist er bei einem XXXX in XXXX beschäftigt, bei dem auch sein Bruder arbeitet.

Am XXXX wurde der BF bedingt aus dem Strafvollzug entlassen. Für die dreijährige Probezeit wurde die Bewährungshilfe angeordnet. Er nimmt monatliche Termine bei der Suchtberatung XXXX wahr und konsumiert seit seiner Festnahme Anfang XXXX weder Alkohol noch Suchtmittel. Er ist mit seiner Nachbarin, einer Österreicherin, liiert, ohne mit ihr zusammenzuleben. Den Kontakt zu seinem früheren Freundeskreis hat er weitgehend abgebrochen.

Die XXXX besucht die Volksschule, ihr XXXX Bruder XXXX war bisher im Kindergarten und wird im Herbst 2021 eingeschult werden. Während der BF in der Justizanstalt XXXX in Haft war, wurde er dort von seiner Mutter und XXXX besucht; XXXX war dafür noch zu klein. Seit der Überstellung in den elektronisch überwachten Hausarrest unterstützt der BF seine Mutter bei der Pflege und Erziehung der Kinder, indem er diese an den Wochenenden zu sich nimmt und versorgt und auch unter der Woche an den Abenden nach der Arbeit besucht, um gemeinsam zu essen und sie ins Bett zu bringen. Er macht mit ihnen Sport und Unternehmungen im Freien, spielt mit ihnen und unterstützt XXXX bei den Hausaufgaben. In seiner Wohnung ist auch ein für die Kinder ausgestattetes Zimmer. Die XXXX-jährige Mutter des BF ist durch die Kindererziehung und die Inhaftierung des BF stark belastet und musste aus diesem Grund schon eine Psychotherapie in Anspruch nehmen. Sie wird bei der Erziehung und Betreuung der Kinder zwei Mal pro Woche von einer Familienhelferin unterstützt.

Der BF möchte weiterhin in Österreich bleiben und in Zukunft auch einmal die Obsorge für seine Kinder übernehmen. Wenn er nicht in Österreich bleiben darf, hat er vor, sich in Deutschland in der Nähe zur österreichischen Grenze niederzulassen, damit ihn seine Kinder besuchen können. Die Fahrtzeit vom Wohnort der Kinder in XXXX nach XXXX in Deutschland beträgt mit dem Auto ungefähr eine Stunde, mit dem Zug gut zwei Stunden und mit dem Bus mehr als drei Stunden.

Der BF ist arbeitsfähig und hat keine schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme. Am XXXX wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt. Außer zu seinen Kindern und seiner Mutter sowie deren Lebensgefährten hat er regelmäßig Kontakt zu seinem Bruder und dessen Familie mit drei minderjährigen Kindern, die seit XXXX in Österreich leben. Der BF hat einen österreichischen Führerschein und eine Ausbildung zum Hubstaplerführer gemacht, aber keine weiteren Integrationsschritte gesetzt.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und der Gerichtsakten des BVwG.

Die Feststellungen basieren insbesondere auf den Angaben des BF in seiner Stellungnahme, vor dem BFA sowie bei der Beschwerdeverhandlung, auf den vorgelegten Urkunden, auf Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) und Strafregister sowie auf den Sozialversicherungsdaten.

Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsangehörigkeit des BF ergeben sich aus seinem Reisepass, dessen Datenblatt dem BVwG in Kopie vorliegt. Auch seine Geburtsurkunde wurde vorgelegt. Der BF wurde stets ohne Dolmetscher einvernommen; muttersprachliche Deutschkenntnisse sind aufgrund seiner Herkunft und der nach seinen Angaben in seinem Herkunftsstaat absolvierten Schul- und Berufsausbildung plausibel.

Die Feststellungen zur Herkunftsfamilie des BF folgen seinen Angaben und der Darstellung der Zeugin XXXX.

