Entscheidungsdatum
01.06.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G314 2226702-1/11E
ENDERKENNTNIS
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des rumänischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2019, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes samt Nebenentscheidung zu Recht:
A) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Mit den Schreiben vom 26.09.2018 und vom 16.08.2019 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Beschwerdeführer (BF) auf, sich zu der wegen seiner strafgerichtlichen Verurteilung wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Der BF erstattete keine Stellungnahme. Am XXXX .2019 wurde er vor dem BFA vernommen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Dies wurde damit begründet, dass er sich zwar seit ca. 3 ½ Jahren in Österreich aufhalte, hier erwerbstätig sei und in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern lebe, aber wegen einer versuchten Vergewaltigung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Wegen der von ihm deshalb ausgehenden tatsächlichen, erheblichen und gegenwärtigen Gefahr sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes geboten. Für dessen mit drei Jahren festgelegte Dauer sei ausschlaggebend, dass er nur ein einziges (zwar schweres) Delikt im Bundesgebiet begangen habe und eine Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens verhängt worden sei.
Der BF erhob dagegen eine Beschwerde, mit der er die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie die Behebung des angefochtenen Bescheids beantragt. Hilfsweise strebt er die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbotes und die Einräumung eines Durchsetzungsaufschubes an. Er begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er die Straftat, die er unter Alkoholeinfluss begangen habe, zutiefst bereue und seither keinen Alkohol mehr konsumiere. Er sei mit seiner Ehefrau und seinen beiden minderjährigen Kindern in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hier fast immer einer geregelten Arbeit nachgegangen. Er habe gemeinsam mit seiner Frau einen Kredit aufgenommen, der noch offen sei, um Anschaffungen für die Familie zu tätigen. Seine Kinder seien in Österreich verankert und würden hier die Schule besuchen. Seine Frau sei auf Arbeitssuche, was aufgrund der Kinderbetreuung schwierig sei. Er habe auch zu seinen beiden im Bundesgebiet lebenden Schwestern regelmäßig Kontakt. Das Aufenthaltsverbot greife unverhältnismäßig in sein Privat- und Familienleben ein. Da er bemüht sei, keine weiteren Fehltritte zu begehen, und keinen Alkohol mehr konsumiere, könne eine positive Zukunftsprognose erstellt werden.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, weil die Resozialisierungsbemühungen des BF und die Abkehr vom Alkoholkonsum bereits bei der Festlegung der Dauer des Aufenthaltsverbotes berücksichtigt worden seien. Der damit verbundene Eingriff in sein (haftbedingt ohnedies eingeschränktes) Familienleben sei zulässig, zumal er versucht habe, eine über 90-jährige Frau in ihrer eigenen Wohnung zu vergewaltigen.
Mit dem Teilerkenntnis vom 30.12.2019 wies das BVwG die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids) unter gleichzeitiger Zurückweisung des Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ab und erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zu.
Am XXXX .2020 übermittelte die Justizanstalt XXXX dem BVwG auftragsgemäß eine Besucherliste und die Vollzugsinformation des BF. Am XXXX .2020 übermittelte das Landesgericht XXXX dem BVwG auf dessen Bitte hin die ECRIS-Auszüge des BF aus Rumänien und Spanien. Am XXXX .2021 übermittelte das Landesgericht XXXX dem BVwG den Beschluss vom XXXX betreffend die bedingte Entlassung des BF.
Feststellungen:
Der am XXXX geborene BF, ein Staatsangehöriger Rumäniens, hat einen am XXXX .2015 ausgestellten und bis XXXX .2025 gültigen rumänischen Personalausweis. Seine Muttersprache ist Rumänisch; er verfügt daneben auch über rudimentäre Deutschkenntnisse. In seinem Herkunftsstaat war er als Erntehelfer erwerbstätig. Er ist verheiratet und für zwei XXXX bzw. XXXX geborene Kinder sorgepflichtig.
