TE Bvwg Beschluss 2021/5/25 G313 2222055-1

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Veröffentlicht am 25.05.2021
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Entscheidungsdatum

25.05.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs3

Spruch


G313 2222055-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Kroatien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.07.2019, Zl. XXXX , beschlossen:

A)             In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)             Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem oben im Sprucheinleitungssatz angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 01.07.2019 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ein für die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG dem BF kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.), und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

3. Am 06.08.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) mit Beschwerdevorlage-Schreiben vom 02.08.2019 die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Kroatien.

1.2. Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wurde gegen den BF ein für die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die belangte Behörde hat keine Feststellung zur tatsächlichen Aufenthaltsdauer im österreichischen Bundesgebiet getroffen und sich bei der Prüfung hinsichtlich Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auf keinen bestimmten Gefährdungsmaßstab festgelegt.

Eine hinreichend begründete Beurteilung der Gefährdungsprognose auf Grund konkreter Feststellungen zum persönlichen (Fehl-) Verhalten des BF wurde nicht vorgenommen.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1
B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.

Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.

3.2. Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wurde gegen den BF ein für die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

§ 67 Abs. 1 und Abs. 2 lautet wie folgt:

„Aufenthaltsverbot

§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1.         Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
(…).“

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 Abs. 1 NAG lautet wie folgt:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1.         in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2.         für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3.         als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.“

Im angefochtenen Bescheid wurde zum Aufenthalt des BF in Österreich Folgendes festgestellt:

„Sie sind seit dem 15.10.2018 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet gemeldet.

Sie sind Ende November 2018 zuletzt eingereist.

Davor waren Sie seit dem 18.02.2003 immer wieder im österreichischen Bundesgebiet aufhältig.

Sie sind seit dem 23.10.2013 im Besitz einer Anmeldebescheinigung. Zuvor waren Sie im Besitz von Aufenthaltstiteln.“ (AS 371).

Die belangte Behörde hielt unter den Feststellungen des angefochtenen Bescheides vom 01.07.2019 fest, dass der BF seit dem 15.10.2018 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet gemeldet ist, zuletzt Ende November 2018 eingereist ist und davor ab 18.02.2003 immer wieder im österreichischen Bundesgebiet aufhältig war, ohne angeführt zu haben, wie lange bzw. mit welchen Unterbrechungen er ab 18.02.2003 jeweils in Österreich aufhältig war.

In der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. führte die belangte Behörde an, dass sich der BF mindestens seit dem 15.10.2018 im Bundesgebiet befindet (AS 381).

Hingewiesen wird darauf, dass der BF in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA befragt danach, seit wann er in Österreich sei, angab:

„Seit dem Jahr 2005 bin ich gemeldet. Mit Unterbrechungen, weil ich von zwei Adressen abgemeldet wurde ohne es zu wissen.“ (AS 353)

Da der BF auf die Frage, seit wann er sich in Österreich aufhalte, antwortete, seit wann er in Österreich gemeldet sei, wäre bezüglich der tatsächlichen Aufenthaltsdauer nochmals nachzufragen gewesen.

Weitergehende Ermittlungen und Feststellungen zur tatsächlichen Aufenthaltsdauer bzw. zu den tatsächlichen Aufenthaltszeiten des BF im österreichischen Bundesgebiet fehlen.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der BF seit 23.10.2013 über eine Anmeldebescheinigung verfügt und davor im Besitz von Aufenthaltstiteln war (AS 371).

Hingewiesen wird an dieser Stelle darauf, dass gemäß § 53a Abs. 1 NAG EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt, nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt erwerben. Die belangte Behörde hat es bezüglich des Aufenthaltsstatus des BF jedenfalls bei der dem BF am 23.10.2013 erteilten unbefristeten Anmeldebescheinigung (AS 365) belassen und kein Daueraufenthaltsrecht festgestellt.

Die belangte Behörde führte bezüglich eines vom BF erworbenen Daueraufenthaltsrechts in der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. Folgendes an:

„(…) Da es sich bei der Anmeldebescheinigung „lediglich“ um eine Dokumentation handelt, kann die Behörde im Rahmen eines Verfahrens zur Ausstellung einer Bescheinigung des Daueraufenthalts bei Zweifeln über das Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen prüfen, ob die Voraussetzungen gem. § 51 NAG auch tatsächlich während der letzten fünf Jahre bestanden haben. Im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes ist selbstverständlich immer eine Einzelfallprüfung erforderlich und darf der Bezug bzw. die Beantragung von Mindestsicherung oder Ausgleichszulage in der Vergangenheit nicht automatisch zu dem Schluss führen, dass der Aufenthalt als nicht rechtmäßig anzusehen war. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des Einzelfalls – wie insb. die Dauer und Höhe eines allfälligen Bezugs von Mindestsicherung, die Dauer einer ausgeübten Erwerbstätigkeit usw. – berücksichtigt werden.