Der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet zwischen XXXX und XXXX ergibt sich ebenfalls aus seiner Schilderung, die mit den Wohnsitzmeldungen laut ZMR und den im Versicherungsdatenauszug dokumentierten Beschäftigungsverhältnissen und Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld in Einklang steht. Die Geburtsurkunde von XXXX wurde vorgelegt.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF in Österreich, die zugrundeliegenden Taten und die Strafzumessungsgründe ergeben sich aus den aktenkundigen Urteilen, dem Strafregister und dem ECRIS-Auszug sowie (in Bezug auf seien letzte Verurteilung) auf dem polizeilichen Abschlussbericht vom XXXX. Aus dem Strafregister gehen zudem die Vollzugsdaten, die Aufhebung der Bewährungshilfe XXXX, die endgültige Nachsicht der Freiheitsstrafe XXXX und die bedingte Entlassung (die gemäß § 148 Abs 2 StVG nicht am Samstag, dem XXXX, erfolgte, sondern am Vortag) hervor. Der Bescheid vom XXXX über die Verhängung eines Waffenverbots, der auch Informationen zu den am XXXX abgeurteilten Taten enthält, liegt vor. Das Waffenverbot ergibt sich auch aus dem Strafurteil vom XXXX.

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF in Deutschland basieren auf dem ECRIS-Auszug. Der BF schilderte dem BVwG die zugrundeliegenden Taten, den Grund für den Widerruf der Strafaussetzung und den Strafvollzug 2016/17.

Die Geburt von XXXX lässt sich aus dem vorgelegten Vaterschaftsanerkenntnis nachvollziehen. Der BF schilderte vor dem BVwG Schwierigkeiten in seiner Beziehung mit XXXX. Die teils gewalttätigen Auseinandersetzungen, die Kontakte zu Jugendamt ab XXXX und der Umstand, dass der BF einmal ein Auto mit seinen Kindern in einem von Suchtgift beeinträchtigten Zustand lenkte, werden anhand der im Beschluss des Bezirksgerichts XXXX wiedergegebenen Stellungnahme des Kreisjugendamts XXXX vom XXXX festgestellt.

Der BF schilderte dem BVwG, dass er XXXX mit XXXX und den Kindern nach Österreich zurückkehrte und sich ohne Wohnsitzmeldung bei seiner Mutter niederließ. Dies muss im Mai XXXX gewesen sein, zumal er am XXXX in Deutschland einen Einbruchsdiebstahl beging und XXXX laut dem Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX am XXXX bei XXXX in XXXX angetroffen wurde.

Die Feststellungen zum Verhalten von XXXX, dass zur (teilweisen) Entziehung der Obsorge führte, werden anhand der Begründung des Beschlusses vom XXXX getroffen und können mit den Angaben des BF und der Zeugin XXXX dazu gut ein Einklang gebracht werden.

Die Übertragung der Obsorge in den Bereichen Pflege und Erziehung an die Mutter des BF, die Versorgung der Kinder seither und die Beteiligung des BF daran gehen aus dem Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX, dem Schreiben der Kinder- und Jugendhilfe vom XXXX, der Bestätigung des Kinderschutzzentrums XXXX vom XXXX, den Aktenvermerken des BFA vom XXXX und den Stellungnahmen der Bewährungshilfe vom XXXX und vom XXXX hervor. Der BF gab an, dass er bislang noch nie mit der Obsorge betraut war. XXXX schilderte als Zeugin auch die Unterstützung durch XXXX als Familienhelferin. Deren vom BF beantragte Einvernahme als Zeugin zum Beweis der Intensität seiner Beziehung zu den Kindern ist nicht notwendig, weil dieses Beweisthema durch die dazu vorgelegten Urkunden und die Angaben der BF und seiner Mutter als Zeugin abschließend im Sinne des Vorbringens des BF geklärt werden konnte.

