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44 ZivildienstLeitsatz
Abweisung von Wiedereinsetzungsanträgen; mangelnde Information der Beschwerdevertreter über die Judikatur des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes in Zivildienstsachen kein minderer Grad des Versehens; Zurückweisung der Beschwerden als verspätetSpruch
1. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden abgewiesen.
2. Die Beschwerden werden als verspätet zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Der Bundesminister für Inneres (BMI) stellte mit (oben näher bezeichneten) Bescheiden aus dem Jahr 1994 fest,
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daß die von den Beschwerdeführern zu B2559/94 und B2777/94 abgegebenen Zivildiensterklärungen nicht die gemäß §2 Abs1 Z3 des Zivildienstgesetzes 1986 - ZDG, BGBl. 679, i.d.F. der Novelle BGBl. 187/1994, notwendigen Angaben enthielten, somit unvollständig seien und die Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen könnten (§5a Abs4 i.V.m. §5a Abs3 Z4 leg. cit.), bzw.
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daß die von den Beschwerdeführern zu B2779/94, B2841/94 und B358/95 abgegebenen Zivildiensterklärungen wegen Fristversäumnis gem. §76a Abs2 Z1 bzw. gem. §2 Abs1 leg.cit. die Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen könnten (§5a Abs4 i. V.m. §5a Abs3 Z2 leg. cit.).
Weiters wies der BMI - gleichfalls mit Bescheid aus dem Jahr 1994 - den vom Beschwerdeführer zu B2815/94 eingebrachten Antrag auf Befreiung vom Wehrdienst (Zivildienstantrag) gemäß §76a Abs1 leg.cit. als unzulässig zurück, weil der Antrag nicht den (näher bezeichneten) Anforderungen des Zivildienstgesetzes in der auf ihn anzuwendenden Fassung entspreche.
2.a) Gegen diese Bescheide wenden sich die sechs vorliegenden, auf Art144 B-VG gestüzten Beschwerden. Die Beschwerdeführer behaupten (vornehmlich), im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden zu sein und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide.
b) Sämtliche Beschwerden wurden nach Ablauf der im §82 Abs1 VerfGG normierten sechswöchigen Frist eingebracht.
Die Beschwerdeführer stellen gleichzeitig Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist.
Die Anträge werden im wesentlichen damit begründet, daß die Rechtsvertreter der Beschwerdeführer innerhalb offener Frist Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben hätten. Diese Beschwerden seien vom Verwaltungsgerichtshof wegen dessen Unzuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen worden (so das Vorbringen in den Fällen B2777/94, 2779/94, 2815/94, 2841/94 und 358/95). Der Beschwerdeführer zu B2559/94 befürchtet aufgrund der ihm inzwischen bekanntgewordenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, daß dieser die an ihn gerichtete Beschwerde zurückweisen werde.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der sechswöchigen Beschwerdefrist sind nicht begründet:
a) Da das VerfGG in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO idF der Zivilverfahrens-Novelle 1983, BGBl. 135/1983, sinngemäß anzuwenden: Danach ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Unter "minderem Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. VfSlg. 9817/1983, 11706/1988).
b) Den Beschwerdevertretern (für deren Versehen die Beschwerdeführer einzustehen haben - vgl. z.B. VfSlg. 4512/1963, 10295/1984, 11441/1987) ist in den vorliegenden Fällen nicht bloß ein solcher Fehler vorzuwerfen: Grundsätzlich stellt weder die Unkenntnis der Rechtslage und der sie auslegenden Judikatur noch eine Änderung der Rechtsprechung einen Wiedereinsetzungsgrund dar (vgl. z.B. VfSlg. 3537/1959, 5629/1967, 12614/1991, 12655/1991, 13243/1992). Ganz besondere Umstände, die allenfalls eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen könnten, liegen hier nicht vor:
Als Rechtsanwälte wären die Beschwerdevertreter verhalten gewesen, sich über die maßgebende Judikatur des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes zu informieren. Nun hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt - und zwar bereits im Jahre 1993 (z.B. VwGH 28.9.1993 Zl. 93/11/0149, 23.11.1993 Zl. 93/11/0165; weiters VwGH 31.5.1994 Zl. 94/11/0121) - ausgesprochen, daß bei Feststellungsbescheiden nach §5 Abs4 ZDG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 187/1994 ausschließlich eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Leistung von Zivildienst in Betracht komme. Solche Beschwerden seien daher gemäß Art133 Z1 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen. Diese Rechtsprechung gelte in gleicher Weise für Feststellungsbescheide nach §5a Abs4 ZDG in der Fassung der genannten Novelle, da durch diese Novelle die hier maßgebende Rechtslage keine Änderung erfahren habe (vgl. z.B. VwGH 21.10.1994 Zl. 94/11/0235).
Der Verfassungsgerichtshof vertritt im Gegensatz dazu die Auffassung, daß in einschlägigen Zivildienstsachen für die Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes Raum bleibe, sodaß in dieser Angelegenheit die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausgeschlossen sei (vgl. z.B. VfGH 4.3.1994 B1115/93, abgedruckt in: JBl. 1994/10, S 681 ff.).
c) Unter diesen Umständen konnten die - durch Rechtsanwälte vertretenen - Beschwerdeführer nicht damit rechnen, daß die von ihnen erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerden zulässig sein würden; dies ungeachtet des Umstandes, daß der BMI in den angefochtenen Bescheiden darauf hinweist, es könne sowohl an den Verwaltungsgerichtshof als auch an den Verfassungsgerichtshof Beschwerde erhoben werden. Diese Hinweise sind keine Rechtsmittelbelehrungen (vgl. z.B. VfSlg. 10813/1986, 12249/1990). Sie sind im übrigen nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes zutreffend.
Wenn es die durch Rechtsanwälte vertretenen Einschreiter unter diesen Umständen unterließen, innerhalb offener Beschwerdefrist eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (mit einem allfälligen Abtretungsantrag nach Art144 Abs3 B-VG) zu erheben oder beim Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof Parallelbeschwerden einzubringen, kann von einem "unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis" keine Rede sein.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher nicht zu bewilligen.
2. Die Beschwerden wurden erst nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist (§82 Abs1 VerfGG) erhoben (s. oben, Pkt. I.2).
Sie waren daher als verspätet zurückzuweisen.
3. Dies konnte gemäß §33 und §19 Abs3 Z2 litb VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Wiedereinsetzung, Zivildienst, Rechtsmittelbelehrung, Verwaltungsgerichtshof, Zuständigkeit Verwaltungsgerichtshof, Bescheid Rechtsmittelbelehrung, VfGH / FristenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B2559.1994Dokumentnummer
JFT_10049694_94B02559_00