Mangels regelmäßiger Erwerbstätigkeit ist ein Erwerb des Daueraufenthaltsrechts bei Ihnen kein Thema, weil Sie nie die Voraussetzungen erfüllt haben. Sie haben in Österreich nur äußerst kurz angemeldet gearbeitet und Steuern entrichtet. Viel mehr gehen Sie laut eigenen Angaben der illegalen Schwarzarbeit nach um Ihren Unterhalt finanzieren zu können. (…).“ (AS 389)

Die belangte Behörde schloss demnach auf ein mangels regelmäßiger Erwerbstätigkeit des BF nicht vorliegendes Daueraufenthaltsrecht, ohne sich zuvor näher mit der individuellen wirtschaftlichen Situation des BF auseinandergesetzt zu haben.

Aus dem von der belangten Behörde für den Zeitraum vom 02.10.2015 bis 02.10.2018 erstellten Auszug aus dem AJ-WEB Auskunftsverfahren vom 02.10.2018 geht hervor, dass der BF vom 01.01.2013 bis 31.12.2015 als gewerblich selbstständig Erwerbstätiger gemeldet war und vom 21.07.2015 bis 09.10.2015, vom 08.02.2016 bis 01.04.2016 und vom 20.02.2017 bis 24.02.2017 unselbstständigen Beschäftigungen nachgegangen ist (AS 329, 330).

Während aus diesem Auszug eine Meldung des BF als gewerblich selbstständig Erwerbstätiger vom 01.01.2013 bis 31.12.2015 hervorgeht, gab der BF in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 23.01.2019 an, in Österreich „3 ½“ lang selbstständig als Maler und Anstreicher gearbeitet zu haben (AS 351).

Der von der belangten Behörde im AJ-WEB Auskunftsverfahren eingegebene Abfragezeitraum „02.10.2015 – 02.10.2018“ wird im Hinblick auf die Feststellung, dass der BF seit 23.10.2013 über eine Anmeldebescheinigung verfügt, für zu kurzreichend gehalten, um auch die zur Anmeldebescheinigung geführte wirtschaftliche Situation des BF vor „02.10.2015“, dem Beginn des im AJ-WEB Auskunftsverfahren eingegebenen Abfragezeitraums, erfassen zu können.

Die belangte Behörde hat nach ihrer Anfrage im AJ-Web Auskunftsverfahren am 02.10.2018 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 01.07.2019 zudem keine weitere Anfrage in diesem Abfrageportal gestellt.

Bezüglich des zur Vornahme der Beurteilung der Gefährdungsprognose anzuwendenden Gefährdungsmaßstabes wird Folgendes festgehalten:

§ 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 enthält zwar nur zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet (bzw. im Fall von Minderjährigen). Es muss aber angenommen werden, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern (arg. a minori ad maius) auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 angesiedelt ist - heranzuziehen ist. Dies gebietet im Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie eine unionsrechtskonforme Interpretation, weil das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinn der Richtlinie beinhaltet. Zum gleichen Ergebnis führt eine verfassungskonforme Interpretation, weil die Anwendung eines weniger strengen Maßstabes für Aufenthaltsverbote als für bloße Ausweisungen sachlich nicht zu rechtfertigen wäre. (VwGH 13.12.2012, Zl. 2012/21/0181)

Gemäß § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige bei einem bereits erworbenen Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) nur dann ausgewiesen werden, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde keine Feststellung zur tatsächlichen Aufenthaltsdauer im österreichischen Bundesgebiet getroffen, kein Daueraufenthaltsrecht festgestellt und in der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. nach Wiedergabe von § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG, ohne angeführt zu haben, welcher Gefährdungsmaßstab für die Beurteilung herangezogen wird und warum, Folgendes ausgeführt:

„Sie wurden zuletzt am (…) 10.2017 zur Zahl (…) vom Landesgericht für Strafsachen (…) gem. § 12 2. Fall StGB, §§ 28a (1) 4. Fall, 28a (4) Z 3 SMG, §§ 28a (1) 4. Fall und 28a (4) Z 3 SMG, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren rechtskräftig verurteilt.

Dem Urteil liegt zu Grunde, dass Sie am 05.04.2017 einem Dritten durch die Aufforderung, für ein Entgelt von EUR 5.000,- Kokain an einen verdeckten Ermittler zu übergeben, dazu bestimmt, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge 8§28b SMG) übersteigenden Menge und war 953 Gramm Kokain, enthaltend 85,3% Cocain, einem anderen überlassen haben. Zudem haben Sie im Zeitraum vom 28.03.2017 bis am 04.04.2017 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei Dritten vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar 1 Kilogramm Kokain, enthaltend 85,3 % Cocain, in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden (erg.: „Menge“) einer Vertrauensperson angeboten.

Dieses Fehlverhalten ist ausschlaggebend für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes, jedoch nicht der alleinige Grund. Das Aufenthaltsverbot wird erlassen, da Ihr Gesamtfehlverhalten eine erhebliche und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt und weil folgende Aspekte erschwerend hinzu kommen:

Sie sind bereits zum dritten Mal rechtskräftig verurteilt worden, wie sich aus der Aktenlage ergibt.

