Entscheidungsdatum
01.06.2021Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
1) W215 2208784-1/6E
2) W215 2208786-1/3E
3) W215 2209359-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerden von XXXX , alle Staatsangehörigkeit Republik Usbekistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2018, Zahlen 1) 1130817304-161305645,
2) 1199111901-180664833 und 3) 1162871106-170985187, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Verfahren von XXXX werden wegen Zurückziehung der Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der Bescheide gemäß
§ 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), eingestellt und die Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte III. gemäß § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, als unbegründet abgewiesen.
II. Den Beschwerden von XXXX wird insoweit stattgegeben als die bekämpften Spruchpunkte IV. bis VI. aufgehoben, Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, iVm § 9 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, für auf Dauer unzulässig erklärt und XXXX gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG, in der Fassung
BGBl. I Nr. 56/2018, iVm § 55 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, die Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
III. Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben, die bekämpften Spruchpunkte II. bis IV. aufgehoben, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, für auf Dauer unzulässig erklärt und XXXX gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, iVm § 55 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz,
BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die erstbeschwerdeführende Partei (P1) ist die Mutter der minderjährigen dritt- und zweitbeschwerdeführenden Parteien (P3 und P2).
1. P1 reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt, illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 27.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Anlässlich ihrer Erstbefragung am 28.09.2016 gab P1 hinsichtlich ihrer Fluchtgründe an in der Republik Usbekistan neun Jahr die Schule besucht zu haben, studiere zu wollen, was ihre Familie nicht gewollt habe und P1 hätte in Usbekistan zwangsverheiratet werden sollen; P1 wolle in Österreich studieren.
Am XXXX meldete P1 ihren Hauptwohnsitz bei Herrn XXXX , ebenfalls Staatsangehöriger der Republik Usbekistan an und schon am XXXX kam der gemeinsame, gesunde Sohn P3 in Österreich zur Welt.
Nachdem Herrn XXXX mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , rechtskräftig der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt worden war, heiratete ihn P1 standesamtlich am XXXX .
Danach wurde für P3 am 23.08.2017 ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels des
Art. 8 EMRK gestellt.
Nach der Geburt von P2 in Österreich wurde für diesen am 16.07.2018 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, aber keine eigenen Asylgründe vorgebracht.
In der niederschriftlichen Befragung im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 19.07.2018 gab P1 zusammengefasst an, sie sei in Österreich mittlerweile standesamtlich mit Herr XXXX verheiratet, hätte mit ihm das erste gemeinsame Kind P3 bzw. sei sie mit P2 schwanger:
„…LA: Ist Ihr Mann auch usbekischer Staatsbürger?
VP: Ja. Er kommt auch XXXX
LA: Wann haben Sie sich denn kennengelernt?
VP: Im XXXX . In Österreich. In Usbekistan haben wir uns nie getroffen.
[…]
LA: Wann haben Sie Ihren Mann kennengelernt?
VP: Das war im September 2016. Befragt glaube ich, dass es gleich nach meiner Ankunft war.
LA: Haben Sie Ihren Mann vor Ihrer Antragsstellung kennengelernt oder danach?
VP: Mein Mann hat mir geholfen einen Asylantrag zu stellen.
LA: Sie sind also am 24.09.2016 eingereist, haben dann Ihren Mann kennengelernt auch im September 2016?
VP: Ja.
LA: Wie entstand die Beziehung zu Ihrem Mann?
VP: Bei unserem ersten Treffen im XXXX habe ich meinem Mann von meinen Problemen erzählt. Er brachte mich zu ihm nach Hause und ich habe seine Familie kennengelernt. Dann gingen wir gemeinsam zu einem Rechtsanwalt. Er hat mir geholfen einen Asylantrag zu stellen.
LA: Wo haben Sie denn gelebt in der ersten Zeit nach Ihrer Ankunft?
VP: Bei meinem Mann. Ich bin gleich bei meinem Mann eingezogen...“
Befragt zu ihren Fluchtgründen verwies die Beschwerdeführerin auf die bereist in der Erstbefragung erwähnte drohende Zwangsheirat.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2018, Zahlen
1) 1130817304-161305645 und 2) 1199111901-180664833 wurden die Anträge auf internationalen Schutz von P1 und P2 jeweils in Spruchpunkte I. bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG und in Spruchpunkte II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Usbekistan abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurden P1 und P2 Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkte III.) und gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen P1 und P2 Rückkehrentscheidungen gemäß
§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung von P1 und P2 nach Usbekistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkte V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt (Spruchpunkte VI.).
