TE Bvwg Beschluss 2021/6/15 W144 2243191-1

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Veröffentlicht am 15.06.2021
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Entscheidungsdatum

15.06.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W144 2243191-1/4E
W144 2243188-1/4E

BESCHLUSS!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die gemeinsame Beschwerde von 1. XXXX geb, und 2. Mj. XXXX geb., beide StA. von Syrien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 25.05.2021, Zlen: XXXX (ad 1.) und XXXX (ad 2.), beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und die Verfahren werden zurückverwiesen.

B)       

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I.       Verfahrensgang

Der 1.-Beschwerdeführer (1.-BF) ist der Vater des minderjährigen (mj.) 2.-Beschwerdeführers (2.-BF), beide sind Staatsangehörige von Syrien. Der 1.-BF hat sein Heimatland bereits im Jahr 2011 verlassen und sich in den Libanon begeben, wo in der Folge bis zum Jahr 2018 aufhältig war und wo der 2.-BF geboren wurde. Letztlich reisten die BF über die Türkei weiter nach Bulgarien, wo sie Anträge auf internationalen Schutz stellten und letztlich ein Aufenthaltsrecht als subsidiär Schutzberechtigte erhielten. Nach einem etwa fünfmonatigen Aufenthalt in Bulgarien reisten die BF schließlich über Griechenland und Italien weiter nach Österreich, wo sie am 23.04.2021 ins Bundesgebiet eintrafen und in der Folge den gegenständlichen Antrag vom 29.04.2021 auf internationalen Schutz stellten.

Bulgarien bestätigte im Zuge von Konsultationen mit Schreiben vom 05.05.2021 den Status der BF als subsidiär Schutzberechtigte und erklärte die Bereitschaft zur ihrer Rückübernahme.

Im Rahmen der Erstbefragung nach dem Asylgesetz am 29.4.2021 erklärte der 1.-BF, dass er Syrien aufgrund des Bürgerkrieges verlassen habe, er habe im Zuge des Bürgerkriegs seine Ehegattin und eine Tochter verloren. Nach Vorhalt, dass er in Bulgarien schutzberechtigt sei, erklärte der BF, dass er sich etwa vier Monate lang in Bulgarien aufgehalten habe, jedoch sei die Situation für ihn und seinen Sohn sehr schlecht gewesen, sie seien sehr schlecht behandelt worden. Sie würden nicht nach Bulgarien zurückkehren wollen.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vom 21.05.2021 gab der 1.-BF im Wesentlichen zu Protokoll, dass er und sein Sohn in Bulgarien nicht medizinisch behandelt worden seien. Diesbezüglich zeigte der 1.-BF auf seinen Füßen Spuren von Krätze und Insektenbissen, die nicht behandelt wurden. Der minderjährige Sohn des 1.-BF, der 2.-BF sprach von Hunger und Kälte und von Männern, die einander mit der Faust geschlagen hätten. Der 1.-BF brachte weiters vor, dass seinem Sohn der Schulbesuch verweigert worden sei. Sein Sohn habe in Bulgarien hohes Fieber bekommen, er habe Angst gehabt, dass der Sohn sterbe, weil er nicht das Geld für Medikamente gehabt habe. Er sei wegen des hohen Fiebers des Sohnes zur Polizei im Flüchtlingscamp gegangen, doch sei er lediglich samt dem Kind zurückgestoßen und aus dem Zimmer hinausgeschmissen worden. Er habe die ganze Nacht versucht, mit kaltem Wasser die Temperatur zu senken. Weiters sei dem 1.-BF gedroht worden, dass man ihm den Sohn wegnehmen und in Obsorge geben werde, und dass er selbst in die Türkei zurückkehren solle. Er habe in der Folge einen Tag lang von Büro zu Büro seinen Sohn gesucht und als er ihn dann gefunden habe, habe er sich endgültig entschieden, das Land zu verlassen. Die letzten zehn Tage habe er mit seinem Sohn auf der Straße geschlafen. Sie seien auch beim Roten Kreuz und beim Roten Halbmond vorstellig gewesen, beide hätten ihnen jedoch nicht helfen können. Die Drohung, dass man in den Sohn wegnehmen werde, sei nur deshalb absichtlich erfolgte, weil er um medizinische Versorgung gebeten habe. Auch Schläge mit Fäusten und Ohrfeigen habe er nur deshalb erhalten, weil einen Arzt für sein Kind haben wollte. Als sie den positiven Bescheid (über den Subsidiärschutz) bekommen hätten, sei ihnen gesagt worden, dass sie aus dem Camp weg nach Deutschland gehen sollten.