Sie haben in der Niederschrift vom 23.01.2019 angegeben, dass Sie um Ihren Unterhalt zu finanzieren, auf der Baustelle gearbeitet (erg: „haben,“) unwissentlich, dass es sich hierbei um eine illegale Erwerbstätigkeit handelt, da Sie dachten, dass die Firmen Sie angemeldet haben. Der Behörde erscheint dies als unglaubwürdig und fraglich. Fakt ist, dass Sie somit zu einer Belastung der Gebietskörperschaft geworden sind und ist davon auszugehen, dass Sie Ihr gesetztes Verhalten weiterbetreiben werden.

Sie haben durch Ihr Verhalten gezeigt, dass Sie kein Interesse daran haben, die Gesetze Österreichs zu respektieren. Ihr bisheriger Aufenthalt in Österreich beeinträchtigte ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich jenes an Ruhe, an Sicherheit und einem geordneten Fremdenwesen sowie an sozialem Frieden. Das von Ihnen gezeigte verhalten ist erst vor kurzem gesetzt und ist aufgrund ihrer oben ausführlich dargelegten wirtschaftlichen Situation mit einer Fortsetzung zu rechnen. Es muss daher von einer aktuellen, gegenwärtigen Gefahr gesprochen werden.

Die beeinträchtigten öffentlichen Interessen sind maßgeblich für das Wohlergehen und –befinden der Bevölkerung und können daher als erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung bezeichnet werden.

Es ist somit davon auszugehen, dass Sie auch zukünftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sein werden und ist daher in Ihrem konkreten Fall eine negative Wahrscheinlichkeitsprognose zu treffen. Es ist somit eindeutig nachgewiesen, dass Ihr persönliches Verhalten eine schwerwiegende und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.

Es muss daher von einer aktuellen, gegenwärtigen Gefahr gesprochen werden. Die beeinträchtigten öffentlichen Interessen sind maßgeblich für das Wohlergehen und Wohlbefinden der Bevölkerung und können daher als erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung bezeichnet werden.

Aufgrund der eklatanten und wiederkehrenden Missachtung der Rechtsordnung sowie aufgrund ihrer Lebenssituation in Österreich ist auch das Tatbestandsmerkmal der Nachhaltigkeit erfüllt.

Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens ist unter Bedachtnahme auf Ihr Gesamtverhalten, d.h. im Hinblick darauf, wie Sie Ihr Leben in Österreich insgesamt gestalten, davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass Sie eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, gerechtfertigt ist. (…).“ (AS 377, 379)

Die belangte Behörde führte demnach nach Anführung der letzten rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des BF und den dieser Verurteilung zugrunde gelegenen strafbaren Handlungen zunächst an, dass das Aufenthaltsverbot erlassen wird, da das Gesamtfehlverhalten des BF eine erhebliche und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt und weil weitere Aspekte erschwerend hinzu kommen (AS 377), ging demnach somit von einer erheblichen und gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit – iSv § 67 Abs. 1 S. 2 FPG aus, bevor sie nach Anführung weiteren Fehlverhaltens des BF zunächst auf eine „schwerwiegende und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ und nach Angabe, aufgrund der eklatanten und wiederkehrenden Missachtung der Rechtsordnung sowie aufgrund Ihrer Lebenssituation in Österreich sei auch das Tatbestandsmerkmal der Nachhaltigkeit erfüllt, auf eine „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ geschlossen hat.

Die belangte Behörde nahm in der Rechtlichen Beurteilung auf alle drei Gefährdungsmaßstäbe Bezug, mit dem Festhalten einer erheblichen und gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (AS 377, 379) auf den einfachen Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 2 FPG, soweit sie auf eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit geschlossen hat (AS 379), auf den höheren, bei einem erworbenen Daueraufenthaltsrecht nach § 53a NAG sowohl bei der Prüfung der Zulässigkeit von Ausweisungen als auch analog bei der Prüfung der Zulässigkeit von Aufenthaltsverboten zur Anwendung kommenden Gefährdungsmaßstab nach § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG, und inmitten ihrer begründenden Ausführungen mit dem Hinweis auf das auch erfüllte Tatbestandsmerkmal der Nachhaltigkeit auf den noch höheren Gefährdungsmaßstab bzw. den Tatbestand nach § 67 Abs. 1 S. 5 FPG.

Die belangte Behörde hat keine Feststellung zur tatsächlichen (Gesamt-) Aufenthaltsdauer im österreichischen Bundesgebiet getroffen und im angefochtenen Bescheid nicht angeführt, warum sie sich auf welchen Gefährdungsmaßstab stützt.

Ohne festgestelltes Daueraufenthaltsrecht konnte bei der Prüfung jedenfalls nicht der Gefährdungsmaßstab iSv § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG zur Anwendung kommen und auf eine „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ geschlossen werden.

Der angefochtene Bescheid war in den angeführten Punkten mangelhaft.

3.3. Im gegenständlichen Fall hat sich nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das BVwG selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.

Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das BVwG selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

3.4. Aus den dargelegten Gründen war Spruchpunkt I. samt fortfolgenden Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

3.5. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da im gegenständlichen bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.


Schlagworte

Aufenthaltsdauer Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung EU-Bürger Feststellungen individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G313.2222055.1.00

Im RIS seit

05.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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