TE Bvwg Beschluss 2021/6/14 W240 2241931-1

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Veröffentlicht am 14.06.2021
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Entscheidungsdatum

14.06.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W240 2241931-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.04.2021, Zl. 1274458608/210192449, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 10.02.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seiner Person liegen keine EURODAC-Treffermeldung vor.

Im Zuge der Erstbefragung am 10.02.2021 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, seinen Heimatstaat am 29.08.2018 verlassen zu haben und über den Libanon und die Türkei legal mit einem Visum nach Ungarn gereist zu sein, um zu studieren. Das Visum habe er mehrmals verlängern lassen und es sei zuletzt am 31.01.2021 abgelaufen, da er sein Studium abgeschlossen habe. Am 07.01.2021 sei er von Ungarn nach Österreich gekommen, um einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. In Ungarn sei die Situation für Ausländer sehr schlecht. Seine Heimat habe er verlassen, da Krieg herrsche und er zum Militärdienst einrücken müsse, obwohl Krieg gegen seine Moral verstoße.

Der Beschwerdeführer legte folgende Dokumente vor:

-        Syrischer Reisepass des Beschwerdeführers

-        Ungarischer Personalausweis/Aufenthaltstitel

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 24.02.2021 ein auf
Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an Ungarn.

Mit Schreiben vom 25.02.2021 teilten die ungarischen Behörden mit, dass dem Aufnahmeersuchen nicht entsprochen werden könne, weil kein detaillierter Sachverhalt bezüglich des Aufenthalts des Beschwerdeführers nach der Ausreise aus Ungarn und die Umstände der Antragstellung in Österreich vorliege.

Am 26.02.2021 richtete das BFA eine Remonstration an die ungarische Dublinbehörde und übermittelte das vom Beschwerdeführer genannte Ausreisedatum und das Datum der Antragstellung in Österreich.

Mit Schreiben vom 01.03.2021 erklärten sich die ungarischen Behörden gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zur Aufnahme des Beschwerdeführers bereit.

Nach durchgeführter Rechtsberatung fand am 24.03.2021 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA statt. Dabei gab der Beschwerdeführer über Nachfrage an, dass er sich physisch und psychisch in der Lage sehe die Befragung durchzuführen und nicht in medizinscher Behandlung zu sein, eine solche sei auch aktuell nicht geplant. In Österreich lebe seit 30-35 Jahren seine Tante, eine österreichische Staatsbürgerin. Er wohne seit 16.02.2021 mit ihr und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt. Seine Tante unterstütze ihn seitdem mit ca. € 500 – 600 pro Monat finanziell. Bevor er nach Österreich kam, habe er wöchentlich Videotelefonate mit seiner Tante geführt. Einer Beschäftigung gehe er in Österreich nicht nach. Einen Deutschkurs habe er nicht besucht, er lerne aber selbständig und mit seiner Tante. Dem Beschwerdeführer wurde sodann mitgeteilt, dass aufgrund der vorliegenden Zustimmung Ungarns geplant sei, seine Außerlandesbringung nach Ungarn zu veranlassen. Dazu erklärte der Beschwerdeführer, dass er auf legalem Weg nach Ungarn gekommen sei um zu studieren und seinen Militärdienst zu verschieben. Sollte er nach Ungarn zurück, werde er nach Syrien abgeschoben, wo er den Militärdienst leisten müsse. Ungarn habe eine Abmachung mit Syrien, die eine Abschiebung nach Syrien erleichtere. Er wolle weiter studieren, was aber von Syrien abgelehnt worden wäre, er müsse offiziell nach Syrien zurückkehren und seinen Militärdienst ableisten. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an in Ungarn keine Probleme mit der Polizei oder Behörden gehabt zu haben. Er habe gehört, dass Asylwerber in Ungarn schlecht behandelt werden würden. Im Falle einer negativen Entscheidung in Österreich, werde er nicht nach Ungarn zurückkehren, da dies das Ende seines Lebens bedeute. Zu den aktuellen Länderfeststellungen zu Ungarn, nahm der Beschwerdeführer nicht Stellung.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.04.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Ungarn gemäß Art. 12 Abs. 4 (Aufenthaltstitel seit weniger als zwei Jahren oder Visum seit weniger als sechs Monaten abgelaufen) Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem werde gemäß § 61 Abs. 1 Z. 1 FPG gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ungarn zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Im Bescheid wurde insbesondere festgestellt, dass der Beschwerdeführer gesund sei. Schwere psychische und/oder schwere oder ansteckende Krankheiten konnten nicht festgestellt werden. In Ungarn wäre der Beschwerdeführer bis 31.01.2021 zu Ausbildungszwecken aufenthaltsberechtigt gewesen. In Österreich lebe die Tante des Beschwerdeführers. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine besondere Integrationsverfestigung bestehe. Ein Abhängigkeitsverhältnis des Beschwerdeführers zur dessen Tante bestehe nicht. Einer Überstellung nach Ungarn stehe im Hinblick auf den psychischen und physischen Zustand des Beschwerdeführers nichts entgegen.