Der BF wurde in Rumänien ab XXXX mehrmals (insbesondere wegen Diebstahlsdelikten) zu (teilweise bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafen verurteilt. Er hielt sich einige Jahre lang als Arbeitnehmer in Spanien auf, wo er im XXXX wegen schweren Diebstahls zu einer sechsmonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. In der Folge kehrte er nach Rumänien zurück.
Nachdem er sich bereits 2014 ungefähr einen Monat lang im Bundesgebiet aufgehalten hatte, zog der BF im XXXX mit seiner Frau und seinen Kindern nach Österreich, wo auch seine beiden Schwestern, zu denen er regelmäßig Kontakt hat, mit ihren Familien leben. Am XXXX XXXX wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt. Er und seine Frau waren in Österreich (mit Unterbrechungen) immer wieder erwerbstätig, dazwischen bezogen sie wiederholt Arbeitslosengeld. Seine Kinder besuchten hier die Schule.
Am Morgen des XXXX drang der BF alkoholisiert in die (unversperrte) Wohnung seiner 90-jährigen Nachbarin ein und versuchte, sie zu vergewaltigen, was ihm aufgrund ihrer Gegenwehr nicht gelang. Mit dem seit XXXX rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , wurde er deshalb wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 StGB zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, die er ab XXXX in der Justizanstalt XXXX verbüßte. Es handelt sich um seine erste Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung. Bei der Strafzumessung wurde als mildernd gewertet, dass es beim Versuch blieb und dass seine Dispositions- und Diskretionsfähigkeit aufgrund der Alkoholisierung deutlich vermindert war. Der durch die (nicht auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden) Vorstrafen des BF bedingte Ausschluss des Milderungsgrunds der Unbescholtenheit wurde durch das bereits längere Zurückliegen der Vorstrafen etwas relativiert. Als erschwerend waren die Verletzungen (Hämatome) des Opfers zu berücksichtigen. Schulderhöhend wirkte sich die Tatbegehung zum Nachteil einer bereits 90-jährigen Frau in deren eigener Wohnung aus.
Der BF wurde während der Haft von seiner Ehefrau und von seinen Schwestern besucht. Am XXXX wurde er nach der Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe bedingt entlassen. Die Probezeit wurde mit fünf Jahren bestimmt. Gleichzeitig wurden dem BF die Weisungen erteilt, sich einer Alkoholtherapie, einem Antiaggressionstraining und einer klinisch-psychologischen Beratung und Behandlung zu unterziehen. Anlässlich der Entscheidung über die bedingte Entlassung wurde zwar sein Rückfallrisiko als unterdurchschnittlich eingeschätzt, ihm allerdings ein erhebliches Alkoholproblem mit fehlender Problemeinsicht sowie eine impulsive, dissoziale Persönlichkeit attestiert.
Am XXXX wurde der BF nach Rumänien abgeschoben. Auch seine Ehefrau und seine Kinder haben das Bundesgebiet mittlerweile verlassen.
Beweiswürdigung:
Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der Akten des Verwaltungsverfahrens und des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG, insbesondere aus den Angaben des BF und den Informationen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Strafregister, dem Versicherungsdatenauszug und dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR).
Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit des BF gehen aus seinem (dem BVwG in Kopie vorgelegten) Personalausweis in Übereinstimmung mit dem übrigen Akteninhalt hervor. Rumänischkenntnisse sind aufgrund seiner Herkunft plausibel und gehen etwa aus der Vollzugsinformation, in der Rumänisch als Dolmetschsprache aufscheint, hervor. Bei der Einvernahme vor dem BFA sind keine Verständigungsprobleme mit dem beigezogenen Rumänischdolmetscher zutage getreten. Vor dem BFA erklärte der BF, „etwas Deutsch“ zu verstehen, was angesichts der im Inland ausgeübten Erwerbstätigkeit nachvollziehbar ist. Über Basiskenntnisse hinausgehende Deutschkenntnisse oder ein konkretes Sprachniveau kann nicht festgestellt werden, zumal weder Prüfungszertifikate noch Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen vorgelegt wurden.