Der sechsjährige 2.-BF wurde altersbedingt nicht gesondert einvernommen.

Das BFA wies sodann die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheiden jeweils vom 25.05.2021 gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass sich die BF nach Bulgarien zurück zu begeben hätten. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen werde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG werde die Anordnung der Außerlandesbringung der BF angeordnet und sei demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Bulgarien zulässig.

In der Begründung traf das BFA Feststellungen zur allgemeinen Lage in Bulgarien wie folgt:

„Zur Lage im Bulgarien

Letzte Änderung: 24.7.2020

Anerkannte Flüchtlinge erhalten ein Identitätsdokument mit fünf Jahren Gültigkeit; subsidiär (oder humanitär) Schutzberechtigte ein solches mit drei Jahren Gültigkeit. Damit sind verschiedene Rechte verbunden. Anerkannte Flüchtlinge haben mit wenigen Ausnahmen dieselben Rechte wie bulgarische Staatsbürger, subsidiär Schutzberechtigte haben dieselben Rechte wie Inhaber eines permanenten Aufenthaltstitels (AIDA 2.2020).

Die bulgarische Integrationsverordnung vom 19.7.2017, die den Abschluss individueller Integrationsvereinbarungen zwischen den Schutzberechtigten und dem Bürgermeister einer Gemeinde vorsieht, wird weiterhin nicht umgesetzt, weil keine der 265 Gemeinden um Mittel für Integrationsmaßnahmen ansucht (IV 19.7.2017; vgl. AA 16.1.2019, AIDA 2.2020, Caritas 5.2019). Die einzigen Integrationsmaßnahmen bislang betrafen 13 Relocation-Fälle und wurden von der EU finanziert (AIDA 2.2020). Die Verordnung enthält keine Maßnahmen, um das anhaltende Problem sich weigernder Kommunen anzugehen oder günstigere Bedingungen für die Integration in den lokalen Gemeinden zu schaffen. Die Verordnung sieht auch keine Lösung für das Problem des mangelnden Zugangs der Flüchtlinge zu Sozialwohnungen, Familienzulagen für Kinder oder Sprachunterricht vor, wodurch die geflüchteten Menschen ihre sozialen und wirtschaftlichen Rechte nur eingeschränkt wahrnehmen konnten (AI 23.5.2018; vgl. UNHCR 24.7.2017; Caritas 5.2019). Die Tatsache, dass Betroffene seit 2014 ohne jegliche Integrationsunterstützung bleiben, führt zu einem äußerst eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Sozial-, Arbeits- und Gesundheitsrechten und zu Minimierung der Bereitschaft der Betroffenen, sich dauerhaft in Bulgarien niederzulassen (AIDA 2.2020).

