Entscheidungsdatum
25.05.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G313 2235929-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Polen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.08.2020, Zl. XXXX , beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) wurde gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.), und gemäß § 70 Abs. 3 FPG dem BF ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II).
2. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
3. Am 09.10.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) mit Beschwerdevorlage-Schreiben vom 07.10.2020 die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Polen.
1.2. Mit Spruchpunkt I. des im Spruch angeführten Bescheides des BFA wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.
Im angefochtenen Bescheid wurde festgestellt, dass der BF am 23.02.2012 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Zweck „Arbeitnehmer“ gestellt hat, ihm die von ihm beantragte Anmeldebescheinigung am 23.09.2015 ausgestellt wurde, und der BF am 30.11.2018 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Zweck „Privat“ gestellt hat und im Zuge dieser Antragsstellung aufgefordert worden ist, Nachweise ausreichender Existenzmittel vorzuweisen (AS 188). Die belangte Behörde kam zum Schluss, dass im gegenständlichen nicht ausreichende Existenzmittel vorliegen und eine Ausweisung zulässig und gerechtfertigt ist.
Die belangte Behörde hat nicht hinreichend geprüft, ob dem BF das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt.
Im Zuge dieser Prüfung wäre eine nähere Auseinandersetzung mit der individuellen Situation des BF nötig und dabei auch der von der belangten Behörde vor Erlassung des angefochtenen Bescheides erstellte AJ-WEB Auskunftsverfahrensauszug vom 28.11.2019 (AS 37ff) zu berücksichtigen gewesen. Aus diesem Auszug geht hervor, dass der BF im Zeitraum von Dezember 2011 bis Dezember 2013 geringfügig beschäftigt war und nach seinen bei einem bestimmten Dienstgeber in den Zeiträumen von Juli 2012 bis August 2012 und von August 2012 bis April 2014 nachgegangenen Beschäftigungen von Mai 2014 bis April 2015 Krankengeld und ab März 2018 Invaliditätspension (bzw. Pension aufgrund geminderter Arbeitsfähigkeit) bezogen hat.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.
Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1
B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.
Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.
Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.
3.2. Mit Spruchpunkt I. des im Sprucheinleitungssatz angeführten Bescheides wurde die BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.
Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet wie folgt:
„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“
Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ betitelte § 55 NAG lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) (…)
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
(…).“
Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(…).“
Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.
(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.
(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie
1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;
2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder
3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;
Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.
(…).“
In der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wurde nach Wiedergabe von § 66 Abs. 1, Abs. 3 FPG und §§ 51 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 54 Abs. 1 NAG Folgendes ausgeführt:
„Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist von EWR-Bürgern bzw. dessen Angehörigen nachzuweisen.
Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht kommt ihnen zu, solange sie die genannten Voraussetzungen erfüllen und durch ihren weiteren Aufenthalt und ihr Verhalten keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegt.
Aus folgenden Gründen kommt Ihnen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht daher nicht zu:
Sie gehen keiner Erwerbstätigkeit nach und verfügen nicht über ausreichende Existenzmittel. Sie sind im österreichischen Bundesgebiet lediglich von 04.07.2012 – 14.08.2012 sowie von 21.08.2012-18.04.2014 einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Weitere Anstellungen von 2011 bis 2013 waren in geringfügigem Ausmaß. Es ist somit jedenfalls offensichtlich, dass nicht nur das Daueraufenthaltsrecht bislang keinesfalls erworben wurde, sondern ebenso die Voraussetzungen des § 51 NAG, mangels Erwerbstätigkeit sowie ausreichender Existenzmittel nicht vorliegen. Des Weiteren haben Sie kein schützenswertes Privatleben in Österreich.
Sie erfüllen die Voraussetzungen des § 51 NAG nicht.
Sie erfüllen somit die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 NAG nicht. Sie gehen keiner Erwerbstätigkeit nach und verfügen auch nicht über ausreichende Existenzmittel. Sie sind eine Belastung für die österreichische Gebietskörperschaft geworden.
(…).“ (AS 191, 192)
Daraufhin folgte die Wiedergabe von § 66 Abs. 2 FPG, woraufhin wiederum folgende Ausführungen folgten:
„Es ist nunmehr eine individuelle Abwägung der betroffenen Interessen vorzunehmen, um festzustellen, ob der Eingriff als verhältnismäßig – auch im Sinne des Artikel 8 EMRK – angesehen werden kann:
F) Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet
Ihren Angaben zufolge sollen Sie Ende November 2011 mit dem Zug in das österreichische Bundesgebiet eingereist sein. Sie sind seit 01.12.2011 durchgehend im Bundesgebiet behördlich gemeldet. Seit wann Sie sich tatsächlich in Österreich aufhalten, ist nicht überprüfbar.