Im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Verfahren von P3 vom 27.09.2018, Zahl 3) 1162871106-170985187, wurde in Spruchpunkt I. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen P3 eine Rückkehrentscheidungen gemäß
§ 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung von P3 nach Usbekistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Den Bescheiden wurden aktuelle Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer zu Grunde gelegt und zusammengefasst von der Unglaubwürdigkeit der Angaben von P1 zu den von ihr behaupteten Fluchtgründen ausgegangen; für P3 wurden keine eigenen Asylgründe vorgebracht. Es wurde festgestellt, dass P1 mit einem in Österreich aufhältigen Landsmann verheiratet ist und mit ihm die Kinder P3 und P2 hat. Weitere Verwandte sind in Usbekistan aufhältig, mit ihrer Mutter hat P1 regelmäßig Kontakt. P1 hat in Usbekistan neun Jahre die Schule und im Anschluss eineinhalb Jahre eine Art XXXX besucht. P1 bis P3 sind gesund und leiden an keinen lebensbedrohenden Krankheiten.
Mit Verfahrensanordnung vom 01.10.2018 (P1 und P2) bzw. vom 27.09.2018 (P3) wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
Gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2018, zugestellt am 03.10.2018, erhob P1 fristgerecht am 29.10.2018 die gegenständlichen Beschwerden. Darin wurden die Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften vollinhaltlich bekämpft.
2. Die Beschwerdevorlagen von P1 und P2 vom 29.10.2018 langten am 02.11.2018; jene von P3 vom 09.11.2018 langte am 13.11.2018 im Bundesverwaltungsgericht ein.
Zunächst wurde für den 15.02.2021 zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt, diese musste jedoch aus organisatorischen Gründen kurzfristig abberaumt bzw. auf den 19.04.2021 verschoben werden. Zur Verhandlung erschien P1, zugleich auch als gesetzliche Vertreterin der minderjährigen P3 und P2, in Begleitung ihres Rechtsanwaltes. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war nicht zur Verhandlung erschienen. In der Verhandlung wurden die Quellen der zu Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan, auf deren Einsichtnahme und Ausfolgung verzichtet wurde. P1 zog die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. der erstinstanzlichen Bescheide von P1 und P2 zurück. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien eine zweiwöchige Frist zur Abgabe von Stellungnahmen ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
a) Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer:
Die Identitäten von P1 bis P3 stehen nicht fest. P1 ist die Mutter der minderjährigen P3 und P2. Alle Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Republik Usbekistan und moslemischen Glaubens. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Usbekisch, P1 spricht zudem Tadschikisch und Russisch sowie ein wenig Deutsch.
Der Ehegatte von P1 und Vater von P3 und P2 lebt mit P1 bis P3 in Österreich im gemeinsamen Haushalt und ist im Besitz einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, XXXX , aktuell gültig bis XXXX .
b) Zu den bisherigen Verfahrensverläufen:
P1 reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das österreichische Bundesgebiet. Sie stellte erst nach - zumindest - mehrwöchigem illegalem Aufenthalt am 27.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Nach der Geburt von P3 in Österreich wurde für diesen von seiner gesetzlichen Vertretung am 23.08.2017 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gestellt.
Nach der Geburt von P2 in Österreich wurde für diesen von P1 am 16.07.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2018, Zahlen
1) 1130817304-16130564 und 2) 1199111901-180664833, wurden die Anträge auf internationalen Schutz von P1 und P2 jeweils in Spruchpunkte I. bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG und in Spruchpunkte II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Usbekistan abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurden P1 und P2 Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkte III.) und gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen P1 und P2 Rückkehrentscheidungen gemäß
§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung von P1 und P2 nach Usbekistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkte V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt (Spruchpunkte VI.).
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, ebenfalls vom 27.09.2018, Zahl 3) 1162871106-170985187, wurde in Spruchpunkt I. der Antrag von P3 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen P3 eine Rückkehrentscheidungen gemäß
§ 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung von P3 nach Usbekistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Gegen diese Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2018, zugestellt am 03.10.2018, erhob P1 fristgerecht am 29.10.2018 die gegenständlichen Beschwerden.