3. Gegen den Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig das Rechtmittel der Beschwerde und hielt fest, dass der Bescheid in vollem Umfang angefochten werde. Inhaltlich verwies der Beschwerdeführer auf sein bereits erstattetes Vorbringen und führte aus, dass es ihm seit kurzem gesundheitliche nicht gut gehe. Ein konsultierter Arzt stellte bei dem Beschwerdeführer dringend behandlungsbedürftiges Diabetes, dringend behandlungsbedürftigen Bluthochdruck und Übergewicht fest, was im Falle einer Covid-19 Erkrankung das Risiko eines schweren Verlaufs erhöhe. Die von der Behörde herangezogenen Länderfeststellungen seien veraltet und würden wesentliche Verurteilungen Ungarns durch den EuGH nicht enthalten. Diese würden den effektiven Zugang zu Asylverfahren, den Aufenthalt in Transitzonen, Verstöße gegen die Verpflichtungen aus der Rückführungsrichtlinie und das Recht nach Erhebung eines Rechtsmittels bis zur Entscheidung im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates zu verbleiben betreffen. Zudem wären in den Länderfeststellungen genannte Transitzentren geschlossen worden und es würden Berichte vorliegen, dass Personen mit Studentenvisa in Ungarn nicht berechtigt wären einen Asylantrag zu stellen.

Zum Beweis der gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers wurden ein Arztbrief, ein Endbefund und ein EKG vorgelegt.

4. Mit Beschluss vom 03.05.2021 zu W240 2241931-1/2Z wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 10.02.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Am 31.01.2021 lief das Visum des Beschwerdeführers, das diesen zum Aufenthalt in Ungarn für Studienzwecke berechtigte, ab. Er verfügt in Ungarn über keinen Aufenthaltstitel mehr.

Das BFA richtete am 24.02.2021 ein Aufnahmeersuchen gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin II-VO an Ungarn. Mit Schreiben vom 26.02.2021 stimmten die ungarischen Behörden der Aufnahme des Beschwerdeführers nunmehr zu.

Mit Bescheid vom 02.04.2021 wurde der Antrag als unzulässig abgewiesen und die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers nach Ungarn für zulässig erklärt.

Zusammen mit der Beschwerde gegen diesen Beschied wurden ärztliche Befunde betreffend den Beschwerdeführer übermittelt, aus welchen die dringende Behandlungsbedürftigkeit des Beschwerdeführers hinsichtlich Diabetes und Bluthochdrucks hervorgeht. Eine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustands, des Familienlebens und allfälliger bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse des Beschwerdeführers war zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht möglich.

Die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Bescheid zur Lage in Ungarn beruhen auf Quellen mit Stand 02.04.2020 und sind daher nicht mehr ausreichend aktuell, um eine Entscheidungsgrundlage darzustellen. Nicht festgestellt werden kann aufgrund der Aktenlage, ob noch Transitzonen in Ungarn in Verwendung sind, oder ob Ungarn tatsächlich auf dem Standpunkt steht, dass Asylanträge im Land selbst nicht mehr gestellt werden könnten. Nicht festgestellt werden kann in dem Zusammenhang folglich, wo Dublin-Rückkehrer im Falle einer Rücküberstellung konkret untergebracht werden würden.

2. Beweiswürdigung:

Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.

Insbesondere liegen keine ausreichenden Ermittlungen und in der Folge keine abschließende Beurteilung betreffend den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die familiären Beziehungen des Beschwerdeführers zu seiner in Österreich lebenden Tante vor. Die Beweiserhebung des BFA stellt keine geeignete Ermittlungstätigkeit dar, um ausschließen zu können, dass beim Beschwerdeführer aufgrund der ihm gegenüber ausgesprochenen Außerlandesbringung ein unzulässiger Eingriff in sein von Art. 3 EMRK geschütztes Recht und in sein von Art. 8 EMRK geschütztes Privat- und Familienleben droht.

Dem Bundesverwaltungsgericht ist es zum Entscheidungszeitpunkt nicht möglich, aus der Aktenlage aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen zu beurteilen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, die bei einer Überstellung des Beschwerdeführers zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen könnten.

Dass die im Bescheid herangezogenen Länderfeststellungen nicht mehr ausreichend aktuell sind, ergibt sich daraus, dass diese bereits über ein Jahr alt sind und Veränderungen, die für die Beurteilung der entscheidungswesentlichen Umstände in Ungarn wesentlich sind, nicht enthalten sind.