Das Schreiben der Psychotherapeutin der Mutter des BF, XXXX, vom XXXX wird nur insoweit als Feststellungsbasis herangezogen, als sich daraus ergibt, dass XXXX durch die Gesamtsituation so belastet war, dass sie eine Psychotherapie in Anspruch nehmen musste. Weitere Feststellungen können daraus nicht abgeleitet werden, weil XXXX offenbar keine eigenen Wahrnehmungen schildert, sondern Schlussfolgerungen aus den Erzählungen von XXXX zieht. Die Frage, ob vom BF eine Gefahr ausgeht, die trotz seines Familienlebens im Inland ein Aufenthaltsverbot notwendig macht, ist im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu klären und kann weder von der Psychotherapeutin der Mutter des BF noch von anderen Unterstützern (Kinder- und Jugendhilfe, Kinderschutzzentrum, Bewährungshelfer), die ganz andere Aufgabenbereiche haben, beantwortet werden.

Die Feststellung, dass der BF bis zu seiner Verhaftung im XXXX Alkohol und Suchtgift konsumierte, beruht auf seinen eigenen Angaben und lässt sich auch aus den Strafurteilen und den ihm erteilten Weisungen ableiten. Aus seinem Vorbringen, wonach er seit seiner Festnahme weder Alkohol noch Drogen konsumiert, ergibt sich im Umkehrschluss, dass er das davor sehr wohl getan hatte.

Die Festnahme des BF, seine Anhaltung in der Justizanstalt XXXX und die Verhängung der Untersuchungshaft ergeben sich aus der Verständigung vom 07.01.2020, der Wohnsitzmeldung in der Justizanstalt laut ZMR und der Vorhaftanrechnung laut dem Urteil vom XXXX. Der Beschluss über die Bewilligung des elektronisch überwachten Hausarrests liegt vor; daraus sind auch die dafür erteilten Auflagen ersichtlich. Die Arbeitsverhältnisse des BF seither werden anhand des Versicherungsdatenauszugs und der vorgelegten Bestätigungen der Arbeitgeber vom XXXX und vom XXXX festgestellt.

Der BF legte Bestätigungen vom XXXX und vom XXXX über Beratungs- und Betreuungstermine bei der Suchthilfe XXXX vor. Aus der Stellungnahme seiner Bewährungshelferin vom XXXX geht im Einklang mit seinen Angaben vor dem BVwG hervor, dass er diese Termine nach wie vor wahrnimmt. Die Feststellungen zur (Liebes-) Beziehung mit seiner Nachbarin und dazu, dass er den Kontakt zu früheren Freunden abgebrochen hat, werden anhand seiner Aussagen getroffen, aus denen sich auch ergibt, dass er in Zukunft die Obsorge für seine Kinder übernehmen möchte und sich, wenn er Österreich verlassen muss, in Grenznähe niederlassen wird, um den Kontakt zu ihnen bei Besuchen zu pflegen. Die Fahrzeiten von XXXX nach XXXX ergeben sich aus im Internet abrufbaren Routenplanern (z.B. www.viamichelin.de/web/Routenplaner/Route- XXXX; Zugriff jeweils am 16.07.2021 ).

Das Verfahren hat keine Hinweise auf maßgebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen des BF ergeben, der sich selbst als gesund bezeichnet. Seine Arbeitsfähigkeit folgt daraus, aus seinem erwerbsfähigen Alter und der aktuell ausgeübten Tätigkeit. Er machte konsistente Angaben zum Verhältnis zu seinem Bruder, der laut ZMR mit seiner Partnerin und drei Kindern seit mehreren Jahren mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet ist. Die dem BF XXXX ausgestellte Anmeldebescheinigung ist im IZR dokumentiert. Abgesehen vom Erwerb eines Führerscheins und eines Hubstaplerscheins sind keine weiteren konkreten Integrationsbemühungen aus den Beweisergebnissen abzuleiten.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann es gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).

Hier hat sich der BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben (das nach § 53a NAG idR einen fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt), zumal er sich erst seit XXXX wieder durchgehend in Österreich aufhält und hier schon ab XXXX wieder Straftaten beging. Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.

Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an nationaler Sicherheit, der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit, der Rechte und Freiheiten anderer und der Moral) berührt. Seine strafgerichtlichen Verurteilungen in Österreich (zuletzt unter anderem wegen qualifizierter Suchtgiftdelinquenz) führen insbesondere angesichts seines massiv einschlägig belasteten Vorlebens in Deutschland, des überaus raschen Rückfalls und der Wirkungslosigkeit sämtlicher strafgerichtlicher Sanktionen dazu, dass für ihn keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann, zumal ihn auch die Verbüßung einer empfindlichen Freiheitsstrafe in Deutschland nicht davon abhielt, kurze Zeit später in Österreich neuerlich zu delinquieren. Die kriminelle Karriere des BF kann auch nicht (nur) auf die problembehaftete Beziehung mit XXXX zurückgeführt werden, zumal er nach der Trennung von ihr weitere und sogar schwerwiegendere Straftaten beging.

Wenn der BF nunmehr vorbringt, dass sich seine Einstellung durch den Strafvollzug geändert habe, so ist darauf hinzuweisen, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Selbst ein positives Vollzugsverhalten und der Verzicht auf Alkohol und Suchtgift in der geschützten Atmosphäre des Strafvollzugs können die vom BF ausgehende, durch seine wiederholte Straffälligkeit indizierte Gefährlichkeit demnach nicht entscheidend reduzieren. Bei der Beurteilung des Wohlverhaltens ist in erster Linie das in Freiheit gezeigte Verhalten maßgeblich; dem sind Zeiten des elektronisch überwachten Hausarrests nicht gleichzuhalten (vgl. VwGH 25.04.2019, Ra 2019/22/0049). Aus der Bewilligung der Strafverbüßung in dieser Vollzugsform lässt sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Verhalten ergebenden Gefährdung ableiten (siehe zuletzt VwGH 04.03.2020, Ra 2020/21/0035). Der BF hätte einen Gesinnungswandel hin zu einem rechtstreuen Verhalten und zur verantwortungsvollen Wahrnehmung seiner Vaterrolle auch schon nach der Haftentlassung im XXXX unter Beweis stellen können. Er hat diese Möglichkeit aber damals nicht genutzt, sondern kurz darauf begonnen, erneut zunehmend schwerere Straftaten zu begehen. Der seit der bedingten Entlassung Mitte XXXX verstrichene Beobachtungszeitraum reicht bei weitem nicht aus, um einen Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit anzunehmen.

Das Beschwerdevorbringen, wonach die Verurteilungen vom XXXX, vom XXXX, vom XXXX und vom XXXX bereits getilgt seien, führt zu keiner Änderung der Gefährdungsprognose. Einerseits handelt es sich um schon längere Zeit zurückliegende und (mit Ausnahme der Verurteilung vom XXXX) weniger schwerwiegende Delikte, die sich angesichts der deutlich gravierenden Straftaten, die auch nach der Ansicht des BF noch nicht getilgt sind, nur dahingehend auf die Gefährdungsprognose auswirken, als sie das Persönlichkeitsbild, das sich in den späteren Straftaten zeigt, bestärken und abrunden. Andererseits geht es bei der Gefährdungsprognose nicht um die Frage der formellen Unbescholtenheit, sondern um das Gesamtverhalten des BF, sodass zur Begründung einer Gefährdung öffentlicher Interessen auch das einer getilgten Verurteilung zugrunde liegende Verhalten berücksichtigt werden kann (siehe VwGH 30.04.2021, Ra 2021/21/0071). Letztlich sind diese Verurteilungen aber noch gar nicht getilgt. Nach österreichischem Recht beginnt die Tilgungsfrist gemäß § 2 Abs 1 TilgungsG mit dem Vollzugsdatum und beträgt für die Verurteilung durch das Bezirksgericht XXXX vom XXXX gemäß § 3 Abs 1 Z 2 TilgungsG fünf Jahre. Vor dem Ablauf dieser Frist wurde der BF am XXXX durch das Landesgericht XXXX verurteilt, wobei die Tilgung aller Verurteilungen gemäß § 4 Abs 1 TilgungsG nur gemeinsam erfolgen kann. Die gemeinsame Tilgungsfrist beginnt erst mit dem Vollzugdatum am XXXX. Angesichts der weiteren Verurteilungen des BF am XXXX und am XXXX kann von einer Tilgung nicht die Rede sein. Dies zeigt sich letztlich auch daran, dass die Verurteilungen nach wie vor in der Strafregisterauskunft aufscheinen, was nach der Tilgung nicht mehr der Fall wäre (siehe § 1 Abs 5 TilgungsG iVm § 2 Abs 1 Z 4 lit m StrafregisterG). Die deutsche Rechtslage ist ähnlich. Die Tilgungsfrist für die Verurteilung vom XXXX beginnt mit dem Urteilsdatum und beträgt nach § 46 Abs 1 Z 1 lit a des deutschen Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) fünf Jahre. Innerhalb dieser Frist wurde der BF am XXXX, am XXXX, am XXXX und am XXXX neuerlich verurteilt. Wenn im Register (wie hier) mehrere Verurteilungen eingetragen sind, ist gemäß § 47 Abs 3 BZRG die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Tilgungsvoraussetzungen vorliegen, sodass die Verurteilungen vom XXXX und vom XXXX jedenfalls noch nicht getilgt sind. Offenbar wurden Verurteilungen des BF vor Februar XXXX, die beim Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX als erschwerend berücksichtigt wurden, getilgt. Die diesen zugrundeliegenden, vor mehr als zehn Jahren begangenen Jugendtaten des BF können die Gefährdungsprognose angesichts seiner weiteren Entwicklung nicht entscheidend beeinflussen.