Für den 19.04.2021 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt, zu welcher P1 in Begleitung ihres Rechtsanwaltes erschien. P1 zog die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. der erstinstanzlichen Bescheide von P1 und P2 zurück.
c) Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich:
Die in Österreich unbescholtene P1 reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt problemlos, legal mit ihrem usbekischen Reisepass aus der Republik Usbekistan aus, zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet ein, stellte aber erst nach - zumindest -mehrwöchigem illegalen Aufenthalt am 27.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
P1 meldete am XXXX bei Herrn XXXX , ebenfalls Staatsangehöriger der Republik Usbekistan, ihren Wohnsitz in Österreich an. Es kann nicht festgestellt werden, dass P1 Herrn XXXX erst Ende September 2016 in Österreich kennenlernte; am XXXX kam der gemeinsame, gesunde Sohn P3 zu Welt.
Nachdem Herrn XXXX mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , rechtskräftig der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt worden war, heiratete ihn P1 standesamtlich am XXXX .
P1 lebt derzeit mit ihrem Ehegatten bzw. P3 und P2 seit deren Geburt mit ihren Eltern in Österreich im gemeinsamen Haushalt. Trotz des über vier Jahre dauernden Aufenthaltes von P1, geht P1 immer noch keiner Beschäftigung, bezieht aber auch keine Leistungen aus der Grundversorgung. P1 hat immer noch keine Deutschkurse besucht und keine Deutschprüfungen abgelegt.
2. Beweiswürdigung:
a) Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer:
P1 ist zwar problemlos, legal mit ihrem usbekischen Auslandsreisepass aus ihrem Herkunftsstaat ausgereist, hat diesen aber weder vor österreichischen Behörden noch dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Die Identitäten von P1 bis P3 können daher – mangels Vorlage von staatlichen Identitätsdokumenten mit Lichtbild - nicht festgestellt werden; die österreichischen Geburtskunden von P2 und P3 reichen aber zumindest für die Glaubhaftmachung der Verwandtschaft:
„…R: Zum Nachweis Ihrer Identität haben Sie bis dato im Asylverfahren immer noch kein Identitätsdokument mit Foto vorgelegt, weshalb diese nicht feststeht. Dies obwohl Sie mit Ihrem usbekischen Auslandsreisepass ausreist sind und in Österreich geheiratet haben. Können Sie heute ein Identitätsdokument mit Lichtbild für sich oder Ihre beiden Kinder P2 und P3 vorlegen; die Geburtsurkunden der Kinder können mangels Lichtbild kein Identitätsdokument ersetzen.
P: Nein…“ (Verhandlungsschrift Seite 07)
Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und Glauben beruhen auf den diesbezüglich gleichbleibenden Angaben von P1. Die Feststellungen zu den Deutsch- und Russischkenntnisse beruhen auf der richterlichen Wahrnehmung in der öffentlich mündlichen Verhandlung am 19.04.2021, die Feststellungen zu den sonstigen Sprachkenntnissen beruhen auf den Angaben P1:
„…R: Ich möchte mich jetzt mit Ihnen in Deutsch unterhalten. Es ist eine bewusste Mischung von leichten und schweren Fragen, damit ich ein Gefühl dafür bekomme, ob und wie gut Sie Deutsch können. Ich spreche besonders langsam und deutlich, Sie dürfen mit „Händen und Füßen“ reden und stellen sich einfach vor, heute wäre keine Dolmetscherin im Saal. Wenn Sie einzelne Fragen nicht verstehen macht das nichts, denn später werden alle Fragen noch einmal mit der Dolmetscherin gestellt, sodass keine Inhalte verloren gehen und Sie ausführlich antworten können. Haben Sie das verstanden?
P: Ja.
R an D: Bitte ab sofort nicht übersetzen.
R: Haben Sie außerhalb des Asylverfahrens einen Aufenthaltstitel oder ein Visum für Österreich oder einen anderen EU-Staat?
Anmerkung: P versteht nicht.
R: Welche Verwandten leben in Österreich?
P: Welche Wandten?
R: Was ist die Muttersprache Ihrer Kinder?
P: Meine Muttersprache ist mein Kind. Usbekisch und Deutsch.
R: Welche Deutschprüfung habe Sie zuletzt bestanden?
P: A2.
R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs?
P: Ja. Später.
R an D: Bitte ab sofort wieder übersetzten.
Anmerkung: P spricht ein wenig Deutsch
[…].