Der bulgarische Staat gewährt anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten die gleichen Unterstützungsleistungen, wie sie auch bulgarische Staatsangehörige in Anspruch nehmen können. Für den Zugang zu staatlicher sozialer Unterstützung sind für Schutzberechtigte die Wohnsitzregistrierung und Meldeadresse unerlässlich. Diese wird vom Bürgermeister der Wohnsitzgemeinde vorgenommen (AIDA 2.2020; vgl. Caritas o.D.a). Betreffend Zugang zu staatlicher sozialer Unterstützung haben Schutzberechtigte die Möglichkeit sich an das zuständige Social Assistance Directorate (SAD) der Social Assistance Agency (SAA) am Ort ihrer Wohnsitzmeldung zu wenden. Es gibt dort verschiedene Formen der Unterstützung. Zum einen die monatliche bzw. einmalige oder zielgerichtete Sozialzulage (Monthly, one-off or target social allowance). Diese muss im SAD beantragt werden und ein Sozialarbeiter bewertet die Situation des Betreffenden unter seiner momentanen Adresse. Dabei werden Einkommen, Alter, Familienstand, Besitz, Gesundheitszustand usw. miteinkalkuliert. Die andere Möglichkeit sind kommunale Sozialleistungen für Anwohner (Resident-type community social services). Das umfasst auch Zugang zu temporären (Übergangs-)wohnstrukturen und Notfallzentren. Dazu muss man ebenfalls in der Wohnsitzgemeinde einen Antrag stellen. Auch hier wird die individuelle Situation bewertet und anhand dieser Bewertung vom SAD ein sogenanntes „order for accommodation“ erlassen. Eine weitere Möglichkeit sind finanzielle Leistungen für Familien (Family allowances), die unter einem bestimmten Pro-Kopf-Einkommen liegen. Auch diese müssen beantragt werden. Da die Schutzberechtigten im Gesetz über Kinderzulagen nicht explizit als Empfangsberechtigte aufgeführt sind, kann es passieren, dass ihnen diese Sozialleistungen verweigert werden. Deshalb empfiehlt die Caritas Bulgarien bei diesem Anliegen, sich an einen Sozialarbeiter bzw. das Bulgarian Helsinki Committee zu wenden (Caritas o.D.b). Zuletzt besteht rein theoretisch die Möglichkeit einen Integrationsvertrag mit der Wohnsitzgemeinde abzuschließen (siehe dazu oben, Anm.) (Caritas o.D.b; vgl. AA 16.1.2019).

Beim Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen sind die Betroffenen in der Praxis jedoch mit diversen Sonderregelungen (z.B. Dolmetscher, soziale Vermittlung) konfrontiert. Weiters bedeuten die umfangreiche Bürokratie und weitere Formalitäten bei Einreichung des Antrags um Sozialhilfe, die selbst für Staatsangehörige schwer zu überwinden sind, weitere Probleme. Maßgeschneiderte Vermittlung und Hilfestellung kann durch NGOs von zivilgesellschaftlichen Organisationen geleistet werden, die aber nicht immer verfügbar ist (AIDA 2.2020). Die monatliche Sozialhilfe für eine Person beläuft sich auf umgerechnet 33 € pro Monat (Stand 2018). Die Bedingungen für den Bezug von Sozialhilfe sind schwer zu erfüllen (AA 18.7.2018). Laut staatlichen bulgarischen Angaben wurde 2017 lediglich in 20 Fällen Sozialhilfe an Flüchtlinge gezahlt (AA 26.4.2018).

Es ist den Schutzberechtigten erlaubt für sechs Monate ab Statuszuerkennung in der Asylwerberunterkunft zu bleiben, solange die Platzverhältnisse dies zulassen (AIDA 2.2020) oder für sechs Monate eine staatliche finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft zu erhalten (AA 16.1.2019). Ende 2019 waren 461 Schutzberechtigte in Asylwerberunterkünften untergebracht (AIDA 2.2020).

Betreffend die Zugänglichkeit von Sozialwohnungen gehen die Quellen auseinander. Der Caritas zufolge besteht Zugang zu Gemeindewohnungen nur, wenn mindestens ein Familienmitglied bulgarischer Staatsbürger ist und daher haben Schutzberechtigte üblicherweise keinen Zugang zu diesen Wohnungen (Caritas o.D.a). Laut dem deutschen Auswärtigen Amt dürfen sich anerkannte Flüchtlinge ebenso wie bulgarische Staatsangehörige auf die wenigen vorhandenen Sozialwohnungen bewerben. Soweit anerkannte Schutzberechtigte keine Unterbringungsmöglichkeit in einer staatlichen Unterkunft mehr haben, müssen sie sich selbständig um Wohnraum bemühen. Dabei erhalten sie Hilfe von Nichtregierungsorganisationen. Die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Stellen, gepaart mit einer niedrigen Anzahl von in Bulgarien verweilenden Flüchtlingen, sorgt im Ergebnis dafür, dass es kaum obdachlose Flüchtlinge gibt (AA 16.1.2019).