Weitere Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist, dass der damit verbundene Eingriff in das Familien- und Privatleben des BF verhältnismäßig sein muss. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG iVm Art 8 EMRK geht trotz starker familiärer Bindungen im Inland ebenfalls zu seinen Lasten aus. Der BF hält sich seit XXXX wieder kontinuierlich im Bundesgebiet auf und war hier ab XXXX erwerbstätig; das Begehen strafbarer Handlungen ab Ende XXXX/Anfang XXXX stand jedoch dem Bestehen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß § 51 Abs 1 NAG entgegen (siehe VwGH 16.07.2020, Ra 2019/21/0247). Der BF ist in Österreich zwar beruflich integriert (wobei er in der Vergangenheit Straftaten auch während aufrechter Beschäftigungsverhältnisse beging) und hat hier private und vor allem familiäre Kontakte. Es bestehen aber auch noch starke Bindungen zu seinem Heimatstaat, wo er zuletzt (abgesehen von der Zeit des Strafvollzugs zwischen XXXX und XXXX) bis XXXX lebte. Er hat lose, aber aufrechte soziale Bindungen zu seinem Vater und Geschwistern in Deutschland, spricht die Sprache und verbrachte dort die prägenden Jahre seiner Kindheit und Jugend. Dies führt gemeinsam mit der fehlenden strafgerichtlichen Unbescholtenheit dazu, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privat- und Familienleben trotz der engen Beziehung zu seinen in Österreich lebenden Kindern verhältnismäßig ist.