R: Welche Deutschprüfung habe Sie zuletzt bestanden?
P: Ich habe noch keine Deutschprüfung bestanden. Ich lerne aber Deutsch auf dem Niveau A2.
R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs?
P: Ja. A2. Allerdings besuche ich derzeit keinen Kurs. Ich habe mich für die Prüfung angemeldet. Termin gibt es noch keinen wegen COVID 19.
Anmerkung: Kopie der bezahlten Prüfungstaxe wird vorgelegt…“ (Verhandlungsschrift Seite 08f)
Die Feststellungen zum Wohnort und zum Aufenthaltstitel des Ehegatten ergeben sich aus den Angaben von P1 und der in der Beschwerdeverhandlung vorgelegten „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ des Ehegatten (Anmerkung: Kopie liegt im Beschwerdeakt von P1 ein).
b) Zu den bisherigen Verfahrensverläufen:
Die Feststellungen zu den bisherigen Verfahrensverläufen ergeben sich aus den gegenständlichen Akten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und den Beschwerdeakten des Bundesverwaltungsgerichts.
c) Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich:
Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich beruhen auf dem nur teilweise glaubwürdigen Vorbringen von P1 im Lauf der Verfahren, vorgelegten Unterlagen, sowie auf Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Zentrales Fremdenregister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregister). Die nur rudimentär vorhandenen Deutschkenntnisse von P1 zeigten sich darüber hinaus im Rahmen der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.04.2021; zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird diesbezüglich auf 3. rechtliche Beurteilung zu Spruchpunkt II. und III. dieser Erkenntnisse (Seite 16f) verwiesen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zu Spruchpunkt I. dieser Erkenntnisse
1. Im Zuge der Beschwerdeverhandlung zog P1 die Beschwerden von P1 und P2 gegen die Spruchpunkte I. und II. der erstinstanzlichen Bescheide zurück.
Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Einschreiter ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfolgt die Einstellung infolge Zurückziehung der Beschwerde durch Beschluss (VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).
Mit der Zurückziehung ist das Rechtsschutzinteresse der beschwerdeführenden Parteien weggefallen, womit Sachentscheidungen die Grundlage entzogen und die Einstellung der betreffenden Verfahren – in dem von der Zurückziehung betroffenen Umfang – auszusprechen ist (vgl. Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2015, § 7 VwGVG, Rz 20; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2. Auflage 2017, § 7 VwGVG, K 6ff).
Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Beschwerde zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offenlässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (vgl. zu Berufungen Hengstschläger/Leeb, AVG, § 63, Rz 75 mit zahlreichen Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
P1 wurde in der Beschwerdeverhandlung am 19.04.2021 von einem Rechtsanwalt vertreten und erklärte nach Manuduktion bezüglich der rechtlichen Folgen von Zurückziehungen, dass sie sich diesbezüglich ausführlich beraten haben lassen und sich absolut sicher sei, die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. der Bescheide von P1 und P2 zurückziehen zu wollen. Mit den Zurückziehungen ist das Rechtschutzinteresse weggefallen und Entscheidungen in Beschwerdeverfahren die Grundlage entzogen. Die Spruchpunkte I. und II. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in den Verfahren von P1 und P2 erwuchsen mit diesen Zurückziehungen in Rechtskraft und die Beschwerdeverfahren sind hinsichtlich dieser Spruchpunkte einzustellen.
2. In den Spruchpunkten III. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden P1 und P2 Aufenthaltsberechtigungen aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.
Dazu wurde von P1 weder in den Beschwerden noch der Beschwerdeverhandlung ein entsprechendes Vorbringen erstattet. Wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zutreffend erkannt hat, liegen in den Fällen von P1 und P2 die Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführer weder seit mindestens einem Jahr gemäß
§ 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch die Beschwerdeführer Opfer von Gewalt gemäß § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, wurden.
Somit sind in den Verfahren von P1 und P2 die Beschwerden gegen die Spruchpunkt III. abzuweisen.
Zu Spruchpunkt II. und III. dieser Erkenntnisse
In den Spruchpunkten IV. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in den Verfahren von P1 und P2 wurden gegen die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde in den Spruchpunkten V. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung von P1 und P2 mach Usbekistan gemäß § 46 FPG zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
In Spruchpunkt I. des Bescheides von P3 wurde ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels des Art. 8 EMRK vom 23.08.2017 gemäß § 55 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen P3 eine Rückkehrentscheidungen gemäß
§ 52 Abs. 3FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung von P3 nach Usbekistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 des § 10 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.