G) sein Alter
Sie sind am (…) 07.1960 geboren und sind zum Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Bescheides in einem erwerbsfähigen Alter.
H) seinen Gesundheitszustand
In Ihrer Stellungnahme gaben Sie an drei Wirbelsäulenoperationen durchgeführt zu haben. Des Weiteren mussten Sie 2019 an der Schulter operiert werden. Sie übermittelten der ha. Behörde ein Konvolut an Befunden und Unterlagen. Es handelt sich jedoch hierbei um keine lebensbedrohliche Krankheit. Es besteht für Sie die Möglichkeit eine etwaige weitere Behandlung in Ihrem Heimatland Polen vorzunehmen.
I) seine familiäre und wirtschaftliche Lage
Sie machten bezüglich Ihrer familiären Anknüpfungspunkte keinerlei Angaben in Ihrer Stellungnahme. Es ist lediglich bekannt, dass Sie sich alleine im Bundesgebiet befinden. Da Sie fünfzig Jahre in Ihrem Heimatland gelebt haben ist davon auszugehen, dass ihre Familie sich in Polen befindet.
Aufgrund ihrer Nachreichung bei der MA 35 ist bekannt, dass Sie im Bundesgebiet eine Invaliditätspension in der Höhe von EUR 94,77,- erhalten sowie eine monatliche Leistung aus Polen in der Höhe von EUR 179,58,-. Sie verfügen somit nicht über ausreichende Existenzmittel um ohne die österreichischen Gebietskörperschaften zu belasten im Bundesgebiet Fuß zu fassen.
J) seine soziale und kulturelle Integration
Sie konnten Deutschkurse sowie ein ÖSD Zertifikat „B1“ in Vorlage bringen. Mangels Erwerbstätigkeit konnte jedoch keine ausreichende soziale beziehungsweise berufliche Integration in die hiesige Gesellschaft festgestellt werden.
K) das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen
Sie sind seit 01.12.2011 durchgehend im Bundesgebiet behördlich gemeldet. Sie befinden sich zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung im 61. Lebensjahr und haben den überwiegenden Teil Ihres Lebens im Herkunftsstaat verbracht. Da Sie Ihren eigenen Angaben zufolge keine familiären Anknüpfungspunkte zum Bundesgebiet haben geht die ha. Behörde davon aus, dass sich Ihre Familie beziehungsweise ein Großteil Ihrer sozialen Kontakte in Polen befindet. Es ist aus diesen Gründen davon auszugehen, dass Ihre Bindungen zum Heimatstaat größer sind als zu Österreich.
Da die Abwägung Ihrer Interessen gegen die Interessen des Staates ergeben hat, dass Ihr Verlassen des Bundesgebietes notwendig und geboten ist, war spruchgemäß zu entscheiden. (…).“ (AS 192ff)
Die belangte Behörde schloss auf nicht ausreichende Existenzmittel des BF – iSv § 51 Abs. 1 Z. 2 NAG, ohne sich näher mit der individuellen Situation des BF auseinandergesetzt zu haben.
In der Rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Bescheides wurde festgehalten, der BF befinde sich seinen Angaben zufolge seit dem Jahr 2011 im österreichischen Bundesgebiet, habe am 23.02.2012 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Zweck „Arbeitnehmer“ bei der Magistratsabteilung 35 (MA35) eingebracht, welche ihm am 23.09.2015 ausgestellt worden sei, und am 30.11.2018 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung „privat“ gestellt.
Nach § 53a Abs. 1 NAG erwerben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt.
Hierbei kommt es laut des VwGH-Judikatur jedoch nicht nur darauf an, ob sich der EWR-Bürger schon seit fünf Jahren in Österreich aufgehalten hat, sondern auch darauf, ob dieser Aufenthalt rechtmäßig – und damit im Einklang mit den Bestimmungen des § 51 NAG – war. Demzufolge müssen EWR-Bürger für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechtes gemäß § 53a Abs. 1 NAG während des erforderlichen ununterbrochenen 5-jährigen Aufenthalts im Bundesgebiet auch die Voraussetzungen des § 51 NAG erfüllt haben (vgl. VwGH 05.07.2011, 2008/21/0522 bzw. EuGH 21.12.2011, Rs C-424/10 und C-425/10).