Dazu kommt, dass der BF sich in Deutschland wie geplant in der Nähe der österreichischen Grenze niederlassen kann und es seinen Kindern daher möglich sein wird, ihn oft und ohne allzu großen Aufwand zu besuchen, zumal zwischen den beiden benachbarten EU-Staaten weder Reisebeschränkungen noch Visaerfordernisse gelten. Mit diesen Besuchen ist angesichts der Lage des Wohnorts der Mutter des BF in relativer Nähe zur deutschen Grenze und der vorhandenen Verkehrsverbindungen keine unzumutbare Belastung verbunden, zumal ihr Lebensgefährte und der Bruder des BF sie dabei auch unterstützen können. Da sie als Obsorgeberechtigte bei der Pflege und Erziehung von XXXX und XXXX auf ein breites Unterstützungsnetzwerk der Kinder- und Jugendhilfe und anderer Stellen, z.B. die Betreuung durch eine Familienhelferin, zurückgreifen kann, ist auch diesbezüglich nach der Ausreise des BF weder eine Gefährdung des Wohls der Kinder noch eine Überforderung der Hauptbereuungsperson zu befürchten, zumal eine kontinuierliche Versorgung der Kinder in ihrer gewohnten Umgebung weiterhin gewährleistet ist. Dazu kommt, dass die Vater-Kind-Beziehung schon durch den Strafvollzug in Deutschland (XXXX bis XXXX), die Haft in Österreich (XXXX bis XXXX) und die vom BF in der Zeit dazwischen begangenen Straftaten (u.a. den Betrieb einer Cannabisplantage in seiner Wohnung) eine erhebliche Störung erfahren hat und er sich bislang zu keiner Zeit durch seine Verantwortung als Vater von der Begehung schwerwiegender Straftaten abhalten ließ. Das Gericht verkennt nicht, dass das Aufenthaltsverbot eine weitere Belastung für die Kinder des BF und auch für dessen Mutter darstellt. Allerdings konnte er angesichts seiner fortgesetzten Delinquenz nicht erwarten, auch nach der Verbüßung der zuletzt verhängten Freiheitsstrafe weiterhin in Österreich verbleiben zu dürfen.

Der BF kann den (auch früher schon haftbedingt eingeschränkten) Kontakt zu seinen Kindern, seiner Mutter, seinem Bruder und anderen Bezugspersonen in Österreich nach seiner Rückkehr nach Deutschland weiterhin bei Besuchen außerhalb Österreichs sowie über Kommunikationsmittel wie Telefon, E-Mail und soziale Medien pflegen. Die mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Trennung von seinen beiden in Österreich lebenden Kindern ist angesichts des mit der Begehung gravierender Straftaten (Vermögens-, Gewalt- und qualifizierter Suchtgiftdelikte) verbundenen besonders großen öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung gerechtfertigt, zumal die Berücksichtigung des Kindeswohls im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung darstellt und dieses bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des BF nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium ist (vgl. VwGH 17.05.2021, Ra 2021/01/0150). In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 02.04.2015, Sarközi und Mahran/Österreich, Bsw 27945/10, zu beachten, mit der eine Verletzung von Art 8 EMRK durch die Trennung einer slowakischen Staatsangehörigen von ihrem in Wien lebenden Kind im Hinblick auf die Schwere ihrer Straftaten und die Möglichkeit häufiger Besuche verneint wurde. Der VwGH hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (siehe zuletzt VwGH 26.05.2021, Ra 2021/01/0159 mwN; vgl. auch die Rechtsprechung des EGMR, der Drogenhandel als Plage ["scourge"] bezeichnet und daher hartes Vorgehen nationaler Behörden dagegen billigt, jüngst EGMR 15.10.2020, Akbay u.a./Deutschland, 40495/15, Z 110).

Das Aufenthaltsverbot wurde vom BFA somit dem Grunde nach zu Recht erlassen. Angesichts der starken familiären Bindungen des BF in Österreich ist die Dauer jedoch in teilweiser Stattgebung des entsprechenden Eventualantrags in der Beschwerde von der Maximaldauer von zehn Jahren auf acht Jahre zu reduzieren. Eine weitere Reduktion scheitert an der Schwere der von ihm begangenen Straftaten, der Wirkungslosigkeit der bisherigen strafgerichtlichen Sanktionen und der häufigen (teils raschen) Rückfälle. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist in diesem Sinn abzuändern.

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Da der Beschwerde des BF die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde und keine besonderen Gründe vorliegen, die seine sofortige Ausreise erfordern würden, zumal er in Österreich einen Arbeitsplatz und eine Wohnversorgung hat, ist Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids in diesem Sinn abzuändern.

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbotes sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall dabei an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot EU-Bürger Herabsetzung individuelle Verhältnisse Interessenabwägung Milderungsgründe Privat- und Familienleben Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2236170.1.00

Im RIS seit

06.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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