Die in Rumänien ausgeübte Erwerbstätigkeit des BF und der vorübergehende Aufenthalt in Spanien werden anhand der Angaben des BF vor dem BFA festgestellt. Seine familiären Verhältnisse ergeben sich daraus sowie aus den Angaben zu seiner Person im Strafurteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX . Die Feststellungen zu den Vorstrafen des BF in Rumänien und in Spanien basieren auf den ECRIS-Auszügen und den aktenkundigen Strafurteilen.
Aus dem ZMR geht hervor, dass der BF von XXXX bis XXXX mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet war und danach wieder von XXXX bis zur amtlichen Abmeldung am XXXX . Zwischen XXXX und XXXX waren seine Ehefrau XXXX , die am XXXX geborene XXXX und die am XXXX geborene XXXX an derselben Adresse wie er mit Hauptwohnsitz gemeldet. Da auch sie von diesem Wohnsitz per XXXX amtlich abgemeldet wurden und aktuell keine Wohnsitzmeldung in Österreich mehr besteht, ist davon auszugehen, dass sie sich ebenfalls nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten.
Die Kontakte des BF zu seinen in Österreich lebenden Schwestern werden anhand seiner Angaben vor dem BFA festgestellt. Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung geht aus dem IZR hervor. Laut Versicherungsdatenauszug war der BF im Bundesgebiet von XXXX .2016 bis XXXX .2018, von XXXX .2018 bis XXXX .2018, von XXXX .2018 bis XXXX .2018 sowie von XXXX .2018 bis XXXX .2019 als Arbeiter erwerbstätig und bezog von XXXX .2018 bis XXXX .2018, von XXXX .2018 bis XXXX .2018 und von XXXX .2018 bis XXXX .2018 Arbeitslosengeld. Seine Ehefrau war – wie sich gleichfalls aus den Versicherungsdaten ergibt - ab XXXX immer wieder als Arbeiterin beschäftigt und bezog zwischenzeitig Arbeitslosengeld. Die Darstellung des BF gegenüber dem BFA, wonach seine Kinder in Österreich die Schule besuchten, ist angesichts ihres Alters und ihres Wohnsitzes nachvollziehbar.
Die Feststellungen zu der strafgerichtlichen Verurteilung des BF in Österreich, der zugrundeliegenden Tat und den Strafbemessungsgründen basieren auf den vorgelegten Strafurteilen und dem Strafregister. Der Vollzug der Freiheitsstrafe geht aus der Vollzugsinformation und der Wohnsitzmeldung des BF in der Justizanstalt XXXX hervor, die Besuchskontakte während der Haft aus den Angaben des BF vor dem BFA und der damit korrespondierenden Besucherliste.
Die Feststellungen zur bedingten Entlassung des BF beruhen auf dem Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX und dem Strafregister. Das Rückfallrisiko, der problematische Alkoholkonsum und die Persönlichkeitsstruktur des BF werden ebenfalls anhand des Beschlusses vom XXXX festgestellt. Seine Abschiebung nach Rumänien wird anhand der entsprechenden IRZ-Eintragung festgestellt.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den BF als EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe z.B. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Hier hat sich der BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben, das gemäß § 53a NAG idR (von hier nicht maßgeblichen Ausnahmefällen abgesehen) einen fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt. Der Erwerb des Daueraufenthaltsrechtes ist schon deshalb zu verneinen, weil der BF im dritten Jahr seines Aufenthalts in Österreich ein schwerwiegendes Sexualdelikt beging, sodass unter Berücksichtigung der strafgerichtlichen Sanktionen, die gegen ihn zuvor in Rumänien und in Spanien verhängt worden waren, von einer Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit iSd § 55 Abs 3 NAG auszugehen ist, die dem Fortbestand des Aufenthaltsrechts gemäß § 51 Abs 1 NAG und somit dem Erlangen eines Daueraufenthaltsrechtes nach § 53a NAG entgegen steht (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2019/21/0247). Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.
Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Moral) berührt. Die wiederholten strafgerichtlichen Verurteilungen in mehreren Staaten führen in Zusammenschau mit der fehlenden Einsicht in die Alkoholproblematik und der impulsiven, dissozialen Persönlichkeit, die eine erhebliche Wiederholungsgefahr begründen, dazu, dass für den BF noch keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass bei der bedingten Entlassung des BF von einem unterdurchschnittlichen Rückfallrisiko ausgegangen wurde, zumal die nach fremdenrechtlichen Vorschriften vorzunehmende Gefährdungsprognose grundsätzlich unabhängig von den Erwägungen des Strafgerichts erfolgt (siehe VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0279).
Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist nämlich grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich (nach dem Vollzug einer Haftstrafe) in Freiheit wohlverhalten hat (siehe etwa VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist der Beobachtungszeitraum seit Anfang XXXX bei weitem noch nicht ausreichend, um beim BF einen nachhaltigen Gesinnungswandel annehmen zu können, zumal eine Therapie zwar angeordnet, aber nicht abgeschlossen wurde. Den anlässlich der bedingten Entlassung erteilten Weisungen kann der BF auch von seinem Heimatstaat (oder einem anderen EWR-Staat, in dem er aufenthaltsberechtigt ist) aus nachkommen.
Da die Ehefrau und die Kinder des BF sich mittlerweile nicht mehr in Österreich aufhalten, besteht kein Familienleben im Inland. Die hier vom BF geknüpften sozialen und beruflichen Kontakte begründen vor dem Hintergrund seiner gravierenden Straffälligkeit ein vergleichsweise geringes persönliches Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet.
Eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten Interessen des BF, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung ergibt, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privatleben verhältnismäßig ist. Er kann den Kontakt zu seinen Schwestern und in Österreich lebenden Freunden und Bekannten auch bei Besuchen außerhalb des Bundesgebiets sowie über Kommunikationsmittel wie Telefon und Internet aufrecht halten. Da er sich bis 2016 überwiegend in seinem Herkunftsstaat aufhielt, ist es ihm zumutbar, zurückzukehren und sich dort nach dem Strafvollzug wieder eine Existenz aufzubauen.
Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen. Die vom BFA mit drei Jahren ohnedies äußerst maßvoll festgelegte Dauer des Aufenthalts ist keiner Reduktion zugänglich, zumal dem BF ein noch nicht lange zurückliegender, schwerwiegender Eingriff in die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung einer betagten Frau anzulasten ist. Ein dreijähriges Aufenthaltsverbot ist jedenfalls notwendig, um der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung wirksam zu begegnen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit nicht zu beanstanden.
Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
Die Beschwerde wurde bereits mit dem Teilerkenntnis vom 30.12.2019 die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt. Aus den dort herangezogenen Gründen ist auch die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs gemäß § 70 Abs 3 FPG nicht zu beanstanden, zumal angesichts des problematischen Alkoholkonsums des BF und seines belasteten Vorlebens die Begehung weiterer Sexual- oder Vermögensdelikte konkret zu befürchten und daher seine sofortige Ausreise nach dem Strafvollzug im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig war. Die Beschwerde ist somit auch in Bezug auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids unbegründet.
Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine Herabsetzung der Dauer oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbotes möglich wäre, zumal aufgrund der Begehung eines gegen eine 90-jährige Frau in deren eigener Wohnung verübtes Sexualdelikt ein besonders großes öffentliches Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme besteht, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüberhinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot EU-Bürger individuelle Verhältnisse Interessenabwägung öffentliche Interessen strafrechtliche Verurteilung UnionsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2226702.1.00Im RIS seit
05.10.2021Zuletzt aktualisiert am
05.10.2021