Dem BF wurde nach Antragsstellung vom 23.02.2012 am 23.09.2015 eine Anmeldebescheinigung „Arbeitnehmer“ erteilt.
Aus dem, dem Verwaltungsakt einliegenden, von der belangten Behörde erstellten Auszug aus dem AJ-WEB Auskunftsverfahren vom 28.11.2019 (AS 37ff) geht hervor, dass der BF im Zeitraum von Dezember 2011 bis Dezember 2013 geringfügig beschäftigt war, dann bei einem bestimmten Dienstgeber von 04.07.2012 bis 14.08.2012 und von 21.08.2012 bis 18.04.2012 beschäftigt war, bevor er von 06.05.2014 bis 06.04.2015 Krankengeld, im Gesamtzeitraum von 07.04.2015 bis 28.02.2018 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, dazwischen von August 2016 bis August 2016 bedarfsorientierte Mindestsicherung und dann ab März 2018 Invaliditätspension bzw. Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bezogen hat.
Im angefochtenen Bescheid wurde festgehalten, dass der BF im Bundesgebiet eine Invaliditätspension – in Höhe von EUR 94,77,- - und eine monatliche Leistung aus Polen in Höhe von EUR 179,59,- - bezieht (AS 193).
Die belangte Behörde hat ihre Prüfung, ob dem BF ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, auf die Prüfung, ob ausreichende Existenzmittel – iSv § 51 Abs. 1 Z. 2 NAG – vorliegen, beschränkt, jedoch im Hinblick auf die individuelle Situation des BF fallbezogen auf § 53 Abs. 3 Z. 2 NAG Augenmerk zu legen gehabt.
Nach § 53a Abs. 3 Z. 2 NAG erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht.
Bezüglich des in § 53a Abs. 3 Z. 2 NAG geforderten ununterbrochenen mindestens zweijährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet wird auf § 53a Abs. 2 Z. 1 NAG hingewiesen, wonach die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet von Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr nicht unterbrochen wird.
Die belangte Behörde hätte im gegenständlichen Fall zu prüfen gehabt, ob der BF, dem am 23.09.2015 eine Anmeldebescheinigung „Arbeitnehmer“ ausgestellt worden ist, wegen mindestens zweijährigen ununterbrochenen Aufenthaltes im Bundesgebiet und der Aufgabe seiner Erwerbstätigkeit wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit bereits ein Daueraufenthaltsrecht nach § 53a Abs. 3 Z. 2 NAG erworben hat.
Sollte die belangte Behörde auf ein vom BF bereits erworbenes Daueraufenthaltsrecht iSv § 53a Abs. 3 Z. 2 NAG schließen, ist zu berücksichtigen, dass bei einem erworbenen Daueraufenthaltsrecht nach § 66 Abs. 1 letzter Satzteil eine Ausweisung nur dann zulässig ist, wenn der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im österreichischen Bundesgebiet darstellt.
Sollte die belangte Behörde bei ihrer Prüfung zum Schluss kommen, dass der BF ausgewiesen werden soll, werden die in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Gesichtspunkte, darunter vor allem auch das Alter des 60 Jahre alten BF, seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die familiäre Lage und das Ausmaß der Bindung zum Herkunftsstaat und ein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet zu berücksichtigen sein.
Die belangte Behörde hielt unter den Feststellungen zum Aufenthalt des BF in Österreich fest, dass sich die Angaben des BF, welchen zufolge er sich seit dem Jahr 2011 im österreichischen Bundesgebiet aufhält, mit der behördlichen Meldung des (Zentralen) Melderegisters decken.
In der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde an, der BF soll seinen Angaben zufolge Ende November 2011 mit dem Zug in das österreichische Bundesgebiet eingereist sein und sei seit 01.12.2011 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Seit wann er sich tatsächlich in Österreich aufhalte, sei jedoch nicht überprüfbar (AS 193).
Die belangte Behörde machte bezüglich der Aufenthaltsdauer im österreichischen Bundesgebiet somit keine konkrete und auch keine Mindestangabe, hielt jedoch fest, dass der BF, zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung im 61. Lebensjahr befindlich, fünfzig Jahre lang in seinem Heimatland gelebt hat (AS 193). Damit hat die belangte Behörde indirekt auch festgestellt, dass sich der BF während seiner übrigen Lebensjahre außerhalb seines Herkunftslandes bzw. in Österreich aufgehalten hat. Darauf deuten auch die in dem von der belangten Behörde erstellten AJ-WEB Auskunftsverfahrensauszug vom 28.11.2019 aufscheinenden Beschäftigungszeiten ab Dezember 2011 hin.