Gemäß § 52 Abs. 2 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).
Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ist der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre. (§ 9 Abs. 3 BFA-VG, in der Fassung
BGBl. I Nr. 70/2015).
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR 27.10.1994, Kroon u.a. gg. die Niederlande, ÖJZ 1995, 296; siehe auch VfGH 28.06.2003, G 78/00).
Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8. 4. 2008, Nnyanzi gg. das Vereinigte Königreich, Appl. 21.878/06; 04.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).
Das Recht auf Achtung des Privatlebens sichert dem Einzelnen zudem einen Bereich, innerhalb dessen er seine Persönlichkeit frei entfalten und erfüllen kann. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH).
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen ist insbesondere das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17.03.2005, G 78/04, zu erwähnen. Demnach ist das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den privaten Interessen bei der Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen. Es ist auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216, mwH).
Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041 mit Hinweis auf E 30.08.2011, 2008/21/0605; E 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; E 30.06.2016, Ra 2016/21/0165; VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253-12).
Betreffend Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer ist Folgendes zu erwägen:
P1 hält sich seit mehr als vier Jahren in Österreich auf, spricht aber immer noch kaum Deutsch und es liegt zudem illegale Migration bzw. offensichtliche Umgehung der fremdenrechtlichen Einwanderungsbestimmungen vor, da nicht glaubhaft ist, dass P1 tatsächlich erst am 24.09.2016 illegal nach Österreich gekommen ist und Herrn XXXX , ebenfalls Staatsangehöriger der Republik Usbekistan, in Österreich kennen gelernt hat. Selbst wenn P1 sofort bei ihm eingezogen wäre bzw. laut ZMR am XXXX , passt das nicht zu dem Umstand, dass bereits am XXXX der völlig gesunde, gemeinsame Sohn P3 in Österreich geboren wurde. Dafür, dass sich P1 bereits viel länger, als von ihr zugegeben, illegal im Bundesgebiet aufhielt und ihren Antrag auf internationalen Schutz erst stellte, nachdem sie längst mit P3 schwanger war, spricht auch der Umstand, dass P1 ihren usbekischen Auslandsreisepass, aus dem der zeitliche Rahmen ihrer tatsächlichen Reisebewegungen ersichtlich ist, den österreichischen Behörden bzw. dem Bundesverwaltungsgericht nie vorgelegt hat. Somit steht zusammengefasst fest, dass P1 zum Zeitpunkt ihrer angeblichen Einreise am 24.09.2016 längst von ihrem späteren Ehegatten schwanger war und am 27.09.2016 nur deshalb einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, um damit ihren Aufenthalt in Österreich zu erzwingen.
P1 lebt offensichtlich schon länger illegal mit ihrem nunmehrigen Ehegatten in Österreich im gemeinsamen Haushalt. Obwohl sich P1 mittlerweile seit mehr als vier Jahren in Österreich aufhält, hat sie diese Jahre immer noch nicht für eine umfassende Integration genutzt. P1 ist nach all den Jahren in Österreich immer noch kaum in der Lage in Deutsch zu kommunizieren. Die XXXX P1 hat in ihrem gesamten Leben noch nie ihren Lebensunterhalt kraft eigner Arbeit bestritten und geht auch aktuell keiner Beschäftigung nach. P1 hat immer noch keine Deutschkurse besucht und keine Deutschprüfungen abgelegt. Zur mehr als vierjährigen Aufenthaltsdauer, welche in krassem Gegensatz zum XXXX Jahre dauernden Aufenthalt im Herkunftsstaat steht, kommt somit auch noch die nicht vorhandene Integration und kaum vorhandene Deutschkenntnisse.