Die Negativfeststellungen ergeben sich aus dem Umstand, dass die in der angefochtenen Entscheidung herangezogenen Länderinformationen zur Unterbringung von Dublin-Rückkehrern vom Februar 2020 stammen und somit über ein Jahr alt sind, sodass die in der Beschwerde hingewiesene aktuelle Entwicklung in Ungarn in Hinblick auf die Unterbringung und Möglichkeiten der Asylantragstellung von Asylwerbern im Land keiner Beurteilung unterzogen werden kann.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG idgF lauten:

„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

[ … ]

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

[ … ]

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

[ … ]

und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:

„§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO zur Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaates lauten:

„KAPITEL II

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN

Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

[ … ]

Art. 17

Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

Hieraus folgt rechtlich:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehrfachen Erkenntnissen klargestellt, dass Asylbehörden als Spezialbehörden aktuelle Herkunftsländerinformationen ihren Entscheidungen zugrunde zu legen haben. Angesichts der rezenten Entwicklungen in Ungarn ab Mai 2020 im Hinblick auf die rechtlichen Möglichkeiten überhaupt internationalen Schutz in Ungarn zu begehren, sowie insbesondere auch im Hinblick auf die Unterbringung und Versorgung von Antragstellern, erscheint der vorliegende Sachverhalt derart mangelhaft, dass ohne ergänzende Ermittlungen und aktuelle Feststellungen zur konkreten Situation von Rückkehrern eine Überprüfung, ob dem BF im Falle einer Rücküberstellung nach Ungarn eine Verletzung seiner Rechte gemäß
Art. 3 EMRK drohen würde, im Beschwerdeweg nicht vorgenommen werden kann.

Da es sich dabei um eine grundlegende Aufbereitung der Feststellungen zur allgemeinen Situation in Ungarn für Asylsuchende handelt, war daher der Beschwerde stattzugeben und das Verfahren gemäß § 21 Abs. 3, zweiter Satz BFA-VG an das BFA zurückzuverweisen.

Ergänzend ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass unter Zugrundelegung der erstinstanzlichen Feststellungen zur Unterbringung von Dublin-Rückkehrern in jenen Fällen, in denen an den Antragstellern kein legaler Aufenthalt zukommt, der BF im Falle seiner Rücküberstellung in eine dieser Transitzonen untergebracht werden würde, für die Ungarn seit Jahren seitens der europäischen Institutionen kritisiert wird und die amtsbekanntermaßen seit Jahren zu einer Aussetzung von Rücküberstellungen nach Ungarn geführt haben. Vor diesem Hintergrund – wenn dieser noch (wie im fortgesetzten Verfahren vom BFA zu prüfen sein wird) aktuell wäre – könnte die angefochtene Entscheidung ebenso keinen Bestand haben.

Im fortgesetzten Verfahren bedarf es in weiterer Folge aktueller Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, der unter zahlreichen gesundheitlichen Beschwerden leidet, um etwaige gesundheitliche Beeinträchtigungen als möglichen Grund einer Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsposition des Beschwerdeführers im Falle seiner Außerlandesbringung nach Ungarn ausschließen zu können. Zudem sind weitere Feststellungen zu den familiären Verhältnissen unter Zugrundelegung hinreichender Beweismittel zu treffen. Schließlich werden aktuelle Länderberichte zu Ungarn, auch zur gesundheitlichen Versorgung und zum effektiven Zugang zum Asylverfahren für Asylwerber in einer dem Beschwerdeführer vergleichbaren Situation der Entscheidung zu Grunde zu legen sein.

Zur Wahrung des Parteiengehörs wird die belangte Behörde den Beschwerdeführer über die erhobenen Ermittlungsergebnisse in Kenntnis setzen bzw. diese mit ihm erörtern müssen und wird letztlich die Frage zu klären sein, ob im gegenständlichen Fall ein Selbsteintritt Österreichs zur Vermeidung einer Grundrechtsverletzung nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC geboten sein könnte.

Der vorliegende Sachverhalt erweist sich daher als so mangelhaft, dass eine Ergänzung desselben und damit verbunden eine mündliche Verhandlung unvermeidlich erscheint, weshalb der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattzugeben war.“

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht können nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof geht - nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Erläuterungen zu § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG 2014 - davon aus, dass immer dann, wenn der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch die Verwaltungsbehörde Ermittlungsmängel anhaften, die nicht vom Bundesverwaltungsgericht in der für die Erledigung des im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden Beschwerdeverfahrens gebotenen Eile beseitigt werden können, der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG 2014 stattzugeben ist. Eine Verhandlung hat diesfalls zu unterbleiben (VwGH vom 30.06.2016, Ra 2016/19/0072).

Gemäß § 21 Abs. 6a und Abs. 7 BFA-VG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im vorliegenden Fall konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W240.2241931.1.01

Im RIS seit

05.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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