Darauf hingewiesen wird zudem, dass die belangte Behörde festhielt, dass der BF bezüglich seiner familiären Anknüpfungspunkte „keinerlei Angaben“ in seiner Stellungnahme gemacht habe, es lediglich bekannt sei, dass sich der BF allein im Bundesgebiet befinde (AS 193), und, da der BF seinen eigenen Angaben zufolge keine familiären Anknüpfungspunkte zum Bundesgebiet habe (AS 194f), die belangte Behörde davon ausgehe, dass sich seine Familie bzw. ein Großteil seiner sozialen Kontakte in Polen befindet. (AS 193f)
Diesbezüglich liegt insofern ein Widerspruch vor, können doch nur entweder keine Angaben zu familiären Anknüpfungspunkten oder bewusst Angaben zu fehlenden familiären Anknüpfungspunkten im Bundesgebiet gemacht werden.
In der schriftlichen Stellungnahme des BF gab der BF nach Aufforderung im Zuge des schriftlichen Parteivorhalts, Namen, Anschrift, Geburtsdaten, Staatsangehörigkeit und gegebenenfalls Aufenthaltsberechtigung der in Österreich lebenden Familienangehörigen anzugeben, wörtlich Folgendes an:
„Ich möchte Sie darüber informieren, dass ich alleine in Österreich ohne Familie lebe.“ (AS 71)
Den Angaben der belangten Behörde, der BF habe bezüglich seiner familiären Anknüpfungspunkte keinerlei Angaben in seiner Stellungnahme gemacht und es sei lediglich bekannt, dass sich der BF alleine im Bundesgebiet befindet, wird somit nicht gefolgt, gab der BF in seiner Stellungnahme doch nicht nur an, „alleine in Österreich“, sondern „alleine in Österreich ohne Familie“ zu leben.
Abgesehen davon konnte die belangte Behörde mit der Begründung, dass der BF seinen „eigenen Angaben zufolge keine familiären Anknüpfungspunkte zum Bundesgebiet“ hat, ohne weitere Anhaltspunkte dafür nicht davon ausgehen, dass sich die Familie beziehungsweise ein Großteil der sozialen Kontakte des BF in Polen befindet und die Bindungen des BF zum Heimatstaat größer als zu Österreich sind. (AS 194)
Diesbezüglich liegt somit eine Mutmaßung vor.
Im Hinblick auf eine soziale und kulturelle Integration des BF wäre zudem gebührend zu berücksichtigen gewesen, dass der 60 Jahre alte BF von Dezember 2011 bis Dezember 2013 geringfügig beschäftigt war, von Juli 2012 bis August 2012 und von August 2012 bis April 2014 Mehrzeitbeschäftigungen nachgegangen ist, und sich Deutschkenntnisse angeeignet hat, welche er mittels ÖSD Zertifikats B1 nachweisen konnte. Obwohl der BF im österreichischen Bundesgebiet erwerbstätig war, blieb die vormalige Erwerbstätigkeit des BF in Österreich bei der Interessensabwägung völlig unberücksichtigt, soweit die belangte Behörde festhielt:
„Mangels Erwerbstätigkeit konnte jedoch keine ausreichende soziale beziehungsweise berufliche Integration in die hiesige Gesellschaft festgestellt werden.“ (AS 193)
Dabei wurde nicht nur die vormals vom BF in Österreich nachgegangene Erwerbstätigkeit, sondern auch außer Acht gelassen, dass der BF nach seiner letzten bis zu einem bestimmten Tag im April 2014 nachgegangenen Beschäftigung von Mai 2014 bis April 2015 Krankengeld und dann von April 2015 bis Februar 2018 Leistungen aus der Notstandshilfe bezogen hat, bevor er ab März 2018 Invaliditätspension bzw. eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit erhalten hat.
Eine hinreichende Auseinandersetzung mit der individuellen Situation des BF und maßgebliche Feststellungen fehlen somit, um unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten privaten Interessen hinreichend begründet auf die Zu- bzw. Unzulässigkeit der Ausweisung schließen zu können.
3.3. Im gegenständlichen Fall hat sich nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das BVwG selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.
Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das BVwG selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.
3.4. Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
4. Entfall einer mündlichen Verhandlung
Da im gegenständlichen bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Ausweisung Behebung der Entscheidung Erwerbstätigkeit EU-Bürger individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben UnionsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G313.2235929.1.00Im RIS seit
05.10.2021Zuletzt aktualisiert am
05.10.2021