Wohnen die Schutzberechtigten zur Miete ist das schriftliche Einverständnis der Vermieters vorzulegen. Adressänderungen sind binnen 30 Tagen zu melden (Caritas o.D.a). In der Praxis stoßen Schutzberechtigte jedoch auf Schwierigkeiten, weil für den Abschluss eines Mietvertrages ein gültiges Ausweisdokument erforderlich ist, das aber ohne Angabe der Adresse nicht ausgestellt werden kann. Die Angabe der Adresse des Unterbringungszentrums als Wohnsitz zu diesem Zweck wurde von der SAR untersagt und führte zu Korruptionspraktiken von fiktiven Mietverträgen und Wohnsitzen, damit Schutzberechtigte Ausweispapiere erhalten können (AIDA 2.2020).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für Schutzberechtigte automatisch und bedingungslos gegeben. Die Sprachbarriere und ein Mangel an adäquater staatlicher Unterstützung für Berufsausbildung sind übliche Probleme. Der Zugang zu Bildung ist für Schutzberechtigte genauso geregelt wie für Asylwerber (AIDA 2.2020; vgl. Caritas 5.2019).

Ab Statuszuerkennung müssen Schutzberechtigte die Krankenversicherungsbeiträge, die bis dahin von SAR entrichtet worden sind, selbst bezahlen. Das sind mindestens BGN 44,80 (ca. EUR 22,90) monatlich für arbeitslos gemeldete Personen (AIDA 2.2020). Bei Hausärzten, Spezialisten und in Krankenhäusern ist in Bulgarien regelmäßig mit sogenannten „out of Pocket“-Zahlungen (alles was beim Arztbesuch offiziell und inoffiziell aus eigener Tasche zu bezahlen ist) zu rechnen (WHO 2018). Die Out-of-pocket-Zahlungen, 46,6% der gesamten Gesundheitsausgaben in Bulgarien im Jahr 2017, sind die höchsten in der Europäischen Union. Diese bestehen hauptsächlich aus Zuzahlungen für Medikamente und ambulante Versorgung (OECD/EO 29.10.2019). Schätzungen zufolge gibt es in Bulgarien mindestens 900.000 Menschen ohne Krankenversicherung, obwohl das System grundsätzlich alle in Bulgarien ansässigen Bürger abdecken soll. Bei diesen Personengruppen handelt es sich hauptsächlich um arme Menschen, die sich die Krankenkassenbeiträge nicht leisten können und die von dem bestehenden sozialen Sicherheitsnetz auch nicht unterstützt werden (BTI 29.4.2020). Zusammen mit den hohen „out-of-pocket“-Zahlungen gibt die hohe Anzahl der nicht versicherten Personen Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Zugänglichkeit der Gesundheitsversorgung (OECD/EO 29.10.2019).