P1 wäre es jederzeit zumutbar in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren und danach von dort aus, diesmal allerdings legal unter Einhaltung der fremdenrechtlichen Vorschriften, zu ihrem Ehegatten nach Österreich einzureisen. Das Verhalten von P1 zeigt eine grobe Missachtung der österreichischen Einreis- und Aufenthaltsbestimmungen und muss als das genaue Gegenteil von Integration gewertete werden, da P1 ansonsten ungerechtfertigt gegenüber allen anderen Fremden, die sich pflichtbewusst an die österreichische Rechtsordnung halten, um Integration bemühen und Deutsch lernen, bevorzugt würde. Dass P1 bis zuletzt in der Beschwerdeverhandlung am 19.04.2021, trotz mehrfacher Manuduktion bezüglich der Wichtigkeit wahrheitsgemäße Angaben, nicht bereit war zumindest ihr unglaubwürdiges Vorbringen bezüglich der Dauer ihrer Beziehung mit Herrn XXXX zu korrigieren, rundete diesen Eindruck ab. Zusammengefasst ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl somit zutreffender Weise davon ausgegangen, dass sich die Situation von P1 in Österreich seit ihrer illegalen Einreise kaum verbessert hat.
Soweit, wie im vorliegenden Fall, Kinder von der Rückkehrentscheidung betroffen sind, sind nach der Judikatur des EGMR die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 18.10.2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Rz 58, und vom 06.07.2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Rz 146). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie seine Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter („adaptable age“; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31.07.2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Rz 66, vom 17.02.2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Rz 60, und vom 24.11.2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Rz 46) befinden (vgl. VwGH 21.04.2011, 2011/01/0132).
Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass den minderjährigen P3 und P2 der objektiv unrechtmäßige Aufenthalt subjektiv nicht im gleichen Ausmaß wie P1 zugerechnet werden kann (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 u.a.).
Die minderjährigen P3 und P2 wurden in Österreich geboren und sind mittlerweile XXXX Jahre alt. P3 und P2 verfügen im Herkunftsstaat zwar noch über zahlreiche Familienmitglieder und auch wenn gemäß der herrschenden Judikatur von einem anpassungsfähigen Alter auszugehen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht auf Grund der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum „Kindeswohl“ davon auszugehen, dass das Interesse von P3 und P2 am Verbleib bei ihrem im Bundesgebiet lebenden Vater die öffentlichen Interessen an einer Beendigung des Aufenthaltes überwiegt.
Da die Bestätigung der erstinstanzlichen Rückkehrentscheidungen wegen ihres in Österreich lebenden Vaters einen unzulässigen Eingriff in das Familienleben von P3 und P2 bedeuten würden, sind die Rückkehrentscheidungen von P3 und P2 in Bezug auf den Herkunftsstaat Republik Usbekistan gemäß § 52 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019 iVm § 9 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, auf Dauer für unzulässig zu erklären. Nur deshalb ist in Folge auch die Rückkehrentscheidungen von P1 (als Kernfamilie) in Bezug auf den Herkunftsstaat Republik Usbekistan gemäß § 52 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, iVm § 9 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, auf Dauer für unzulässig zu erklären.
Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, werden Drittstaatsangehörigen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt als:
1. „Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,
2. „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,
3. „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.
Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar (§ 54 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012).
Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß
§ 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen (§ 55 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012).
Gemäß § 9 Abs. 4 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017 (IntG), in der Fassung
BGBl. I Nr. 41/2019, ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige
1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019)
3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,
4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder
5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.
Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.
Nachdem bei allen Beschwerdeführern nur die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, vorliegen, hat das das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl P1 bis P3 jeweils einen Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG, in der Fassung
BGBl. I Nr. 87/2012, auszufolgen, welcher gemäß § 54 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I
Nr. 87/2012, für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen ist; P1 hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, mitzuwirken.
Da in den konkreten Fällen die Rückkehrentscheidung behoben werden, ist den Spruchpunkten IV. bis VI. der erstinstanzlichen Bescheide von P1 und P2 bzw. den Spruchpunkten II. bis IV. des erstinstanzlichen Bescheides von P3 die Grundlage entzogen, weshalb diese spruchgemäß zu beheben sind.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 (VwGG), in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
In diesen konkreten Fällen sind Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig, weil die Entscheidungen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängen, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es wurde ausführlich dargelegt, dass der Sachverhalt nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung feststeht. Diese Erkenntnisse beschäftigt sich vor allem mit der Erforschung und Feststellung von Tatsachen und es ergaben sich im Lauf der Verfahren keine Hinweise auf das Vorliegen von ungeklärten Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung.
Schlagworte
Aufenthaltstitel mangelnder Anknüpfungspunkt Spruchpunktbehebung Verfahrenseinstellung Voraussetzungen Wegfall der Gründe Zurückziehung der BeschwerdeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W215.2209359.1.00Im RIS seit
05.10.2021Zuletzt aktualisiert am
05.10.2021