Mehrere NGOs leisten in Bulgarien für Asylwerber aber auch für Schutzberechtigte Unterstützung. Das Bulgarian Red Cross (BRC) betreibt den sogenannten Refugee-Migrant Service (RMS), welcher seit 1997 in der Flüchtlingsintegration tätig ist. Die Organisation verfügt über Zweigstellen in mehreren bulgarischen Städten und bietet Asylwerbern, humanitär Aufenthaltsberechtigten, anerkannten Flüchtlingen und abgelehnten Asylwerbern Geld- und Sachleistungen (BRC o.D.). Darüber hinaus führt das BRC in Zusammenarbeit u. a. mit dem UNHCR und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union Integrationsmaßnahmen durch, welche Bulgarisch-Sprachkurse, Anmeldung zur Berufsausbildung und Kostenübernahme dieser Ausbildung, Sozialberatung, Empfehlungen für den Zugang zu einer Arbeitsstelle, Unterkunft, medizinische Versorgung und Bildung, die Weitergabe von Informationen sowie rechtliche, soziale und psychologische Beratungen umfassen. Zusätzlich stellt das BRC Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel, sozial-kulturelle Orientierungskurse, Übersetzungen von Dokumenten und Zeugnissen sowie Übersetzertätigkeiten bei Behördengängen zur Verfügung (AA 18.7.2018; vgl. BRC o.D.).

Die Caritas Bulgarien betreibt in Sofia ein Integrationszentrum für Flüchtlinge und Migranten, das psychologische Hilfe, Bildungsservices, soziale Beratung, humanitäre Hilfe und Unterstützung bezüglich Wohnen und Arbeit bietet (Caritas o.D.c). Für anerkannte Flüchtlinge oder humanitär Schutzberechtigte betreibt die Caritas Bulgarien das sogenannte „Refugee and Migrant Integration Center Sveta Anna” in Sofia, wo soziale Beratung, psychologische Hilfe, Sprachtraining, Hilfe bei Meldeangelegenheiten, Registrierung beim praktischen Arzt, Unterstützung bezüglich Wohnen und Arbeit, ein Mentoringprogramm und weitere Integrationsmaßnahmen angeboten werden. 2018 wurden im Integrationszentrum in Sofia 229 Flüchtlinge und Asylwerber betreut (Caritas o.D.d; vgl. VN 26.4.2019; OSV 25.4.2019).

Daneben leisten das Bulgarian Helsinki Committee, Foundation for Access to Rights und das Centre for Legal Aid „Voice in Bulgaria“ rechtliche Hilfe (RBG o.D.).”

Gegen diese am 25.05.2021 zugestellten Bescheide richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde der BF vom 07.06.2021.

Am 09.06.2021 langte ein als Beschwerdeergänzung zu qualifizierender weiterer Schriftsatz/Beschwerde datiert mit 08.06.2021 ein.

Die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte am 11.06.2021.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.

Festgestellt wird, dass der 1.-BF alleinerziehender Vater des sechsjährigen 2.-BF ist, der weder im Bundesgebiet noch in Bulgarien verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte aufweist oder sonst ihm nahestehende Personen zur Verfügung hat.

Zur allgemeinen Lage in Bulgarien werden die seitens des BFA herangezogenen Feststellungen, wie oben zitiert, der Entscheidung zugrundegelegt, wobei zusammenfassend festgehalten wird, dass sich die Lage für Schutzberechtigte in Bulgarien als angespannt darstellt.

Eine Gesamtdurchsicht dieser Feststellungen ergibt, dass Schutzberechtigte in Bulgarien nur unter großer Anspannung ihrer Kräfte ihre existenziellen Bedürfnisse im Hinblick auf Wohnraum und Lebensunterhalt decken können.

Keine Feststellungen liegen hingegen darüber vor, wie sich die Situation für alleinerziehende Elternteile mit kleinen Kindern darstellt und inwiefern angesichts der angespannten Verhältnisse in Bulgarien, eine erwachsene Einzelperson, die für ein kleines Kind verantwortlich ist, in der Lage sein sollte bzw. kann, für sich und insbesondere das Kind Wohnraum, Lebensunterhalt und medizinische Versorgung zu gewährleisten. Weder liegen Feststellungen darüber vor, ob dieser vulnerable Personenkreis staatlicherseits allenfalls mit einem bevorzugten bzw. erleichterten Zugang zu Sozialleistungen und Wohnraum, etc., rechnen kann, noch ob entsprechende NGO´s diesbezüglich ausreichende Unterstützung anbieten können bzw. tatsächlich anbieten.

Feststellungen, aus welchen geschlossen werden kann, dass insbesondere dem sechsjährigen 2.-BF in Bulgarien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Obdachlosigkeit droht, liegen nicht vor.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus sämtlich aus den Akten des Bundesamtes.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG idgF lauten:

„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

[ … ]

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

[ … ]

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

[ … ]

und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

Zu A)   Behebung des bekämpften Bescheides:

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:

„§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“

Grundsätzlich ist auszuführen, dass das BFA in den angefochtenen Bescheiden allgemeine Feststellungen zur Lage von Schutzberechtigten in Bulgarien getroffen hat. Aus diesen Feststellungen ist zu schließen, dass grundsätzlich für alleinstehende Personen oder Familien mit mehr als einem erwachsenen Familienmitglied die Deckung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens in Bulgarien unter Anspannung der Kräfte gewährleistet erscheint.

Der gegenständliche Fall ist jedoch durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der 1.-BF alleinerziehender Vater des sechsjährigen 2.-BF ist, sodass der 1.-BF zwar grundsätzlich die Möglichkeit hätte, in Bulgarien am Erwerbsleben teilzunehmen, um den Unterhalt für sich und sein Kind zu erwirtschaften, dass jedoch völlig unklar bleibt, inwiefern der 1.-BF etwa einer Arbeit nachgehen oder umfassende bürokratische Formalitäten/Hürden überwinden können sollte, wenn nicht gleichzeitig ein weiteres Familienmitglied zur Beaufsichtigung/Betreuung des minderjährigen 2.-BF zur Verfügung steht. Aus den Feststellungen ergibt sich u.a. nicht, wie der 1.-BF zu einem Betreuungsplatz für den 2.-BF gelangen könnte, wenn der 1.-BF gehalten wäre, die Existenzgrundlage für beide zu erwirtschaften. Weiters ergibt sich aus den Feststellungen auch nicht, dass die beiden somit vulnerablen BF etwa eine bevorzugte oder erleichterte staatliche Unterstützung angesichts ihrer Situation erlangen könnten, vielmehr wird an mehreren Stellen davon gesprochen, dass angesichts von bürokratischen Hürden und Formalitäten es selbst für bulgarische Staatsbürger schwierig sei, die Hürden zur Erlangung von Sozialunterstützung zu überwinden.

Auch im Hinblick auf das Kindeswohl erscheint in casu unabdingbar, die Situation von (insbesondere im Volksschulalter befindlichen) Kindern, die nur einen einzigen Elternteil haben, im Falle der Rücküberstellung nach Bulgarien zu beleuchten, zumal sich der 2.-BF in einem Alter befindet, indem es unzumutbar erscheint, ihn alleine zu lassen.

Zudem hat der 1.-BF vorgebracht, dass dem 2.-BF in Bulgarien der Schulbesuch verweigert worden sei. Auch diesbezüglich sind im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zu treffen bzw. zu beleuchten, warum dem 2.-BF kein Schulbesuch ermöglicht worden ist.

Der festgestellte Sachverhalt in den angefochtenen Bescheiden ist daher insoferne mangelhaft iSd § 21 Abs. 3 BFA-VG, als er keine tragfähige Grundlage zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation der BF im Falle ihrer Rücküberstellung darstellt.

Insbesondere müsste sich im Hinblick auf das Kindeswohl aus den einzuholenden Ermittlungsergebnissen schließen lassen, dass dem sechsjährigen 2.-BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Obdachlosigkeit droht, zumal der 1.-BF bereits vorgebracht hat, dass sie beide nach der Gewährung von Subsidiärschutz des Lagers verwiesen worden seien.

Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die Entscheidung liegt allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, welche bereits durch umfassende und im Detail bzw. in der fachlichen Substanz unwidersprochen gebliebene Feststellungen festgehalten wurde und demgemäß in einer Tatbestandsfrage.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf umfangreiche Judikatur des EGMR sowie auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation Kindeswohl mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W144.2243191.1.00

Im RIS seit

05.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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